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Sternengeschichten Folge 412: Der r- und s-Prozess – wie die schweren Dinge entstehen
Von nichts kommt nichts, außer vielleicht das Universum selbst. Aber das ist eine ganze andere Geschichte. Im Universum finden wir zwar durchaus sehr viel nichts, dazwischen aber auch jede Menge etwas. Und all das was nicht nichts ist, muss irgendwo entstanden sein. Ich habe in den früheren Folgen der Sternengeschichten schon viel über diese sogenannte “Nukleosynthese” gesprochen, also den Ursprung der verschiedenen chemischen Elemente. Wasserstoff war von Anfang an da. Das ist ja immerhin auch das simpelste Atom. Der Atomkern des Wasserstoffs besteht nur aus einem einzigen Proton. Aus der Energie des Urknalls vor 13,8 Milliarden Jahren bildeten sich sehr schnell jede Menge solcher Protonen; der Wasserstoff war damit also quasi schon fertig. Zumindest der Kern eines Wasserstoffatoms, ein komplettes Atom braucht ja noch eine Atomhülle aus Elektronen. Die Sache mit den Elektronen werde ich im folgenden aber ignorieren. Elektronen waren auch schon von Anfang an da und sie spielen natürlich eine wichtige Rolle für das Verständnis und die Eigenschaften der Materie. Das, was die einzelnen chemischen Elemente voneinander unterscheidet sind aber ihre Kerne. Genauer gesagt: Die Anzahl der Protonen in den Kernen.
Denn da gibt es ja auch noch den zweiten Baustein den man in einem Atomkern finden kann: Das Neutron. Das ist, im Gegensatz zum elektrisch positiv geladenen Proton, elektrisch neutral. In einem Atomkern kann es in unterschiedlicher Anzahl auftauchen, wie ich später noch erklären werde. An der grundlegenden Natur eines chemischen Elements ändert ein Neutron aber nichts. Ein Atom mit einem Proton ist immer Wasserstoff. Kommt ein zweites Proton dazu, dann hat man keinen Wasserstoff mehr, sondern Helium. Mit einem dritten Proton kriegt man Lithium. Und so weiter, durch das ganze Periodensystem der Elemente.
Nach dem Urknall gab es jede Menge Wasserstoff. Es gab auch ein bisschen Helium. Und noch sehr viel weniger Lithium. Noch schwerere chemische Elemente, also Elemente mit noch mehr Protonen im Kern gab es nicht. Dazu war zu wenig Zeit. Damit ein Atomkern stabil ist, muss er – vereinfacht gesagt – ausgewogen genug sein. Man kann nicht einfach immer mehr elektrisch positiv geladene Protonen auf einen Haufen packen. Sie würden sich gegenseitig abstoßen und der Kern würde zerfallen. Man muss ausreichend viele Neutronen dazwischen packen, damit alles stabil bleibt. Wasserstoff kommt ohne Neutronen aus; Helium mit seinen zwei Protonen im Kern braucht aber auch Neutronen, damit es stabil bleibt. Mindestens eines, aber meistens hat es zwei. Helium mit einem Kern aus einem Neutron und zwei Protonen nennt man “Helium-3”, mit zwei Neutronen und zwei Protonen heißt es “Helium-4”. Man kann auch drei oder vier Neutronen in den Heliumkern packen – das ist dann aber schon wieder zuviel; diese Kerne halten nur Sekundenbruchteile, bevor sie zerfallen: Sie sind radioaktiv. Allgemein nennt man die durch die unterschiedliche Anzahl von Neutronen im Kern erzeugten Varianten eines chemischen Elements “Isotope” und ich erkläre das deswegen so ausführlich, weil es später noch wichtig werden wird. Es gab zwar nach dem Urknall jede Menge Neutronen – wenn die aber so ganz alleine durchs Weltall fliegen, überleben sie nicht lange. Ein freies Neutron zerfällt nach durchschnittlich drei Minuten; es gab also nach dem Urknall auch nur ein paar Minuten lang Zeit, in der sich Protonen und Neutronen zu Atomkernen zusammenfinden konnten und das hat nur für Wasserstoff, Helium und ein bisschen Lithium gereicht.
Den nächsten Schritt in der Nukleosynthese werde ich nur kurz erwähnen. Ich habe in vielen anderen Folgen der Sternengeschichten schon ausführlich darüber gesprochen. Nämlich über die Sterne und wie sie in ihrem Inneren neue chemische Elemente erzeugen. Die ersten Sterne des Universums bestanden aus Wasserstoff und Helium, denn mehr gab es damals ja nicht. Im heißen, dichten Kern des Stern konnten aber Wasserstoffatome miteinander verschmelzen. Bei dieser Kernfusion entsteht Helium, was noch nicht neu ist. Aber in den späteren Phasen eines Sternenlebens wird sein Kern noch heißer und die höheren Temperaturen können auch die Heliumatome miteinander verschmelzen lassen. Zu chemischen Elementen wie Sauerstoff oder Kohlenstoff und die waren neu. Die gab es beim Urknall noch nicht; sie sind das erste Mal im Inneren der allerersten Sterne entstanden. Genauso wie noch schwerere Elemente die entstehen, wenn auch Sauerstoff- und Kohlenstoffatome miteinander verschmelzen.
Man kann aber auf diese Weise nicht beliebig weitermachen. Die Nukleosynthese im Inneren von Sternen funktioniert nur, solange dabei Energie frei wird. Warum bei der Verschmelzung von Atomkernen Energie frei werden kann, habe ich in Folge 363 der Sternengeschichten ausführlich erklärt. Ich will das jetzt nicht wiederholen, es hängt aber mit der Bindungsenergie der Atome zusammen, also mit der Energie die darauf verwendet wird, die Protonen und Neutronen im Atomkern zusammenzuhalten. Die wird umso größer, je größer die Masse der Atome wird, also je größer die Anzahl der Neutronen und Protonen im Kern ist. Je mehr Kernteilchen vorhanden sind, desto stärker werden sie durch die starke Kernkraft (eine der vier Grundkräfte der Physik wie ich in Folge 46 erklärt habe) zusammengehalten. Wenn aber zu viele Kernbausteine da sind, wird irgendwann die elektromagnetische Abstoßung zwischen den vielen Protonen größer als die starke Kernkraft. Dann sinkt die Bindungsenergie wieder. Das Maximum der Bindungsenergie findet man Nickel- und Eisenatomen. Oder anders gesagt: Alle Elemente die leichter als Nickel und Eisen sind, kann man durch Kernfusion im Inneren von Sternen erzeugen. Der Kern eines Eisenatoms aber hält so stark zusammen, dass man keine Energie mehr raus bekommt, wenn man zwei davon verschmelzen möchte. Man muss Energie hineinstecken um das zu erreichen. Und das Universum ist faul: Wenn man mehr Energie braucht um etwas zu produzieren als man dabei rausbekommt, dann findet so ein Ereignis nicht statt; zumindest nicht von selbst.
Alles was schwerer ist als Eisen kann im Inneren von Sternen also nicht entstehen. Wenn man sich ein Periodensystem der Elemente anschaut sieht man dort aber jede Menge Atome die schwerer als Eisen sind. Darunter durchaus prominente Elemente wie Gold und Silber. Die sind zwar selten – sonst würden wir sie ja auch nicht als so wertvoll schätzen – aber es gibt sie. Und sie müssen daher auch irgendwie entstanden sein. Womit wir, nach der etwas langen Einleitung, jetzt endlich beim Thema der Folge wären: Wie entstehen die schweren Elemente, die im Inneren von Sternen nicht produziert werden können?
Viele Möglichkeiten gibt es ja nicht. Will man zum Beispiel aus Eisen, mit seinen 26 Protonen im Kern Cobalt machen, dann muss man irgendwie ein weiteres Proton in den Kern bekommen, denn für Cobalt braucht man 27 davon. Und um Gold zu kriegen, muss man irgendwie einen Kern mit 79 Protonen zusammenbasteln. Mit der Verschmelzung von leichteren Atomen klappt es nicht, wie wir gerade gesehen haben. Aber anstatt Protonen in den Kern zu stecken, kann man es ja auch mit Neutronen probieren. Auf den ersten Blick ist damit nicht viel gewonnen. Denn wie ich zuvor erklärt habe, kriegt man mit zusätzlichen Neutronen keine neue chemischen Elemente sondern nur Isotope, also Variationen des ursprünglichen Elements. Es sei denn, man gibt dem Kern ausreichend viele Neutronen, so dass er radioaktiv wird. Denn dann wird es spannend. Einerseits kann der Kern eines radioaktiven Isotops zerfallen. Dadurch ändert sich die Anzahl der Protonen und es entstehen andere chemische Elemente als vorher. Andererseits können sich beim radioaktiven Zerfall auch Neutronen in Protonen umwandeln. Das nennt sich “Betazerfall” und ich habe darüber in den Folge 408 und 120 ausführlich gesprochen.
Wir können also auch neue chemische Elemente durch Neutroneneinfang produzieren. Nur: Wo kriegt man die ganzen Neutronen her, um all die schweren Elemente des Periodensystems zu produzieren? Das ist ein Frage, die die Astronomie noch nicht bis ins letzte Detail beantworten kann. Aber wir wissen, dass es mindestens zwei grundlegend unterschiedliche Prozesse gibt, durch die Atomkerne ausreichend viele Neutronen einfangen können so dass schwere chemische Elemente entstehen. Der eine heißt “s-Prozess” was eine etwas unkreative Abkürzung für “slow process”, also “langsamer Prozess” ist. Weil es – wenig überraschend – ein Vorgang ist, der vergleichsweise langsam abläuft. Er findet in sogenannten “AGB”-Sternen statt und diese Abkürzung steht für “asymptotic giant branch”, auf deutsch “asymptotischer Riesenast”. Gemeint sind damit massereiche Sterne mit bis zur 10fachen Sonnenmasse die sich am Ende ihres Lebens befinden und sich dabei sehr stark aufgebläht haben, also zu roten Riesensternen geworden sind. In unterschiedlichen Bereichen dieser Sterne finden verschiedenste Kernfusionsreaktionen statt und bei vielen davon werden auch Neutronen frei. In so einem AGB-Stern werden also kontinuierlich Neutronen erzeugt die auf ihrem Weg nach außen immer wieder mal an den Atomkernen hängen bleiben die dort schon existieren. Hat ein Kern genug Neutronen angesammelt, wird er instabil. Das heißt, durch den schon erwähnten Betazerfall wandelt sich ein Neutron in ein Proton um und schon hat man ein chemisches Element mit einem Proton mehr als vorher.
Das Problem bei der Sache sind die Zeitskalen. Die Anlagerung von Neutronen dauert Jahrtausende; es werden nur wenige Neutronen erzeugt und der Stern ist groß. Da bleibt nicht so viel hängen. Der Betazerfall findet im Schnitt aber viel schneller statt. Oder anders gesagt: Bevor sich wirklich viele Neutronen in einem Kern ansammeln können, zerfällt das Ding durch den Bezaterfall schon wieder. Man kriegt damit zwar schwerere Atome als Eisen, aber nicht alle. Dass der s-Prozess nicht nur eine schöne Idee ist, sondern wirklich stattfindet, wissen wir übrigens aus realen Beobachtungen. Ich habe davon schon in Folge 396 erzählt als es um das Element Technetium ging.
Die restlichen Elemente die beim s-Prozess nicht erzeugt werden können, kriegt man durch den “r-Prozess”. Das steht für “rapid process”, also den “schnellen Prozess”. Der läuft, erneut wenig überraschend, sehr viel schneller ab. Also an Orten, an denen in kurzer Zeit sehr viel Neutronen produziert werden. Welche Orte das im Detail sind, wissen wir nicht. Aber vieles wissen wir schon, zum Beispiel das Supernova-Explosionen in Frage kommen. Bei so einem Ereignis kollabiert ein massereicher Stern am Ende seines Lebens unter seinem eigenen Gewicht. Die ganze Masse stürzt auf sich selbst und verdichtet sich. Dabei werden auch die Elektronen aus den Atomhüllen in die Protonen der Atomkerne gequetscht. Dadurch wandeln sie sich in Neutronen um, es wird Energie frei und die Temperatur steigt schlagartig enorm. Eine Stoßwelle aus Energie und frisch produzierten Neutronen sausen aus dem Inneren des kollabierenden Sterns nach außen und zerreißt ihn dabei regelrecht. Das ist das, was wir dann “Supernova”-Explosion nennen. Auf ihrem Weg treffen aber jede Menge der Neutronen auf noch “normale” Atomkerne. In kürzester Zeit können sich sehr viele Neutronen anlagern; viel schneller als der Betazerfall sie instabil machen könnte. Die Atomkerne können weiter wachsen als beim s-Prozess und wenn sie dann doch instabil werden kriegt man als Resultat auch sehr viel schwerere chemische Elemente.
Was bei Supernova-Explosionen passieren kann, kann auch stattfinden wenn zwei Neutronensterne kollidieren. Ein Neutronenstern ist das, was nach einer Supernova übrig bleibt, ein extrem dichter, nur wenige Kilometer großer Sternenrest der nur noch aus Neutronen besteht. Da es im Universum sehr viele Doppelsterne gibt, die alle irgendwann ihr Leben beenden, kann es auch sehr viele Neutronensterne geben, die einander umkreisen. Und irgendwann miteinander zusammenstoßen. Das ist auch ein enorm gewaltiger Prozess; sehr viel gewaltiger als eine Supernova – weswegen man ihn “Kilonova” getauft hat. Dabei können sich in kürzester Zeit enorm viele schwere Atome bilden und wir wissen das, weil wir genau das beobachtet haben!
Am 17. August 2017 hat das Gravitationswellenobservatorium LIGO die Gravitationswellen registriert, die bei der Kollision zweier Neutronensterne entstanden sind. Das war an sich schon eine fantastische Entdeckung, denn zuvor hatte man mit LIGO zwar die Gravitationswellen kollidierender schwarze Löcher beobachtet aber noch nie die von einer Neutronensternverschmelzung. In dem Fall war es aber noch fantastischer, denn man konnte fast zeitgleich auch mit normalen Teleskopen das Licht beobachten, das bei dieser Verschmelzung frei wurde. Aus der Analyse der Strahlung konnte man ableiten, welche chemischen Elemente in den Trümmern der Kilonova vorhanden und ins All hinausgeschleudert waren. Zum Beispiel das schwere Element Strontium. Und mit diesen Daten konnte man dann deutlich besser als zuvor Modelle aufstellen die uns zeigen, was bei solchen Ereignissen wirklich abgeht. Man hat etwa berechnet, dass bei dieser Kilonova insgesamt eine Menge an schweren Elementen erzeugt wurde, die dem 16.000fachen der Erdmasse entspricht. Darunter circa die 10fache Erdmasse an Gold!
Bevor sich jemand Hoffnungen macht: Die Kilonova war 100 Millionen Lichtjahre von uns entfernt in einer anderen Galaxie. Aber im Laufe der Geschichte des Universums ist so etwas immer wieder vorgekommen. Die größten Explosionen die wir bis jetzt kennen erzeugen nicht nur die schweren Elemente wie Gold und Silber sondern pusten sie auch gleich hinaus in den Kosmos. Ein bisschen was ist so auch bis in die große kosmische Wolke aus Gas und Staub gelangt aus der vor 4,5 Milliarden Jahren die Sonne und mit ihr die Erde entstand. Weswegen wir ein wenig davon heute aus der Erde buddeln können. Gold ist selten – und jetzt wissen wir auch, warum!
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