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Sternengeschichten Folge 487: Fast Radio Bursts

Im Jahr 2007 war David Narkevic ein Student an der West Virgina Universität in den USA. Von seinem Betreuer, dem Astronomen Duncan Lorimer bekam Narkevic die Aufgabe zugeteilt, die Daten im Archiv des Parkes-Radioobservatoriums zu untersuchen. Solche Aufgaben werden gerne mal an junge Studentinnen und Studenten vergeben. Archivdaten gibt es genug; man muss nicht extra Beobachtungsanträge schreiben um sie nutzen zu können und wenn die Studierenden nichts finden, dann hat man die wichtigen Instrumente nicht unnötig benutzt. Ok, die Studierenden haben ihre Zeit verloren und ärgern sich vermutlich, dass sie nur mit Archivdaten abgespeist worden sind anstatt an mit neuen Daten arbeiten zu können. Aber erstens ist das halt leider so im Studium. Und zweitens kann man auch in Archivdaten neue Entdeckungen machen. Denn nicht immer weiß man zum Zeitpunkt einer Beobachtung schon genau, was man eigentlich alles entdecken kann. Man macht Beobachtungen mit einem ganz bestimmten Ziel und wertet die Daten unter diesem Gesichtspunkt aus. Und oft zeigt sich erst später, dass in den Daten auch noch ganz andere Informationen stecken die man zuvor übersehen hat.

In dem Fall sollte Narkevic nach Pulsaren suchen. Also nach schnell rotierenden Neutronensternen. Die sind spannend und sehr interessant für die Forschung. Aber auch damals nichts Neues, die hat man schon vor Jahrzehnten entdeckt, wie ich in Folge 142 erklärt habe. Aber wir kommen später noch auf die Pulsare zurück.

Das Parkes-Radioteleskop Bild: CSIRO, CC-BY-SA 3.0

Nun, ob David Narkevic erfreut oder verärgert war, als er den Job bekam die alten Daten des Parkes-Radioteleskops nach übersehenen Pulsar-Signalen durchzusehen, wissen wir nicht. Aber man darf davon ausgehen, dass er danach durchaus froh darüber war. Denn was er dort gefunden hat, kannte davor noch niemand. Am 24. Juli 2001 empfing das Teleskop, das im südlichen Australien steht, ein fünf Millisekunden dauerndes Radiosignal. Ein vergleichsweise starkes Radiosignal und eines, das sich nicht wiederholt hat. Es ist absolut nicht ungewöhnlich, wenn Himmelskörper Radiowellen abgeben. Das ist ja auch nur elektromagnetische Strahlung, so wie das normale Licht, nur eben bei einer größeren Wellenlänge. Die Sonne leuchtet im Radiolicht, die anderen Sterne tun das und jede Menge andere astronomische Phänomene ebenfalls. Ungewöhnlich ist es aber, wenn irgendwas nur einmal sehr kurz aufleuchtet und dann nicht wieder. Auch solche Ereignisse kennen wir; Supernova-Explosionen zum Beispiel. Wenn ein massereicher Stern am Ende seines Lebens explodiert, dann leuchtet er für kurze Zeit extrem hell auf. Wenn zwei Neutronensterne kollidieren, dann gibt es ebenfalls kurze, extrem helle Blitze in allen möglichen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums; wenn zwei schwarze Löcher kollidieren können wir für kurze Zeit Gravitationswellen registrieren. Aber einen so schnellen und sich nicht wiederholenden Ausbruch an starker Radiostrahlung hatte man bisher in der Form noch nicht gesehen. Das Phänomen, das David Narkevic in den alten Daten gefunden hatte, bekam die Bezeichung “Fast Radio Bursts”, auf deutsch “schnelle Radiostrahlungsausbrüche” und das Ereignis vom 24. Juli 2001 wird seitdem auch “Lorimer-Burst” genannt, nach dem Professor übrigens, der die Idee für die Archiv-Suche hatte und nicht nach dem Studenten, der das Ereignis auch gefunden hat.

Wo eins ist, sind vermutlich auch mehrere. Das gilt ganz allgemein und natürlich auch für astronomische Phänomene. Ereignisse die nur einmal und nie wieder vorkommen sind angesichts eines quasi unendlich großen Universums eher unwahrscheinlich und es ist erst recht unwahrscheinlich dass dieses Einzelereignis in der gesamten gewaltigen Geschichte des Kosmos gerade dann stattfindet wenn wir bereit sind, dabei mit unseren Teleskopen zuzusehen. Man konnte also davon ausgehen, dass es noch sehr viel mehr solcher Fast Radio Bursts gibt und wir sie bisher einfach nur übersehen haben. Also machte man sich auf die Suche und wurde schnell fündig. Aber nicht so wie erwartet. Am Parkes-Radioteleskop fand man im Jahr 2010 gleich 16 Radiopulse die sich bei genauerer Untersuchung aber als höchst irdisches Phänomen herausgestellt haben. Sie stammten von der Mikrowelle im Gebäude: So ein Gerät schaltet sich zwar automatisch ab, wenn man die Tür öffnet. Aber mit einer winzigen Verzögerung und deswegen gab es jedes Mal einen Radioimpuls der Sekundebruchteile dauerte immer dann, wenn jemand auf der Sternwarte die Mikrowelle aufgemacht hatte. Tja. Das heißt aber nicht, dass der Lorimer-Burst ebenfalls aus der Küche der Sternwarte kam. Der fand wirklich weit draußen im All statt und da stellt sich nun vermutlich die Frage: Woher weiß man das? Man weiß ja nicht einmal um was es sich dabei handelt; woher will man dann wissen, wie weit das Wasauchimmer entfernt ist?

Das lässt sich aus der sogenannten Dispersion bestimmen. Überall im Weltall befinden sich freie Elektronen. Also nicht überall, aber der leere Raum zwischen den Sternen ist eben nicht komplett leer. Hier und da findet sich ein Atom, ein Molekül oder eben auch ein Elektron. An diesen Elektronen kann elektromagnetische Strahlung gestreut werden und je niedriger die Frequenz ist, desto stärker ist die Streuung. Der Radioimpuls wird ja nicht nur bei einer einzelnen Frequenz empfangen sondern über einen bestimmten Frequenzbereich. Und die höheren Frequenzen kommen dabei ein paar Sekundenbruchteilen vor den niedrigeren Frequenzen an. Das ist die Dispersion und ihr Ausmaß hängt natürlich vor allem von der Menge an freien Elektronen ab, die sich zwischen Teleskop und Radioquelle befinden. Die kennen wir nicht, weil wir nicht wissen, wo das Signal herkommt. Wir können aber aus anderen Daten zumindest ungefähr abschätzen, wie viele freie Elektronen ein Signal typischerweise treffen würde, wenn es irgendwo aus unserer eigenen Galaxie stammt. Die bei den Fast Radio Bursts beobachtete Dispersion ist aber viel größer; sie müssen also unterwegs sehr viel mehr Elektronen getroffen haben und daher auch von viel weiter her kommen; irgendwo aus anderen, weit entfernten Galaxien.

Künstlerische Darstellung eines FRB (“Bild: ESO/M. Kornmesser, CC-BY 4.0)

Nach dem ersten Lorimer-Burst (und der Mikrowellen-Episode) fand man in Archivdaten noch weitere Beispiel für Fast Radio Bursts. Und am 20. November 2012 wurde vom Arecibo-Radioteleskop dann auch so ein ein Radioausbruch “live” gemessen. In den folgenden Jahren fand man jede Menge weitere. In Archivdaten und bei gezielten Beobachtungen. Man fand einige Radiosignale die sich wiederholten, aber viele, die einfach nur einmal auftauchten und dann nicht mehr zu registrieren waren. Ab zu ist es auch gelungen, die Galaxie zu finden, aus der die Radiosignale gekommen sind. Am 19. Juni 2019 etwa registrierte das CHIME-Teleskop in Kanada einen Fast Radio Burst der genau aus der Richtung des Himmels kam wo sich eine Spiralgalaxie befindet, 457 Millionen Lichtjahre weit weg. Zum damaligen Zeitpunkt war das der uns nächstgelegen Radio Burst, aber man hat bald weitere gefunden die aus Galaxien kommen, die uns noch näher sind. Am 28. April 2020 fand man – ebenfalls mit dem kanadischen CHIME-Teleskop – einen Fast Radio Burst der aus nur 30.000 Lichtjahren Entfernung und damit aus unserer eigenen Galaxie kommt. Und zwar aus genau der Richtung in der man am Himmel SGR 1935+2154 sehen kann. Das ist ein Magnetar und damit sind wir jetzt mittendrin bei der Frage nach der Natur der Fast Radio Bursts.

Natürlich gab es im Laufe der Zeit jede Menge Hypothese darüber, was da so viel Radiostrahlung ins Universum abgibt. Kollisionen sind in solchen Fällen immer ein guter Ausgangspunkt. Dinge stoßen ja meistens nur einmal zusammen und WENN im Universum Himmelskörper kollidieren, dann sind das im Allgemeinen auch entsprechend extreme Ereignisse die jede Menge Strahlung freisetzen. Wir wissen, dass Neutronensterne die miteinander zusammenstoßen gigantische Mengen an Gammastrahlung freisetzen können. Warum sollten sie nicht auch für die Radioblitze verantwortlich sein? Neutronensterne sind die Reste von sehr massereichen Sternen; das was übrig bleibt, wenn diese Sterne keine Kernfusion mehr machen können. Dann schleudern sie ihre äußeren Schichten bei einer enormen Explosion hinaus ins All und übrig bleibt ein extrem kompakter Kern; ein paar Dutzend Kilometer groß aber so schwer wie die Sonne. Der Neutronenstern rotiert extrem schnell und hat auch ein extrem starkes Magnetfeld. Wenn zwei davon kollidieren, dann kollabieren auch ihre Magnetfelder und Radiostrahlung könnte freigesetzt werden.

Gleiches gilt für Supernova-Explosionen: Auch das sind Einzelereignisse mit jeder Menge Strahlung. Wir können uns zum Beispiel zwei weiße Zwerge denken, die einander umkreisen. Ein weißer Zwerg ist das, was von Sternen wie unserer Sonne übrig bleibt, nachdem sie ihren Treibstoff für die Kernfusion aufgebraucht haben. Wenn die sich umkreisen und dabei zu nahe kommen, können sie verschmelzen. Dabei könnte Radiostrahlung entlang der magnetischen Pole des neu entstandenen, größeren weißen Zwergs entkommen.

Es gibt noch jede Menge weitere Hypothesen, bis hin natürlich zu Aliens, die Fast Radio Bursts absichtlich erzeugen um damit Raumschiffe anzutreiben. Aber Aliens sind in der Wissenschaft selten eine gute Erklärung; vor allem, weil man ja keine Ahnung hat, was diese potenziellen Aliens alles können und wissen und es andererseits meistens sehr viel bessere Erklärungen gibt, die ohne Aliens auskommen.

Also lassen wir die spekulativen Aliens und konzentrieren wir uns auf die Tatsache der Beobachtung vom April 2020, als man einen Fast Radio Burst innerhalb unserer Milchstraße zu einem Magnetar zurück verfolgen konnte. Was Magnetare sind habe ich in Folge 401 der Sternengeschichten ausführlich erklärt. Kurz gesagt: Ein schnell rotierender Neutronenstern mit einem besonders starken Magnetfeld, circa 1000 Mal stärker als üblich. In der magnetischen Hülle so eines Magnetars können elektrisch geladene Teilchen eingefangen und beschleunigt werden. Dabei entsteht Radiostrahlung, die sich dann in Form eines Fast Radio Bursts quasi entlädt.

Künstlerische Darstellung des Magnetars im Sternhaufen Westerlund 1 (Bild: ESO/L. Calçada)

Aber so einfach ist es leider auch wieder nicht. Man hat zum Beispiel Fast Radio Bursts auch zu den Außenbereichen ferner Galaxien zurückverfolgen können; dorthin, wo eine Galaxie von Kugelsternhaufen umgeben ist. Solche Kugelsternhaufen in der Peripherie sind alt. Magnetare aber sollten eigentlich junge Objekte sein bzw. insofern jung, als ein Magnetar der Überrest eines großen, hellen Sterns mit entsprechend kurzer Lebensdauer ist. Und nach seiner Entstehung als Magnetar sein extremes Magnetfeld auch nicht ewig behält. In einem alten Kugelsternhaufen erwartet man also eher keine Magnetare. Aber in Kugelsternhaufen stehen die Sterne sehr dicht beieinander und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dort ein weißer Zwerg – und von solchen Sternüberresten sollte es da auch jede Menge geben – einem anderen Stern nahe kommt, von ihm ein bisschen Masse anzieht und dadurch zu einem Neutronenstern kollabiert. Auch dabei wird Radiostrahlung frei.

Es ist ein bisschen unbefriedigend. Wir wissen, dass es die Fast Radio Bursts gibt und dass sie sowohl in unserer eigenen Galaxie stattfinden als auch in weit entfernten. Wir wissen, dass es mehrere mögliche Ursachen für ihren Ursprung gibt. Wir sind aber nicht in der Lage, eindeutige Indizien zu finden, die eine Ursache stärken oder andere zweifelsfrei ausschließen. Sicher ist: Fast Radio Bursts haben etwas mit der Art zu tun, wie manche Sterne ihr Leben beenden. Ebenfalls sicher ist aber auch: Wir werden nicht aufhören, das Phänomen zu untersuchen. Noch wissen wir nicht Bescheid darüber. Aber je nachdem wann ihr diesen Podcast hört, haben wir die Lösung vielleicht ja schon gefunden…

Kommentare (1)

  1. #1 Joachim
    27. März 2022

    Es zeugt IMHO von einem wohl überlegtem Artikel, wenn sich einem beim Lesen Fragen stellen, die im nächsten Absatz beantwortet werden. So ging es mir hier (nicht nur) mit der Dispersion.

    Und in der Tat ist es ein wenig unbefriedigend, nicht zu wissen was in jedem Einzelfall die Ursachen für Fast Radio Bursts sind. Ich fürchte, das liegt in der Natur der Sache. Unterschiedliche Ursachen für ähnliche Beobachtungen brauchen eben unterschiedliche Erklärungen (bis zur großen Vereinheitlichung).

    Wäre es nun anmaßend eine 1+ zu geben? Gut dann nicht. Ich finde den Artikel trotzdem exzellent.