Raumfahrt ist kompliziert und teuer. Ein bisschen billiger wird sie durch den Einsatz des Swing-By-Manövers. Billiger, aber nicht weniger kompliziert. Denn bei einem Swing-By nutzt man die Energie der Planeten, um die Raumsonde anzutreiben und ihre Bahn zu ändern. Das kostet nichts, abgesehen von jeder Menge mathematischer Berechnungen. Das Prinzip dahinter ist aber nicht allzu schwer zu verstehen und Thema der heutigen Folge der Sternengeschichten.
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Transkription
Sternengeschichten Folge 207: Swing-by – Raumfahrt mit der Kraft der Planeten
Wenn wir Raumsonden zu anderen Himmelskörpern in unserem Sonnensystem schicken, dann nutzen wir dabei fast immer sogenannte “Swing-by”-Manöver. Dabei handelt es sich um eine äußerst elegante Methode, Geschwindigkeit und Bahn von Flugkörpern zu verändern die keinen oder nur sehr wenig Treibstoff benötigt. Denn der Treibstoff ist ja normalerweise das, was die Raumfahrt so kompliziert macht.
Alle Raumsonden müssen mit Raketen von der Oberfläche der Erde ins Weltall gebracht werden. Dafür muss das Gravitationsfeld unseres Planeten überwunden werden und das braucht Energie. Mit dem Verlassen des Schwerefelds der Erde ist es aber noch lange nicht getan. Wenn die Raumsonde einen anderen Himmelskörper erreichen will, dann braucht man dazu ebenfalls Treibstoff. Wie viel, das hängt von den konkreten Gegebenheiten ab. Manchmal soll eine Raumsonde ein sehr fernes Ziel erreichen. Im Prinzip ist das eigentlich kein Problem. Das erste Newtonsche Axiom, das grundlegende Prinzip der klassischen Physik besagt, dass sich ein Körper der sich mit einer gewissen Geschwindigkeit bewegt auch weiterhin immer mit dieser Geschwindigkeit bewegen wird, solange keine äußere Kraft auf ihn einwirkt. Auf der Erde sind es Reibungskräfte mit dem Untergrund oder der Luft die dafür sorgen, dass ein bewegter Körper immer langsamer wird und irgendwann still steht. Im All gibt es das aber nicht und eine Raumsonde, die die Erde mit einer gewissen Geschwindigkeit verlässt wird sich mit dieser Geschwindigkeit auch weiterhin bewegen. Und irgendwann an ihrem Ziel ankommen.
Das “irgendwann” ist das Problem. Denn man möchte das Ziel ja möglichst schnell erreichen – und die Distanzen im Sonnensystem sind enorm groß. Um die riesigen Entfernungen in halbwegs überschaubaren Zeiträumen überwinden zu können müssen die Raumsonden ausreichend schnell sein. Das kann man erreichen, in dem man sie schon möglichst schnell von der Erde aus in den Weltraum schießt. Dann braucht man aber auch entsprechend schnelle Raketen, die entsprechend viel Treibstoff haben müssen und entsprechend groß und teuer werden. Oder aber man stattet die Raumsonde selbst mit einem Antrieb und Treibstoff aus, damit sie aus eigener Kraft schneller werden kann. Je schneller sie werden soll, desto mehr Treibstoff benötigt man und desto schwerer wird sie. Und je mehr Masse sie hat, desto größer muss wiederum die Rakete sein und desto mehr Treibstoff braucht auch sie.
Eine Raumsonde die sich einfach ohne Antrieb durchs All bewegt kann auch nicht gesteuert werden. Jede Veränderung ihrer Bahn muss durch eine Kraft ausgelöst werden; und dafür braucht es Triebwerke die wiederum Treibstoff benötigen. Wenn man alles ganz exakt berechnet und die Sonde im richtigen Moment und in der richtigen Richtung mit der richtigen Geschwindigkeit ins All schießt, dann kann sie ihr Ziel auch ohne Kurskorrekturen erreichen. Aber so exakt laufen die Dinge selten, kleine Korrekturen sind fast immer nötig. Und oft auch größere, wenn man zum Beispiel einen Himmelskörper erreichen will, dessen Bahn gegenüber der Erdbahn stark geneigt ist. Dann muss man auch die Raumsonde auf eine ebenso geneigte Umlaufbahn bringen, was wiederum einen Antrieb und Treibstoff benötigt.
Und wenn die Raumsonde dann am Ziel angekommen ist? Dann will man ja im Allgemeinen nicht einfach daran vorbeifliegen sondern in eine Umlaufbahn um den Himmelskörper einschwenken oder vielleicht sogar landen. Und auch das braucht wieder Treibstoff. Ohne Treibstoff scheint es also nicht zu gehen.
Es sei denn, man nutzt das Swing-By-Manöver! Das Prinzip dahinter ist eigentlich recht simpel. Newtons Axiom besagt ja nur, dass eine Kraft nötig ist, um die Bewegung eines Objekts zu verändern. Aber nicht, dass diese Kraft durch ein Triebwerk verursacht werden muss. Es gibt auch noch andere Kräfte, die man nutzen kann. Zum Beispiel die Gravitationskraft der Planeten in unserem Sonnensystem. Genau so wie die Erde die Rakete und Raumsonde beim Start anzieht und den Weg in den Weltraum so aufwendig macht, ziehen auch die anderen Planeten die Raumsonde an, wenn sie deren Gravitationsfeld ausreichend nahe kommt. Wenn sie beispielsweise sehr nahe am Jupiter vorbei fliegt, wird sie das nicht einfach unbeeinflusst tun – ihre Bahn wird verändert werden. Aus Sicht des Jupiters findet dabei tatsächlich nur eine Ablenkung statt. Die Raumsonde fliegt nach dem Vorbeiflug in eine andere Richtung als vorher, aber immer noch mit der gleichen Geschwindigkeit. Der Jupiter selbst steht aber nicht still sondern bewegt sich selbst um die Sonne. Und wenn man das ganze aus der Sicht der Sonne betrachtet, hat sich nach dem Vorbeiflug am Planeten nicht nur die Flugrichtung der Sonde verändert sondern auch ihre Geschwindigkeit.
Man kann das mit einem Beispiel von der Erde vergleichen. Stellen wir uns einen Zug vor, der auf seinen Gleisen mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h fährt. Neben den Gleisen steht eine Person und wirft einen Ball in Richtung des Zuges (kurzer Hinweis: Das ist nur ein Beispiel! Bitte nicht nachmachen!). Wenn der Ball des Werfers eine Geschwindigkeit von 20 km/h hat, dann wird der Lokführer diesen Ball mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h auf sich zu kommen sehen. Wenn der Ball dann auf das Führerhaus der Lokomotive trifft, prallt er dort ab und er ändert seine Richtung. Nach dem Aufprall wird er sich aber schneller bewegen als vorher. Zu den 20 km/h die er von Anfang an hatte kommen nun noch die 100 km/h, mit denen er vom Zug zusätzlich “angeschoben” wird. Er bewegt sich nun also mit 120 km/h. Aus Sicht des sich bewegenden Lokführers hat sich nur die Richtung geändert; die Geschwindigkeit des Balls war vor und nach dem Aufprall identisch. Aus Sicht des Werfers wurde der Ball aber auch von 20 km/h auf 220 km/h beschleunigt.
Genau so läuft es im Prinzip auch bei einem Swing-By im Weltall. Nur ist es eben hier kein Zug sondern ein Planet, der die Kraft ausübt. Und die Kraft wird nicht durch einen mechanischen Akt übertragen sondern durch die gravitative Wechselwirkung. Die Geschwindigkeit kann dabei aber nicht nur größer werden sondern auch kleiner, je nachdem ob die Sonde die Umlaufbahn des Planeten hinter oder vor dem Planeten überquert. Die Energie, die für die Veränderung von Bahn und Geschwindigkeit verantwortlich ist kommt dabei natürlich nicht aus dem Nichts. Das, was die Raumsonde an Geschwindigkeit dazu gewinnt verliert der Jupiter (und umgekehrt). Aber da die Masse der Raumsonde im Vergleich zur Masse des großen Planeten verschwindend gering ist, sind auch die Auswirkungen auf die Umlaufbahn des Jupiters verschwindend gering.
Mit einem Swing-By kann man also nicht nur die Bahn eines Himmelskörpers verändern sondern auch seine Geschwindigkeit (obwohl jede Geschwindigkeitsänderung im Weltall sowieso auch immer einer Änderung der Umlaufbahn entspricht). Und das alles, ohne Treibstoff zu benötigen – man nutzt die Bewegungsenergie der Planeten!
Das man auf diese Art und Weise durch das Sonnensystem fliegen kann, hat der amerikanische Mathematiker Michael Minovitch im Jahr 1961 entdeckt, als er noch ein Student an der Universität von Kalifornien war. Er hatte damals einen Nebenjob am Jet Propulsion Laboratory wo man mit der Planung von Missionen zu den damals noch kaum erforschten Planeten unseres Sonnensystems beschäftigt war. Die große Stunde des Swing-Bys kam ein paar Jahre später als man mit den Planungen für die beiden Raumsonden Voyager 1 und 2 (über die ich in Folge 152 der Sternengeschichten mehr erzählt habe) begann. Ursprünglich sollten die beiden Sonden nur an Jupiter und Saturn vorbei fliegen. Dann aber entdeckte der Ingenieur Gary Flando, dass Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun gegen Ende der 1970er Jahre gerade so im Sonnensystem angeordnet sein würden, dass man mit passenden Swing-By-Manövern die Bahnen der Voyager-Sonden so ändern konnte um nicht nur an zwei sondern an allen vier Planeten vorbei fliegen zu können. Nur so konnten sie im Rahmen des damaligen Budgets auf ihre große Tour durchs äußere Sonnensystem geschickt werden und all die großartigen Daten sammeln, die sie gesammelt haben.
Vorbeiflug von MESSENGER an der Erde
Swing-By-Manöver gehören heute zu den Standardmethoden in der interplanetaren Raumfahrt. Als die Raumsonde MESSENGER sich im Jahr 2004 zum Merkur aufmachte, war der Weg dorthin zwar nicht weit, aber sie musste ordentlich abbremsen um am Ende eine Umlaufbahn erreichen könnte. Das erreichte man mit passenden Vorbeiflügen an Erde, Venus und auch an Merkur bevor sie im Jahr 2011 schließlich langsam genug war. Als die Cassini-Sonde 1997 auf den Weg zum Saturn geschickt wurde, holte sie sich die dafür nötige Geschwindigkeit durch Vorbeiflüge an Venus, der Erde und Jupiter.
Die Entdeckung der Swing-By-Technik war in gewissen Sinn eine Einladung des Sonnensystems an uns, es noch intensiver zu erforschen als bisher. Die Himmelskörper, über die wir etwas herausfinden wollen, stellen uns selbst die dafür nötige Energie zur Verfügung. Wir haben die Einladung glücklicherweise nicht ignoriert – und nutzen die Möglichkeit die uns die Planeten mit ihrer Energie bieten hoffentlich auch in Zukunft ausgiebig!
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