Draußen ist es neblig, da muss man drin sitzen und Bücher lesen. Ok, das stimmt nicht so ganz; man kann auch wunderbar im Nebel rumlaufen und spazieren. Aber man kann ja auch beides machen, rumlaufen und Bücher lesen (idealerweise aber hintereinander). So oder so: Ich habe im November wieder Bücher gelesen und wie immer am Monatsende kommt hier mein Bericht über das Gelesene:
Wer ist Joe Biden?
Nachdem Donald Trump endlich nicht mehr Präsident der USA ist habe ich mir gedacht es wäre gut zu wissen, wer ihm denn nun nachfolgen wird. Klar, Joe Biden. Aber ich hab ehrlich gesagt überhaupt keine Ahnung gehabt, wer der Typ eigentlich ist. Er war nicht Donald Trump und das war ausreichend um zu wissen dass man ihm den Sieg der Wahl wünschen möchte. Aber wenn er nun die nächsten vier Jahre Amerika regieren wird, wäre es gut ein wenig mehr zu wissen. Also habe ich mich nach einer Biografie umgesehen und bin auf “Joe Biden: American Dreamer” (auf deutsch: “Joe Biden: Ein Porträt) von Evan Osnos. Der amerikanische Journalist hat ein wirklich gutes Buch geschrieben.
Osnos hat Biden im Laufe seiner journalistischen Arbeit immer wieder getroffen, in seiner Zeit als Vizepräsident unter Obama, davor und auch danach im Wahlkampf 2020. Das Buch endet ein bisschen vor der eigentlichen Wahl, was aber egal ist weil man ja wissen will, was Biden vorher so getrieben hat. Und das ist durchaus interessant. Biden war nicht unbedingt ein guter Schüler oder guter Anwalt (aber auch kein schlechter Schüler und schlechter Anwalt). Die Anwalterei ließ er dann aber sowieso bald bleiben weil ihn die Politik viel mehr interessierte. 1972, als Biden erst 29 Jahre alt war, gewann er seine erste große Wahl: Als unbekannter Herausforderer schlug er seinen bekannten und etablierten Rivalen bei der Wahl zum US-Senat im Bundesstaat Delaware. Er war so jung, dass er eigentlich gar nicht berechtigt gewesen wäre in den Senat einzuziehen; da das Amt aber erst im folgenden Jahr angetreten werden musste, überschritt er noch die Altersgrenze von 30 Jahren. Den Job als Senator behielt er lange: Bis 2009, als er der Vizepräsident von Barack Obama wurde.
Ich will nicht die ganze Karriere von Biden nacherzählen; dafür gibt es ja das Buch von Osnos. Aber ein paar Dinge sind mir aufgefallen. Biden ist kein Revolutionär und war in seiner politischen Arbeit nie der große Vorreiter für Neuerungen. Aber er war sehr gut darin zu erkennen wenn sich entsprechende gesellschaftliche Umwälzungen anbahnen und sich nicht zu schade, diese dann auch zu unterstützen. Anders gesagt: Biden ist niemand der einen großen Wandel bringen kann. Aber er kann einem Wandel Gewicht, Gehör und schließlich auch politische Realität verschaffen. Und Biden ist jemand, der gerne vorbereitet ist und Bescheid weiß. Was eigentlich selbstverständlich für einen Staatschef ist. Aber angesichts von Donald Trump halt dann eben doch nicht. Dazu ein Zitat aus dem Buch:
“He pushed his staff to help him prepare answers to any conceivable question. He sought out scholars for information about unfamiliar topics. In May 1975, he wrote a letter to Hannah Arendt, the political theorist who explored the roots of authoritarianism: ‘Dear Miss Arendt, I read in a recent article by Tom Wicker of a paper that you read at the Boston Bicentennial Forum. As a member of the Foreign Relations Committee of the Senate, I am most interested in receiving a copy of your paper. Thank you. Sincerely, Joseph R. Biden Jr. United States Senator'”
Kann sich irgendwer vorstellen, so eine Aussage über Donald Trump zu lesen?
Man muss sich übrigens keine Sorgen machen dass das Buch unausgewogen ist. Osnos beschäftigt sich durchaus kritisch mit Biden und stellt seine negativen Seiten ebenfalls dar. Seine umstrittenen politischen Entscheidungen – zum Beispiel die Unterstützung der Kriege in Afghanistan und im Irak – oder seine rhetorischen Schwächen sind ebenso ein Thema wie seine gescheiterten Präsidentschaftskandidaturen 1988 und 2008. Ich kann das Buch nur empfehlen; es ist ein guter Einstieg wenn man mehr über den nächsten Präsident der USA wissen will.
Durch Trumps USA
Passend zum USA-Thema habe ich auch noch “Another Fine Mess: Across the USA in a Ford Model T” (auf deutsch: “T wie Trouble: Mit Fords Tin Lizzy durch Trumps Amerika”) von Tim Moore gelesen. Auch da geht es um amerikanische Politik, aber auf eine ganz andere Art und Weise.
Thomas Moore kam ja schon öfter in meinen Buchbesprechungen vor. Meistens schreibt er recht amüsante Reiseromane und das ist auch hier der Fall. Moore hat 2018 – mitten in Trumps Präsidentschaft – die USA bereist. Von der Ostküste zur Westküste, mitten durch genau die Bezirke in denen Trump bei der Wahl die höchste Zustimmung bekommen hat. Damit es nicht langweilig wird tut Moore das aber nicht einfach irgendwie. Sondern in einem original Ford Model T aus den 1920er Jahren.
Neben der Reisebeschreibung dreht sich das Buch also auch um Henry Ford und Moore zieht eine sehr direkte Verbindung dem durch Ford mitausgelösten wirtschaftlichen Aufschwung in den USA, der sich durch Fords Autos verursachten Dominanz des Indiviualverkehrs in den USA, der amerikanischen Hochzeit in den Nachkriegsjahren und dem folgenden industriellen Niedergang der Donald Trumps Präsidentschaft den Boden bereitet hat.
Das klingt anstrengender als es ist; ich fand das Buch sehr amüsant. Das liegt einerseits an den absurden Problemen die man hat wenn man mit einem fast 100 Jahre alten Auto durch die Gegend fährt und die Moore ausführlich beschreibt. Das liegt aber andererseits auch an den vielen Menschen die Moore trifft und die nicht nur genau so sind wie man sich Trumpwähler vorstellt sondern gleichzeitig auch absolut nicht so sind. Moores Buch ist in gewissen Sinn ein versöhnliches Buch – aber auch eines das die akuten gesellschaftlichen Probleme der USA auf eine Weise offenlegt die einen nicht sofort deprimiert. Ich hab es gerne gelesen.
Blöde Computer
Absolut empfehlen möchte ich euch das Buch “You Look Like a Thing and I Love You” von Janelle Shane. Der Titel klingt ein wenig seltsam, ist aber absolut passend. Shane ist eine amerikanische Ingenieurin die sich auf künstliche Intelligenz und selbstlernende Maschinen/Algorithmen spezialisiert hat. Vor allem auf das, was diese “intelligenten” Programme für Unsinn treiben. Der Titel des Buches etwa stammt aus einem von Shanes Programmen das Aufreißsprüche produzieren sollte.
Shane hat über diese lustigen oder einfach nur komplett absurden Fehler der künstlichen Intelligenz immer wieder in ihrem empfehlenswerten Blog AI Weirdness geschrieben und setzt das in ihrem Buch fort. Genau das macht es auch so unterhaltsam. Es ist einfach zu lustig zu lesen, was die Programme alles falsch machen. Da ist zum Beispiel das Programm das lernen soll wie man Pfannkuchen wendet und gesagt bekommt, es soll die Zeit minimieren die der Pfannkuchen am Boden verbringt (also keine runterfallen lassen). Was tut das Programm: Es schmeisst die Dinger so weit nach oben wie es nur geht. Damit ist die Aufgabe erfüllt – aber halt komplett sinnlos. Oder der simulierte Roboter der eine Strecke von A nach B gehend zurücklegen sollte. Das Programm konstruierte allerdings keinen Roboter mit Beinen sondern einfach ein sehr großes Dingens, dass dann einfach umfällt. Aus so gelangt es nach B – aber halt nicht im Sinne der Erfinderin.
Hier gibt es einen schönen Vortrag von Shane (den ich leider nicht einbinden kann) – und das Buch ist voll mit solchen Beispielen (das Programm das Matheaufgaben lösen soll und einen Programmierfehler ausnützt um die Lösungen einfach abzuschreiben, das Programm, das einen Algorithmus entwickeln soll um Verluste bei Sportwetten zu minimieren und beschließt dass es am besten ist, gar nicht zu wetten, das Programm das überall Giraffen entdeckt, und so weiter) von denen eines amüsanter ist als das andere. Aber natürlich hat das ernste Konsequenzen. Wenn ein simuliertes Auto einen Fehler in der simulierten Welt entdeckt und herausfindet, dass es am besten von A nach B kommt wenn es mit voller Wucht an ne Mauer fährt und dann auf der anderen Seite wieder auftaucht ist das eine. Wenn dieser Algorithmus aber in einem realen selbstfahrenden Auto eingesetz würde eher nicht. Shane schafft es mit all den seltsamen Beispielen hervorragende zu erklären, wie künstliche Intelligenz funktionieren sollte, warum sie nicht funktioniert und was man alles beachten muss, wenn man solche Programme schreibt. Das Buch ist auf keiner Seite langweilig und nie unverständlich. Absolute Empfehlung!
Was ich sonst noch so gelesen habe
Eigentlich lese ich im Sommer ja im Bücher über den Radsport. Nämlich dann, wenn ich selbst eine lange Radtour mache während anderswo gerade die Tour de France stattfindet. Die hat dieses Jahr aber erst im Herbst stattgefunden und meine Radbuchlektüre hat sich noch weiter nach hinten verschoben. Gelesen habe ich am Ende diese beiden Bücher: “Pro Cycling on $10 a Day: From Fat Kid to Euro Pro” und “Zugtiere in Trägerhosen: Wie ich meinen Traum vom Radprofi lebte” (im Original: “Draft Animals: Living the Pro Cycling Dream (Once in a While)” von Phil Gaimon. Thematisch sind sie beide ziemlich klassisch und beschreiben den schwierigen Weg vom enthusiastischen Radamateur zum Profifahrer. Gaimon ist aber wesentlich lustiger und respektloser. Wenn er Kollegen, Konkurrenten oder Radsportfunktionäre für Idioten hält, dann schreibt er das auch genau so. Sein Blick auf den Sport ist absolut schonungslos und es ist erschreckend zu sehen, für wie wenig Geld sich so viele Radprofis die Gesundheit ruinieren. Aber wenn man die Bücher liest dann versteht man auch, wieso man das alles auf sich nehmen will. Weil der Radsport trotz allem eine faszinierende Welt ist – und eine sehr verrückte Welt.
Das war es für den November. Spezielle Buchempfehlungen für Weihnachten habe ich in diesem Jahr nicht. Aber ihr werdet schon was passendes finden. Und mir hoffentlich davon erzählen wenn ihr Bücher entdeckt, die man unbedingt gelesen haben muss!
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