Der internationale Asteroid Day rückt näher – und bevor es am 30. Juni wieder so weit ist, lohnt es sich, nochmal zu schauen, was die aktuelle Forschung zu diesen Himmelskörpern zu sagen hat. Wenig überraschend: Sehr viel und sehr viel cooles! Nehmen wir den Asteroid mit dem schönen Namen 2004 EW95. Der wurde am 14. März (Hey! Der Pi-Tag!) 2004 am Kitt Peak Observatorium in den USA entdeckt. Das Ding hat einen Durchmesser von 291 Kilometer – ist also ein ordentlicher Brocken. Er ist außerdem auch ordentlich weit entfernt: Er befindet sich dort, wo sich auch Pluto befindet; mitten im Kuiper-Asteroidengürtel, der sich im äußeren Sonnensystem hinter der Bahn des Neptun erstreckt. Das ist gut so, denn wo sonst sollten Asteroiden sein, wenn nicht in einem Asteroidengürtel? Asteroiden sind aber nicht einfach nur irgendwelche Felsbrocken. Asteroiden sind vielfältig. Asteroiden haben Eigenschaften in denen sie sich unterscheiden. Und diese Eigenschaften hängen unter anderem davon ab, wo sie entstanden sind und was ihnen im Laufe ihres langen Lebens alles passiert ist. Und 2004 EW95 hat offensichtlich ein sehr aufregendes Leben gehabt!
Als er vor 14 Jahren entdeckt wurde, war er für die Astronomen vorerst nur ein weiterer Lichtpunkt am Himmel; einer von mehr als einer halben Millionen bekannter Asteroiden, die durchs Sonnensystem sausen. Man kannte seine Umlaufbahn und seine ungefähre Größe, aber noch nicht viel mehr. Das hat sich geändert nachdem die großen Teleskope der Europäischen Südsternwarte einen detaillierten Blick auf den Himmelskörper geworfen haben. Tom Seccull von der Universität Belfast und seine Kollegen haben das 8-Meter-Teleskop der Sternwarte auf 2004 EW95 gerichtet um mehr über seine Zusammensetzung herauszufinden (“2004 EW95: A phyllosilicate bearing carbonaceous asteroid in the Kuiper Belt”). Das geht, wenn man das vom Asteroid reflektierte Sonnenlicht in seine Bestandteile aufspaltet. Je nach Zusammensetzung werden manche Teile des Lichts besser oder schlechter reflektiert und wenn man die Beobachtung mit im Labor durchgeführten Messungen vergleicht, kann man daraus ableiten, aus was für einem Material er besteht.
So haben Seccull und seine Kollegen herausgefunden, dass es sich um einen C-Typ-Asteroid handelt. Das ist erst einmal nicht außergewöhnlich für einen Asteroid. Die meisten bekannten Asteroiden sind solche “kohlenstoffreichen Asteroiden”. Wie der Name sagt, bestehen sie aus Gestein, dem viel Kohlenstoff beigemischt ist. Das, was 2004 EW95 so besonders macht, ist die Tatsache, dass man solche Asteroiden eigentlich im Hauptgürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter findet. Im Kuipergürtel haben die Dinger eigentlich nichts zu suchen. Noch interessanter wird die Sache, wenn man sich die Details der Beobachtungen anschaut. Seccull und seine Kollegen haben Hinweise auf die Existenz von Eisenoxid und sogenannte Phyllosilikate gefunden. Die werden auch Schichtsilikate genannt und sie entstehen, wenn das Gestein irgendwann im Laufe der Zeit von flüssigem Wasser beeinflusst und verändert worden ist. Wo aber kriegt man im eisigen Kuipergürtel, hinter der Bahn des Neptuns, flüssiges Wasser her?
Gar nicht – und das bedeutet, dass 2004 EW95 anderswo im Sonnensystem entstanden sein muss. Viel näher an der Sonne und von dort muss er irgendwie auf seine aktuelle Umlaufbahn gelangt sein. Und damit sind wir mitten drin im chaotischen jungen Sonnensystem. Heute geht es bei uns ja recht gesittet zu. Die acht Planeten ziehen ihre Runden um die Sonne, kommen sich nicht in die Quere und bleiben im wesentlichen dort wo sie sind. Ab und zu schert ein Asteroid aus der Reihe und kollidiert mit einem der Planeten, aber das war es auch schon an Unordnung. Früher dagegen war alles viel hektischer und chaotischer. Es gab viel mehr Asteroiden als heute – die Asteroiden sind ja das ursprüngliche Material aus dem die Planeten erst entstanden sind – und all die Begegnungen zwischen Asteroiden und jungen Planeten blieben nicht ohne Folgen. Die Planeten wanderten durch das Sonnensystem. Das nennt man “planetare Migration” und ich habe schon früher mehr davon erzählt. Dank ausführlicher Computersimulationen hat man mittlerweile ein ziemlich genaues Bild von dem, was da abgelaufen sein muss. Im sogenannten Nizza-Modell wird beschrieben, wie Saturn, Uranus und Neptun im jungen Sonnensystem ihre Umlaufbahnen vergrößert haben, während Jupiter ein wenig näher an die Sonne gerückt ist.
Zum Nizza-Modell gibt es aber auch eine Art Prequel und das nennt sich “Grand-Tack-Modell”: Jupiter, der größte Planet des Sonnensystems war auch schon der Planet mit der meisten Masse, als die Planeten gerade erst entstanden sind. Oder anders gesagt: Jupiter war schon ein ernstzunehmender Himmelskörper, als die restlichen Planeten noch gar nicht vernünftig entstanden waren. Damals war die Sonne noch von der großen Scheibe aus Gas und Staub umgeben, aus der Asteroiden und Planeten entstanden sind. Die Wechselwirkung zwischen Proto-Jupiter und Scheibe hat dazu geführt, dass er sehr nahe an die Sonne heran gerückt ist. Er kam bis dahin, wo sich heute der Mars befindet und hat dabei dem inneren Sonnensystem jede Menge Baumaterial aus der Scheibe geklaut. Das erklärt unter anderem die geringe Masse des Mars. Und nach seinem Ausflug in das innere Sonnensystem wanderte Jupiter, jetzt gemeinsam mit den anderen großen Planeten, wieder weiter hinaus bis alle dort angekommen waren, wo wir sie heute beobachten.
Bei dieser planetaren Wanderung wurden natürlich auch die Asteroiden ordentlich durchgerüttelt. Das Grand-Tack-Modell sagt voraus, dass viele Asteroiden die sich nahe an der Sonne gebildet haben – also hauptsächlich Asteroiden vom C-Typ – durch den gravitativen Einfluss des Jupiters weiter nach außen geschleudert worden sind. Vor allem in die äußeren Bereiche des Hauptgürtels der sich zwischen den heutigen Umlaufbahnen von Mars und Jupiter befindet und genau dort beobachten wir auch die große Mehrheit an C-Typ-Asteroiden. Das Modell sagt aber auch voraus, dass einige C-Typ-Asteroiden noch viel weiter, bis hinter die Bahn des Neptun abgelenkt werden. Dort also, wo wir nun 2004 EW95 entdeckt haben.
Ein einziger Asteroid macht aber natürlich noch keine Theorie. Die Anwesenheit von 2004 EW95 mit seinen Schichtsilikaten ist kein zwingender Belege für die Korrektheit der Grand-Tack-Hypothese. Aber es passt wunderbar zu den Vorhersagen des Modells und es ist absolut plausibel, dass das Chaos im jungen Sonnensystem Himmelskörper an Orte bringt, an denen sie eigentlich nichts zu suchen haben. Wir werden nicht umhin kommen, die Asteroiden im Sonnensystem intensiver und genauer als bisher zu erforschen. Wir müssen nicht nur mehr von ihnen beobachten sondern sie vor allem auch aus der Nähe beobachten. Wir müssen sie besuchen, sie umkreisen, auf ihnen landen und Proben nehmen. Nicht nur die relativ leicht erreichbaren erdnahen Asteroiden und diejenigen im Hauptgürtel. Sondern auch die im fernen Kuipergürtel. Dort, hinter der Bahn des Neptun, warten die Informationen, die wir brauchen, um die Entstehung des Sonnensystems zu entschlüsseln!
Kommentare (38)