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Neues vom Acker – was alles in der Wurzel steckt
von Thomas Weninger
Ich bin Bodenforscher an der Universität für Bodenkultur in Wien. Interessiert an allem was mit Boden, Pflanzenwachstum und Landwirtschaft zu tun hat.
Pflanzen sind die Grundlage unserer Ernährung. Viel Forschungsaufwand wird betrieben, um einerseits die Erträge der Landwirtschaft zu erhöhen, andererseits müssen aber auch die Folgen der intensiven Landwirtschaft für die Umwelt bedacht werden. Ineffizienten Düngereinsatz, den Verlust von Bodenfruchtbarkeit und ausufernden Schädlingsbefall werden wir uns in Zukunft nicht mehr leisten können. Die Wurzeln der Nutzpflanzen bekommen oft wenig Aufmerksamkeit. Aus Ihrer Erforschung verspricht man sich nun große Fortschritte für eine effizientere Landwirtschaft. Dazu werden interessante High-Tech-Methoden eingesetzt, viele Pflanzen analysiert und sehr komplexe Prozesse beobachtet. Im folgenden Beitrag bekommt Ihr einen Einblick in brennende Fragen der Wurzelforschung, deren Bedeutung und die Methoden, die eingesetzt werden.
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Normalerweise geht es in Florians Blog ja um die dunklen, unendlichen Weiten über unseren Köpfen. In meinem Beitrag möchte ich Eure Aufmerksamkeit in die andere Richtung lenken, nämlich auf die dunklen, leider allzu endlichen Welten im Boden. Damit meine ich nicht die Mikrokosmen unter dem guten Parkett, sondern den Boden in unserer Umgebung, das braune Zeugs wo Pflanzen drauf wachsen. Dort laufen Vorgänge ab, die für unseren Alltag sehr relevant sind, zum Beispiel wächst daraus der Großteil unserer Nahrung, versickert Regenwasser und wird gereinigt oder es wird tote organische Substanz (also Blätter, Äste, aber auch tote Tiere oder Bioabfall) in fruchtbare Erde umgewandelt. Und das alles und noch viel mehr passiert gleichzeitig. Ich werde hier aber nur über einen bestimmten Teil schreiben, nämlich die Wurzeln von Kulturpflanzen und ein bisschen von der Forschung zu diesen erzählen.
Die Wurzeln haben die Aufgabe, Wasser und Nährstoffe im Boden zu finden und aufzunehmen, sowie der Pflanze Halt zu geben, sie zu verankern. Mittlerweile weiß man auch, dass Wurzeln andere Bodenlebewesen wie Bakterien oder Pilze mit zuckersüßen Leckereien anfüttern. Das machen sie weil diese ihnen das Leben erleichtern können, indem sie schwer verfügbare Nährstoffe aufschließen und Schädlinge abwehren. Außerdem hat man unlängst nachweisen können, dass verschiedene Pflanzen über das Wurzelnetzwerk im Boden miteinander kommunizieren und einander Botschaften schicken können. Es dürfte meist ums Wetter, um Verteidigungsstrategien oder um Fortpflanzung gehen, also ganz ähnlich wie bei uns. Darüber werde ich vielleicht nächstes Jahr einen Beitrag schreiben, oder wenn ich mich endlich überwunden habe, einen eigenen Blog zu beginnen. Für heute bleibe ich bei einem Forschungsbereich, der sich mit angewandten landwirtschaftlichen Fragestellungen beschäftigt. Grob gesagt ist die Wurzel nämlich der Teil im System unserer Nahrungsproduktion, der noch am meisten Potenzial für Verbesserungen bietet. Dabei geht es weniger um den reinen Ertrag als um Stabilität gegenüber Schädlingen, weniger Bedarf an Dünger oder das Erhalten der Bodenfruchtbarkeit. Es gibt auch einen schönen Fachbegriff zum heutigen Thema, das ist die Phänotypisierung von Pflanzen und deren Wurzelsystemen. Um diesem wenig ästhetischen Begriff den Schrecken zu nehmen, muss ich nun kurz ausholen.
Nutzpflanzen (also Getreide, Gemüse, Obstbäume, …) werden seit Jahrhunderten genetisch verändert, um einen bestimmten Zweck besser zu erfüllen. Bis jetzt geschah das durch Züchtung, die Zukunft ist da gerade recht offen. Es wird dadurch das Genom, also die Gesamtheit der Gene, verändert. Das ist im Wesentlichen der Grundstock an gespeicherter Information, die die Pflanze im Laufe ihrer Entwicklung abrufen kann. Konkret wird aber nur wenig davon wirklich abgerufen, so ähnlich wie wir je nach Bedarf nur bestimmte Funktionen eines Betriebssystems am Computer nutzen. Bei den Pflanzen geschieht das als Reaktion auf Einflüsse von außen, wie Temperatur, Kontakt mit Nachbarpflanzen oder Nährstoffverfügbarkeit. Diese Fähigkeit der Pflanze, sich an ihre Umwelt anzupassen, führt zur Ausbildung verschiedener Phänotypen. Der Fachausdruck kann auch als Erscheinungsbild übersetzt werden. Ein einfaches Experiment zum Verdeutlichen des Begriffs kann jeder selbst ausprobieren: Schneide von einer Pflanze, die sich gut durch Ableger oder Stecklinge vermehren lässt ein paar Stücke ab, fülle Töpfe mit Erde, gieße und stell die Töpfe an Plätze mit verschiedenen Wuchsbedingungen (Balkon, Badezimmer, Berggipfel, Kühlschrank, …). Die Pflanzen sind genetisch identisch, werden aber unterschiedlich aussehen, also unterschiedlichen Phänotypen entsprechen.
Bild: Homorhizal_root_system.GIF
Und genau darum geht es auch bei der Forschung. Man möchte Pflanzen auf den Äckern anbauen, die auch bei Trockenheit noch gedeihen, die Nährstoffe gut erreichen und aufnehmen können, die wenig anfällig für Schädlingsbefall sind und nebenbei auch noch guten Ertrag bringen. Immer neue Sorten werden von Saatgutbetrieben gezüchtet, die all das versprechen. Mittlerweile sind in der EU allein beim Weizen etliche hundert verschiedene Sorten zum Anbau und Verkauf zugelassen. Wenn man das Genom der Pflanze analysiert, kann man prinzipiell schon gut beurteilen, ob eine bestimmte Eigenschaft vorhanden ist. Ob sie dann aber auch auf dem Acker die richtigen Infos abruft und so stabil und ertragreich wächst, wie sie sollte, kann man aus dem Genom nicht ablesen. Das muss man nach wie vor ausprobieren. Die Saatgutzüchter legen also große Versuchsflächen in klimatisch unterschiedlichen Gebieten an, wo verschiedene Sorten angebaut und penibel vermessen werden. Nach langwieriger Arbeit hat man dann einigermaßen gute Informationen darüber, wie die getestete Sorte wachsen wird. Das gilt jedoch hauptsächlich für den oberirdischen Teil. Wie ich schon erwähnt habe, ist die Wurzel mindestens genauso wichtig. Sie spielt eine große Rolle wenn man bedenkt, dass die Wasserversorgung in der Landwirtschaft hierzulande unsicherer werden wird (siehe 2018) und man sich langsam Gedanken machen sollte, wie die Nahrungsmittelversorgung mit weniger Einsatz von Ressourcen (in dem Fall Düngung) gesichert werden kann. Auch die hohe Nitratbelastung des Grundwassers in Deutschland, die ja unlängst wieder in der Diskussion stand, könnte verringert werden, wenn die Wurzeln den gesamten Dünger aufnehmen würden.
Aber jetzt zurück zum Thema, der Phänotypisierung. Sowie beim Spross, also dem oberirdischen Teil der Pflanze, gibt es auch bei der Wurzel große Unterschiede zwischen den Phänotypen verschiedener Sorten. Diese können sich durchaus im Bereich von etlichen Dezimetern bewegen, allein bei der Verbreitung im Boden. Bei der Vermessung stehen wir nun vor dem Problem, dass eine Wurzel entweder die Unsichtbarkeit im dunklen, feuchten Boden genießt, oder recht schnell abstirbt, wenn sie an die Sonne gerät. Für die Forscherin, die eine lebende Wurzel analysieren und verstehen will, ist das natürlich ein Dilemma. Schlaue Methoden sind gefragt. Sie werden auch laufend entwickelt und was es da zu sehen gibt, erfreut das Herz des Technikbegeisterten. Es wurden zum Beispiel Magnetresonanzscanner oder Computertomographen, wie man sie aus der Medizin kennt, adaptiert, mit denen man ein 3D-Modell des Wurzelsystems in einem großen Versuchstopf erzeugen kann. Wie das aussieht zeigen Leute der Universität Nottingham (in British English):
Mehr Leistung verspricht ein Robotersystem, das selbständig eine Reihe von Versuchspflanzen vermisst. Diese sind in sogenannten Rhizoboxen gesät worden. Das sind wenige Zentimeter dicke, mit Erde gefüllte und mit einer Plexiglaswand versehene Kästchen etwa in der Größe eines halben Fensterflügels. Sie stehen so schräg in ihrer Halterung, dass die Wurzel an der Glasscheibe entlangwächst und dadurch von außen sichtbar ist. Der Roboter scannt die Oberfläche mit einer Multispektral-Kamera und liefert gleich ein zweidimensionales Bild vom Wurzelsystem. Durch die Automatisierung und wiederholte Messungen kann das Wachstum der Wurzelspitzen genau verfolgt werden. Diese Geräte sind am FZ Jülich im Einsatz, auf deren Webauftritt gibt’s auch etliche Bilder, die ich hier nicht reinstellen darf.
In Tulln (Österreich), an einem Außenstandort der Universtät für Bodenkultur Wien, wird ebenfalls mit High-Tech in der Wurzelphänotypisierung gearbeitet. Ein Forscherteam setzt hier Hyperspektralkameras ein, mit denen die Wurzeln in Rhizoboxen beobachtet werden. Diese Kameras nehmen Bilder in gut 200 Spektral-Kanälen auf, die mit Bildanalysealgorithmen ausgewertet werden. Aus den Aufnahmen soll es möglich sein, neben der Ausbreitung auch bestimmte Stoffwechsel- oder sonstige chemische Reaktionen und deren Raten zu berechnen. Dazu gibt es auch ein nettes Video:
In der Zukunft soll das dann auch im Freien funktionieren. Es wird zum Beispiel an tragbaren MR-Geräten gearbeitet, die Pflanze und Wurzel auf dem Feld scannen können. Auch die Auswertung von Bilddaten wie den genannten Hyperspektralaufnahmen wird noch deutlich verbessert werden. Hier verspricht man sich großen Fortschritt wenn es mal möglich ist, den Stoffaustausch an der Wurzeloberfläche chemisch zu erfassen. Es werden von der Wurzel diverse Botenstoffe und zuckerhaltige Lösungen abgegeben, deren Rolle in den Lebensgemeinschaften im Boden unglaublich wichtig sein dürfte, aber noch nicht zufriedenstellend erforscht ist. In diesem Zusammenhang beschäftigt man sich auch zunehmend mit dem Zusammenspiel mehrerer verschiedener Pflanzenarten auf einem Acker. Dass sich einige Arten gegenseitig fördern und andere wiederum gar nicht vertragen, weiß man schon länger. In der ertragsorientierten Landwirtschaft wird das aber kaum genutzt, es dominieren die Monokulturen. Wenn nun Sorten bzw. Phänotypen von Pflanzen oder Pflanzengemeinschaften gefunden werden, die ganz allgemein gesagt effizientere Wurzelsysteme ausbilden, könnten wirtschaftliche und Umweltprobleme wie überhöhte Düngerausbringung und in Folge dessen Grundwasserverschmutzung deutlich reduziert werden. Und das auch ganz ohne unerwünschte Technologien wie künstlicher genetischer Modifikation. Auch Professor Ulrich Schurr, der das deutsche Phänotypisierungsnetzwerk leitet, sieht großes Potenzial und erläutert das in einem sehr anschaulichen Interview.
Damit hoffe ich, Euer Interesse für die unterirdische Welt ein bisschen geweckt zu haben. Man muss auch gar kein Wissenschaftler sein, um ein bisschen Forschung zu betreiben und vielleicht Neues zu entdecken. Grabt einfach ein bisschen herum, schaut Euch an, wie eine Wurzel verläuft, was passiert, wenn sich zwei Wurzeln treffen, welche Lebewesen dabei zum Vorschein kommen, oder macht ein paar Pflanzversuche. Im Internet gibt’s auch noch genügend weiterführende Informationen, Suchbegriffe für den Anfang wären: Pflanzenforschung, Boden-Experimente, und so weiter.
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