Dieser Artikel ist Teil einer Serie über naturwissenschaftliche Experimente. Entsprechende Artikel werden hier im Blog bis Ende Juli erscheinen. Alle Artikel der Serie könnt ihr hier finden.
———————————————-
Ich mag Experimente besonders gern die versuchen den konkreten numerischen Wert von Naturkonstanten zu bestimmen. Denn die haben einerseits eine sehr klare Zielsetzung: Es gibt da etwas in der Natur das immer gleich ist und deswegen enorm wichtig. Und dieses etwas kann mit einer Zahl beschrieben werden. Diese Zahl kennen wir nicht. Wir würden sie aber gerne kennen. Also überlegen wir uns kreative Methoden wie wir sie kennen können. Naturkonstanten gibt es jede Menge und in der Geschichte der Naturwissenschaft hat man sich dementsprechend intensiv damit beschäftigt. Ich hab in dieser Serie schon über die Messung der Lichtgeschwindigkeit berichtet (und werde noch die eine oder andere Messung von Naturkonstanten vorstellen). Heute geht es um ein weiteres klassisches Experiment: Der Millikan-Versuch.
Die Frage ist so klar wie vorhin beschrieben: Wie groß ist die Elementarladung? Wir wissen dass es Objekte gibt die elektrisch geladen sind; mal stärker und mal schwächer. Dank der Quantenmechanik wissen wir auch, dass eine elektrische Ladung nicht beliebig klein werden kann. Sie kann gleich Null sein, ein Teilchen kann also etwa gar nicht geladen sein. Aber wenn es geladen ist, dann kann die Ladung eines freien Teilchens nur ein ganzzahliges Vielfaches einer fixen Ladungsmenge sein. Und genau diese kleinstmögliche Ladung ist die Elementarladung. Es ist die Ladung, die ein Elektron hat, das negativ geladen ist. Die gleiche, aber positive Ladung hat ein Proton (und ja, die Quarks aus denen ein Proton besteht haben eine elektrische Ladung die einem oder zwei Drittel der Elementarladung entspricht; die Quarks sind aber auch keinen freien Teilchen und können nicht alleine existieren sondern nur in einem Verbund der zusammen immer ein ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung hat).
Der exakte Wert der Elementarladung ist fundamental wichtig; er ist die Grundlage für den gesamten Elektromagnetismus und damit für eine der vier Grundkräfte des Universums. Es ist also verständlich, dass man wissen wollte, wie groß diese Zahl ist. Deswegen haben die amerikanischen Physiker Robert Millikan und Harvey Fletcher 1910 ein Experiment durchgeführt um sie zu messen. Was gar nicht so einfach war, damals war die Teilchenphysik noch ganz am Anfang. Aber Wissenschaft ist kreativ!
Kurz gesagt funktioniert das ganze so: Man erzeugt feinste Öltröpfchen, so klein dass sie mit freiem Auge oder einem Mikroskop gar nicht mehr sichtbar sind. Damit man sie dennoch sehen kann, werden sie von hinten beleuchtet; das Licht wird an den Tröpfchen gebeugt und dabei entstehen kleine “Beugungsscheibchen”, also quasi Lichtflecken die man im Mikroskop sehen kann. Man sorgt dafür dass die Tröpfchen elektrisch geladen sind und lässt sie dann zwischen zwei Platten schweben, die ein elektrisches Feld erzeugen. Zwischen den geladenen Tröpfchen und dem elektrischen Feld wirkt eine elektrische Kraft (die Coulomb-Kraft) und die versucht die Tröpfchen zu einer der beiden Platten hin (der positiv geladenen wenn die Tröpfchen negativ geladen sind). Gleichzeitig wirkt aber auch noch die Schwerkraft auf die Tröpfchen und will sie in die andere Richtung bewegen (sofern die Platten korrekt ausgerichtet sind). Man kann nun probieren die Stärke des elektrischen Felds exakt so einzustellen, dass beide Kräfte sich die Waage halten. Die Gravitationskraft kann man berechnen, die Stärke des elektrischen Feldes kennt man, weil man es ja selbst angelegt hat und aus beiden Werten kann man die Elementarladung berechnen denn die bestimmt ja, wie stark die elektrische Kraft wirken kann.
In der Praxis ist es natürlich komplizierter. Man weiß ja nicht genau wie groß die Öltröpfchen sind. Was man aber wissen muss, wenn man ihre Masse und die Gravitationskraft berechnen will. Man sieht ja nur die Lichtflecken. Aber mit ein wenig Kreativität kriegt man die nötigen Wert trotzdem raus. Man kann zum Beispiel das Feld umpolen und den Tropfen zuerst sinken und dann steigen lassen. Das tut der Tropfen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten weil da unterschiedliche Kräfte involviert sind die aber trotzdem beide von der Größe des Tropfens abhängen – die sich dadurch aus den Messwerten berechnen lässt. Ich will jetzt aber gar nicht zu sehr in die Details gehen. Es war ein kniffliges Experiment aber Millikan und Fletcher waren am Ende erfolgreich. Der von ihnen bestimmte Wert der Elementarladung betrug 1,5924 x 10-19 Coulomb. Das war ein wenig kleiner als der Wert den wir heute verwenden (und der dank einer Neudefinition der grundlegenden SI-Einheiten mittlerweile nicht mehr gemessen werden muss sondern exakt festgelegt ist) und der 1,602176634 x 10 -19 beträgt.
Es gibt ein paar Anekdoten zum Millikan-Versuch die man nicht unterschlagen sollte. Millikan bekam für die Arbeit im Jahr 1923 den Nobelpreis für Physik. Fletcher bekam nichts. Beide hatten zuvor vereinbart, dass nur Millikan als Autor der entsprechenden Facharbeit genannt werden würde; Fletcher bekam die alleinige Autorschaft für eine andere Arbeit und die er nur deswegen auch für seine Doktorarbeit verwenden konnte. Ich hätte gern mehr über die Hintergründe dieser seltsamen Abmachung gewusst, habe aber auf die Schnelle nichts gefunden. Gute wissenschaftliche Praxis ist das auf jeden Fall nicht.
Man hat Millikan auch vorgeworfen, die Messdaten manipuliert zu haben. Beziehungsweise sich aus allen Datenpunkten nur die “schönen” ausgesucht zu haben um das Endergebnis genauer erscheinen zu lassen als es tatsächlich war. Was aber, wie man heute weiß, nicht stimmt.
Und dann hat sich auch noch der große Physiker Richard Feynman zum Millikan-Experiment geäußert:
“We have learned a lot from experience about how to handle some of the ways we fool ourselves. One example: Millikan measured the charge on an electron by an experiment with falling oil drops, and got an answer which we now know not to be quite right. It’s a little bit off because he had the incorrect value for the viscosity of air. It’s interesting to look at the history of measurements of the charge of an electron, after Millikan. If you plot them as a function of time, you find that one is a little bit bigger than Millikan’s, and the next one’s a little bit bigger than that, and the next one’s a little bit bigger than that, until finally they settle down to a number which is higher. Why didn’t they discover the new number was higher right away? It’s a thing that scientists are ashamed of—this history—because it’s apparent that people did things like this: When they got a number that was too high above Millikan’s, they thought something must be wrong—and they would look for and find a reason why something might be wrong. When they got a number close to Millikan’s value they didn’t look so hard. And so they eliminated the numbers that were too far off, and did other things like that …”
Seit ich dass das erste Mal gelesen habe, hab ich mich gefragt, wie dieses Diagramm tatsächlich aussieht. Hat Feynman hier aus didaktischen Gründen übertrieben? Oder war das wirklich so? Ich hab aber kein entsprechendes Bild gefunden und mir auch schwer getan, ausreichend viele alte Messdaten zu finden. Vielleicht weiß ja jemand aus der Leserschaft Bescheid?
So oder so: Das Millikan-Experiment ist ein absoluter Klassiker unter den physikalischen Experimenten. Zu Recht! Und zum Abschluss gibt es noch eine dem Klassiker angemessene sehr “klassische” Demonstration des ganzen:
Kommentare (8)