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Sternengeschichten Folge 466: Die “Astronomischen Nachrichten”

Heute geht es um Astronomische Nachrichten. Gut, um die geht es hier eigentlich immer – in dem Fall sind es aber sehr spezielle Astronomische Nachrichten. Nämlich die Fachzeitschrift für Astronomie, die genau diesen Namen trägt. Und die älteste noch existierende astronomische Fachzeitschrift der Welt ist.

Die Sache mit den Fachzeitschriften ist spannender als sie klingt. Und ist vor allem fundamental für den Fortschritt der Wissenschaft. Es nützt ja nichts, wenn irgendwer irgendwo irgendetwas herausfindet. Man muss den Rest der Welt dann ja auch darüber informieren. Oder zumindest alle die, die sich mit der gleichen Art der Forschung beschäftigen. Heute ist das kein Problem; im Zweifelsfall schreibt man eben einfach ne Nachricht auf Twitter, Facebook oder Instagram. Aber früher war das anders.

In den allermeisten Fällen hat die Kommunikation zwischen Wissenschaftler*innen direkt stattgefunden. Soll heißen: Wer was rausgefunden hat, hat allen denen, die darüber Bescheid wissen sollen, einen Brief geschrieben. Und dann hat sich die Entdeckung herumgesprochen, bis alle davon gewusst haben. Früher gab es ja auch noch nicht so viele Forscherinnen und Forscher wie heute; da war das noch praktikabel. Aber man kann nicht alles einfach per Brief mitteilen, ganz besonders nicht in der Astronomie. Hier gibt es eine lange Tradition sogenannter “Astronomischer Jahrbücher”. Da steht drin, was im aktuellen Jahr am Himmel so abgeht. Wann die Planeten wo zu finden sind, wann Sonne und Mond auf und untergehen, ob es Sonnen- oder Mondfinsternisse gibt, und so weiter.

Sowas war wichtig für alle, die den Himmel beobachten wollten. Und es ist viel Arbeit, so ein Tabellenwerk zu erstellen. Das kann man dann nicht einfach per Brief in der Welt verschicken. Deswegen sind solche Jahrbücher schon im Mittelalter und der frühen Neuzeit als echte Bücher veröffentlicht worden und weil man jedes Jahr ein neues Buch braucht, kann man das durchaus als eine Art periodisch erscheinende Fachzeitschrift verstehen.

Bis zu den Zeitschriften im modernen Sinn war es aber noch ein weiter Weg, den ich hier natürlich nicht in aller historischer Vollständigkeit darstellen kann. Als älteste Fachzeitschrift der Welt gilt das “Journal des sçavans”, dessen erste Ausgabe am 5. Januar 1665 erschienen ist. Kurz danach, am 6. März 1665 erschien Ausgabe Nummer 1 der “Philosophical Transactions of the Royal Society”. Beide erscheinen auch heute noch; die Philosophical Transactions veröffentlichen so wie damals vor allem die Ergebnisse naturwissenschaflicher Forschung, das Journal des scavans hat seinen Schwerpunkt im 19. Jahrhundert von der Naturwissenschaft in Richtung Literatur und Geisteswissenschaft verlagert.

Zu Beginn waren diese Zeitschriften aber noch ein wenig anders als wir das heute gewohnt sind. Das erkennt man auch am Namen der “Philosophical Transactions” ganz gut. Die “Royal Society” ist eine der ältesten Gemeinschaften von Forscherinnen und Forscher. Man hat sie 1660 gegründet, um sich – simpel gesagt – regelmäßig treffen, plaudern und gemeinsam zu experimentieren zu können. Wer von irgendwem einen interessanten Brief bekommen hat, hat den auf diesen Treffen vorgelesen; dann wurde gemeinsam darüber diskutiert, und so weiter. Die “Philosophical Transactions” haben quasi als Sitzungsprotokolle dieser Treffen begonnen und so kunterbunt ist auch der Inhalt der frühen Ausgabe. Ein kurzer Artikel berichtet von einem Experiment, das irgendwer gemacht hat, ein anderer erzählt, was er von irgendwem gehört hat, der gerade von einer Reise aus Afrika zurück gekommen ist; jemand hat ein Buch gelesen und berichtet davon, und so weiter. Ein wenig so, wie man sich heute vielleicht in einem Internetforum oder einer Whats-App-Gruppe austauscht.

Aber im Laufe der Zeit hat sich daraus eine echte Fachzeitschrift entwickelt, wo Forscherinnen und Forscher gezielt ihre Ergebnisse zur Veröffentlichung einreichen. Und natürlich sind jede Menge mehr Zeitschriften entstanden. Für unterschiedliche Disziplinen und auch in unterschiedlichen Länder. Heute ist ziemlich egal, wo auf der Welt irgendeine Forschungsarbeit erscheint. Im Internet findet man alles. Damals hatte man aber nur die Fachzeitschriften als Informationsquelle und auch nur die, die man in die Finger bekam. Irgendeine Publikation, die nur in den USA erscheint war für Leute in Deutschland zum Beispiel eher unpraktisch. Wenn die doch irgendwann mal den Weg über den Atlantik geschafft hat, war der Inhalt schon mehr als veraltet.

Genau deswegen hat sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch die wissenschaftliche Gemeinschaft im deutschsprachigen Raum ein wenig beschwert, dass es hier keine Fachzeitschrift gab, die sich speziell und aktuell mit Astronomie und Mathematik beschäftigt. Man hat sich ein wenig abgehängt gefühlt, schlecht informiert und die Verbreitung von Nachrichten über Wissenschaft war mühsam.
Zur Hilfe kam Friedrich VI. Der war damals König von Dänemark und Norwegen und Herzog von Schleswig und Holstein. Und erklärte sich bereit, eine astronomische Fachzeitschrift zu finanzieren. Herausgeber sollte der Astronom Heinrich Christian Schumacher werden. Die beiden kannten sich; Schumachers Vater war ein dänischer Beamter und Diplomat und hat dem König seinen Sohn schon vorgestellt, als er noch ein Kind war. Heinrich Christian Schumacher jedenfalls studierte zuerst Rechtswissenschaft, dann aber auch Astronomie und Mathematik. Er hat unter anderem beim berühmten Carl Friedrich Gauß gelernt und wurde 1810 Astronomie-Professor in Kopenhagen. Von der königlichen Dänischen Akademie der Wissenschaft hat er den Auftrag erhalten, Holstein ordentlich zu vermessen und zu kartografieren und eine Sternwarte in Altona hat er ebenfalls gegründet. Und wer sich jetzt wundert: Altona, heute ein Stadtteil von Hamburg war, ebenso wie Holstein, damals dänisch.

Heinrich Christian Schumacher (Bild: gemeinfrei)

Jedenfalls hat sich Schumacher bereit erklärt, die neue Fachzeitschrift zu organisieren. 1821 schickte er einen Rundbrief in die Welt der Astronomie. Darin erklärte er, dass er plant “ein Mittel zur schnellen Verbreitung einzelner Beobachtungen und kürzerer Nachrichten”, sowie ein “Depot für größere Arbeiten” zu organisieren. Sobald genug zusammen ist, wird alles zu einem Heft zusammengefasst, gedruckt und versandt. Und immer 24 Hefte sollen zu einem Buch gebunden werden. Im September 1821 konnte Schumacher das erste Heft dieser “Astronomischen Nachrichten” verschicken. Man kann sich den Inhalt auch heute noch online ansehen. Es beginnt mit dem Text “Einige Nachrichten über die Sternwarte in Jena” von Johann Friedrich Posselt, der das erst knapp 10 Jahre zuvor errichtete Observatorium vorstellt und auch gleich ein paar Beobachtungsergebnisse präsentiert. Es folgt ein Brief von Friedrich Bernhard Gottfried Nicolai, Astronom in Mannheim, der seine Daten von Mond- und Sternbeobachtungen mitteilt. Ein Herr Professor Ritter Bürg erzählt von seiner Reise nach Klagenfurt, wo er eine ringförmige Sonnenfinsternis gesehen hat und am Ende folgen ein paar Kurznachrichten aus England und dem Rest der Welt. Den spannendesten Titel in Ausgabe Nummer 1 der Astronomischen Nachrichten hat aber mit Sicherheit der Text des Astronomen Wilhelm Olbers: “Rettung eines Astronomen von einem ihm angeschuldigten schweren Verbrechen”.

Es geht allerdings nicht um Mord und Totschlag und das hier wird auch kein True-Crime-Podcast. Aus heutige Sicht ist schwer verständlich, was Olbers damals wollte. Sein Artikel geht davon aus, dass sowieso alle wissen, worum es geht, was damals vermutlich auch so war. Anscheinend gab es Streit um Kometenbeobachtungen, die der niederländische Astronom Nicolaas Struyck und der Franzose Alexandre Guy Pingré gemacht haben und von denen behauptet wurde, sie seien nur erfunden beziehungsweise abgeschrieben. Olbers wollte nun klarmachen, dass der Franzose tatsächlich ein fieser Verbrecher sein; Struyck aber völlig unschuldig.

So oder so. Die zweite Ausgabe erschien schon im Oktober 1821 und danach ging es immer weiter. Schon bald gab es auch die ersten Artikel von Wissenschafts-Promis der damaligen Zeit; von Carl Friedrich Gauß oder Friedrich Wilhelm Bessel. Die Astronomischen Nachrichten wurden enorm erfolgreich, im Jahr 1823 waren die ersten 24 Hefte erschienen und zu Band 1 zusammengefasst. Schumacher konnte noch Band 31 herausgeben, dann starb er im Jahr 1850. Der nächste Herausgeber war Adolph Cornelius Peterson, ein dänischer Astronom, der diese Arbeit mit Peter Andreas Hansen bis 1854 erledigte. Die Herausgeber wechselten im Laufe der Zeit, aber die Astronomischen Nachrichten blieben bestehen. Bis 1990 erschienen dort Beiträge sowohl in Deutsch als auch in Englisch, danach orientiere man sich an der internationalen Community und veröffentlichte nur noch englischsprachige Fachartikel. Ab Band 326, der 2005 erschien, änderte man dann auch den Namen. Die Astronomischen Nachrichten wurden offiziell zu den “Astronomical Notes”, die im Untertitel aber immer noch den alten Namen aus dem Jahr 1821 tragen.

Ich mag Band 330, Ausgabe 5 aus dem Jahr 2009 besonders gern. Dort habe ich selbst nämlich einen Fachartikel in den Astronomischen Nachrichten veröffentlicht. Er handelt von der Bewegung extrasolarer Planeten des Sterns TrES-2 und in zwei weiteren Artikeln dieser Ausgabe bin ich als Ko-Autor bei der Beobachtung des Kometen 17P/Holmes und zwei Sternhaufen beteiligt gewesen. Es mag heute bedeutendere Fachzeitschriften geben als die Astronomischen Nachrichten. Aber sie ist von allen die älteste die es noch gibt und es ist schön, einen kleinen Teil zu dieser mehr als 200 Jahren Tradition der astronomischen Veröffentlichung beigetragen zu haben. Irgendwann wird es diese Zeitschrift vermutlich nicht mehr geben; im Zeitalter des Internets gibt es andere und komfortablere Methoden, Facharbeiten zu veröffentlichen als in speziellen und aufwendig zu erstellenden Zeitschriften. Aber auch wenn die Astronomischen Nachrichten und die anderen Journale irgendwann verschwunden sein sollten: Es wird auf jeden Fall weiter astronomische Nachrichten geben und Menschen, die sie hören wollen!

Kommentare (1)

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