Von 1. bis 20. April bin ich auf Reisen, halte Vorträge in der Pfalz und in Baden-Württemberg und mache auch ein wenig Urlaub. Für die Zeit meiner Abwesenheit habe ich eine Artikelserie über wissenschaftliche Paradoxien vorbereitet. Links zu allen Artikeln der Serie findet ihr hier.
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Viele Paradoxien haben keine “Lösung” im eigentlichen Sinn. Manche scheinbaren Widersprüche lösen sich aber auf, wenn man mehr über deren Grundlagen lernt und ein besseres Verständnis der Welt erlangt. Ohne dieses Verständnis kann es aber leicht passieren, das man vor einer Paradoxie kapitulieren muss. Blickt man zurück, dann findet man in der Geschichte der Wissenschaft immer wieder solche Fälle. Zum Beispiel Bentleys Gravitations-Paradoxie.
Sie basiert auf einem Problem, das der britische Gelehrte Richard Bentley im 17. Jahrhundert an Newtons Gravitationstheorie gefunden hatte. Newtons Arbeit über Gravitation war unzweifelhaft eine der größten Leistungen der Wissenschaftsgeschichte. Sein Gravitationsgesetz war der Beginn des großen Vereinheitlichungsprozesses, der heute immer noch andauert. Newton war in der Lage, auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Phänomene mit ein und der selben grundlegenden mathematischen Gleichung zu erklären. Egal, ob auf der Erde ein Apfel von einem Baum fällt, eine Kanone eine Kugel in die Luft abschießt oder im Weltall Monde und Planeten ihre Bahnen ziehen: Alles gehorcht dem gleichen Naturgesetz!
Diese Erkenntnis war revolutionär und Newton ist dafür zu Recht berühmt. Aber so umfassend seine Beschreibung der Gravitation auch war, alles konnte sie nicht leisten. Richard Bentley stellte fest, dass es laut Newtons Gesetz das Universum eigentlich gar nicht geben dürfte. Denn jeder Stern im Universum müsste jeden anderen Stern mit seiner Gravitationskraft anziehen. Die Sterne dürften daher nicht bewegungslos am Himmel verharren, sondern müssten sich in Bewegung setzen und aufeinander zu strömen. Am Ende müssten sie alle miteinander kollidieren. Das ist offensichtlich nicht der Fall und darin bestand Bentleys Gravitations-Paradoxie.
Newton war sich des Problems bewusst; seine Antwort an Bentley klingt aber, zumindest aus heutiger Sicht, ein klein wenig einfallslos. “Gott”, so Newton, würde eben ständig mit kleinen Korrekturen dafür sorgen, dass der Kollaps verhindert wird und die Sterne dort bleiben, wo sie sind. Newton war ein gläubiger Mensch und die Religion zur damaligen Zeit durchaus auch noch etwas, das im naturwissenschaftlichen Kontext eine Rolle spielt. Aber so ganz glücklich kann Newton wohl nicht darüber gewesen sein, dass er einerseits ein umfassendes Naturgesetz gefunden hatte, das andererseits aber doch nicht viel wert zu sein schien, wenn es nur durch andauernde Eingriffe “Gottes” funktioniert.
Heute wissen wir, dass Newton noch nicht ausführlich genug über das Universum Bescheid wusste (und mangels Technik auch nicht konnte). Bentleys Paradoxie löst sich auf zwei Arten auf. Einmal wissen wir heute, dass sich die Sterne tatsächlich unter ihrer wechselseitigen Gravitationskraft bewegen. Aber die Abstände im Kosmos sind so groß, dass man wesentlich bessere Teleskope brauchte als sie damals verfügbar waren, um diese Bewegung zu sehen. Wir wissen aber auch, dass sich das gesamte Universum ausdehnt; wir wissen, das es nicht unendlich groß und unendlich alt ist, wie man damals dachte und in ihm auch nicht unendlich viele Sterne existieren. Wir wissen, das die Sterne nicht gleichmäßig verteilt sind, sondern in “Klumpen” weit voneinander entfernter Galaxien versammelt. Diese Galaxien ziehen sich tatsächlich gegenseitig an und verschmelzen miteinander, wie Bentley es vermutet hatte. Aber nicht immer – die Expansion des Alls sorgt dafür, dass weit voneinander entfernte Galaxien sich immer weiter voneinander entfernen und einander nie nahe kommen.
Unser besseres Verständnis vom Universum hat Bentleys Paradoxie also aufgelöst und Newton müsste mit dem heutigen Wissen keinen “Gott” mehr ins Feld führen, der sich ständig darum kümmert, dass die Naturgesetze korrekt ablaufen…
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