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Sternengeschichten Folge 484: Das Carrington-Ereignis
“Während der Beobachtung einer Gruppe von Sonnenflecken am 1. September wurde ich pötzlich vom Auftauchen eines sehr hellen Lichtsterns überrascht, sehr viel heller als die Oberfläche der Sonne und blendend für das ungeschützte Auge. Er erhellte die nahen Flecken und Strukturen, ungefähr so wie die Wolkenränder bei Sonnenuntergang aussehen. Die Strahlen erstreckten sich in alle Richtungen und das Zentrum kann man mit der blendenden Helligkeit des Sterns alpha Lyrae vergleichen, wenn man ihn in einem Teleskop mit geringer Vergrößerung betrachtet. Es dauerte circa fünf Minuten und verschwand plötzlich um 11:25.”
Diese Beobachtung berichtete der englische Hobby-Astronom Robert Hodgson im Jahr 1859. Und wäre das, was er da gesehen hatte nicht im 19. Jahrhundert passiert sondern heute, dann würden wir definitiv darüber Bescheid wissen. Hodgson hat eine gewaltige Sonneneruption beobachten die den bisher größten bekannten “geomagnetischen Sturm” auf der Erde verursachte.
Eigentlich war Hodgson ja Verleger, der sich früh zur Ruhe setzte um sich mit der gerade erst entstandenen Fotografie zu beschäftigen und der Astronomie. Er baute sich seine eigene Sternwarte in der er sich vor allem der Sonnenbeobachtung widmete. Und am 1. September 1859, kurz vor Mittags machte er die Beobachtung, die ich zu Beginn beschrieben haben.
Hodgson war allerdings nicht der einzige, der dieses Phänomen gesehen hatte. Zur gleichen Zeit und nicht zu weit entfernt von Hodgson blickte auch der Astronom Richard Carrington durch sein Teleskop. Im Gegensatz zu Hodgson war Carrington kein Hobby-Astronom, aber auch er fand seinen Weg zur Wissenschaft nicht gleich.
Der Vater von Carrington war Bierbrauer, mit eigener Brauerei. Für Richard, seinen Sohn, hatte er eigentlich das Leben eines Priesters vorgesehen. Beim Studium in Cambridge entdeckte Richard Carrington aber dann seine Interesse für die Naturwissenschaft, insbesondere die Astronomie. Er arbeitete dann auch tatsächlich ein paar Jahre an der Sternwarte im nordenglischen Durham. Allerdings nur als Assistent, was ihm nicht so gefallen hat. Zum Glück war sein Vater ein wohlhabender Brauereibesitzer von dem er sich Geld leihen konnte um eine eigene Sternwarte zu bauen. Die stand in Redhill, ein Stückchen südlich von London. Dort beschäftigte er sich zuerst mit den zirkumpolaren Sternen, also Sterne, die man die ganze Nacht über am Himmel sehen kann. Die waren damals vor allem interessant für die Navigation und der Katalog ihrer Positionen, den Carrington erstellte wurde daher auch mit Geld der britischen Marine publiziert. Einen Preis von der Royal Astronomical Society gab es dafür ebenfalls. Daneben hat sich Carrington aber auch für die Sonne interessiert. Dass es auf der Sonnenoberfläche dunkle Flecken gibt, hatte man schon im 17. Jahrhundert, kurz nach der Erfindung der ersten Teleskope entdeckt. Eine überraschende neue Erkenntnis über diese Flecken wurde aber erst zu Carringtons Zeit bekannt. Der deutsche Apotheker Samuel Heinrich Schwabe fand durch jahrzehntelange Beobachtungen heraus, dass die Anzahl der Flecken mit einer Periode von circa 10 Jahren schwankt und veröffentlichte diese Erkenntnis 1844. Der große Universalgelehrte Alexander von Humboldt verbreitete diese Entdeckung 1851 in seinem Monumentalwerk “Kosmos” und als Carrington 1852 seine eigene Sternwarte baute, nutze er sie auch um diese faszinierende Eigenschaft der Sonne genauer zu untersuchen.
Seine sehr genauen und sehr regelmäßigen Beobachtungen der Sonne waren eine wichtige Grundlage für die Entwicklung einer ernsthaften Sonnenforschung. Carrington war ein bedeutsamer Forscher seiner Zeit und hätte noch viel bedeutsamer werden können. Aber eine große und lange Karriere hat er leider nicht gehabt. 1858 starb Carringtons Vater und Richard musste die Brauerei übernehmen. Das machte ihm aber nicht nur keinen Spaß, sondern nahm im auch die Zeit für die Forschung. Carrington wollte sich um eine Stelle an einer Universität bewerben. Er wurde aber überall abgelehnt; unter anderem weil der einflussreiche Hofastronom George Bidell Airy dafür sorgte, der Carrington nicht mochte und mit seiner Art der Arbeit nicht klar kam. 1861 verkaufte Carrington seine Sternwarte, später auch die Brauerei und richtete sich eine neue Sternwarte ein. Aber er war frustriert, er war mittlerweile auch schwer krank (wahrscheinlich ein Schlaganfall, das weiß man nicht so genau) und es gelang ihm keine wirklich relevante Forschung mehr. Am 27. November 1875 starb Richard Carrington im Alter von nur 49 Jahren.
Sein Name ist aber bis heute mit der Beobachtung verbunden, die er gleichzeitig und unabhängig von Hodgson am 1. September 1859 machte. Das “Carrington-Ereignis” dient heute noch als dramatisches Beispiel dafür, was die Sonne mit der Erde anstellen kann und hat uns gezeigt, wie umfassend die Auswirkungen einer Sonneneruption sein können.
Was ist da also passiert, am 1. September 1859? Carrington hat das in seinem eigenen Protokoll der Beobachtung ein wenig genauer beschrieben als Hodgson. Zuerst sah er eine große Gruppe von Sonnenflecken; die war schon länger an der Sonnenoberfläche sichtbar und Carrington konnte auch eine sehr schöne Zeichnung davon anfertigen. In diesen Sonnenflecken sah er dann plötzlich ein extrem helles Licht, so hell, dass er zuerst daran dachte, dass vielleicht ein Loch in seinem Sonnenfilter war. Dann aber merkte er, dass er tatsächlich ein Phänomen auf der Sonnenoberfläche sah und lief schnell los, um Zeugen für diese Beobachtung zu holen. Fotos machen konnte man damals ja nur bedingt bzw. etwas aufwendig. Aber auch wenn er nur 60 Sekunden weg war: Als er wieder durchs Teleskop schaute, war die Lichterscheinung schon fast vorbei. Carrington harrte noch eine weitere Stunde vor dem Teleskop aus, aber es gab kein weiteres Licht mehr.
Eine Lichterscheinung auf der Sonne… das war zwar neu und spannend. Aber das, was danach kam, war WIRKLICH außergewöhnlich. In den kommenden Nächten konnte man Polarlichter beobachten und zwar nicht so wie sonst nur in den nördlichen und südlichen Regionen der Erde; in der Arktis und der Antarktis. Die bunten Lichter am Himmel waren bis in die Karabik zu sehen und teilweise so hell, das Menschen dadurch aufwachten weil sie dachten, der Morgen wäre schon angebrochen. Und die Telegraphenleitungen fielen an vielen Orten in Europa und den USA aus. Die Leitungen sprühten Funken; die Menschen die die Telegraphen bedienten, bekamen elektrische Schocks und in einigen Fällen konnten sogar weiter elektrische Signale über die Leitungen geschickt werden, obwohl die Stromquellen schon längst abgeschaltet gewesen waren. Dort wo magnetische Messungen angestellt wurde, gab es verwirrende Ergebnisse und extreme Ausschläge. Kurz gesagt: ein paar Tage lang herrschte ein elektromagnetisches Chaos auf der Erde; es fand das statt, was man einen “geomagnetischen Sturm” nennt.
Heute wissen wir besser Bescheid, was bei solchen Ereignissen passiert. Ich hab davon ja schon vor längerer Zeit in Folge 10 der Sternengeschichten mehr erzählt. Die Sonne besteht aus einem enormen Gewusel aus elektrisch geladenen Gas, das Magnetfelder erzeugt und dessen Bewegung von diesen Magnetfeldern beeinflusst wird. Wenn es ganz wild wird, kann es zu so etwas wie einem Kurzschluss kommen und dann wird jede Menge Energie frei. Bei so einer Sonneneruption können große Mengen an Material der Sonnenatmosphäre schnell und weit hinaus ins All geschleudert werden. Das ist ein “koronaler Massenauswurf” und diese Teilchen treffen dann ein paar Stunden bis Tage später auf die Erde. Zumindest dann, wenn der Auswurf zufällig gerade auf die Position der Erde gerichtet war, was natürlich nicht immer der Fall ist. Aber wenn es der Fall ist, dann prallt das Material auf das Magnetfeld unseres Planeten und auf die Atmosphäre. Dadurch entstehen die Polarlichter, was ich in Folge 206 ja ausführlich erklärt habe. Und sie entstehen deswegen in den Polarregionen, weil das geladene Zeug von der Sonne am Magnetfeld der Erde in Richtung der Pole gelenkt wird. Wenn aber so richtig viel Material ankommt, dann kann es auch weit abseits der Pole zu Polarlichtern kommen.
Wenn das Material der Sonne mit enormer Geschwindigkeit auf das irdische Magnetfeld trifft, kann es dort zu kurzfristigen starken Schwankungen der Magnetfeldstärke kommen. Das wiederum kann in langen elektrischen Leitern – eben zum Beispiel den Telegraphenkabeln die damals überall durch die Gegend gespannt waren – einen Strom induzieren. Das hat 1859 die Schäden in den Telegraphen verursacht. Heute haben wir keine Telegraphen mehr – aber dafür überall Stromleitungen und hier könnte ein Sonnensturm zum Ausfall der Transformatorstationen führen. Auch Satelliten wären von Sonnenstürmen betroffen, ebenso Menschen, die sich gerade im Weltraum aufhalten. Funkübertragen wären gestört; Handys, Radio und Fernsehen könnten zweitweilig ausfallen. Ein Phänomen wie das Carrington-Ereignis hätte in unserer modernen technischen Welt sehr viel größere Auswirkungen als damals im 19. Jahrhundert.
Aber man kann sich einigermaßen darauf vorbereiten. Im Gegensatz zu damals steht die Sonne heute unter ständiger Beobachtung. Satelliten im All haben sie rund um die Uhr im Blick und wir wissen, wie sich so ein koronaler Massenauswurf ankündigt. Und da das Material ja mindestens ein paar Stunden zu uns unterwegs ist, haben wir entsprechend viel Vorwarnzeit. Astronautinnen und Astronauten können sich in abgeschirmte Räume von Raumstationen und Raumschiffen begeben. Satelliten können in einen geschützten Ruhemodus versetzt werden. Transformatorstationen können entsprechend ausgerüstet werden, um Schäden und Ausfälle zu vermeiden. Trotzdem sind sehr starke Sonnenstürme eine durchaus reale Gefahr, nicht weniger als Erdbeben, Überschwemmungen oder Vulkanausbrüche. Sie passieren nicht so oft, aber sie finden statt. Im Schnitt alle 500 Jahre, zumindest so große wie das Carrington-Ereignis. Kleinere Sonnenstürme gibt es öfter und deren Auswirkungen finden vor allem im Weltall statt. Anfang 2022 sorgte zum Beispiel ein kleinerer Sonnensturm für den Ausfall von 40 Starlink-Satelliten. Aber so ist die Welt hat. Sie ist kein gottgegebenes Paradies das extra für uns eingerichtet worden ist. Wir können froh darüber sein, dass die Erde halbwegs lebensfreundliche Bedingungen bietet, trotz Vulkanen und Erdbeben. Und wir können froh darüber sein, dass die Sonne zu den eher wenig aktiven Sterne gehört. Andere schleudern so viel Zeug und Strahlung ins All, dass in ihrer Nähe überhaupt kein Leben möglich ist. Sonnenstürme gehören dazu zu einem Stern; es gibt sie, weil Sterne eben nun mal so funktionieren wie sie funktionieren. Ohne Sonnensturm gibt es auch keine Sonne.
Aber wir wissen heute ausreichend darüber Bescheid; die Wissenschaft hat uns erklärt, wie und warum sie passieren und wie man sich davor schützen kann. Wir müssen es halt auch tun, ansonsten sind wir selber schuld.
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