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Der PANDA in der Nussschale
von MZ
Ich bin gelernter Hadronenphysiker und mittlerweile in der industriellen Forschung tätig. Da die Öffentlichkeit Grundlagenforschung finanziert und ermöglicht, hat sie meiner Meinung nach auch das Recht, verständlich erklärt zu bekommen, was da überhaupt geforscht wird!
Abseits vom LHC am CERN und der Erforschung von Higgs-Bosonen, gibt es in der Welt viele Beschleunigeranlagen, die sich völlig anderen Themen widmen. Der folgende Text beschreibt, wie in Deutschland mit einem Antimateriestrahl die Geheimnisse im Innersten der Materie gelüftet werden.
Teilchenbeschleuniger! Die größten menschengemachten Maschinen um die kleinsten naturgemachten Bausteine zu untersuchen. Die meisten Leser werden mittlerweile den Large Hadron Collider am CERN kennen, ein Beschleunigerring mit knapp 27 km Umfang in rund 100 m Tiefe. Das öffentlichkeitswirksamste Experiment dort wird mit dem ATLAS Detektor durchgeführt, welches mit seinen 46 m Länge und 25 m Durchmesser ein Monster von Digitalkamera ist. Dort kommen Protonen zur Kollision, mit höheren kinetischen Energien als Stechmücken im Flug. Was erforscht man mit Teilchenbeschleunigern? Ganz klar: Higgs-Boson, dunkle Materie, Baryonenasymetrie.
Neben den Superlativen am CERN gibt es aber auch noch viele andere Anlagen mit völlig anderen Forschungsschwerpunkten. In einem Wald bei Darmstadt gibt es seit den siebziger Jahren das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung. Dort wird bis heute, man ahnt es, Schwerionenforschung betrieben, d.h. es werden Schwerionen beschleunigt, um damit zum Beispiel Krebs zu heilen oder eine ganze Reihe neuer Elemente zu entdecken. Zur Zeit ist die ganze Anlage im Umbau und wird zur Facility for Antiproton and Ion Research, kurz FAIR erweitert (siehe Bild 1). Die bestehende GSI dient in Zukunft als Vorbeschleunigerstufe und bildet flächenmäßig ca. ein Drittel von FAIR. Mit vier großen internationalen Experimentkollaborationen wird FAIR ein Allzweckforschungszentrum sein, mit den Schwerpunkten Kern-, Hadronen-, Teilchen-, Atom-, Antimaterie- und Plasmaphysik, sowie Biologie und Biomedizin.
Eines dieser Experimente benutzt den großen PANDA Detektor (antiProton ANnihilation DArmstadt). Das PANDA Experiment (siehe Bild 2) hat viele Forschungsschwerpunkte, gemeinsamer Nenner ist die Physik der starken Wechselwirkung. Die Theorie dazu lautet Quantenchromodynamik, kurz QCD. Griechisch chroma bedeutet zu deutsch Farbe und bezieht sich auf die Art der Ladung, die mit der starken Wechselwirkung einhergeht. Ladung ist eine Größe, die beschreibt, wie stark eine Objekt einer bestimmten Wechselwirkung unterliegt. Die “Ladung” der Gravitationskraft ist die Masse. Je größer die Masse, desto stärker wirkt die Gravitationskraft. Die Ladung der elektromagnetischen Wechselwirkung ist, nun ja, die elektromagnetische Ladung. Bei der starken Wechselwirkung gibt es nicht eine, sondern drei Ladungen. Hier kommt die Analogie mit der Farbe ins Spiel. Man bezeichnet die drei starken Ladungen (genannt Farbladungen) als rot, grün und blau. Hat man jeweils eine rote, eine grüne und eine blaue Ladung, so mischt sich daraus gemäß Farbtheorie weiß. Hat man ein Teilchen mit roter Ladung (oder grün, oder blau) und ein Antiteilchen mit antiroter (oder -grün, oder -blau) Ladung, ergibt sich zusammen ebenfalls weiß. Diese Farb-Analogie ist deshalb praktisch, weil nur farbneutrale (weiße) Teilchen einzeln auftreten können und das anschaulichste Analogon dieser merkwürdigen Ladungsmathematik eben additive Farbmischung ist. Mit echten Farben hat das Ganze nichts zu tun, weil auf subatomaren Größenordnungen keine Photonen mit optischen Wellenlängen wechselwirken.
Grundlegende Forschungsobjekte in der QCD sind die Hadronen, also aus Quarks und Gluonen (Überträgerteilchen der starken Wechselwirkung) zusammengesetzte Teilchen. Quarks und Gluonen sind Elementarteilchen (also nach derzeitigem Forschungsstand unteilbar, punktförmig), die einzeln nicht beobachtet werden können, weil sie nicht-weiße Farbladungen tragen. Hadronen wiederum sind zusammengesetzte farbneutrale Teilchen (siehe Bild 3). Man unterscheidet bei Hadronen klassisch zwischen Quark-Antiquark Teilchen (genannt Mesonen) und Quark-Quark-Quark Teilchen (Baryonen). Es gibt in jeder dieser Teilchenklassen hunderte Arten, die sich in Ladung und Quantenzahlen (Quantenzahlen dienen zur Charakterisierung dieser Arten) unterscheiden. Bekannteste (und stabilste) Mesonen sind die Pionen, die unter anderem die starke (nicht elektromagnetische!) Wechselwirkung zwischen Protonen und Neutronen übertragen. Protonen und Neutronen sind wiederum die häufigsten Baryonen.
Ein Forschungsschwerpunkt von PANDA ist die Charmonium Spektroskopie (siehe Bild 4). Charmonium ist die Klasse der Mesonen, die alle aus einem Charm-Anticharm-Quark Paar bestehen. Es gibt im Standardmodell sechs verschiedene Quarkarten (man spricht von Flavours, also Geschmacksrichtungen), das Charm-Quark ist das Quark mit der dritthöchsten Masse. Eine Aufgabe von PANDA ist es, vereinfacht gesagt, alle diese Teilchen zu finden und präzise die Masse, Quantenzahlen und Lebensdauer zu messen. Warum das interessant ist? Man hat im letzten Jahrzehnt an ähnlichen Anlagen diese Teilchenspektren untersucht und dabei eine ganze Latte an Teilchen entdeckt, die nicht mit der Theorie übereinstimmen. Einige sind von der Masse nicht dort, wo sie theoretisch sein sollten, andere Teilchen waren überhaupt nicht vorhergesagt und es ist bei manchen bis heute nicht klar, was dort entdeckt wurde. Man hat die unverstandenen Teilchen originellerweise X, Y und Z genannt und spricht deswegen vom “XYZ-Puzzle”. Mittlerweile weiß man bei einigen Teilchen, was sie nicht sein können, nämlich Baryon oder Meson. Die klassische Ansicht, dass ein Hadron entweder ein Baryon oder ein Meson ist, bröckelt also stark. PANDA ist in der Lage, den relevanten Energiebereich zur Erzeugung dieser Teilchen abzudecken und dabei Massenscans mit bisher unerreichter Präzision zu machen.
Arbeitsmittel bei PANDA ist ein Antiprotonenstrahl, der innerhalb der neuen FAIR Anlage erzeugt und im PANDA-Detektor auf (orts)festes Wasserstoffeis geschossen wird (man spricht von einem Target). Wahrscheinlich stellen sich jetzt zwei Fragen. Woher bekommt man einen Antiprotonenstrahl und wieso überhaupt Antiprotonen? Für Antiprotonen braucht man erst mal Protonen. Diese werden im neuen Linearbeschleuniger p-Linac auf etwa 35% Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Von dort geht es weiter in den GSI Ringbeschleuniger SIS18 und, ausreichend vorbeschleunigt, ins FAIR Arbeitspferd, den Ringbeschleuniger SIS100. Wenn die Protonen nach vielen Umläufen diesen 1,1 km-Umfang Ring wieder verlassen, haben sie einen Impuls, der dem 30-fachen der Ruhemasse entspricht und eine Geschwindigkeit, die sich nicht nennenswert von der Lichtgeschwindigkeit unterscheidet.
Nächstes Ziel der Reise ist das Antiproton Produktionstarget, bestehend aus Kupfer oder Nickel. Man nutzt die Reaktion
Um Antiprotonen zu bekommen, schießt man also Protonen auf Protonen. Da immer Erhaltungssätze erfüllt sein müssen, in diesem Fall die Baryonenzahlerhaltung, bekommt man am Ende die dreifache Menge an Protonen im Vergleich zu Antiprotonen. Antibaryonen haben immer eine Baryonenzahl von -1 und eine zum Baryon entgegengesetzte Ladung. Die Antiprotonen werden gefiltert, gesammelt und gekühlt (d.h. die Relativbewegungen und -positionen der einzelnen Antiprotonen im Strahl werden angeglichen) und gehen dann in den High Energy Storage Ring (HESR). Dies ist der Speicherring, an dem sich das PANDA Experiment befindet. In einem Speicherring kommen bereits beschleunigte Teilchen rein, die dort für eine gewisse Zeit gesammelt und gebündelt werden können. Für die Antiprotonen im HESR gilt zudem, dass hier die Strahlenergie, und damit die Teilchengeschwindigkeiten, auf das momentane PANDA Experimentierprogramm angepasst werden kann
Jetzt haben wir also schnelle, präzise Antiprotonen, aber wieso brauchen wir die? Möglich wäre es ja auch, einen Protonenstrahl zu verwenden, schließlich werden beim LHC Protonen mit Protonen zur Reaktion gebracht. Wie wir oben gesehen haben, werden beim Erzeugen von Antiprotonen wegen Ladungs- und Baryonenzahlerhaltung unweigerlich auch Protonen erzeugt. Diese Erhaltungssätze sind der Schlüssel zum Verständnis. Folgende Gleichung zeigt beispielhaft, wie so eine Teilchenreaktion stattfinden kann.
Wenn man auf der linken Seite der Reaktionsgleichung zwei Protonen hat (eins vom Strahl, eins vom Target), hat man eine elektrische Ladung vom Wert +2 (in Einheiten der Elementarladung) und eine Baryonenzahl von ebenfalls +2. Auf der rechten Seite, also das was man gerne untersuchen möchte, bekommt man zwangsläufig ebenfalls eine Ladung +2 und Baryonenzahl +2. Wie erwähnt ist aber ein Charmonium ein Meson, welchen zwar eine positive, negative oder neutrale elektrische Ladung haben kann, aber die Baryonenzahl beträgt immer 0. Dadurch hat man auf der rechten Seite der Gleichung in jedem interessanten Fall (also wo Mesonen untersucht werden sollen) mindestens 3 Teilchen, um die Bayronenzahlerhaltung zu erfüllen. Zwei Baryonen, ein Meson. Diese teilen sich die überschüssige Reaktionsenergie in Form von Bewegungsenergie. In welcher Weise sie das machen, ist leider zufällig und muss in der Datenanalyse berücksichtigt werden. Im Falle eines Antiprotonenstrahl in Reaktion mit einem Protonentarget, hat man auf der linken Seite der Reaktionsgleichung sowohl für die Ladung als auch für die Baryonenzahl die Werte 0:
Dadurch wird es möglich, (neutrale) Mesonen alleine, ohne durch Baryonenzahlerhaltung aufgezwungene zusätzliche Baryonen zu erzeugen.
Warum werden dann beim LHC Protonenstrahlen kollidiert? Der Grund liegt in der wissenschaftlichen Zielsetzung. Am “Dampfhammer” LHC ist man an der Entdeckung neuer Teilchen bei bisher unerreichten Energien interessiert. Protonen sind leicht zu erzeugen und zu beschleunigen. Man erzeugt einen mächtigen Wumms und schaut dann mal, was hinten rauskommt. Bei Fair geht es in erster Linie um die Untersuchung bereits entdeckter “Dinge”. Hierbei ist nicht die Energie entscheidend, sondern die Strahlqualität und das Auflösungsvermögen der Experimente. Im Dampfhammer-Vergleich wäre FAIR also eher das Skalpell.
So, an dieser Stelle machen wir (erst mal) Schluss. Das war sozusagen “PANDA in a nutshell”, ein sehr oberflächlicher Einstieg in die neue FAIR Anlage, Hadronenphysik und ins PANDA Experiment. Jedes der angerissenen Themen hätte einen eigenen Blogbeitrag verdient und es gibt noch viel interessante Themen, die an dieser Stelle aus Platzgründen ausgelassen werden müssen. Wenn Interesse besteht, freue ich mich auf angeregte Diskussionen im Kommentarbereich!
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