Wäre das nicht unglaublich praktisch: Sich einfach eine Weile in die Sonne legen, statt mühselig nach Nahrung zu suchen? Pflanzen erzeugen sich ihre Nahrung auch selbst, warum können Tiere das nicht?
Tatsächlich gibt es einige wenige Tiere, die Algen in ihrem Körper tragen und mit ihnen in Symbiose leben. Bei den meisten von ihnen liefern die Algen nur ein wenig “Extra-Futter”, aber erwachsene Plattwürmer der Art Convoluta roscoffensis werden vollständig von ihren Algen-Symbionten ernährt. Warum ist diese Art der Ernährung im Tierreich nicht viel verbreiterter?
Plattwürmer der Art Convoluta roscoffensis. Unten erkennt man die Algen-Symbionten. Mit freundlicher Genehmigung von A. Hauck.
In der Fernsehserie “Die Zukunft ist wild” (die zu den spannendsten Wissenschaftssendungen überhaupt zählt), die eine hypothetische Evolution der Erde zeigt, wurde diese Idee beispielsweise verfolgt: Da gab es den “Gärtnerwurm”, der fächerförmige Auswüchse ausbreitet, in denen Algen leben, von denen er sich ernährt. (Ich hätte hier gern ein Bild eingestellt, das sollte mich aber freundliche 90$ kosten – also bitte auf den Link klicken.)
Könnte ein größeres Tier sich überhaupt so ernähren? Plattwürmer sind klein und dünn, aber würde die gleiche Art der Ernährung auch bei größeren Tieren funktionieren? Immerhin muss eine Kuh oder ein Elefant ziemlich viel Pflanzen pro Tag fressen – könnten sie das alles über Algen erledigen?
Um das herauszufinden, muss man überlegen, wie groß die Fläche sein muss, die das Tier ins Sonnenlicht hält. Um diese Fläche zumindest grob abzuschätzen, kommt die Physik ins Spiel, genauer gesagt der Wirkungsgrad der Photosynthese, der hier detailliert erklärt ist.
Danach hat die Photosynthese rein rechnerisch einen Wirkungsgrad von etwas weniger als 5% – in der Realität ist der Wirkungsgrad beispielsweise eines Ackers noch deutlich kleiner, aber wir können ja optimistisch sein. Da unsere Algen aber auch leben müssen, werden sie uns nicht die gesamte Energie zur Verfügung stellen, sondern vielleicht nur etwas mehr als die Hälfte, also vielleicht 3%.
Wieviel Fläche an Algen muss ein Tier in die Sonne halten, um sich ernähren zu können?
Die Sonne strahlt auf einen Quadratmeter der Erdoberfläche bei voller Einstrahlung eine Leistung von etwas mehr als einem Kilowatt, also etwa 1000J/s. Da die Sonne bekanntlich nachts nicht scheint und da es manchmal wolkig ist, reduziert sich die mittlere Einstrahlung auf weniger als die Hälfte – sagen wir 300Watt pro Quadratmeter für ein sehr sonniges Gebiet.
(Das deckt sich gut mit der Zahl von 2500kWh/m^2 Jahr, die man hier findet.)
3% davon ergeben 9W pro Quadratmeter. Ein Mensch mit einem Grundumsatz von 2000kcal/Tag (ja, ich bin manchmal altmodisch und rechne immer noch mit Kalorien) benötigt eine Energiezufuhr von etwa 100W. Wir müssten also im optimalen Fall etwa elf Quadratmeter Algenfläche ins Sonnenlicht halten, um unseren Energiebedarf zu decken. Da ich oben ziemlich großzügig war was den Wirkungsgrad etc. angeht, wäre es real vermutlich eher das Doppelte. Algen einfach in unsere Haut einzupflanzen, würde also nicht reichen – wir müssten ein großes Segel von vielleicht 4 mal 5 Metern aufspannen (und zwar nahezu ununterbrochen, solange die Sonne scheint).
Wie steht es mit anderen Tieren? Sehen die Verhältnisse da anders aus?
Generell kann man den Energiebedarf (in Watt) von Säugetieren nach der Formel
E = 3.75 M0.75
abschätzen (entnommen aus “The Complete Dinosaur”), dabei ist M die Körpermasse in Kilogramm.
Diese Formel ist eine der wichtigsten Skalenrelationen in der Biologie und noch immer nicht wirklich gut verstanden. Sie zeigt, dass der Energiebedarf langsamer wächst als die Körpermasse – große Tiere haben deswegen einen langsameren Stoffwechsel als kleine, sie atmen langsamer, ihr Herz schlägt langsamer, etc. Wie alle derartigen Schätzformeln in der Biologie ist auch diese nur ungefähr richtig – für einen Menschen mit 70kg Masse ergibt sich aber ein ganz brauchbarer Wert von 90W.
Teilt man diesen Bedarf durch die erreichbare Leistung von 9W/m2, ergibt sich die benötigte Fläche als Funktion der Körpermasse, wie in der oberen Linie im Bild. (Achtung, der Maßstab ist hier logarithmisch, damit ein breiter Bereich an Tiergrößen passt.)
Eine Katze mit einer Masse von etwa 4kg bräuchte nur etwas mehr als einen Quadratmeter Segelfläche, was schon einigermaßen praktikabel erscheint. Ein fünf Tonnen schwerer Elefant dagegen müsste mit etwa 250 Quadratmetern ein ziemlich gewaltiges Sonnensegel ausklappen. Auch hier müsste man realistischerweise die tatsächliche Fläche größer ansetzen, aber man sieht, dass die Sache für kleine Tiere günstiger ist. Das liegt daran, dass kleine Tiere ein günstigeres Verhältnis von Oberfläche zu Volumen haben.
Noch günstiger sieht die Sache aus, wenn man wechselwarme Tiere, beispielsweise Reptilien, ansieht. Hier ist der Energiebedarf etwa um einen Faktor zehn kleiner. Die Grafik zeigt, dass ein wechselwarmes Tier von der Masse eines Menschen weniger als einen Quadratmeter Algenfläche ins Sonnenlicht halten müsste – das erscheint durchaus plausibel, selbst, wenn es doppelt so viel wäre, wären passende Sonnensegel sicherlich vorstellbar.
Theoretisch wären photosynthetisierende Tiere also durchaus vorstellbar, zumindest solange sie wechselwarm und nicht zu groß sind. Warum kommen sie in der Realität dann nur so selten vor?
Eine solche enge Lebensgemeinschaft zwischen Tier und Alge ist biologisch nicht einfach zu realisieren: Wirt und Algen müssen die richtigen Nährstoffe in den richtigen Mengen austauschen und sich eng biochemisch aufeinander abstimmen. Der Wirt muss auch die Vermehrung der Algen kontrollieren. Algen stellen vor allem Zucker zur Verfügung, während Tiere auch einen hohen Bedarf an Aminosäuren haben, Wirt und Alge konkurrieren also um begrenzte Ressourcen, beispielsweise Stickstoff. Das ist vermutlich auch der Grund, dass heutige Tiere die eine Symbiose mit Algen eingehen, im Wasser leben – dort sind die notwendigen Nährstoffe leichter zu extrahieren als an Land. Jeder, der Pflanzen hat, weiß, dass diese auch gedüngt werden müssen – ein photosynthetisierendes Landtier müsste also nicht nur den ganzen Tag sein Sonnensegel hochhalten, sondern auch noch aktiv nach solchen Stoffen suchen, die es aus der Erde extrahieren oder aus Aas gewinnen könnte (wie es die fleischfressenden Pflanzen tun).
Alles in allem wäre das Leben auch mit Algen unter der Haut also nicht ganz so einfach, wie man es sich vielleicht vorgestellt hätte; der evolutionäre Vorteil fällt doch kleiner aus, als man vielleicht gedacht hätte. Denkbar sind Lebewesen wie der Gärtnerwurm aber durchaus.
Wer sich für die biologischen und biochemischen Probleme im Detail
interessiert, der findet einiges darüber in dem Artikel
Smith & Bernays
“Why do so few animals form endosymbiotic associations with
photosynthetic microbes?”
Phil. Trans.: Biol. Sciences, 1991, 225-230
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