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Sternengeschichten Folge 492: Kometenwein
“Als der Gehilfe mit dem Bericht über seine merkwürdigen Erlebnisse zu Ende war, entstand eine Pause. Holmes lehnte sich in die Kissen zurück und sah mich mit wohlgefälligem und doch prüfendem Blicke an, wie ein Kenner, der den ersten Becher eines Kometen-Jahrgangs kostet.” Das schreibt Dr. Watson, beziehungsweise eigentlich Arthur Conan Doyle in seiner Sherlock-Holmes-Kurzgeschichte “Eine sonderbare Anstellung”. Um was es da genau geht soll uns heute nicht interessieren. Am Ende wird der Verbrecher überführt, so wie immer bei Sherlock Holmes. Wir interessieren uns in der heutigen Folge für die seltsame Art, in der Holmes über Wein redet. Was soll ein “Kometen-Jahrgang” sein, im englischen Original ein “comet vintage”? Was haben Kometen mit Wein zu tun?
Dazu müssen wir zurück ins Jahr 1811 gehen, zum 25. März, als der französische Astronom Honoré Flaugergues im südfranzösischen Viviers den Himmel beobachtet hat. Wie man das halt so macht. Dabei ist ihm ein Komet aufgefallen, tief am Horizont. Der Komet war auch am nächsten Tag zu sehen und am übernächsten Tag, bis zum 1. April; danach konnte Flaugergues ihn nicht mehr finden. Aber schon 10 Tage später konnte ihn sein Kollege Jean-Louis Pons erneut finden. Beziehungsweise aus seiner Sicht: Das erste Mal entdecken, denn Pons wusste nichts von den Beobachtungen die Flaugergues zuvor angestellt hatte. Danach war er immer wieder sichtbar, Flaugergues sah ihn bis Ende Mai; Alexander von Humboldt konnte ihn im Juni beobachten, Wilhelm Bessel fand ihn im August, Wilhelm Herschel im September, ebenso im Dezember. Im Januar 1812 konnte er immer noch beobachtet werden, der kubanische Astronom José Joaquin de Ferrer beobachtete ihn im Juli 1812 und die letzte Beobachtung ist von 17. August 1812 aus Russland überliefert. Damit war der Komet fast 17 Monate lang am Himmel sichtbar; so lange wie kein anderer damals bekannter Komet – und erst der Komet Hale-Bopp im Jahr 1997 war länger sichtbar als der Komet von 1811 der heute offiziell C/1811 F1 oder auch einfach nur Flaugergues 1811 heißt.
Die Menschen die ich vorhin aufgezählt habe waren alle Astronomen, aber bei weitem nicht die einzigen, die ihn beobachtet haben. Der Komet Flaugergues war nicht nur lange zu sehen, sondern auch sehr gut. Er wird heute zu den sogenannten “Großen Kometen” gezählt; eine Gruppe die zwar nicht offiziell definiert ist, aber Kometen beschreibt, die so richtig beeindruckend hell und spektakulär am Himmel aussehen. Und das war bei Flaugergues’ Komet auf jeden Fall so. Im Oktober 1811 war er enorm hell; so hell wie hellsten Sterne am Himmel und mit einem langen und beeindruckenden Schweif, der auch bei Vollmond gut zu sehen war. Am Nachthimmel sah der Komet so groß wie der Vollmond aus, was er in Wahrheit natürlich nicht war. Er wird, wie die meisten Kometen, um die 10 Kilometer groß gewesen sein. Aber das was wir sehen, wenn wir einen Kometen sehen, ist nicht der Komet selbst, sondern seine “Koma”, eine große Staubwolke in der Komet sich hüllt, wenn er sich der Sonne nähert. Dann wird er warm, die ganzen gefrorenen Gase und das Eis tauen auf und wehen hinaus ins All. Dabei reißen sie Staub von der Oberfläche des Kometen mit sich und die so entstehende Staubhülle kann viel besser und viel mehr Licht reflektieren als es der kleine Kometenkern tun könnte.
Und die Koma von Flaugergues muss WIRKLICH groß gewesen sein. Denn er war ja einerseits sehr hell. Andererseits aber gar nicht so nah an der Erde dran. Als er unserem Planeten am nächste war, im Oktober 1811, betrug der Abstand immer noch 183 Millionen Kilometer. Das ist weiter als die Distanz zwischen Sonne und Erde. Seine Umlaufbahn ist überhaupt außergewöhnlich. Sie ist extrem langgestreckt, am sonnenfernsten Punkt seiner Bahn ist Flaugergues gut 425 mal weiter von der Sonne entfernt als am sonnennächsten Punkt. Das ist aber noch normal für solche Kometen, die kommen ja aus den weit entfernten äußeren Regionen des Sonnensystems. Seine Bahn ist aber auch um 107 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt, das heißt, sie steht fast senkrecht auf die Ebene, in der sich die Erde und die anderen Planeten bewegen. Für eine Runde um die Sonne braucht der Komet knapp 3000 Jahre. Das heißt er könnte vielleicht auch irgendwann in der Antike am Himmel zu sehen gewesen sein – und wir müssen bis ins Jahr 4800 warten, bis wir ihn wieder sehen.
So – jetzt haben wir viel über diesen Kometen erfahren. Aber wenig über den Wein. Ich bin kein großer Weinexperte, aber der Wein aus dem Jahr 1811 gilt als einer der besten Jahrgänge überhaupt. Der Winter war nicht so kalt, schon im Februar war es warm und trocken, ab Mai war es sommerlich und der Herbst war auch länger und wärmer als üblich. Zumindest dort, wo man Wein angebaut hat und offensichtlich ganz besonders dort, wo die Weinreben des Château Lafite bei Bordeaux stehen. Der dort 1811 hergestellte Wein gilt unter den Kennerinnen und Kennern immer noch als der beste Wein aller Zeiten. Aber auch in anderen Weinregionen war die Ausbeute außergewöhnlich, in Frankreich, in Deutschland und anderswo. Man war enorm froh endlich mal wieder einen tollen Wein zu haben; zu Beginn des Jahrhunderts gab es einige eher schlechte Weinjahre. In der Champagner-Kellerei Veuve Cliquot hat man 1811 auch einen beeindruckenden Champagner produziert; mit einer neuen Technik die die Grundlage für die moderne Champagner-Herstellung gilt. Der beste Wein aller Zeiten, der erste wirklich gute Champagner – und das alles, während ein höchst beeindruckender Komet am Himmel steht. Kann das Zufall sein?
Ja, was soll es denn sonst sein? Natürlich war es Zufall. Aber der Komet war damals enorm präsent; alle konnten ihn sehen; in den Zeitungen wurde drüber geschrieben und natürlich gab es Menschen, die da Verbindungen hergestellt haben. Das wird bei Kometen ja schon seit Jahrtausenden so gemacht. Mal wird der Komet als guten Omen angesehen – Napoleon zum Beispiel war 1812 gerade auf dem Weg um Russland zu erobern und hielt den Kometen für ein Zeichen, dass er mit seinem Eroberungsfeldzug erfolgreich sein wird. Was dann ja nicht so war. Sehr viel öfter werden Kometen als schlechte Vorzeichen betrachtet, in unserem Fall zum Beispiel als Ankündigung des schweren Erdbebens das im Juni 1811 in Südafrika stattgefunden hat. Aber so ist halt die Welt. Es gibt Erdbeben. Schlachten gehen verloren oder werden gewonnen. Der Wein wird gut oder schlecht. Und manchmal fliegt oben über allem ein Komet herum und manchmal nicht. Wir Menschen mögen aber keine Zufälle und suchen immer nach Verbindungen. Was ja auch gut ist, wenn wir das nicht tun würden, dann hätten wir das mit der Wissenschaft auch nie auf die Reihe gekriegt. Aber manchmal gibt es eben keine Verbindung. Und im Fall des Kometenweins ist das eben so. Es gibt keinen irgendwie gearteten Mechanismus durch den ein dutzende Millionen Kilometer entfernter Felsbrocken im All die Qualität von Weintrauben beeinflussen könnte.
Aber natürlich ist so ein Komet ein gutes Mittel um Werbung zu machen. Weswegen damals einige Weine in Flaschen mit Abbildungen von Kometen auf dem Ettiket gefüllt und “Kometenwein” genannt wurde. Und auch danach wurde immer wieder gerne “Kometenwein” produziert, wenn gerade ein passender Himmelskörper zu sehen war. Mit solchen Kometenweinen kann man heute ein Vermögen machen – wenn man irgendwo an so eine Flasche kommen sollte, kann man sie für sehr viel Geld an Sammlerinnen und Sammler verkaufen. Ob man sie auch trinken sollte ist eine andere Frage; manche Weine altern gut, andere eher schlecht. Beim Kometenwein aus dem Jahr 1811 könnte es sich aber lohnen; der berühmte Weinkritiker Robert Parker hat 1996 eine Flasche Château d’Yquem aus dem Jahr 1811 verkostet und ihm 100 von 100 Punkten gegeben (was nicht so oft vorkommt).
So oder so – mit dem Kometen hat der Wein aber nichts zu tun. Und am Ende kommt es beim Weingenuß ja auch auf andere Sachen an, wie schon Johann Wolfgang Goethe gewusst hat: “„Setze mir nicht, du Grobian, den Krug so derb vor die Nase! Wer Wein bringt, sehe mich freundlich an, sonst trübt sich der Elfer im Glase.“
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