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Realität, Kausalität und warum wir Henry Tandey danken sollten.
Von Markus (Wraps)
Ich heiße Markus, bin 23 Jahre alt und schon eine Weile lang ein aktiver Leser des Astrodicticum Simplex Blogs. Ich bin Softwareentwickler in Wien und habe mir schon neben meiner schulischen Laufbahn öfters Gedanken über das Universum und seinen Inhalt gemacht.
Habt ihr euch schon mal Gedanken darüber gemacht warum ihr das hier lesen könnt? Damit meine ich nicht die Begabung, Zeichenfolgen zu Wörtern zusammenzusetzen und diese dann sinnbegreifend zu verarbeiten. Nein, mir geht um etwas Grundlegenderes: Warum existierst du?
Gehen wir dieses Gedankenexperiment mal an mir durch. Wie gesagt, ich bin 23 Jahre alt und aktuell angestellt in einem größeren Softwareunternehmen.
Wenn ich mich 3 Jahre zurück versetze bin ich gerade seit ein paar Wochen mit dem Grundwehrdienst fertig und arbeitslos. Ich bin nicht sonderlich motiviert einen Job zu finden und lebe zuhause bei meinen Eltern. Nach mehreren Anstößen, seitens meines Vaters und einer Freundin, schreibe ich eine Bewerbung und bekomme in einem Monat meinen zukünftigen Job.
Wenn ich nun noch 1 ½ Jahre zurück gehe bin ich gerade in der 5. Klasse einer Hochschule in Niederösterreich. Ich stehe kurz vor der Matura aber entscheide mich, wohl aus Faulheit als auch Desinteresse, diese nicht abzuschließen. Somit gehe ich Ende Juni mit einem positiven Abschlusszeugnis der 5. Klasse aber ohne Matura ins Erwachsenenleben über.
Weitere 5 Jahre zurück. Ich bin gerade mit der Hauptschule fertig. Damals war ich ein ziemlicher Träumer aber hatte durchgehend gute Noten in der Schule. Was ich später werden will weiß ich nicht. „Irgendwas mit Computer“, sage ich zu meinem Vater. Dieser meldet mich schließlich für eine Informatik-Hochschule an.
Nochmals zwei Jahre früher war ich mitten in der Hauptschulzeit. Ich hatte keine Freunde bei mir in der Ortschaft. Jedoch kommt ein älterer Schüler aus meinem Ort im Bus zu mir und fragt ob ich später mitgehen will um Fußball zu spielen. Ich nicke und seitdem treffen wir uns regelmäßig. Außerdem zeigt er mir seinen Computer und die ganzen Spiele darauf, was mich ziemlich fasziniert hat.
Weitere zwei Jahre früher stand ich am Ende der Volkschule. Diese war in meinem Geburtsort. Da wir aber umziehen werden, werde ich meine Freunde nicht mehr sehen können. Meine Eltern suchen daher eine Hauptschule in unserer zukünftigen Umgebung. Ich tue mir ziemlich schwer Freunde zu finden da ich viel alleine unternehme und mich mit mir selbst beschäftigen kann.
Einmal noch gehen wir zwei Jahre zurück. Ich bin gerade 8 Jahre alt und bin bei meinen Großeltern in Schweden. Wir haben dort ein Sommerhaus in einem kleinen Ort in dem größtenteils alteingesessene Leben. Da meine Großmutter von dort stammt bekommen wir häufig Besuch aber es sind eben alles Verwandte meiner Großmutter und somit in einem wesentlich höheren Alter als ich es zu dem Zeitpunkt, und auch jetzt 15 Jahre später, bin. Somit lerne ich mich mit mir selbst zu beschäftigen.
Der nächste Sprung geht weiter zurück, bis zu meiner Geburt. Es ging alles gut und ich überlebte auch die kommenden Jahre in denen ich, wenn es nach den Geschichten meiner Mutter geht, ununterbrochen geschrien habe. Doch wie kam es zu meiner Geburt? Ich möchte meinen Vorstellungen nicht zu viel Raum bieten, daher sagen wir einmal meine Eltern mochten sich und von all den Millionen Spermien war ich der schnellste der in die Eizelle eindrang.
Nochmal ein paar Jahre zuvor lernen sich meine Eltern gerade kennen. Mein zukünftiger Vater erfährt, dass seine Schwiegermutter Schwedin und sein Schwiegervater Österreicher ist. Kennengelernt haben sie sich aber in Schweden auch wenn sie jetzt schon seit der Geburt meiner Mutter in Österreich leben und nur im Sommer in den Norden fahren.
Noch ein paar Jahre zurück. Wir befinden uns nun in den Anfängen der 60er. In Österreich gibt es in der Nachkriegszeit wenige Jobs. Mein Großvater muss daher schauen wie er sich über Wasser halten kann. Er wurde mitten in der Kriegszeit geboren und kennt daher die Geschichten von dem was damals geschehen ist. Er entschließt sich schließlich sein Glück weiter im Norden zu versuchen. In Schweden. Dort lernt er dann meine Großmutter kennen.
Gut, das sollte erstmal genug sein aus meiner Familiengeschichte. Aber warum erzähle ich euch das alles? Ganz einfach:
Wenn mich jemand fragt warum ich Softwareentwickler bin könnte ich antworten: „Wegen Henry Tandey.“ Auf die verwunderten Blicke des Fragenden würde ich dann noch ergänzen: „Hätte Henry Tandey im ersten Weltkrieg Adolf Hitler umgebracht und ihn nicht verschont, so wäre es niemals zum zweiten Weltkrieg gekommen. Mein Großvater hätte eventuell einen Job gefunden und wäre nie nach Schweden gereist. Folglich hätte es meine Mutter nie gegeben und mich auch nicht.“ Natürlich ist das etwas überspitzt formuliert. Schließlich verdanke ich den Job hier in Wien nicht direkt Herrn Tandey. Jedoch hat er mir den Grundstein dafür gelegt.
Versucht doch mal dieses Gedankenexperiment an euch selbst durchzuspielen. Welche Ereignisse mussten eintreten damit ihr jetzt vor eurem Bildschirm sitzt und das hier lesen könnt?
Was ich damit sagen will ist: Wären alle Dinge in der Vergangenheit nicht genau so passiert, wie sie passiert sind, dann wäre heute nicht alles genau so, wie es gerade ist. Alles was mich und mein Umfeld ausmacht wurde schon vor Tausenden von Jahren in die Wege geleitet.
Mein Gedankenexperiment ist relativ eng verbunden mit der Chaos-Theorie. Damals hätte niemand vorhersagen können das aus einem einfachen Soldaten, welcher verschont wird, ein Tyrann entsteht, welcher die ganze Welt ein weiteres Mal in den Krieg führt. Genauer will ich hier auf den Schmetterlingseffekt verweisen, welcher wie folgt beschrieben wird: „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?“
Auf mein Beispiel würde die Frage wie folgt lauten: „Kann ein einzelner verschonter Soldat den Tod von mehr als 65 Millionen Menschen in die Wege leiten?“ Die Antwort lautet, wie wir aus den Geschichtsbüchern lernen, definitiv JA! Jede noch so kleiner Änderung innerhalb eines großen Systems kann schwerwiegende Folgen für das ganze System haben. Und jetzt mal ehrlich, im ersten Weltkrieg sind schätzungsweise 17 Millionen Menschen gestorben. Da wäre ein Soldat mehr oder weniger, so hart es auch klingt, nicht aufgefallen.
Selbiges gilt auch für ein aktuelleres Thema. Der Klimawandel betrifft uns alle. Trotzdem erscheint es so als wäre der Versuch eines einzelnen Menschen etwas zu ändern viel zu wenig. Deswegen lassen es die meisten gleich sein. Wenn man sich aber den Schmetterlingseffekt vor Augen hält, so können auch kleine Dinge viel verändern. Rein hypothetisch wäre es ja möglich, wenn du mit dem Gebrauch von Plastik-Tüten (Komisch das so zu formulieren, da es hier in Österreich ja nur „Sackerl“ gibt) aufhörst, deine Freunde auch damit aufhören. Und dann dessen Freundeskreis und so weiter. Irgendwann benutzt dann niemand mehr Plastik-Tüten.
Natürlich ist das eine etwas idealistische Vorstellung, aber es wäre möglich.
Diese Theorie lässt sich auch ins Negative leiten. Wenn jemand mit dem Gedanken spielt eine Dose auf dem Feldweg wegzuwerfen hört sich das nicht so schlimm an, aber es könnte weit größere Auswirkungen haben als man vielleicht denkt. Zum Beispiel könnte eine Kuh von einer nebenan liegenden Weide diese Dose unabsichtlich fressen. Entweder stirbt sie sofort, weil die scharfen Kanten ihre Innereien aufschlitzen, oder sie überlebt es und gibt kleinste Aluminiumteilchen der Dose über ihre Milch an uns wieder zurück.
Also glaubt nicht, dass die Dinge, die ihr ändert keinen Einfluss auf das große Ganze haben. Vielleicht kann man, wenn man diesen Gedanken in die Köpfe der Menschen bringt doch noch etwas gegen die rapide Erderwärmung tun.
P.S.: Als ich obiges Gedankenexperiment über mich selbst geschrieben habe ist mir aufgefallen, dass man es unendlich weit fortsetzen könnte. Bis hin zum Urknall, ohne dem ich den Job im Wiener Softwareunternehmen auch nicht hätte.
Außerdem habe ich gemerkt: „Wenn ich mich dazu entscheiden sollte keine Kinder zu haben, wäre ich das erste Lebewesen seit Millionen von Jahren und abertausenden Generationen meiner direkten Vorfahren welches sich dazu entscheidet keinen Nachkömmling auf die Welt zu setzen.“ Let that sink in!
Danke für’s lesen.
– Wraps
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