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Eine Anregung zum Selberbasteln: Konstruierte Sprachen
von Gelbstern
Ich bin ein Schüler, der seit zwei Jahren in Frankreich lebt. In meiner Freizeit beschäftige ich mich gerne mit allem Möglichem, unter anderem eben auch mit Sprachen.
Viele kennen vermutlich Esperanto, eine Sprache, die mit dem Ziel konstruiert wurde, die weltweite Kommunikation zu vereinfachen, auch wenn sie bis heute nur von wenigen Leuten gesprochen wird. Bei Esperanto handelt es sich um eine typische konstruierte Sprache. Aber auch Quenya und Sindarin von J.R.R. Tolkien oder Klingonisch aus Star Trek sind bekannte konstruierte Sprachen. Ich will in diesem Artikel erklären, wie man sich selber eine solche Sprache konstruieren kann und vielleicht den ein oder anderen dazu anregen, auch genau das zu tun. Ich erkläre hier keine linguistischen Konzepte im Detail, dass würde den Rahmen des Artikels sprengen und außerdem gibt es andere Quellen, die dafür besser geeignet sind. Ich möchte mit diesem Artikel viel eher Leute dazu inspirieren, sich mit konstruierten Sprachen zu beschäftigen und vielleicht, im besten Fall, eine Eigenkonstruktion anregen.
Sprachen können für alles mögliche konstruiert werden: Geheimsprachen unter Freunden, als Sprache eines Volkes in einer Fantasy- oder Science-Fiction-Welt oder einfach so. Ich werde mich in diesem Artikel auf die zweite Möglichkeit konzentrieren, je nach Anwendungszweck unterscheidet sich der Ablauf aber natürlich.
Bevor wir anfangen: Wenn die Sprache von einem Volk einer Fantasy- oder Science-Fiction-Welt gesprochen wird, sollte zuerst das jeweilige Volk entwickelt werden. Handelt es sich um eine fremde Spezies kann die Biologie die Sprache maßgeblich beeinflussen, aber auch die Kultur ist unglaublich wichtig. Handelt es sich um eine Stammesgesellschaft oder eine hochentwickelte technokratische Typ-II-Zivilisation? Wird auf militärische Mittel gesetzt oder ist besagtes Volk pazifistisch? Wie sieht die Politik aus? Die Philosophie? Religion? Geschichte? Stellung der Geschlechter (falls vorhanden)? Man kann das alles natürlich auch umdrehen: erst die Sprache entwickeln und dann daraus den Rest ableiten. Ich empfehle aber, zumindest eine Grundvorstellung von den Hintergründen zu haben.
Handelt es sich um eine andere Spezies, so gibt es im Grunde quasi unbegrenzt Gestaltungsmöglichkeiten und man kann auch etwas kreativer werden. Kommunikation kann auch durch Körpersprache, Geruchsstoffe oder Licht geschehen. Da diese Art von Sprachen aber für Menschen leicht schwierig ist, werde ich im Folgenden bei Sprachen bleiben, die von Menschen gesprochen werden können.
Als erstes ist es meiner Meinung nach sinnvoll, sich den allgemeinen Klang der Sprache zu überlegen. Hier kann man sich an Sprachen orientieren, die man besonders schön, oder interessant findet oder die irgendwie zu der zu konstruierenden Sprache passen. Wenn man sich das überlegt hat, kann man auch schon die Laute festlegen, die die Sprache haben soll. Diese Liste an Lauten kann später noch erweitert oder verändert werden, aber es ist besser, wenn sich die Sprache nicht im Nachhinein zu stark verändert. Außerdem ist es immer einfacher, neue Laute hinzuzufügen oder Bestehende zu ersetzen, als Laute zu entfernen. Auch die Art und Weise der Betonung kann man sich in diesem Schritt bereits überlegen: Lautstärke oder Tonhöhe, andere Möglichkeiten sind auch denkbar. Die Betonung kann auch, wie im Chinesischen, Wörter voneinander unterscheiden. Man kann aber auch die Betonung “wachsen” lassen, indem man guckt, wie man die Wörter selber ausspricht.
Mit diesen Informationen sind die Grundlagen für die Sprache gelegt. Bevor man sich jetzt eine detaillierte Grammatik ausdenkt, sollte man erstmal ein paar Wörter festlegen und am besten direkt in einer Tabelle oder Liste festhalten, in die später auch alle weiteren Vokabeln eingetragen werden. Diese paar Wörter helfen dabei, ein tatsächliches Gefühl für den Klang der Sprache zu entwickeln und können später als Grundlage für Beispielsätze bei der Konstruktion der Grammatik dienen.
Jetzt können wir auch schon mit der Grammatik anfangen. Das ist einer der interessantesten Teile der Konstruktion einer Sprache, da man hier sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten hat. Grundsätzlich kann man die Grammatik leichter machen, was zum Beispiel bei sehr pragmatischen Kulturen sinnvoll ist, auerdem hat es den Vorteil, dass die Sprache deutlich leichter zu lernen ist. Wenn man gemein sein will, kann man aber auch eine extrem schwierige Grammatik erschaffen. Fragen, die man sich bei diesem Schritt stellen kann, sind unter anderem: Wie wird die Funktion eines Wortes bestimmt, durch die Satzstellung oder durch Anpassung des Wortes. Gibt es Fälle? Wenn ja, welche? Werden Verben konjugiert? Wenn ja, wie? Welche Tempi und Modi gibt es? Man könnte sich auch zusätzlich zu Aktiv- und Passivkonstruktionen etwas wie das Medium ausdenken. Wie auch sonst bei allen anderen Abschnitten gilt: Hier kann man ruhig kreativ werden.
Wenn auch die Grammatik fertiggestellt ist, muss die Sprache nur noch “wachsen”. Im jetzigen Stadium gibt es schließlich kaum Vokabeln. Am besten “wächst” eine Sprache dadurch, dass man Texte in sie übersetzt, da man so Wörter, die häufig auftreten, eher übersetzt als sehr seltene. Die Vokabeln werden am besten direkt nach dem Erfinden in eine Tabelle mit Übersetzung eingetragen. Wenn man zu viel Zeit hat, kann man auch noch die Aussprache in IPA-Lautschrift hinzufügen. Aber auch für Gedichte und Lieder eignen sich konstruierte Sprachen, besonders in der Frühphase, da man die Wörter dann so erfinden kann, dass sie sich reimen und zum Versmaß passen.
Die Sprache wird im Grunde nie fertig gestellt sein, es wird immer Wörter geben, die noch keine Übersetzung haben. Aber sobald man die wichtigsten Wörter erfunden hat, ist man schon ziemlich weit. Trotzdem kann man immer noch neue Aspekte hinzufügen. Besonders interessant ist hier meiner Meinung nach noch das Schriftsystem. (Entfällt, falls die Schrift noch nicht erfunden sein sollte) Auch hier kann man wieder seiner Kreativität freien Lauf lassen und sich etwas überlegen. Schriftklassen gibt es genug: Falls eure Kultur echte Schrift noch nicht erfunden hat, sind Protoschriften denkbar, wie beispielsweise Zeichnungen, die Bedeutungen tragen. Falls die Kultur zivilisatorisch schon etwas weiter ist, können auch “echte” Schriften verwendet werden, wie Wortschriften (bspw. Chinesische Schrift), Silbenschriften, Lautschriften oder Schriften, bei denen die Vokale nicht geschrieben werden (bspw. Hebräisch). Wenn man eine gute Idee hat, kann man aber auch etwas ganz neues entwickeln.
Ich hoffe, dass ich vielleicht den ein oder anderen Leser dazu bewegen konnte, eine eigene Sprache zu entwickeln. Oder, wenn man darauf keine Lust hat, vielleicht eine schon bestehende konstruierte Sprache zu lernen.
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