Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 443: Der Asteroid Ceres
Ceres ist die Nummer Eins. Und zwar im absolut buchstäblichen Sinn. Oder im zahlichen Sinne? Gibt es so ein Wort überhaupt? Egal – auf jeden Fall ist Ceres der Asteroid mit der offiziellen Nummer 1. Denn alle Asteroiden im Sonnensystem haben nicht nur eine Namen, sondern auch eine Nummer. Zumindest diejenigen Asteroiden, deren Bahn wir ausreichend gut kennen. Sobald das der Fall ist, bekommen sie eine fortlaufende Nummer zugewiesen und Ceres hat die Nummer “1” bekommen. Weil er der erste Asteroid überhaupt war, den wir entdeckt haben. Und mit “wir” ist der italienische Astronom Giuseppe Piazzi gemeint; die Geschichte wie er 1801 Ceres entdeckt hat, habe ich ja schon ausführlich in Folge 186 erzählt.
Ceres ist aber nicht nur der erste Asteroid und die Nummer Eins. Sondern auch ein höchst bemerkenswerter Himmelskörper. Er befindet sich mitten im sogenannten “Asteroidengürtel”, also dem Bereich zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter, wo wir bis jetzt die meisten Asteroiden gefunden haben. Und hier gibt es gleich einen kurzen Einschub: In Science-Fiction-Filmen und auch in wissenschaftlichen Dokumentationen wird so ein Asteroidengürtel gerne mal als dicht gefüllte Ansammlung von Felsbrocken dargestellt. Da müssen Raumschiffe dann regelrecht Slalom fliegen, um nicht mit einem Asteroid zu kollidieren. Das könnte kaum weiter von der Realität entfernt sein. In Wahrheit würde ein Raumschiff, dass vom Mars zum Jupiter fliegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen einzigen Asteroid zu Gesicht bekommen. Man muss sich anstrengen, wenn man einen Asteroid erreichen will. Die Asteroiden sind zwar zahlreich, aber klein und der Weltraum ist groß! Wenn man das ganze überschlagsmäßig ausrechnet, findet man im Asteroidengürtel 0,000000005 Asteroiden pro Quadratkilometer. Und das ist nur zweidimensional gerechnet; die Felsbrocken befinden sich ja nicht alle in einer Ebene sondern auch darüber und darunter. Man kann sich mitten im Asteroidengürtel befinden und wird dabei keinen einzigen Asteroid sehen.
Das kann man – um wieder zum Thema zurück zu kommen – auch gut an Ceres selbst erkennen. Der Himmelskörper hat einen Durchmesser von 964 Kilometer. Damit ist er das größte Objekt im Asteroidengürtel. Seine Masse beträgt 939 Trillionen Kilogramm, was viel klingt, aber nur ein 78tel der Masse unseres Mondes ist. Oder ein 6360tel der Erdmasse. Und trotzdem dominiert Ceres den Asteroidengürtel: Nimmt man die Masse aller Objekte zusammen, die sich dort befinden, dann macht die Masse von Ceres allein schon ein Viertel davon aus!
Die Umlaufbahn von Ceres ist recht unspektakulär. Für eine Runde um die Sonne braucht der Asteroid 1681 Tage, also ein bisschen mehr als 4,5 Jahre. Im Mittel ist der Asteroid 2,8 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde; und die Umlaufbahn ist um knapp 10 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt. Sehr viel spannender wird es, wenn man sich Ceres aus der Nähe anschaut. Dass wir das können, liegt an der Raumsonde Dawn. Die flog am 27. September 2007 ins All und hat zunächst einen Zwischenstopp beim Asteroid Vesta eingelegt, von dem ich in Folge 239 mehr erzählt habe. Der war aber 2021 zu Ende und am 6. März 2015 kam Dawn endlich bei Ceres an. Dort blieb sie bis 2018. Beziehungsweise ist Dawn jetzt immer noch dort, aber am 1. November 2018 hat man die Mission für beendet erklärt, da die Treibstoffvorräte alle waren und kein Kontakt mehr möglich. In den fast vier Jahren, die Dawn bei Ceres verbracht hat, hat sie aber jede Menge herausgefunden.
Auch wenn Ceres der erste bekannte Asteroid war und auch wenn er der größte Asteroid im Asteroidengürtel ist, wusste man bis 2015 trotzdem kaum, wie es dort aussieht. Selbst die größten Teleskope konnte nicht mehr als verwaschene Bilder produzieren. Was man sah, waren ein paar helle und dunkle Flecken, aber nicht mehr. Dank Dawn haben wir Ceres aber mittlerweile komplett kartografiert. Wir sehen einen Himmelskörper, der auf den ersten Blick ein wenig wie unser Mond aussieht: Grau und mit jeder Menge Kratern. Dieser Eindruck täuscht allerdings; Ceres ist völlig anders als unser Mond.
Blicken wir zuerst einmal auf ein Detail. Schon beim Anflug auf Ceres hat Dawn mysteriöse helle Flecken auf der Oberfläche gesehen. Die genaue Erforschung hat gezeigt, dass es sich um Strukturen handelt, die man vor allem im und um den Occator-Krater sehen kann. Der ist 92 Kilometer groß und hat in der Mitte einen Berg von 10 Kilometer Höhe. Und genau dort in der Mitte findet man auch seltsames weißes Zeug. Der ganze Zentralberg ist von diesem weißen Wasauchimmer bedeckt. Erst dank der Daten von Ceres fand man heraus, worum es sich dabei handelt: Natriumkarbonat. Das ist auch unter dem Namen “Soda” bekannt und der eine oder die andere hat es sicherlich schon mal zum Backen verwendet. Denn chemisch gesehen handelt es sich um eine Verbindung von Natrium, Kohlenstoff und Sauerstoff und wenn man es zum Beispiel einem Kuchenteig beigibt, wird Kohlendioxid freigesetzt, dass den Teig aufgehen lässt. Man kann es aber auch zum Putzen verwenden (und es hat jede Menge andere industrielle Anwendungen). Auf Ceres ist aber weder mit Bäckereien zu rechnen, noch wird dort jemand Unmengen an Putzmittel verstreut haben. Wie kommt das Natriumkarbonat also dorthin?
Zuerst dachte man, dass vielleicht Meteoriteneinschläge für die hellen Flecken verantwortlich sind. Und bei manchen ist das vielleicht sogar der Fall. Aber der große helle Fleck im Occator-Krater muss eine andere Ursache haben. So viel Natriumcarbonat kann ein Meteorit nicht mitbringen. Auf der Erde finden wir Natriumkarbonat oft in der Nähe von heißen Thermalquellen. Das Material wird aus dem Inneren der Erde an die Oberfläche transportiert und das, so denkt man, passiert auch auf Ceres. Nur dass dieser Himmelskörper ganz anders ist als die Erde. Unser Planet hat einen Kern aus Metall, darüber einen Mantel aus Gestein und eine Kruste aus leichtem Gestein. Ceres ist viel kleiner; dort gab es nicht genug Metall, dass einen Kern bilden konnte. Einen Kern hat er aber trotzdem. Damit ein Himmelskörper eine interne Struktur haben kann, also so etwas wie einen Kern, einen Mantel, eine Kruste, muss er groß genug sein. Je größer, desto mehr Wärme kann er speichern. Einerseits ist das Wärme, die bei der Entstehung frei wird, also bei den ganzen Kollisionen kleinerer Objekte bei deren Verschmelzung dann größere Asteroiden oder Planeten entstehen. Andererseits aber auch Wärme, die beim Zerfall radioaktiver Materialen frei wird. Von denen gab es nicht viel, als das Sonnensystem entstand, aber ein bisschen was war da und je größer ein Himmelskörper ist, desto mehr hat er davon. Die Erde hat bei ihrer Entstehung so viel davon gesammelt, dass die Zerfallswärme immer noch dafür sorgt, dass es im Zentrum des Planeten mehr als 5000 Grad hat. Aber auch Ceres hat genug davon mitbekommen, um auf jeden Fall eine Zeit lang sehr warm zu sein. Während das Innere des Asteroiden geschmolzen war, sind die schweren Bestandteile nach unten gesunken und die leichteren blieben außen. Genug Metall für einen Kern war, wie gesagt, nicht da. Aber Gestein, weswegen man davon ausgeht, dass Ceres einen Kern aus Gestein hat. Darüber liegt ein Mantel aus leichterem Material. Was im Fall von Ceres vor allem Wasser beziehungsweise Eis ist.
Denn der Asteroid ist weit genug von der Sonne entfernt entstanden, so dass damals nicht nur Staub und Gestein zur Verfügung stand. Die große Scheibe voll Zeug aus der sich die Himmelskörper gebildet haben, hatte weiter weg von der Sonne auch jede Menge gefrorenes Material, vor allem Wassereis. Wir haben also einen felsigen Kern, umgeben von einer Schicht aus Eis und darüber eine dünne Kruste aus Staub und Eis. Die Temperatur auf der Oberfläche von Ceres liegt bei -106 Grad Celsius; da taut nix auf. Dachte man jedenfalls und man dachte auch, dass Ceres jegliche Wärme schon längst verloren hat. Der Asteroid sollte eigentlich gut durchgekühlt sein… Aber, und das haben die Beobachtungen von Dawn gezeigt: Es ist ganz anders. Offensichtlich ist das Eis von Ceres sehr salzig (auch Natriumkarbonat ist ja ein Salz). Und so wie wir im Winter Salz auf die Straßen streuen um das Eis aufzutauen, könnte auch das Salz in Ceres das Wassereis verflüssigen. Oder eher: verbreien. Man darf sich da keine sprudelnden Quellen vorstellen, keine schwappenden Seen mit Wellen oder so. Aber vermutlich befindet sich ein paar Dutzend Kilometer tief unter der gefrorenen Kruste von Ceres eine Art salziger Wasserbrei. Und ab und zu kann dieses Zeug aus dem Inneren durch Risse nach oben dringen. Dann lagert sich das mitgeführte Natriumkarbonat ab, und es gibt helle Flecken wie im Occator-Krater.
So einen “Kryovulkanismus”, bei dem Wasser und Eis die Rolle von Gestein und Lava spielen, findet man auch auf anderen Himmelskörpern im Sonnensystem, wie ich in Folge 300 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe. Auf einem so isoliert liegenden und kleinem Asteroid wie Ceres hat man aber nicht damit gerechnet. Mittlerweile hat man auf Ceres auch Wasserdampf nachweisen können. Keine Atmosphäre natürlich, aber aus verschiedenen Stellen seiner Oberfläche dringt Wasserdampf nach außen und zwar um so mehr, je näher sich der Asteroid an der Sonne befindet.
Ceres dürfte eine ganz besondere Geschichte hinter sich haben. Dawn hat an seiner Oberfläche auch verschiedene Ammoniak-Verbindungen gefunden. Diese chemischen Stoffe findet man normalerweise nicht so weit innen im Sonnensystem. Aber weiter draußen, wo es noch kälter ist, sind die Bedingungen besser. Dort kann das Zeug bei der Entstehung der Himmelskörper existiert haben und deswegen geht man davon aus, dass der große Asteroid nicht zwischen Mars und Jupiter entstanden ist, also da, wo er sich jetzt befindet. Sondern irgendwo in der Nähe der Umlaufbahn von Neptun. Von der ist er in der chaotischen Frühphase des Sonnensystems dann in seine heutige Umlaufbahn gelangt. Es kann aber auch sein, dass Ceres schon im Asteroidengürtel entstanden ist, aber irgendwann mit einem sehr großen Objekt kollidierte, das aus dem äußeren Sonnensystem gekommen ist.
Dank der Dawn-Mission haben wir jede Menge über Ceres herausgefunden. Und jede Menge neue Fragen gefunden, auf die uns eine Antwort fehlt. Der überraschende Lichtpunkt, den Giuseppe Piazzi 1801 im Teleskop gesehen hat, ist zu einer echten Welt geworden. Mit Tälern und Ebenen, mit Kratern und Bergen, mit langen Canyons, die entstanden sind, als Ceres nach seiner Entstehung abkühlte und geschrumpft ist. Mit Eisvulkanen wie dem Ahuna Mons, der es auf eine Höhe von 6 Kilometern bringt. Lange, helle Streifen laufen über seine Flanken hinab; auch hier ist Salz von früheren Ausbrüchen zu sehen.
Ceres ist die Nummer Eins und Ceres ist einzigartig. Das gilt aber für jeden Himmelskörper dort draußen. Wir mögen zwar die acht großen Planeten erforscht haben und denken, wir wüssten deswegen, wie das Sonnensystem beschaffen ist. Aber solange wir nicht auch die vielen kleinen Welten wie Ceres besucht haben, wissen wir eigentlich gar nichts…
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