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Das größte Mysterium des Universums
von silava
Ich interessiere mich für Wissenschaft und freue mich immer wenn ich etwas Neues über das Universum erfahre.
Der folgende Text handelt nicht nur vom größten Mysterium des Universums, es kommen außerdem noch darin vor: essentieller Existenzialismus, Billionen von Zombies, das wichtigste Lebewesen des gesamten Universums, der finale Gnadenstoß für ein schon lange klinisch totes Konzept, Modelle von Modellen und natürlich ganz viel Darwin.
Was ist das größte Mysterium des Universums? Man könnte darüber lange streiten. Meiner Meinung nach ist es die Frage warum wir über ein Bewusstsein verfügen. In Fachkreisen nennt man es das Qualiaproblem. Die Frage warum es überhaupt ein Universum gibt wäre auch ein heißer Kandidat auf den Titel. Aber bei dieser Frage könnte die Antwort (stark vereinfacht) auf eine Art gigantische Quantenfluktuation herauslaufen, die umständehalber nicht mehr in sich zusammengefallen ist. Oder eine andere der bisher vorgeschlagenen Antworten. Ideen gibt es hier jedenfalls eine ganze Menge. Nicht so bei der Frage nach dem Bewusstsein.
Das berühmte Rasiermesser von Occam legt einem nachdrücklich den Materialismus als Startpunkt nahe. Das Universum besteht letztendlich nur aus Raum, Zeit, Energie und Materie. Wobei Energie und Materie ineinander überführt werden können, und Energie/Materie sowie Raum/Zeit sich gegenseitig beeinflussen. Philosophen haben sich schon seit Jahrhunderten erfolglos überlegt wie man nur mit diesen Zutaten ein Phänomen wie das menschliche Bewusstsein erklären kann. Gerade das Bewusstsein wurde deshalb als Argument angeführt warum der Materialismus nicht alles sein kann. Erschwerend kommt dazu dass noch nicht einmal klar ist wozu das Bewusstsein eigentlich gut sein soll. Wir könnten schließlich auch alle schlicht Philosophische Zombies sein, aber ohne Bewusstsein könnte sich auch niemand fragen woher das Bewusstsein kommt. Allgemeiner Konsens ist dass das Bewusstsein eine Funktion des Gehirns ist. Um hier klarer zu sehen sollte man am besten betrachten wie sich die Voraussetzungen für das Bewusstsein evolutionär entwickelt haben.
Am Anfang des Lebens stehen simple Einzeller. Bakterien und andere Einzeller verfügen über keine Neuronen oder ähnliche Konstrukte, ich denke man kann sie noch getrost ignorieren. Das sind reine biologische Maschinen ohne irgendwelche kognitiven Fähigkeiten.
Bei manchen Mehrzellern wie zum Beispiel Fadenwürmern wird es langsam spannend. Hier gibt es ein paar untereinander verknüpfte Neuronen. Sinnesorgane liefern Input, der wird verarbeitet und erzeugt einen Output, steuert also Aktionen von Muskeln. Zuerst wird es sich vermutlich noch um ein simples “hard-coded” Reiz-Reaktionsmuster gehandelt haben. Das war aber unflexibel und Innovationen mussten noch umständlich vererbt werden. Die Natur war aber kreativ und die Neuronen wurden flexibler. Jetzt konnte schon ein erstes einfaches Lernen und Optimieren stattfinden.
Wohin sollte das führen? Zu Modellen, genau genommen einem Modell der Umwelt. Bei manchen Tierarten kamen immer mehr Neuronen hinzu, die Muster wurden immer komplexer. Feste Reaktionsmuster waren aufgrund der Komplexität an möglichen Inputs und Outputs nicht mehr praktikabel. Es wurde ein erstes grobes Modell der Umwelt erzeugt, das dann immer besser (im Sinne von akkurater) wurde. Es wurden immer mehr relevante Variablen mit einbezogen: Licht, Schatten, Bewegungen, Temperaturen, Berührungen, Geräusche, Gerüche usw.
Bald war aber die Umwelt alleine nicht mehr ausreichend. Die Lebewesen mussten nicht nur über ihre unbelebte Umwelt Bescheid wissen, sondern auch über fremde Arten in dieser Umwelt, andere Exemplare der eigenen Art und schließlich auch über sich selbst. Aus einem Modell der physikalischen Umwelt wurde (zumindest für die intelligenteren Arten) ein universelles Weltmodell. Darin waren auch die eigenen Fähigkeiten enthalten. Wie schnell kann ich aktuell laufen oder schwimmen? Wieviel Kraft und Ausdauer habe ich? Kann mich das andere Tier gerade sehen? Wie leise kann ich schleichen? Es wurde immer wichtiger auch die eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften so realistisch wie möglich in das Weltmodell einzubeziehen.
Und damit war immer noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Bei den sozialen Arten ging die Entwicklung noch einen Schritt weiter. Was wissen die anderen Tiere meiner Art über mich? Wer hat sich wann kooperativ verhalten und wann egoistisch? Wie ist die Stimmung bei den anderen? Wie kann ich ihre Stimmung oder ihre Meinung über mich beeinflussen? Das Weltmodell wurde noch komplexer. Um das Weltmodell effektiv zu trainieren gab es auch noch eine weitere Innovation: das Spielen. Exploratives Spielen ist dazu da in einer gefahrlosen Umgebung die geltenden Regeln zu lernen und wichtige Erfahrungen zu sammeln. Außerdem kann man neue Verhaltensweisen ausprobieren. Später kamen natürlich auch andere Arten von Spielen dazu, aber das wäre eine andere Geschichte.
Jetzt passiert das Entscheidende in Bezug auf das Bewusstsein. Wie alles bisher passierte es schleichend und quasi stufenlos. Innerhalb des Weltmodells wird ansatzweise das Weltmodell selbst modelliert. Oder anders ausgedrückt: Das vom Gehirn erzeugte Modell umfasst die äußere Umwelt, den physischen eigenen Körper sowie ansatzweise ein Verständnis von sich selbst, also seiner geistigen Innenwelt. Das Lebewesen verfügt bereits über ein hoch entwickeltes und hoch komplexes Gehirn. Es kann planen, täuschen, Hilfsmittel nutzen, die Umwelt zu seinem Nutzen verändern, sich verschiedene Alternativen überlegen. Und es kann seine eigenen geistigen Fähigkeiten selbst immer besser einschätzen. An diesem Punkt bootet so etwas wie Selbsterkenntnis. Das Gehirn denkt jetzt auch Gedanken die sich nur um sich selbst drehen. In Descartes Worte übersetzt: “Ich denke über mich nach, also bin ich.” Es entfernt sich immer weiter von festen Mustern wie z.B. den Instinkten und kann freier denn je zuvor über die Welt und sich selbst nachdenken. Das vom Gehirn erzeugte Weltmodell bemerkt dass es existiert, dass es getrennt von der äußeren Welt ist die es modelliert und dass ihm in dieser Welt scheinbar unendlich viele Möglichkeiten offenstehen.
In gewisser Weise ergeht es uns allen wie Zaphod Beeblebrox im Buch “The Restaurant at the End of the Universe” von Douglas Adams. Dort befand er sich innerhalb einer Simulation des Universums und wurde in den “Total Perspective Vortex” gesteckt. In diesem Gerät kann man das komplette Universum mit einem Blick erfassen. Sein aktuelles Universum bestand nur aus einer Simulation, folglich war er das wichtigste Lebewesen seines aktuellen Universums. Wobei wir nicht nur das wichtigste Lebewesen unseres selbstgeschaffenen Universums sind, wir sind sozusagen unser Universum bzw. Weltmodell. Der schwierige Punkt ist dass man zwischen der inneren (selbstgeschaffenen) Welt und der äußeren Welt unterscheiden muss. Die nützlichen farbigen stereoskopischen Bilder die wir mit offenen Augen wahrnehmen sind eben nicht identisch mit der äußeren Welt. So ist die physikalische Welt zum Beispiel nicht bunt. Moleküle in unsere Umgebung emittieren oder reflektieren Licht nach den Regeln der Naturgesetze. Das Licht wird auf unserer Netzhaut registriert. Daraus erschaffen wir in unserem Geist die bunten Bilder der Umwelt und setzen sie der Einfachheit halber mit der Realität gleich.
Uns bleibt nichts anderes übrig als unsere Sinne zu verwenden, wir können unsere Sinneseindrücke jedoch nie direkt mit der Realität vergleichen. Diesen Punkt hat schon Ernst Mach in “Die Analyse der Empfindungen” vertreten. Wir bewohnen ein Modell des Universums das wir uns selbst erzeugen. Entstanden ist es in einem langen Prozess der Evolution. Und mystische Erklärungsversuche wie das Konzept einer Seele werden zur Erklärung des größten Mysteriums des Universums erst Recht nicht mehr benötigt.
Beim Schreiben dieses Textes hatte ich gerade das Buch “Homo Deus” von Yuval Noah Harari gelesen. Auf Seite 99 beschreibt er einen deutlich engeren Ansatz zur Erklärung des Bewusstseins durch Rekursion (und verwirft ihn gleich wieder):
As the brain tries to create a model of its own decisions, it gets trapped in an infinite digression, and abracadabra! Out of this loop, consciousness pops out.
Harari ist der Meinung dass das Qualiaproblem nach wie vor nicht gelöst sei. Ich suche noch Gründen warum ein immer komplexer werdendes Weltmodell – das sich schließlich selbst modelliert – nicht eine Erklärung für das Bewusstsein sein kann.
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