Vögel und Säugetiere produzieren ihre Körperwärme selbst und sind “warmblütig”; die meisten anderen Tiere dagegen beziehen ihre Wärme aus der Umgebung und sind “Kaltblüter”. Aber wie funktioniert das? Wie erzeugen Warmblüter eigentlich die ganze Energie? Und wie und warum hat sich die Warmblütigkeit evolutionär entwickelt?
Bevor wir uns das im Detail ansehen, müssen wir die Begriffe “warm-” und “kaltblütig” näher beleuchten – die sind nämlich bei den Biologen in Ungnade gefallen, weil eine “kaltblütige” Eidechse eine deutlich höhere Körpertemperatur haben kann als ein “warmblütiges” Säugetier.
Biologen verwenden deshalb die Begriffe “ectotherm” für ein Tier, das seine Wärme im wesentlichen aus der Umgebung bezieht, und “endotherm” für ein Tier, das den Großteil seiner Wärme selbst erzeugt.
Natürlich hat es viele Vorteile, endotherm zu sein: Säugetiere können auch im Winter unterwegs sein, wenn Reptilien in Kältestarre verfallen, sie können auch in unwirtlichen Gegenden überleben und können in unseren Breiten nachtaktiv sein, wenn es für Reptilien zu kalt ist. Endothermie hat aber auch ihren Preis: ein Säugetier muss etwa die zehnfache Menge an Nahrung zu sich nehmen wie ein gleichschweres wechselwarmes Tier. In den Tropen, wo es selten kalt ist, haben ectotherme Tiere deshalb auch gute Karten. Wie meist in der Biologie ist eine Eigenschaft nicht einfach “gut” oder “schlecht”, sondern muss immer im Zusammenhang mit der jeweiligen ökologischen Nische gesehen werden.
Wie so oft ist die Trennung zwischen endo- und ectotherm auch nicht ganz so streng, wie wir das gern der Übersichtlichkeit halber hätten – Pythons beispielsweise können ihre Körpertemperatur erhöhen, wenn sie ihre Eier bebrüten, auch Thunfische sind dafür bekannt, dass ihre Körpertemperatur höher ist als die des umgebenden Wassers. In beiden Fällen sind es Muskelkontraktionen, die Wärme erzeugen – bei Thunfisch sorgt ein raffinierter Wärmetauscher dafür, dass die erzeugte Wärme im Körper bleibt. Diesen Mechanismus zur Wärmeproduktion gibt es auch bei Säugetieren, wenn wir vor Kälte zittern oder wenn uns beim Sport warm wird.
Da wir aber nicht den ganzen Tag zittern oder Sport treiben, sind es normalerweise offensichtlich nicht Muskelkontraktionen, mit denen wir Wärme erzeugen. Wie also dann?
ATP – Die Körperbatterie
Um den Mechanismus der Wärmeproduktion zu verstehen, brauchen wir ein bisschen Biochemie. (Keine Angst, es wird nicht zu viel, weil ich davon selbst nicht so viel verstehe…)
Energie gewinnt unser Körper vor allem durch die Verbrennung von Zucker. Dies geschieht in unseren Zellen in speziellen “Kraftwerken”, den Mitochondrien.
Aufbau eines Mitochondriums (von Wikipedia). Für uns wichtig sind die Matrix und der Membranzwischenraum
Von Tirkfl, original by LadyofHats – German version of Animal mitochondrion diagram en.svg., Gemeinfrei, Link
Da die Mitochondrien die Energie aber nicht selbst verbrauchen (das tun andere chemische Prozesse, beispielsweise bei der Muskelkontraktion), muss die Energie dorthin transportiert werden, wo sie gebraucht wird. Dazu dient ein spezielles Molekül, das Adenosintriphosphat (ATP). Dieses Molekül dient als “Energiespeicher” und ist sozusagen die “Batterie” des Körpers.
ATP hat drei aneinander hängende Phosphatgruppen; die dritte davon kann in einer chemischen Reaktion abgelöst werden und dabei Energie freisetzen. Daber bleibt eine Phosphatgruppe übrig, sowie die “entladene” Batterie, die dann Adenosindiphosphat heißt (Das ist Chemikermathematik: “tri” minus Eins gleich “di”).
Die ATP-Erzeugung selbst ist ein ziemlich komplizierter Prozess (zum Beispiel hier ausführlich dargestellt.) Für uns hier ist der letzte Schritt in diesem Prozess wichtig: Dabei werden Protonen (Wasserstoffionen) durch eine Membran der Mitochondrien aus dem Innern der sogenannten Mitochondrienmatrix nach Außen gepumpt (im Bild oben rechts). Wenn sie wieder ins Matrixinnere zurückkehren (oben links), sorgen sie für die Herstellung von ATP aus ADP und Phosphat – die Batterie wird wieder aufgeladen.
Die Protonenpumpe.
By Fvasconcellos 22:35, 9 September 2007 (UTC) – Vector version of w:Image:Etc4.png by TimVickers, content unchanged., Public Domain, Link
Löchrige Membranen
Nicht alle Protonen, die durch die Membran nach Außen gepumpt wurden, erzeugen beim Zurückkehren ATP. Einige Protonen “mogeln” sich durch die Membran hindurch, ohne dabei eine ATP-Batterie aufzuladen, die Membran lässt die Protonen “einfach so” nach Innen, sie ist also “löchrig”. Die Energie der Protonen wird dabei direkt als Wärme freigesetzt. Es wird also Zucker verbrannt, um die Protonen nach Außen zu pumpen, aber der Körper hat zunächst einmal nichts davon, denn es wird kein ATP erzeugt, sondern nur Wärme. Das ganze ist also scheinbar reine Verschwendung und jedes Mitochondrien mit einer anständigen Arbeitsmoral sollte wohl zusehen, seine Membranen so zu organisieren, dass so eine Schlamperei nicht vorkommt.
Nachtrag: In den Kommentaren wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass dieses “Durchmogeln” ein durchaus aktiver Prozess ist, der durch spezielle “Uncoupling”-Proteine vermittelt wird. Es ist also nicht so, dass die Membran echte Löcher wie ein Schweizer Käse hätte (so hatte ich es nicht gemeint, aber ich sehe, dass man es dank meines plakativen Ausdrucks “mogeln” so missverstehe kann). Generell werden Membranen im Biochemiker-Sprachgebrauch anscheinend als “leaky” bezeichnet, wenn sie für bestimmte Moleküle durchlässig sind; der Begriff ist also nicht abwertend (im Sinne von: Membran ist kaputt) zu verstehen. Ich hoffe, damit ist die Sache etwas klarer.
Dank an alle Kommentatoren, die mich darauf hingewiesen haben.
2. Nachtrag: Jürgen Bolt und Balanus haben mir in den Kommentaren noch einmal auf die Sprünge geholfen.
Ein proton hat also drei Möglichkeiten, um wieder ins Matrixinnere zu kommen:
1. Geführt von der ATP-Synthase, wobei ATP erzeugt wird. Das ist das Aufladen der Batterie.
2. Geführt durch die im ersten Nachtrag angesprochenen “uncoupling proteins”.
3. Durch die Membran, die aufgrund ihrer Lipid-Struktur mehr oder weniger durchlässig
sein kann.
Jürgen Bolt schreibt untern zu Weg 3:
Nach Deiner Quelle geben die rückfließenden Protonen ihre Energie teils in der Membran und teils in der Matrix ab. Wenn mehr mehrfach ungesättigter Fettsäuren in der Membran vorhanden sind, dann geben sie mehr Energie in der Membran ab. Dadurch erhöhen sie die metabolische Aktivität der Membran. Der Anteil mehrfach ungesättigter Fettsäuren in der inneren Mitochondrienmembran ist bei Endothermen höher als bei gleich großen Ektothermen, und korreliert bei Säugetieren positiv mit der Körpermasse.
Nochmal danke für die Präzisierungen.
Tatsächlich sind die “löchrigen Membranen” (das ist meine eigene Übersetzung für “leaky membranes” – falls ein Biologe mitliest, wüsste ich gern, wie man das im Deutschen standardmäßig ausdrückt) aber vermutlich der Schlüssel zur Warmblütigkeit. Etwa 20% des Energieverbrauchs von Säugetieren geht dafür drauf, Protonen durch die Membran im Mitochondrium nach Außen zu pumpen, die sich dann wieder zurückmogeln, ohne ATP zu erzeugen. Zusätzlich gibt es noch weitere Ionenkanäle, die bei Endothermen wesentlich durchlässiger sind als bei Ectothermen, und das Hin- und Herpumpen von Protonen, Calcium- und Natrium-Ionen macht bei Säugetieren etwa 50% des gesamten Energieumsatzes aus – der Einfachheit halber beschränken wir uns hier aber auf die Protonenpumpen.
Wozu sind löchrige Membranen gut?
Aber wozu ist diese unglaubliche Energieverschwendung gut? Wie hat sie sich entwickelt? Müsste nicht jedes Reptil, dessen Membranen (vermutlich durch eine Veränderung der Fettmoleküle in den Membranen) “löchrig” werden, einen unglaublichen selektiven Nachteil haben, weil es mehr Nahrung benötigt als seine sparsamere Konkurrenz?
Tatsächlich hat die löchrigere Membran aber auch einen direkten Vorteil: Je höher die “Löchrigkeit” der Membran, desto höher ist anscheinend auch die maximale ATP-Produktion, die ein Mitochondrium leisten kann. Mitochondrien mit löchrigeren Membranen haben einen höheren Grundumsatz (weil sie für die gleiche menge an ATP ja mehr Protonen pumpen, also mehr Zucker verbrennen müssen). Dadurch ist auch die maximale ATP-Produktion dieser Mitochondrien höher, wobei die Details, warum genau das so ist, noch nicht geklärt sind.
Ein Tier mit löchrigen Membranen kann deshalb schneller auf einen hohen Energiebedarf reagieren und insgeamt mehr Energie erzeugen. Das ist zunächst für Ausdauerleistungen wichtig – im Sprint sind Eidechsen genauso schnell wie Säugetiere, aber lange Strecken können sie nicht zurücklegen. Für den Sprint verlassen sie sich (wie wir übrigens auch) auf die sauerstofflose Zersetzung von Zucker (anaerobe Glykolyse), bei der die Protonenpumpe keine Rolle spielt. Dauerhaft eine hohe Rate an ATP durch aerobe Verbrennung zu erzeugen, fällt ihnen allerdings schwer. Wer also Ausdauerleistungen erbringen will, der fährt mit löchrigen Membranen trotz der Energieverschwendung besser.
Der zusätzliche Energieverbrauch sorgt außerdem für eine höhere Wärmeproduktion. Wenn diese Wärme genutzt wird, um die Körpertemperatur zu erhöhen, dann hat das gleich zwei Vorteile: Mitochondrien steigern ihre Leistungsfähigkeit nämlich, wenn sie wärmer sind, sie können bei höherer Temperatur also noch mehr ATP erzeugen, so dass sich die Leistungsfähigkeit noch weiter erhöht. Das sieht man in diesem Bild (aus [1]):
Dabei ist jeweils der Energieumsatz (gemessen über den Sauerstoffverbrauch) aufgetragen gegen die Temperatur – links für Mitochondrien innerhalb einer Art, rechts im Vergleich verschiedener Tierarten. Man sieht, wie der Energieumsatz (und damit die ATP-Produktion) mit der Temperatur des Mitochondriums ansteigt.
Zusätzlich arbeiten auch Muskeln bei höherer Temperatur deutlich effizienter. Eine höhere Temperatur hat also gleich doppelte Vorteile.
Evolution der Warmblütigkeit – ein Szenario
Basierend auf diesen Ideen kann man sich ein Szenario ausmalen, das zur Entwicklung der Warmblütigkeit geführt haben könnte [1]. Dabei ist es wichtig, dass der Nachteil durch erhöhten Energieverbrauch immer durch einen selektiven Vorteil überwogen wird, sonst würde die Evolution nicht weiter in Richtung Warmblütigkeit verlaufen.
Die Vorfahren der Säugetiere und Vögel waren vergleichsweise klein und ernährten sich von Fleisch. Geht man davon aus, dass sie aktive Jäger waren, keine Lauerjäger, so würden sie natürlich von einer erhöhten Ausdauer profitieren. Der erste Selektionsdruck könnte also in Richtung erhöhter Ausdauerleistung gehen; dazu sind löchrige Membranen hilfreich, weil sie ja die maximale ATP-Produktion erhöhen.
Die erhöhte Ausdauer bedingt allerdings einen erhöhten Energieumsatz auch im Ruhezustand. Auf der anderen Seite hat dies aber den Vorteil, dass die löchrigen Membranen jetzt auch für mehr Wärmeproduktion sorgen. Dies wäre vor allem für Raubtiere hilfreich, die in nicht zu warmen Gegenden leben und vielleicht noch in der Dämmerung aktiv sein wollen, weil dann die erhöhte Körpertemperatur sie agiler macht. In den Tropen würde die Wärmeproduktion dagegen keinen Vorteil verschaffen, weil auch ectotherme Tiere dort eine hohe Körpertemperatur aufrecht erhalten können. Die Vermutung ist also, dass es Tiere waren, die in Gegenden mit eher moderaten oder nachts deutlich abnehmenden Temperaturen lebten, die diese Entwicklung machten.
Damit die erzeugte Wärme im Körper bleibt und nicht einfach nach Außen abgestrahlt wird, braucht unser Tier als nächstes eine Isolation. Fell oder Protofedern sind also der nächste wichtige Schritt in der Entwicklung. Damit steigt die Körpertemperatur weiter an, was wiederum die Leistungsfähigkeit der Mitochondrien und der Muskeln erhöht. Diese wiederum führt dann zu noch besserer Ausdauerleistung, so dass wir eine positive Rückkopplung haben: Erhöhte Ausdauer führt zu erhöhter Temperatur führt zu weiter erhöhter Ausdauer.
Auf diese Weise steigert der Endothermie-Aspirant seine Leistungsfähigkeit immer weiter, wobei gleichzeitig auch der Ruheumsatz mitsteigt. Der erhöhte Energiebedarf kann aufgebracht werden, weil das Tier wesentlich agiler ist und seine ectotherme Beute vor allem auch in der Dämmerung oder bei kühlerem Wetter jagen kann. Sowohl bei den Vorfahren der Säugetiere, als auch bei denen der Vögel, standen die Beine zudem gerade unter dem Körper, was das ausdauernde Laufen erleichtert.
Wohlgemerkt, dies ist ein – auf Fakten gestütztes – Szenario, das nicht durch Fossilfunde oder Ähnliches abgesichert ist. Es zeigt aber, dass es zumindest einen plausiblen Weg ur Entwicklung der Endothermie gab.
Letztlich war es also eine, auf den ersten Blick eher nachteilig aussehende, Veränderung der Biochemie der Zellen, die große Auswirkungen hatte und zur Endothermie führte. Unsere Warmblütigkeit verdanken wir “löchrigen” Membranen, die ihre Protonen nicht richtig im Griff hatten.
Nachtrag: Unten findet ihr einen Kommentar von Martin Jastroch, der deutlich macht, dass die Korrelation zwischen Protonenleck und Endothermie ein bisschen unklar ist – bei Vögeln mit höherer Körpertemperatur ist das Protonenleck niedriger, bei Beuteltieren mit niedrigerer Körpertemperatur höher. Es gibt also noch genug zu forschen…
Quellen für diesen Artikel:
[1] “Temperature, metabolic power and the evolution of endothermy”
Andrew Clarke and Hans-Otto Pörtner
Biological Reviews 2010, doi: 10.1111/j.1469-185X.2010.00122.x
[2] “Membranes as Possible Pacemakers of Metabolism”
A. J. Hulbert P. L. Else
J. theor. Biol. (1999) 199, 257-274
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