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Der TV Typewriter – Eine Erfindung seiner Zeit
von Christian Berger
Ich bin Elektroingenieur aus Leidenschaft zur Zeit tätig bei einem kleinen Telefonkonzern.
Der TV Typewriter war eine Erfindung der frühen 1970ger Jahre. Auch wenn sein Erfinder Don Lancaster dieses Gerät schon bald als obsolet bezeichnete, leben Spielarten dieser Idee bis heute weiter.
Ich möchte euch in eine Zeit entführen, die uns heute fremd erscheint, die 1970ger.
Was bisher geschah: Der Transistor wurde erfunden und schlaue Leute haben herausgefunden wie man viele davon auf einem kleinen Siliziumplättchen bauen kann. Diese Siliziumplättchen nennt man auch Mikrochips. Gleichzeitig entwickelten sich preisgünstige Minicomputer welche kaum größer als ein Wohnzimmerschrank waren und kaum noch teurer als ein Wohnmobil. In Universitäten und Firmen standen häufig sogar mehrere davon.
Da Computer auch in Universitäten standen, kamen viele Studenten technischer Fachrichtungen mit Ihnen in Verbindung. Computer waren noch teuer und groß, deshalb standen die natürlich nicht auf Schreibtischen sondern in speziellen Rechenzentren. An die Computer waren dann viele sogenannte Terminals angeschlossen, damals häufig in Form von Fernschreiber.
Da die wenigsten die das hier lesen schon mal einen Fernschreiber benutzt haben, hier eine Erklärung: Fernschreiber sehen grob so aus wie Schreibmaschinen. Im Prinzip kann man die auch so verwenden, allerdings funktionieren die etwas anders. Drückt man dort auf eine Taste, so wird zunächst eine Reihe von elektrischen Impulsen generiert. Jedes Zeichen hat eine bestimmte Impulsfolge. Diese Impulse kann man nun über lange Leitungen übertragen. Am anderen Ende der Leitung schließt man nun den druckenden Teil des Gerätes an, welches die Impulse dekodiert und als Zeichen auf ein Blatt Papier druckt. Da dies digital ist, war es naheliegend am anderen Ende einfach einen Computer anzuschließen. Schon wurde aus einem Fernschreiber ein Gerät mit dem man nicht nur mit anderen Menschen sondern auch mit Computern sprechen konnte. Ein damaliger Computer reichte in aller Regel für dutzende gleichzeitiger Nutzer. An einem modernen Computer sieht das dann wie folgt aus.
Wie man merkt, war das eine langsame und laute Angelegenheit. Solche Fernschreiber waren recht teuer in der Anschaffung und im Unterhalt, das war ja alles Feinmechanik, aber es gab einen Gebrauchtmarkt der auch Hobbyisten bediente. Da es sowieso schon ein Fernschreibnetz gab, gab es bald Dienstleister die ihre Computer an dieses Netz anschlossen und gegen Geld jedem die Benutzung erlaubten. Die Ausgabe von LIFE vom 30 Januar 1970 hat hierzu einen schönen Artikel mit dem Titel “The Handy Uses of a Home Computer”. Es geht darin um eine Familie die für nur 110 Dollar in Monat plus 7,50 Dollar pro Stunde einen Computer nutzte. Inflationsbereinigt sind das 620 Euro im Monat und 42 Euro pro Stunde. Kein billiges Hobby.
Trotzdem gab es immer Leute, die das auch billiger haben wollten, und denen kam eine Entwicklung zu gute, denn die Zahl der Bauteile welche man auf einem Computerchip unterbrachte stieg stetig. Somit konnte man in den 1970gern schon Chips kaufen, die tausende von Bauelementen enthielten. Will man Daten speichern so reichen, je nach konkreten Typ einige wenige Bauelemente um ein Bit zu speichern. Beschränkt man sich auf einen Zeichenvorrat von 64 Zeichen, braucht man 6 Bits um ein Zeichen zu speichern. Das bedeutet, man konnte mit wenigen Chips schon grob einen Absatz an Text speichern, oder einen Fernsehbildschirm voll.
Genau in diese Zeit fällt der TV Typewriter (Originalartikel auf der Homepage von Don Lancaster). Im Prinzip war die Idee eine billigere Alternative zum Fernschreiber zu schaffen. Fernsehgeräte waren damals auch in den USA schon weit verbreitet, das Problem ist nur, dass diese kein Bild speichern.
Alle damals im Handel verfügbaren Fernsehgeräte basierten auf der Braunschen Röhre. Die Idee dahinter ist, einen dünnen Strahl aus Elektronen zu erzeugen welche mit etwa 4-15% der Lichtgeschwindigkeit in Richtung eines Phosphorschirms rasen. Dieser macht aus der Bewegungsenergie Licht, welches man dann sehen kann. Die Intensität des Strahles, also wie viele Elektronen da zu Licht führen wird ziemlich schnell durch das Fernsehsignal bestimmt. Gleichzeitig wird der Strahl über Magneten bewegt. Dabei bewegt er sich von links nach rechts, und springt dann wieder nach links. Gleichzeitig und deutlich langsamer bewegt er sich von oben nach unten und springt wieder rauf. Dabei zeichnet der Strahl ein Raster innerhalb von 20 Millisekunden in Europa oder etwa 17 Millisekunden in den USA. Will man ein stehendes Bild zeigen, so schickt man einfach das gleiche Signal alle immer wieder an das Fernsehgerät, hört man damit auf, so ist auch das Bild weg. Deshalb muss man sich merken, was man zeigen will. Genau dafür braucht man Speicher, der damals erschwinglich wurde.
Der TV Typewriter war das erste Gerät dieser Art was für eine größere Bastlerschaft verfügbar war. Der Speicher der darin verwendet wurde war noch kein Speicher wie wir ihn heute kennen. Heute können wir auf jede Speicherzelle eines Speicherchips beliebig zugreifen, man sagt dem Chip man will Zelle 5 und man bekommt deren Inhalt. Das benötigt eine Menge an zusätzlichen Schaltungen im Chip, bei den damals kleinen Speichermengen sogar mehr als die Speicherzellen selbst. Deshalb verwendete man damals sogenannte Schieberegister.
Schieberegister sind lange Ketten an Speicherzellen. Jede Zelle ist mit der nächsten Zelle verbunden, und alle werden über ein Taktsignal angesteuert. Bei jedem Takt schieben die Zellen ihren Inhalt zur nächsten Zelle weiter. Der Anfang und das Ende dieser Kette werden nach draußen geführt. Dort kann man das Ende mit dem Anfang verbinden und so die Daten ewig im Kreis laufen lassen. Da wir die Daten eh für jedes Bild neu brauchen, ist das ideal. Das Problem ist nur, dass man den Inhalt dieses Speichers nur dann verändern kann, wenn er gerade vorbei läuft. Die Folge davon ist, dass man nur einmal pro Bild den Text ändern kann. Sprich alle 20 (17) Millisekunden, oder 50 (60) mal pro Sekunde. Das hört sich jetzt nach wenig an, und es ist auch wenig, aber besser als die ungefähr 10 Zeichen pro Sekunde die ein Fernschreiber schafft, oder die 30 Zeichen pro Sekunde die damalige Modems sprachen.
Ein paar Jahre später wurden dann aber die ersten richtigen Computer auch für Hobbyisten verfügbar, und der TV Typewriter geriet in Vergessenheit, außer in Europa.
Etwa gleichzeitig zum TV Typewriter kam John Adams, damals Chef der Videoterminalabteilung von Philips auf ähnliche Ideen. Heraus kam damals Teletext, oder Videotext. In seiner ursprünglichen Version hat so ein Dekoder einfach 40×24 Zeichen mit je 7 Bit gespeichert. Das macht 6720 Bits was auch damals schon erschwinglich war. Die Daten wurden in der so-genannten Austastlücke übertragen. Das die Zeit im Fernsehsignal in der der Elektronenstrahl wieder von unten nach oben geht. Aus technischen Gründen geht das nicht sofort, sondern braucht ein klein wenig Zeit. In diese Zeit passt eine relativ große Menge an Daten, so dass man einfach alle Seiten nacheinander übertragen kann. Der Dekoder im Fernsehgerät wartet auf die gewünschte Seite und legt sie in seinem Speicher ab. Die Technik mag alt sein, jedoch nutzen laut der ARD immernoch Millionen von Leuten täglich dieses Medium.
Natürlich müssen die Daten nicht über das Fernsehsignal kommen. In vielen Ländern gab es ähnliche Dienste über die Telefonleitung. In Deutschland nannte sich das Bildschirmtext, in Großbritannien Prestel, und in Frankreich Minitel. Minitel war auf Grund einer günstigen Gebührenstruktur erfolgreich.
Technik ist immer ein Spiegel der ihrer Zeit. Dinge die einmal sinnvoll und modern erschienen mögen in der Zukunft bizarr und merkwürdig erscheinen. Dinge von denen man erwartet hätte, dass die längst ausgestorben wären, können in einigen Bereichen weiter existieren.
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