Im ersten Teil dieser kleinen Serie habe ich erklärt, dass das elektrische und das magnetische Feld Vektorfelder sind. An jedem Punkt des Raumes muss man sich also zwei Pfeile befestigt denken, einen für das elektrische Feld E, einen für’s Magnetfeld B. Im zweiten Teil schauen wir uns jetzt die Maxwellgleichungen im Vakuum an, also dann, wenn keine elektrischen Ladungen in der Nähe sind.
Die Maxwellgleichungen beschreiben den Zusammenhang zwischen der zeitlichen und der räumlichen Änderung der EM-Felder. (EM ist ab jetzt das Kürzel für elektromagnetisch, das spart dem faulen Blogger etwas Tipperei.)
Die zeitliche Änderung eines Vektors kennen wir noch aus Teil 1
Habe ich ein Vektorfeld, das sich ändert, dann gibt es an jedem Punkt im Raum einen Wert für die zeitliche Ableitung. Die zeitliche Ableitung eines Vektorfeldes ist also selbst auch ein Vektorfeld.
Die räumliche Änderung eines Vektorfeldes ist nicht ganz so einfach. Für die Maxwellgleichungen im Vakuum brauchen wir die sogenannte Rotation.
Zunächst mal schauen wir uns die Rotation in zwei Dimensionen an, das lässt sich leichter zeichnen. Wir zeichnen ein Vektorfeld und dann zeichnen wir eine kleine “Schleife” in das Vektorfeld – die Form der Schleife ist egal, am einfachsten ist es, wir nehmen ein Quadrat:
Wir laufen die Schleife entlang, und zwar gegen den Uhrzeigersinn. Dabei treffen wir auf jede Menge Vektoren in unserem Vektorfeld (eigentlich auf unendlich viele, aber ich habe nur vier gezeichnet…). Wenn wir nach oben oder unten laufen, dann nehmen wir von jedem Vektor, dem wir begegnen, die Komponente, die in die senkrechte Richtung zeigt, wenn wir nach links oder rechts laufen, nehmen wir die horizontale Komponente. (Die Zerlegung in Komponenten haben wir in Teil 1 kennengelernt.)
In dem kleinen Bildchen auf der rechten Seite oben habe ich die linke untere Ecke der Schleife rausgezeichnet, um das zu illustrieren: Der Vektor an der Ecke hat eine senkrechte Komponente von 4 Kästchen, eine horizontale von -1 Kästchen. Da wir die Schleife gegen den Uhrzeigersinn durchlaufen, und an der linken unteren Ecke sind, zeigt die senkrechte Komponente entgegen unserer Laufrichtung, deshalb bekommt sie ein Minuszeichen. Die horizontale Komponente zeigt auch gegen unsere Laufrichtung (auf der unteren Kante), deshalb hat sie auch ein Minus. Insgesamt bekommen wir für den Vektor an dieser Ecke einen Wert von -5.
So laufen wir jetzt um die ganze Schleife herum und sammeln alle Komponenten auf, die jeweils in der Richtung unserer Schleife zeigen. Am Ende kommt ein Zahlenwert heraus. Dieser Wert ist die Rotation des Vektorfeldes an diesem Punkt (dem Mittelpunkt meines Quadrats).
So eine Schleife setzt man jetzt an jeden Punkt des Raumes, so dass man an jedem Punkt eine Zahl hat.
Hier in meiner Zeichnung hängt der Wert, der am Ende rauskommt, natürlich von der Form und Größe der Schleife ab – um einen korrekten Wert zu bekommen, muss man die Schleife immer kleiner schrumpfen lassen, und dann kann einem ein freundlicher Mathematiker beweisen, dass dann der Wert der Schleife von der genauen Form und allem Möglichen anderen unabhängig ist. Im Folgenden mache ich die Schleife immer gleich groß, dann kommen auch sinnvolle und konsistente Werte heraus.
Als Beispiel – das wir später noch brauchen – nehmen wir noch mal ein einfaches Vektorfeld, bei dem alle Pfeile immer nach oben zeigen und bei dem die Vektoren von links nach rechts immer länger werden, aber in jeder “Spalte” immer gleich sind:
Wir durchlaufen wieder unsere Schleife. An der oberen und unteren Kante passiert nichts, weil die Vektoren ja senkrecht darauf stehen. Links und rechts bekommen wir einen Beitrag, der Beitrag links geht gegen die Laufrichtung und zählt negativ, der Beitrag rechts geht in Laufrichtung, ist also positiv. Insgesamt bekommen wir links einen Wert -2 und rechts einen Wert +3 . Zählt man alles zusammen, ergibt sich für die Rotation ein Wert von +1 für diese Schleife. Anders als oben habe ich hier auf jeder Kante nur einen Vektor angeguckt – das spielt keine Rolle, solange man konsistent bleibt und das Vektorfeld sich schön langsam von Ort zu Ort ändert.
Lege ich die Schleife woanders hin, bekomme ich immer denselben Wert, weil immer der Pfeil rechts ein Kästchen länger ist als der Pfeil links. Das Feld hat also eine konstante Rotation (wer’s nicht glaubt, malt noch ein paar Schleifen und prüft es nach).
Noch etwas Geduld, gleich sind wir bei den Maxwellgleichungen.
Eine Kleinigkeit fehlt uns noch, dann können wir die Maxwellgleichungen im Vakuum hinschreiben: Bisher waren wir in zwei Dimensionen, aber unsere Welt ist ja dreidimensional. In drei Dimensionen müssen wir uns natürlich fragen wie wir die Schleife für die Berechnung der Rotation legen sollen. Dafür gibt es (bei unserer quadratischen Schleife) drei Möglichkeiten: (Das Bild sieht schlimmer aus, als es ist)
Wir können die Schleife um die x- um die y- oder um die z-Richtung herumlegen.
Für jede der drei Schleifen bekommen wir einen Wert der Rotation. Den Wert für die Schleife in der y-z-Ebene ordnen wir der x-Achse zu (links), den Wert für die x-z-Ebene der y-Achse (mitte) und den Wert für die x-y-Ebene der z-Richtung (rechts).
Die Rotation hat also drei Komponenten, und damit ist sie selbst auch ein Vektor.
(Anmerkung für die, die selbst rechnen wollen: Mit dem Drehsinn der Schleife muss man etwas aufpassen – am einfachsten denkt man sich, dass man einen Korkenzieher in eine Flasche 2002er Cabernet Sauvignon (zur Not tut’s auch ein anderen Wein) steckt, die man in Richtung der jeweiligen Achse gestellt hat. Die Schleife muss sich so drehen, dass der Korkenzieher sich in den Korken hineindreht. Alternativ kann man die Finger der rechten Hand in Schleifenrichtung biegen, dann zeigt der Daumen in die Richtung der Achse.)
Ich hoffe, es hat noch irgendwer bis hierher durchgehalten, denn jetzt kommt sie: Unsere erste Maxwellgleichung:
rot E =- dB/dt
In Worten: Die Rotation des elektrischen Feldes E ist gleich der negativen zeitlichen Änderung des Magnetfeldes. Diese Gleichung gilt an jedem Punkt des Raumes (und auch zu jedem beliebigen Zeitpunkt).
Was bedeutet das?
Nehmen wir an, das zweidimensionale Vektorfeld von eben, das nach rechts immer größer wird, wäre ein elektrisches Feld und ich hätte kein Magnetfeld vorliegen. Weil die Rotation des Feldes überall konstant ist, würde deshalb ein räumlich konstantes Magnetfeld entstehen.
Wenn ich andersherum ein Magnetfeld zeitlich verändere (indem ich beispielsweise einen Magneten bewege), dann erzeuge ich dadurch automatisch ein elektrisches Feld. Das ist beispielsweise der Trick bei einem Dynamo – ein Magnet dreht sich, erzeugt ein elektrisches Feld, das übt eine Kraft auf Ladungen in einem Draht aus und – voila – die Fahrradlampe leuchtet.
Und? Bereit für die zweite Maxwellgleichung? Sie lautet
rot B =a dE/dt
a ist dabei eine (positive) Zahl, zu der ich später mehr sage. Die zweite Maxwellgleichung sieht der ersten ziemlich ähnlich – E und B haben ihre Rollen getauscht und wir haben statt eines Minuszeichens eine Konstante a.
Wenn also ein B-Feld vorhanden ist, dessen Rotation nicht Null ist, dann ändert sich das E-Feld. Und wenn ich das E-Feld ändere, dann bekomme ich ein B-Feld.
Zeitlich sich ändernde elektrische Felder erzeugen also Magnetfelder. Wenn die erzeugt werden, dann ändern sie sich, also erzeugen sie wiederum elektrische Felder. Klingt ein bisschen so, als hätten wir so eine Art Perpetuum mobile – da müsste man ja lauter sich gegenseitig erzeugende EM-Felder bekommen, immer macht das eine das andere.
Geht sowas?
Und ob das geht! So ein tolles Felder-erzeugen-sich-gegenseitig-Gebilde hat auch einen Namen: Elektromagnetische Welle, auch bekannt als Licht.
Wie man so eine Lichtwelle im Detail baut, sehen wir im dritten Teil der Saga, in dem das böse Imperium – ääh, nein, das war eine andere Saga…
Hier ein Überblick über die ganze Serie:
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 1. Felder
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 2. Im Vakuum
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 3. Wir bauen eine Welle
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 4. Voll geladen
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 5. Unter Strom
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 6. Spieglein, Spieglein
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