Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 310: Die Roche-Grenze
Heute geht es in den Sternengeschichten um die Roche-Grenze. Das ist allerdings keine Grenze mit Schlagbäumen, Polizei und Ausweiskontrolle. Sowas gibt es nur bei uns auf der Erde und auch da wär’s besser, wir hätten so etwas nicht. Die Roche-Grenze findet man anderswo und es macht einen großen Unterschied auf welcher Seite man sich befindet. Zumindest dann, wenn man ein Himmelskörper ist.
Wenn man verstehen will, was die Roche-Grenze ist, dann muss man verstehen, was Gezeitenkräfte sind und wie Himmelskörper aufgebaut sind. Die Gezeiten sind sehr viel schwerer zu verstehen als man denkt und ich habe die komplette Folge 161 probiert, das ganze einigermaßen verständlich zu machen. Gezeitenkräfte sind Kräfte die entstehen, wenn Gravitationskraft auf ein ausgedehntes Objekt wirkt. Der Mond zum Beispiel übt mit seiner Gravitationskraft eine Anziehung auf die Erde aus. Die Stärke dieser Kraft hängt aber unter anderem vom Abstand ab. Die Erde ist großer Himmelskörper, sie hat einen Durchmesser von 12742 Kilometer. Das bedeutet, dass der Punkt der Erdoberfläche der sich direkt unter dem Mond befindet auch immer 12742 Kilometer näher am Mond ist als der Punkt auf der genau gegenüberliegenden Seite der Erde.
Der eine Punkt wird vom Mond also stärker angezogen als der andere Punkt. Dadurch entstehen in den Ozeanen der Erde Ebbe und Flut – und wie genau das passiert können sich gerne alle noch einmal in Folge 161 anhören. Man kann sich aber problemlos vorstellen, dass solche Gezeitenkräfte durchaus auch dramatischere Folgen haben können als nur ein bisschen Ebbe und Flut. Wenn man unterschiedlich stark an den beiden Enden eines Objekts zieht, was passiert dann? Entweder nichts. Oder aber, wenn man nur fest genug zieht und das Objekt instabil genug ist: Man reißt es auseinander!
Genau da kommt die Roche-Grenze ins Spiel. Nehmen wir an, wir haben einen kleinen Himmelskörper der einen größeren Himmelskörper umkreist. So wie Erde und Mond. Beide üben aufeinander Gezeitenkräfte aus. Der Mond auf die Erde aber natürlich auch die Erde auf den Mond und zwar viel stärkere Gezeitenkräfte, weil die Erde ja auch viel mehr Masse hat. Wir wissen, was die Gezeiten des Mondes auf der Erde anrichten und wir wissen, dass auch die Erde den Mond durch ihre Gezeitenkraft beeinflusst und verformt hat. Aber keiner der beiden Himmelskörper ist dabei komplett kaputt gegangen.
Was aber, wenn der Abstand zwischen Erde und Mond nicht ungefähr 400.000 Kilometer betragen würde so wie jetzt, sondern viel geringer wäre? Irgendwann wäre die Kraft, mit der die Erde am Mond zieht so groß, dass der Mond ihr nichts mehr entgegen setzen kann. Er wird zwar durch seine eigene Gravitationskraft zusammengehalten. All die Masse aus der er besteht zieht sich selbst an. Aber die Erde zieht unterschiedlich stark an den verschiedenen Enden des Mondes. Und wenn diese Gezeitenkraft stärker wird als die Kraft, die den Mond zusammenhält: Nun, dann hält er eben nicht mehr zusammen und aus dem Mond wird ein Trümmerhaufen.
Der französische Astronom Édouard Albert Roche hat 1850 eine Formel aufgestellt, mit der sich berechnen lässt, wann genau das der Fall ist. Die Roche-Grenze hängt dabei von der Größe des größeren Himmelskörpers ab und von der Dichte der beiden beteiligten Himmelskörper. Bei Mond und Erde kommt man so auf einen Wert von etwa 9500 Kilometern. Wäre der Abstand zwischen den beiden Himmelskörpern so klein, dann würde der Mond das nicht mehr überleben. Er würde in Stücke gerissen und anstatt eines Mondes hätte die Erde einen Ring aus Trümmern und wahrscheinlich auch noch jede Menge neue Einschlagskrater.
Das wird aber zum Glück nicht passieren. Es wäre zwar nett, wenn die Erde einen Ring wie Saturn hätte, aber der Mond befindet sich deutlich außerhalb der Roche-Grenze. Und außerdem entfernt er sich langsam von der Erde. Nur ein paar Zentimeter pro Jahr, aber er tut es (und verantwortlich dafür sind andere Effekte der Gezeitenkraft über die ich vielleicht mal in einer eigenen Folge spreche). Aber es war genau diese Frage nach der Entstehung von planetaren Ringen die Roche damals zu seiner Formel gebracht hatte. Er wollte wissen, wo der Saturn seinen schönen großen Ring her hat und vermutete, dass ein auseinandergebrochener Mond die Ursache ist. Um zu prüfen, ob das funktionieren kann, berechnete er unter welchen Umständen so ein Mond kaputt gehen kann und fand so die Formel für die Roche-Grenze. Wir gehen heute noch davon aus, dass Roche Recht mit seiner Vermutung hatte. Zumindestens Teile der Saturn-Ringe sind entstanden, als ein Mond durch die gravitativen Störungen des Saturns und der anderen Monde zu nah an den Planeten heran rückte und auseinander gebrochen ist.
Es bricht aber nicht zwangsläufig jeder Himmelskörper auseinander der einem anderen zu nahe kommt. In Roches Formel spielt das Verhältnis der Dichten der beteiligten Objekte eine große Rolle. Ist die Dichte eines Mondes mehr als doppelt so hoch wie die Dichte des Planeten den er umkreist, dann liegt die Roche-Grenze innerhalb des Planeten. Oder anders gesagt: Egal wie nah der Mond dem Planeten kommt, er wird nie auseinander brechen. Es sei denn natürlich, er kollidiert mit dem Planeten, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Aber wir kennen tatsächlich einige Monde, die innerhalb der Roche-Grenze ihrer jeweiligen Planeten unbeschadet ihre Runden ziehen.
Wenn man es nicht mit festen Objekten zu tun hat, dann läuft das natürlich wieder etwas anders. Wenn es etwa nicht um felsige Himmelskörper wie Erde oder Mond geht, sondern um Objekte, die aus Gas bestehen. Zum Beispiel um zwei Sterne. In engen Doppelsternsystemen können sich Sterne in sehr kurzer Distanz umkreisen. Und dann wirken zwischen ihnen natürlich auch Gezeitenkräfte. Und die verformen die Sterne. Aus einem kugelförmigen Stern kann durch die Gezeitenkraft ein tropfenförmiges Ding werden. Die Form des Sterns wird dabei durch die Roche-Grenze vorgegeben. Wenn der Stern nun aus bestimmten Gründen noch größer werden will als die Roche-Grenze – zum Beispiel weil es sich um einen alten, roten Riesenstern handelt der sich am Ende seines Lebens aufbläht – dann kann er das nicht tun. Also er kann schon, aber es funktioniert nicht. Nicht über die Roche-Grenze hinaus. Stattdessen wird in so einem System Material von einem Stern zum anderen fließen. Ein Stern kann einem anderen quasi Material absaugen und tatsächlich hat man solche “Vampirsterne” auch schon beobachtet.
Die Auswirkungen der Roche-Grenze sieht man aber auch überall sonst im Universum. Als zum Beispiel der Komet Shoemaker-Levy 9 im Jahr 1992 dem Jupiter zu nahe kam und sich innerhalb seiner Roche-Grenze befand: So ein Komet ist ja kein wirklich massives Objekt sondern eher ein loser Verbund aus Fels, Eis und Staub. Der Komet wurde also auseinander gerissen und flog als eine Art kosmische “Perlenkette” weiter, bis all die Bruchstücke im Jahr 1994 dann nacheinander mit dem Jupiter kollidiert sind.
Ein wenig länger müssen wir noch warten, bis wir das endgültige Schicksal des Marsmondes Phobos beobachten können. Der nur 11 Kilometer große Mini-Mond zieht derzeit seine Runden um den Mars 6000 Kilometer über dessen Oberfläche. Er ist seinem Planeten näher als alle anderen bekannten Monde und er kommt ihm immer näher. Wieder aufgrund spezieller Effekte der Gezeitenkraft und mit einer Geschwindigkeit von zwei Metern pro Jahrhundert. Das ist nicht viel, aber es läppert sich zusammen. In circa 30 Millionen Jahren könnte er die Roche-Grenze überschritten haben und dem Mars zu einem Ring verhelfen. Das wird dann sicher ein schöner Anblick sein – und wenn wir Glück haben, haben wir den Mars bis dahin vielleicht ja auch schon besiedelt und können dabei zusehen.
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