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Es gibt nur wenige politische Grundsatzentscheidungen, bei denen sich die gewählten Volksvertreter weitestgehend einig sind. Zu diesen Themen gehört zweifelsohne die Energiewende: wir schalten die Kernkraftwerke sowie Kohleöfen ab und etablieren die in der Erzeugung oft schwankenden erneuerbaren Energien. Mit Begriffen wie virtuelle Kraftwerke, Smart Grids und Stromspeicher kennen wir vielversprechende Aspekte, die eine nachhaltige und wirtschaftliche Versorgungssicherheit unterstützen werden. Ich möchte mich heute aber mit dem wohl kontroversesten Bereich der greifbaren Maßnahmen auseinander setzen: Stromtrassen.
Da aufgrund des jeweiligen Erntepotenzials im Norden mehr Windenergie und im Süden mehr Solarstrom erzeugt werden kann, aber auch weil große Erzeuger, Speicher und Verbraucher bundesweit ansteuerbar sein sollen, ist die Modernisierung und ein Ausbau der bestehenden Stromleitungen notwendig. Die für solche Leitungsnetze verantwortliche Behörde ist die Bundesnetzagentur und eben diese führt auf ihrer Website netzausbau.de dutzende bundesweite Bauvorhaben für das nächste Jahrzehnt auf. Für die Planung gilt zwar grundsätzlich das NOVA-Prinzip (Netz-Optimierung-vor-Verstärkung-vor-Ausbau), aber es soll Bürgerinitiativen geben, deren Mitgliedern schon die pure Erwähnung der geplanten Stromtrasse „SuedLink“ Schweißperlen auf die Stirn treibt – denn die wenigsten Menschen möchten zum Morgenkaffee auf 70 Meter hohe und mit dicken Kabelseilen verbundene Stahl-Ungetüme schauen.
Damit treffen wir auch schon auf das Hauptargument gegen frei hängende Stromleitungen. Es wird befürchtet, dass die idyllische Umwelt, Forst- und Landwirtschaft durch die Stahlmasten verschandelt wird. Und ich kann mir Vorstellen, dass der Mix aus Masten, Windkraftanlagen und Solarparks einen negativen Effekt auf den touristischen Wert etwaiger Regionen haben kann. Darüber hinaus sind es aber ganz subjektive Auswirkungen auf die Anwohner: sie hören ein Brummen, auf der Haut knistert es und plötzlich plagen Kopfschmerzen. Diese Effekte scheinen bei eingehaltenen baulichen Sicherheitsstandards allerdings vordergründig psychosomatischer Natur zu sein.
Die Rettung aus der ausweglosen Situation sollen Erdverkabelungen sein: die Leitungen werden unter der Erdoberfläche verlegt und die Stahlmasten fallen weg. Klingt gut. Und ist es theoretisch auch. Allerdings ergeben sich in der Praxis ganz neue Probleme.
Tatsächlich fallen für Erdverkabelungen trotzdem immense infrastrukturelle Eingriffe in die Umwelt an. Für die Leitungsübergabestationen (über-/unterirdisch) fällt fast ein Fußballfeld an, während für einen Gleichstrom-Wechselstrom-Konverter sogar noch mehr Platz reserviert werden muss. Um die einzelnen Kabelstücke zu verbinden und warten zu können müssen in allerhöchstens einem Kilometer Abstand Zugangshäuschen eingeplant werden. Vor allem wird aber leider viel zu oft unterschätzt, dass auch bei Erdverkabelungen für Wartungsarbeiten eine gewisse Trassenbreite ungenutzt freigehalten werden muss und die Auswirkungen der elektromagnetischen Felder und Hitzeentwicklungen auf Flora und Fauna einfach nicht bekannt sind. So gehen die im Vergleich zu Freileitungen doppelten bis zehnfachen Kosten fast schon unter.
Aber trotzdem ist dieser Artikel keine Brandschrift gegen unterirdische Stromkabel. Ich freue mich, dass der oftmals seriöse und argumentierte Protest von Bürgerinitiativen beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und der untergeordneten Bundesnetzagentur den politischen Willen geweckt hat, die Umsetzungsmöglichkeiten von Erdverkabelungen zu prüfen und bei den Bauvorhaben zu berücksichtigen. Wir werden Kompromisse zwischen sauberer Energieversorgung und unberührter Umwelt finden müssen. Denn wie in allen Aspekten der Energiewende gilt auch hier: die Mischung macht‘s.
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Hinweis zur Autor: Der Artikel wurde von Carsten Eckart geschrieben: “Ich arbeite in der deutschen Energiewirtschaft und studiere berufsbegleitend den Bachelor in Energiewirtschaft und –management. Man trifft mich ihn verschiedenen Branchen- und Forschungsevents und kann mir gerne auf energieflut.de und @energieflut folgen.”
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