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Ameisen, Navigationsgeräte und fußballspielende Ingenieure
von Jonathan, Dennis und Raphael
Jonathan, Dennis und Raphael sind wissenschaftliche Mitarbeiter der Abteilung Produktionsqualität am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT in Aachen. Jonathan in der Gruppe Produktionseffizienz, Dennis in der Gruppe Smarte Produktion und Raphael in der Gruppe Vernetzte Produktions-IT. Wenn sie nicht gerade versuchen zum ersten Mal einen Blog-Artikel zu schreiben, philosophieren sie über die vernetzte, adaptive Produktion. Oder machen schöne Dinge, die nichts mit der Arbeit zu tun haben.
Am Anfang jeder guten wissenschaftlichen Untersuchung steht eine Frage, gleiches gilt für unseren Blogbeitrag: Warum denkt der Ingenieur aus der Produktionstechnik gleich an Ameisen, wenn er Wörter wie „Navigationsgerät“ oder „Fußball“ hört?
Ameisen in der Natur
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, begeben wir uns zunächst in eine für Ingenieure eher unbekannte Umgebung: Die Natur. Hier können wir vielen Ameisenkolonien begegnen. In einer Ameisenkolonie leben mehrere Ameisenkasten, die viele verschiedene Aufgaben zu erledigen haben: Königinnen, Arbeiterinnen und Soldatinnen müssen Eier legen, Nahrung suchen oder die Kolonie verteidigen. Wir beschäftigen uns insbesondere mit den Arbeiterinnen während der Nahrungssuche.
Die Arbeiterinnen finden einen beeindruckend direkten Weg, der vom Ameisennest zur nächsten Futterquelle führt. Da stellt sich für uns natürlich die Frage: Wie schaffen sie das? Expertengespräche mit einer repräsentativen Menge an Arbeiterinnen zeigen: Immer wenn Ameisen auf Futtersuche sind, hinterlassen sie auf ihrem Weg Duftstoffe, sogenannte Pheromone. Dadurch entsteht auf dem bereits zurückgelegten Weg eine Pheromonspur. Wenn in der Umwelt bereits Pheromonspuren existieren, wählen Ameisen bevorzugt Wege mit höherer Pheromonkonzentration. Das führt zu einem relativ einfachen und dennoch genialen Phänomen: Ameisen, die einen kürzeren Weg gefunden haben, kommen auch wieder schneller zum Nest zurück, wodurch sie schneller zur nächsten Runde Nahrungssuche aufbrechen können. Dadurch steigt die Pheromonkonzentration auf diesen Wegen. Außerdem folgen vermehrt andere Ameisen diesen Wegen, wodurch die Konzentration weiter steigt – eine Ameisenstraße entsteht. Nicht nur das Universum, auch die Ameisen darin sind cool!
Ameisen in der Technik
Aber was ist an Ameisen so besonders, dass wir als Ingenieure den Aufwand betreiben und ihre Wegfindung analysieren und verstehen wollen? Kurz gesagt krabbeln Ameisen total planlos durch die Gegend, bis sie durch Zufall die Futterstelle finden und diesen Weg über Pheromone nach und nach optimieren. Das Spannende ist jedoch, dass die Ameisen bereits sehr früh ziemlich viele schlechte Wege zum Ziel direkt ausschließen. Betrachten wir nämlich den gesamten Wald, gäbe es schier unendlich viele Wege Futterquelle und Ameisennest zu verbinden #NPSchwere #lokaleMinima.
Ameisen als Beifahrer
Wie uns dieses Vorgehen der Ameisen helfen kann? Nehmen wir an, einige Münsteraner Studentinnen möchten unbedingt ein Wochenende in der pulsierenden Metropole Aachen verbringen. Da sie keine Zeit verlieren möchten, nehmen sie ausnahmsweise ein Auto statt des Fahrrads. Glücklicherweise hat das Auto ein Navigationsgerät an Bord. Und Ameisen. Schon in den 1940er Jahren wurde das Verhalten von Ameisen genauer beschrieben. Findige Informatiker haben sich dann vor mehr als 25 Jahren überlegt, das natürliche Verhalten der Ameisen virtuell nachzuahmen.
Im Navigationsgerät werden viele virtuelle Ameisen auf eine Straßenkarte losgelassen und finden so einen nah-optimalen Weg zum Ziel. Dieses Vorgehen wird Ameisenalgorithmus genannt. Ein Algorithmus ist eine Art Kochrezept, das aus mehreren Einzelschritten besteht und ein bestimmtes Problem löst. Es wird also das natürliche Verhalten der Ameisen analysiert und mit einfachen Regeln beschrieben. So wird beispielsweise aus der Pheromonkonzentration auf einer Ameisenstraße ein numerischer Eintrag in einer Matrix. Dieser Eintrag wird erhöht, wenn die virtuelle Ameise diesen Wegpunkt betritt. Und wenn virtueller Wind herrscht, wird der Eintrag verringert. Die in solch eine mathematische und technische Form gebrachten Regeln können dann von einem Computer verarbeitet werden. Wie sowas aussieht, kann man an einer schön anschaulichen Demo zum Problem des Handlungsreisenden selber ausprobieren.
Ameisen in der Logistik
Navigationsgeräte nutzen bei der Tourenplanung weitere Algorithmen und achten auf eine Vielzahl weiterer Dinge. Die Idee ist allerdings sowohl beim Navigieren des Autos als auch beim Herstellen von Produkten die gleiche: Wir übertragen Muster aus der Natur auf technische Problemstellungen. In der Fertigung („Dinge herstellen“) und Montage („Dinge zusammenbauen“) gibt es zum Beispiel autonome, fahrerlose Transportsysteme, die Produkte zwischen verschiedenen Stationen transportieren. Deren „Futterstelle“ ist also die nächste Station, zu der das Produkt möglichst schnell gebracht werden soll. Damit auch der Mitarbeiter in solch einer automatisierten Produktion noch den Überblick behält, können die vom Algorithmus ausgewählten Wege auf Tablets oder Smart Glasses angezeigt werden.
Ameisen in der Produktion
Das Verhalten der Ameisen können wir also imitieren, um kurze Wege zwischen geographischen Orten zu finden. Das Ziel ist hierbei somit eine Minimierung der zurückgelegten Strecke. Wir können die Problemstellung aber auch auf andere Zielgrößen, wie die verstrichene Zeit, statt der zurückgelegten Strecke, übertragen. Wollen die Münsteranerinnen möglichst schnell in Aachen sein, um mehr Zeit für das kulturelle Angebot zu haben, so könnten sie beispielsweise eine längere, aber schnellere Autobahnstrecke wählen, statt eines kürzeren, zeitlich langsameren Weges über Landstraßen. So wären sie deutlich schneller in Aachen!
Ähnlich geschieht es in der Produktion bei den sogenannten Maschinenbelegungsproblemen. Wir möchten unsere Produktion so gut es geht auslasten, das heißt wir müssen die Produktionsaufträge möglichst gut auf die verschiedenen Maschinen verteilen. Die Maschinen sollen soweit es geht nicht stillstehen, denn nur so können wir eine hohe Auslastung und eine schnellere Ankunft im Feierabend erreichen. Wir stehen hier also vor der Optimierung einer ähnlichen Zielgröße, wie die Studentinnen bei ihrer Fahrt nach Aachen, wenn sie den Weg möglichst schnell hinter sich bringen wollen: Einer Zeitspanne. Das Belegen der Maschinen mit Aufträgen kann dementsprechend ebenfalls mit Ameisenalgorithmen erfolgen.
Und es geht sogar noch einen Schritt weiter: Wir können weitere Zielgrößen berücksichtigen, wie die Kosten, den Energieverbrauch oder die Produktqualität. Stellen wir uns dabei geschickt an, besteht die Möglichkeit mehrere Zielgrößen zeitgleich zu optimieren.
Ameisen am Fraunhofer-Institut
Und auch sonst machen wir am Fraunhofer IPT noch viele spannende Sachen. Es gibt in der Wissenschaft viele interessante Themen! Und wenn ihr mal in Aachen seid, kommt uns gerne besuchen! Dafür müsst ihr im Navi einfach nur die Steinbachstraße 17 in Aachen eingeben. Die Ameisen erledigen den Rest!
Fazit
Wir haben gesehen, dass uns kleine Ameisen beim Autofahren, in der Logistik und der Produktion weiterhelfen können! Über die Beobachtung der Natur sind wir in der Lage neue technische Lösungen zu finden. Wie in vielen anderen Bereichen bedienen wir uns in der Produktionstechnik verschiedener Disziplinen wie der Biologie, Informatik, Physik, Chemie oder Mathematik. Alles, um möglichst gute Produkte herzustellen, die unser Leben angenehmer gestalten.
Und übrigens: Nicht nur Ameisen können für die beschriebenen Probleme genutzt werden, es gibt noch viele, viele andere Möglichkeiten Algorithmen zu erarbeiten. Oder hättet ihr gedacht, dass krabbelnde Ameisen und fliegende Elefanten einiges gemeinsam haben? Habt ihr Ideen, wo und wie man einen Ameisenalgorithmus noch in Eurem Alltag einsetzen könnte? Oder welche zusätzlichen Optimierungsmöglichkeiten existieren?
Wir spielen jetzt erstmal eine Runde FIFA 17. Wie wir da unsere Gewinnchancen erhöhen, wissen wir schon…Ihr auch?
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