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Sternengeschichten Folge 302: Algol, der Teufelsstern

Schaut man am Himmel zum Sternbild Perseus, dann kann man dort einen Teufelsstern sehen. Beziehungsweise und astronomisch ein wenig korrekter: Den Stern Beta Persei. Es handelt sich um den zweithellsten Stern in diesem Sternbild. Den Namen Beta Persei hat aber immer nicht immer gehabt. Beta Persei gehört zu den Sterne, die hell genug waren, dass er auch von den griechischen und arabischen Astronomen einen Namen bekommen hat. Ptolemäus hat den Stern vor fast 2000 Jahren als Gorgonea Prima bezeichnet, als den “ersten Stern der Gorgo”. Damit bezieht er sich auf die alte grieschische Sage des Helden Perseus, der Medusa den Kopf abgeschlagen hat. Medusa war eine der drei “Gorgonen”; fiese Monster mit Schlangen anstatt von Haaren die alle versteinern, die sie anschauen. Die arabischen Astronomen nannten den Stern ra?s al-gul, was so viel wie “Kopf des Dämons” bedeutet und daraus hat sich auch der Eigenname “Algol” für den Stern abgeleitet.

Algol (rechts im Bild) und jede Menge andere Sterne über dem VLT der ESO (Bild: ESO/B. Tafreshi (twanight.org))

Algol (rechts im Bild) und jede Menge andere Sterne über dem VLT der ESO (Bild: ESO/B. Tafreshi (twanight.org))

Aber wie kommt ein simpler Stern zu so einem schlechten Ruf? Warum wird er mit Dämonen und Monstern in Verbindung gebracht? Weil Algol eben nicht einfach nur ein simpler Stern ist! Alle paar Tage ändert sich die Helligkeit des Sterns mit dem wir ihn am Himmel sehen können. Und zwar so stark, das es auch mit freiem Auge sichtbar ist. Algol gehört zu den Sternen, die auch ohne optische Hilfsmittel gut zu sehen sind und wenn man ihn immer wieder und über eine lange Zeit hinweg aufmerksam betrachtet, dann erkennt man, dass er mit einer Periode von fast 3 Tagen heller und dunkler wird.

Der erste, der diese Tatsache konkret aufgeschrieben hat war der italienische Astronom Geminiano Montanari im Jahr 1667. Beobachtet hat man es aber mit Sicherheit schon früher; darauf deuten die alten Namen des Sterns hin. Ein Stern, der im Gegensatz zu allen anderen Sternen am Himmel, seine Helligkeit ändert, muss den Menschen seltsam und vielleicht auch bedrohlich vorgekommen sein. Immerhin hatte man damals ja absolut keine Ahnung, was da am Himmel vor sich geht und was diese Lichtpunkte darstellen sollen. Die Trennung zwischen Astrologie und Astronomie war noch nicht vorhanden und die Vorgänge am Himmel wurden als göttliche Botschaften verstanden; als Vorboten von Katastrophen oder Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen.

Dass Algols Helligkeitsänderungen schon sehr früh bekannt gewesen sein könnte, zeigt eine Analyse die Historiker und Astronomen aus Finnland im Jahr 2012 durchgeführt haben. Sie haben einen sogenannten “Tagewählkalender” betrachtet. Die wurden im Alten Ägypten verwendet; in diesem Fall war es ein über 3200 Jahre alte Kalender der auf der Papyrus Rolle “Cairo 86637” (wie die offizielle Bezeichnung lautet) gefunden wurde. In diesem Kalender waren die Tage – vereinfacht gesagt – in gute und schlechte Tage eingeteilt; es gab Schicksalstage die positiv oder negativ sein konnten. Eine statistische Analyse der entsprechenden Prognosen zeigte, dass die Glücks- bzw. Unglückstage sich mit einer Periode von 2,85 Tagen abwechseln. Und das entspricht ziemlich genau der Periode der Helligkeitsänderungen von Algol, die 2,87 Tage beträgt. Es ist keine exakte Übereinstimmung; zumindest nicht auf den ersten Blick. Aber dazu später mehr – zuerst lassen wir die Dämonen und Schicksalskalender mal im alten Ägypten zurück und gehen wieder zurück zur Astronomie und die Gegenwart.

Heute wissen wir, das Algol kein Einzelstern ist, sondern ein System aus drei Sternen. Sie sind knapp 90 Lichtjahre von der Erde entfernt und tragen die schönen offiziellen Namen Beta Persei Aa1, Beta Persei Aa2 und Beta Persei Ab. Aa1 ist ein heller blauer Stern; hundert Mal heller als die Sonne und mit 3,6 mal mehr Masse. Aa2 ist der Sonne schon ähnlicher, nur noch dreimal so hell wie unser Stern und mit 80 Prozent der Sonnenmasse. Beide umkreisen einander in engem Abstand; sie sind nur wenig mehr als 9 Millionen Kilometer voneinander entfernt. Das ist deutlich näher als etwa der Merkur in unserem Sonnensystem die Sonne umkreist. Um diese beiden Sterne herum kreist Beta Persei Ab, ein Stern der viermal so hell wie die Sonne ist und ein bisschen mehr als 1,5fache ihrer Masse hat. Sein Abstand zum inneren Doppelstern beträgt 2,7 Astronomische Einheiten. In unserem Sonnensystem würde er sich damit mitten im Asteroidengürtel zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter befinden.

Bewegung von Algol Aa1 und Aa2 aus Beobachtungsdaten (oben) abgeleitet (Bild: Yukterez at English Wikipedia)

Bewegung von Algol Aa1 und Aa2 aus Beobachtungsdaten (oben) abgeleitet (Bild: Yukterez at English Wikipedia)

Dass die Helligkeitsänderung von Algol etwas damit zu tun haben könnte, dass sich dort mehr als ein Stern befindet, hat als erster der englische Wissenschaftler John Michell 1783 vermutet. Im gleichen Jahr vermutete sein Kollege John Goodricke, dass ein Planet den Stern umkreisen könnte und regelmäßig einen Teil seines Lichts verdeckt. Ein Planet wäre aber viel zu klein um die deutlichen Helligkeitsänderungen von Algol zu erklären. 1889 konnte der deutsche Astronom Hermann Carl Vogel dann mit konkreten Messungen auch nachweisen, das sich dort tatsächlich zwei Sterne befinden, die einander um ihren gemeinsamen Schwerpunkt umkreisen.

Aber weil sie einander so extrem nahe sind, sehen wir immer nur ihr gemeinsames Licht. Stehen sie von uns aus gesehen nebeneinander, kriegen wir das meiste Licht. Verdeckt der große und helle Stern den kleinen, dunklen, sinkt die Gesamthelligkeit. Ebenso wie im umgekehrten Fall, nur sinkt die Gesamthelligkeit hier noch weiter, weil nun der kleinere und dunklere Stern auch noch einen Teil des helleren Sterns verdeckt.

Eine genauere Analyse des Doppelsterns hat überraschende Erkenntnisse geliefert. Algol Aa1 ist ein normaler Stern der Hauptreihe. Also ein Stern, der quasi noch “mitten im Leben” steht und noch keines der Endstadien eines Sternenlebens erreicht hat, also sich noch nicht zu einem Riesenstern aufgebläht hat oder als Supernova explodiert ist. Aa2 dagegen hat sich zu einem sogenannten Unterriesen entwickelt. So nennt man sonnenähnliche Sterne, die heller sind als sie es eigentlich sein sollten. Solche Sterne haben schon aufgehört in ihrem Kern Wasserstoff zu Helium zu verschmelzen oder sind gerade dabei es zu tun, weil ihnen der Brennstoff ausgeht. Ist das der Fall, kollabieren sie unter ihrem eigenen Gewicht, ihr Inneres wird dichter und heißer und sie können nun in ihrem Kern Helium per Kernfusion zu anderen Elemente verschmelzen. Außerdem können sie nun auch den Wasserstoff zu Helium fusionieren, der sich in den äußeren Schichten befindet. Da der Stern nun quasi innen und außen brennt, bläht er sich auf und leuchtet heller als er es normalerweise tut.

Anders gesagt: Algol Aa2 hat das Ende seines Sternenlebens schon erreicht; Algol Aa1 noch lange nicht. Und das ist seltsam. Denn Aa1 hat fast fünfmal so viel Masse wie Aa2. Und eigentlich gilt bei Sternen: Je mehr Masse, desto heißer ist ihr Inneres und desto schneller verbrennen sie ihren Wasserstoff. Massereiche Sterne leben kürzer. Und Aa1 sollte das Ende seines Lebens VOR Aa2 erreichen. Bei Algol ist es umkehrt und dieses Phänomen, das auch bei anderen Doppelsternen beobachtet wird, hat man deswegen “Algolparadoxon” genannt.

Wieder dreht sich alles um den Abstand zwischen den Sternen. Algol Aa1 war usprünglich tatsächlich früher am Ende als Aa2. Er hat angefangen sich aufzublähen, so wie alte Sterne das eben tun. Da aber der Partnerstern unmittelbar nebenan war, konnte dadurch Masse von Aa1 zu Aa2 gelangen. Der massereiche Stern hat also ein wenig seiner Masse an den masseärmeren Stern abgegeben. Der große Stern hat dadurch sein Leben verlängert; der kleine Stern seines dagegen verkürzt. Und als DER dann früher als gedacht sein Leben beendet hat und anfing sich aufzublähen, floss auch wieder Masse retour in Richtung Algol Aa1.

Dieser Massetransfer zwischen den Sternen ist auch möglicherweise die Lösung der vorhin angesprochenen Differenz zwischen der heute beobachteten Periode der Helligkeitsänderung und dem, was die alten Ägypter aufgezeichnet haben. Durch die Umschichtung der Massen zwischen den Sternen kommt es auch zu einer Veränderung in der Periode mit der sich beide umkreisen. Heute sind es 2,87 Tage; vor 3200 Jahren als die alten Ägypter ihren Schicksalskalender aufschrieben waren es laut Berechnungen der Astronomen aber nur 2,85 Tage.

Algol im Sternbild Perseus (Bild: Zwergelstern, gemeinfrei)

Algol im Sternbild Perseus (Bild: Zwergelstern, gemeinfrei)

Ob man daraus jetzt aber auf jeden Fall schließen kann, dass die genaue Periode der Helligkeitsänderung von Algol schon vor mehr als 3000 Jahren bekannt war, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen. Aber egal ob die alten Kulturen Algol nun in ihre astrologischen Prognosen inkludiert haben oder einfach nur irritiert von diesem seltsamen Stern waren: Heute lohnt sich die Beschäftigung mit dem “Kopf des Dämon” auf jeden Fall.

Algol war einer der erste sogenannte “spektroskopischen Doppelsterne” die man entdeckt hatte, also Sterne, die so nah beieinander stehen, das man nur aus Veränderungen in ihrem Licht daraus schließen kann, das es tatsächlich zwei sind und nicht einer. Algol ist der Prototyp einer ganzen Klasse von Sternen mit veränderlicher Helligkeit geworden, den “bedeckungsveränderlichen Sternen”. Und eventuell hat Algol in der fernen Vergangenheit einen direkten Einfluss auf die Erde gehabt und seinem dämonischen Namen doch noch verdient. Denn auch wenn er heute mehr als 90 Lichtjahre von uns entfernt ist, war er vor 7 Millionen Jahren dem Sonnensystem viel näher. Damals kam er bis auf 9.8 Lichtjahre auf uns heran, was zwar immer noch ein sehr, sehr großer Abstand ist, aber die drei Sterne des Algol-Systems haben insgesamt auch eine recht große Masse, sechsmal mehr als die Sonne. Es könnte sein, dass das damals ausgereicht hat, um die fern der Sonne kreisenden Eisbrocken der Oortschen Wolke ein wenig zu stören und ins innere Sonnensystem abzulenken. Vielleicht halt der Teufelsstern uns damals also tatsächlich mit Kometen beworfen…

Kommentare (6)

  1. #1 René
    7. September 2018

    Wow das war eine coole Sternengeschichte. Ein sehr interessantes Thema und die Verbindung zu unseren Kulturen war sehr gut gelungen.

  2. #2 Shoogar
    8. September 2018

    Die “Sternengeschichten” sind alle cool.
    Die können (ausnahmslos) sogar meine bessere Hälfte begeistern, die sonst mit Naturwissenschaften eigentlich eher weniger am Hut hat.

    Und “cool” ist überhaupt dieser gesamte Blog.

    (Möglicherweise bin ich hier etwas befangen, weil ich mich brennend für Naturwissenschaften interessiere.)
    Danke an Dr. Freistetter, daß er sich die Mühe macht, uns über astronomische Themen auf dem Laufenden zu halten.
    Aber ja: “Algol” war wirklich ein außerordentlich toll vorgetragenes Thema.

  3. #3 Artur57
    8. September 2018

    Wir hatten ja schon viele Dreikörpersysteme, die entgegen aller Erwartung stabil bleiben, etwa Cruithne. Das hier ist allerdings das erste, bei dem alle drei Massen größer sind als die Sonne. Und das bleibt stabil? Erstaunlich.

    Diese Sterne sind ja nicht rund, sondern sie dürften ziemlich verformt sein. Wenn die beiden inneren Sterne schon Materie austauschen, dürfte das sehr nahe an der Rochegrenze liegen, bei der sie dann zerrissen werden. Die Wärmeabfuhr dürfte hier ziemlich anders verlaufen als bei normalen Sternen. Da lohnt sich das Hinschauen.

    Und Gravitaionswellen sollte es da auch geben.

  4. #4 Florian Freistetter
    8. September 2018

    @artur: ” Das hier ist allerdings das erste, bei dem alle drei Massen größer sind als die Sonne. Und das bleibt stabil? Erstaunlich. “

    ?? Das ist bei weitem nicht das erste Dreikörperproblem das stabil ist. Das Sonnensystem ist ein 9Körperproblem und stabil. Kein Problem. Stabilität im NKörperproblem ist seit Poincaré im 19. Jahrhundert keine offene Frage mehr…

    Und Gravitaionswellen sollte es da auch geben.

    Die gibts auch wenn ich um meinen Schreibtisch laufe. Die gibts immer wenn sich Massen beschleunigt bewegen. Wir können halt nur die allerstärksten GWellen messen.

  5. #5 Sylvia
    9. September 2018

    Danke für diese sehr interessante und aufschlussreiche sternengeschichte. Allerdings hat sich mir beim Hören noch eine Frage aufgetan.
    Die Helligkeitsveränderung ergibt sich dadurch dass sich die zwei Sterne umeinander drehen. Aber beeinflusst der dritte Stern die Helligkeit gar nicht mehr? Vielleicht weil wir aus einer anderen Ebene drauf schauen?

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