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Bemannte Raumfahrt im äußeren Sonnensystem?
von Jason Luke von Juterczenka
Ich bin 2005 geboren, blogge über alle möglichen wissenschaftlichen Themen, besonders aber über Astrophysik und bin das zweite mal beim Wettbewerb dabei.
Die NASA möchte Menschen weiter ins All bringen als jemals zuvor. Diese Pläne sehen eine dauerhafte Rückkehr zum Mond, eine Marslandung und ein bemannten Flug zu einem Asteroiden vor. Doch was ist danach? Wohin fliegen Menschen, wenn wir auf dem Mars waren und dort eine permanente Präsenz geschaffen haben?
“Ab 2030 könnte das Deep Space Gateway dann die Basis für bemannte Missionen auf die Mondoberfläche, zum Mars und darüber hinaus sein.” “Darüber hinaus”, eigentlich müsste mich diese unpräzise Ausdrucksweise verärgern (die man durchaus oft hört), doch ich stellte fest, dass dieses “darüber hinaus” viel mehr mein Interesse anregt. Was bedeutet “darüber hinaus”? Könnte es tatsächlich sein, dass wir uns mit diesem “darüber hinaus” irgendwann einmal konfrontiert sehen? Die erste Frage beantworte ich jetzt, die zweite im folgenden Artikel.
Fangen wir ganz von vorne an. Das Deep Space Gateway (inzwischen umbenannt in Lunar-Orbital Plattform Gateway) ist die geplante Nachfolgeraumstation der ISS. Sie soll vier Astronauten Platz bieten und sich in einem Orbit um den Mond befinden.(Mehr dazu: Wikipedia) Nach dem Ende des Apollo-Programms im Jahr 1972 konzentrierte die NASA sich auf den erdnahen Orbit und entwickelte das Space Shuttle als wiederverwendbares Raumschiff für diese Region des Alls. Doch die Shuttles waren desaströs. Nach einer Zeit waren sie veraltet und auch unsicher, wie die tödlichen Unfälle der Challenger und der Columbia zeigten. Uns selbst wenn man das vernachlässigt, Jahrzehnte lang eintönig seine Runden um die Erde ziehen ist einfach nicht mit menschlichem Forschergeist vereinbar. Und so will die NASA wieder weit hinaus. Menschen sollen tiefer ins All kommen als jemals zuvor. 2022 soll das erste Modul des Deep Space Gateways ins All geschossen werden, 2027 soll die Station mit der Installation der Luftschleuse dann dauerhaft für Jahre bewohnbar werden. Dann soll das entsprechende Raumschiff angedockt werden, mit dem ab 2030 bemannte Flüge zum Mond, zum Mars und zu einem Asteroiden durchgeführt werden können, wobei es sich zum einen um das Deep Space Transport handelt, welches mit einer Kombination aus Ionenantrieb und chemischen Antrieb fliegt. Zusätzlich gibt es noch das Orion-Raumschiff, das eigentliche Flaggschiff der NASA, welches ebenfalls Menschen zum Mond zum Mars und zu Kleinkörpern bringen kann. Zu erwähnen sie vielleicht, dass Orion schon deutlich weiter ist, weil das Raumschiff schon gebaut wurde und im All getestet wurde. Wenn ihr euch jetzt auch fragt, ob das Deep Space Transport dann nicht überflüssig ist: Ja! Egal, in Zukunft dringen Menschen wieder tiefer ins All vor, zum Mond, zum Mars und darüber hinaus.
Wer halbwegs mit dem Aufbau unseres Sonnensystems vertraut ist, weiß eigentlich was mit “darüber hinaus” damit gemeint ist. Hinter dem Orbit des Mars erstreckt sich der Asteroidengürtel. Dort gibt es jede Menge Asteroiden und einige größere Himmelskörper, also Zwergplaneten. Eine bemannte Mission zu einem Asteroiden klingt aufregend – ist sie auch, aber diese Mission ist nicht das Hauptthema dieses Artikels. Hinter dem Asteroidengürtel beginnt das äußere Sonnensystem. Nach dem Mars wäre der äußere Teil des Sonnensystems also das neue Ziel der bemannten Raumfahrt. Doch eine bemannte Mission in das äußere Sonnensystem ist noch gewagter, komplizierter und länger als ein Flug zum Mars. Unmöglich ist er jedoch gewiss nicht. Es ist ein Nischenthema, doch die NASA befasste sich sogar schon oberflächlich mit einer solchen Mission und löste dabei viele Probleme theoretischer und praktischer Natur.
Was wären mögliche Ziele einer bemannten Mission in das äußere Sonnensystem? Mit der Auswahl des Ziels gehen die Probleme schon los. Fangen wir mit dem Offensichtlichsten an. Die vier äußeren Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun sind alle Gasplaneten. Das bedeutet, sie haben keine feste Oberfläche, sondern nur einen Kern und eine riesige Atmosphäre, die den Großteil des Planeten bildet. Eine Landung auf einem Gasplaneten ist also ausgeschlossen. Möglich wäre eine Art Raumstation um einen Gasplaneten, wie zum Beispiel die Raumstation um den Saturn aus dem Film “Interstellar”. Doch eine solche Raumstation würde uns vor ungeheure technische Herausforderungen stellen. Transport in den Saturnorbit, kosmische Strahlung, Zusammenbau im All, Versorgung und die riesigen Gravitationskräfte im Orbit eines Gasplaneten sind nicht momentan noch nicht lösbare Probleme für uns. Wenn wir eine bemannte Mission in diesen Teil des Sonnensystems mit heutiger Technik unternehmen wollen (wovon dieser gesamte Artikel ausgeht), brauchen wir eine andere Technik. Eine Raumstation im Orbit eines Gasplaneten ist technisch zu anspruchsvoll.
Wenn wir nichts dorthin bringen können, wieso nehmen wir dann nichts, was schon dort ist? Einen Mond zum Beispiel, Jupiter hat 79 zu bieten. Uns haben vor allem die vier Größten zu interessieren: Ganymed, Callisto, Io und Europa. Ganymed ist der größte Mond des Jupiters und des Sonnensystems. Er ist auch der einzige Mond mit einem nennenswerten Magnetfeld. Doch leider liegt er mitten in Jupiters sogenanntem Strahlungsgürtel. Die Strahlung würde einen Menschen ohne Schutz innerhalb eines Tages töten. Selbst mit Strahlenschutz haben Siedler, die viele Jahre dort verbringen sollen nicht die geringste Chance. Auch Europa mit seinem wissenschaftlich vielversprechendem unterirdischen Ozean kreist im Strahlengürtel, dasselbe gilt auch für den vulkanisch aktivsten Körper des Sonnensystems, den Jupitermond Io. Nur Callisto zieht seinen Orbit außerhalb des Strahlungsgürtels. Doch Callisto ist pauschal gesagt etwas langweilig, wenn man ihn mit seinen Nachbarn vergleicht. Genauso wie die meisten Monde der Planeten hinter Jupiter (Titan, Enceladus und einige anderen Monde ausgenommen, doch sie sind mehr als doppelt so weit entfernt wie Jupiter). Obwohl Ganymed, Europa und Io unumstritten spannender sind als Callisto, ist er die realistischste Destination. Man hätte dort einen großen Mond, der vulkanische fast inaktiv ist und der nicht viel mehr Strahlung ausgesetzt ist als unser eigener Mond. Von dort aus könnte man dann mit Sonden oder auch mit kurzen bemannten Ausflügen die anderen Monde des Jupiters erkunden. Aus diesen Gründen zieht auch die NASA nur eine Landung auf Callisto in Betracht. Der Plan steht also. Wenn wir ins äußere Sonnensystem vordringen, dann wird Callisto dort unser Außenposten. Doch jetzt kommen die eigentlichen Probleme. Wie würden die Menschen zu Callisto kommen?
Im Gegensatz zu Reisen zu anderen Sternen, ist ein Flug zu Callisto mit heutigen Antriebstechnologien in einer humanen Zeit machbar, schließlich sind unsere Raumsonden schon sehr viel weiter in den Raum vorgedrungen. Doch selbst die schnellste Sonde, die Jupiter passierte brauchte ein Jahr. Ein bemanntes Raumschiff würde noch länger brauchen. Wenn man Astronauten auf einer so langen Reise versorgen möchte, dann braucht man ein Raumschiff, das sehr groß ist. Entweder brauchen wir schnellere Antriebe oder wir müssen den Konsum der Astronauten während dieser Reise minimieren. So sieht ein weiterer Entwurf vor, mit heutigen Antrieben zu fliegen und die Astronauten in Kälteschlaf zu versetzen. So bräuchte man noch nicht einmal die Geschwindigkeit heutiger Raumsonden erreichen und würde die Besatzung dennoch auf humanem Wege zu Callisto befördern. Die Technologie existiert auf der Erde schon eine Weile, wurde aber am Anfang dieses Jahrhunderts noch verfeinert. Menschen lassen sich nach dem Tod kryokonservieren, um den Körper tausende von Jahren fast unverändert zu erhalten. Dabei hoffen sich auf den Fortschritt der Medizin, denn womöglich ist dann eine Wiederbelebung möglich. Doch der Körper darf nicht einfach so eingefroren werden. Das Blut muss durch eine bestimmte Frostschutzflüssigkeit ausgetauscht werden. Der Körper muss in streng vorgegeben Tempo abgekühlt werden, bis er in einen Tank mit flüssigem Stickstoff kommt. Nur so wird verhindert, dass sich Eiskristalle bilden. Ein Problem gibt es jedoch. Natürlich hat noch kein Kyronik-Unternehmen seine Kunden wieder aufgetaut. Die Astronauten in Kälteschlaf zu versetzen ist gewagt, jedoch könnte die Technologie die Raumfahrt revolutionieren. Noch ist sie aber zu riskant. Eine bemannte Mission ins äußere Sonnensystem mit heutigen Mitteln müsste auf andere Optionen zurückgreifen.
Man müsste die Astronauten also bei vollem Bewusstsein transportieren. Die realistischste Option ist ein Habitat, ähnlich wie die ISS, nur größer, welches man mit einem schnellen, aber schon vorhandenen Antrieb zu Callisto befördert. Doch es gibt einen großen Unterschied zur ISS. Die ISS ist im Erdorbit und benötigt keinen Antrieb, ein Raumschiff, dass zu Callisto fliegt schon. Geht man von der Geschwindigkeit heutiger Raumsonden aus, dann würde so ein Flug auf direktem Weg zum Jupiter höchstens einige Jahre dauern. Das ist eine Zeit, bei der sich sicher Leute finden ließen, die mit machen. Ich wäre dabei, obwohl die Marsmission wohl eher in meinen besten Jahren läge. Man muss jedoch berücksichtigen, dass Raumsonden, die wir zu Jupiter schicken keine solche Last transportieren müssen (von heutigen Geschwindigkeiten auszugehen ist allerdings etwas naiv, wenn man sich ansieht, wann eine solche Mission starten könnte). Normale Raumsonden benötigen auf direkter Strecke etwa zweieinhalb Jahre, doch ein bemanntes Raumschiff würde sicher länger brauchen. Der Flug würde also in kleinen Habitaten stattfinden, in denen es Astronauten einige Jahre aushalten und die räumlich denen der ISS gleichen. Das Schiff müsste komplett autark sein und mit einem 3-D-Drucker Ersatzteile und Medikamente herstellen und das Essen selber herstellen. Nach einigen Jahren würde die Crew also ankommen. Und dann?
Obwohl Callisto der Jupitermond ist, auf dem wir am ehesten überleben, herrscht dort klirrende Kälte und es gibt keine richtige Atmosphäre. Wir bräuchten ohne Frage eine Station mit künstlichem Druck, ein Habitat in dem Menschen leben und überleben, ähnlich wie bei einer Marslandung. Wir nehmen an, die Crew hätte so etwas an Bord oder unbemannte Sonden waren vorher schon dorthin geflogen und hätten die Station vorbereitet. Kehren die Menschen nach einigen Jahren zurück oder bleiben sie ihr restliches Leben dort? Pflanzen sie sich fort, ist das unter geringerer Gravitation überhaupt möglich? Haben Menschen auf einem fernen Mond, die sich an ihre Großmutter erinnerten, die ihnen erzählt hat, dass ihre Mutter einen Mann kannte, der auf der Erde geboren ist überhaupt noch irgendwas mit der Erde zu tun? Solche Mehrgenerationenprojekte sind umstritten. Besser wäre ein Flug mit Rückkehr. Je nach dem könnte man den Treibstoff für den Rückflug entweder mitnehmen oder sogar vor Ort herstellen. Dann könnten neue Siedler nachrücken. Vermutlich wäre Callisto nicht durchgängig bewohnt, aber immer für Siedler vorbereitet. Von Callisto aus ließe sich das ganze Jupiter-System mit seinen 79 Monden erkunden. Doch die Siedlung müsste komplett autark sein. Zum nächsten äußeren Planeten, dem Saturn ist es genau so weit wie zur Erde, der Jupiter ist absolut isoliert. Je nach Bahnkonstellation von Erde und Jupiter braucht das Licht bis zu 53 Minuten für die Strecke. Solange wäre ein Funksignal der Siedler auf Callisto zur Erde unterwegs. Dieselbe Zeit braucht die Antwort der Erde. Es würde also bis zu 106 Minuten dauern, bis die Siedler auf eine Nachricht Rückmeldung bekommen. Selbst wenn sich Erde und Jupiter am nächsten sind dauert es insgesamt 66 Minuten. Auch bei einer bemannten Marslandung werden wir uns mit diesem Problem konfrontiert sehen. Aus der unbemannten Raumfahrt kennen wir das bereits. Die derzeit am weitesten gekommene Sonde, Voyager 1 wird 2024 einen Lichttag von der Erde entfernt sein. Dann wird der Zeitraum zwischen Senden des Signals und Rückmeldung zwei Tage dauern. Doch Voyager 1 ist unbemannt. Zwar treibt die Zeitverzögerung die Wissenschaftler bei wichtigen Etappen der Mission in den Wahnsinn, aber Menschen sind dort nicht in Gefahr. Bei einer bemannten Mission würde sich dies ändern. All das sind Probleme, über die man nachdenken muss, die aber lösbar sind. Eine bemannte Mission ins äußere Sonnensystem ist wohl ähnlich anspruchsvoll wie eine unbemannte Sonde zu den nächsten Sternen. Doch was ist Lohnenswertere?
Jupiter und Saturn ließen sich bisher auch gut mit Raumsonden von der Erde erkunden. Mit den Sonden “Europa Clipper” und “JUICE” hat die Erforschung des Jupiters und seiner Monde mittels Raumsonden eine vielversprechende Zukunft. Anderseits war die Erschließung neuer Lebensräume für den Menschen schon immer ein großes Ziel der Raumfahrt. Doch sollte der Umweg vom Mars zu den Sternen über Callisto führen? Ist eine bemannte Raumfahrt über den Mars hinaus perspektivisch möglich? Davon ist auszugehen. Aber ist sie auch Notwendig? Die NASA sieht sie als nicht unbedingt nötig. Pläne für unbemannte Sonden zum nächsten Stern Alpha Centauri sind schon wesentlich weiter. Vermutlich hat eine solche Mission bei der NASA auch Vorrang. Doch die Geschichte der bemannten Raumfahrt kann nach der Marslandung nicht vorbei sein. Auch wenn es nicht der nächste Schritt ist, dann ist es der übernächste oder der überübernächste. Auch wenn es erst am Anfang des nächsten Jahrhunderts oder noch später geschieht, ist es doch ein logischer Schritt der bemannten Raumfahrt, ins äußere Sonnensystem vorzudringen und zu Orten zu fliegen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.
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