Im letzten Teil haben wir die ersten beiden Maxwellgleichungen im Vakuum hingeschrieben. In diesem Teil schauen wir, was wir damit anfangen können: Wir bauen eine elektromagnetische Welle.
Zur Erinnerung hier nochmal die beiden Maxwellgleichungen (es gibt insgesamt vier, die beiden anderen kommen später):
rot E =- dB/dt
In Worten: Die Rotation des elektrischen Feldes E ist gleich der negativen zeitlichen Änderung des Magnetfeldes.
rot B =a dE/dt
In Worten: Die Rotation des magnetischen Feldes B ist gleich der zeitlichen Änderung des elektrischen Feldes, multipliziert mit einem Faktor a.
Wenn wir irgendwoher ein elektrisches Feld bekommen könnten, dessen Rotation nicht Null ist, dann würde ein Magnetfeld entstehen. Wenn dieses Magnetfeld, das da entsteht, selbst eine Rotation hat, die nicht Null ist, dann würde es wiederum ein elektrisches Feld erzeugen – das elektrische Feld, das wir schon haben, würde sich entsprechend verändern. Das ist die Grundidee, mit der wir jetzt eine Welle bauen wollen.
Bevor wir versuchen, eine Welle zu bauen, noch ein Hinweis: Damit die Zeichnerei mit den dreidimensionalen Vektorfeldern nicht zu kompliziert ist, denken wir uns, dass unsere Felder sich nur in einer Richtung ändern dürfen, nämlich in der z-Richtung. Für einen bestimmten z-Wert sehen die Felder also immer gleich aus, egal bei welchen Werten von x und y wir gerade sind. In allen Zeichnungen, die jetzt kommen, geht die z-Richtung nach rechts. Wir brauchen dann die Felder nur entlang einer Linie zu zeichnen, nicht überall im Raum (das kriege ich nämlich nicht so hin, dass man irgendetwas erkennt).
Der erste Versuch
Im zweiten Teil hatten wir ja schon ein Vektorfeld gezeichnet, dessen Pfeile von links nach rechts immer um denselben Betrag länger werden. Dieses Feld hatte eine räumlich konstante Rotation.
Nehmen wir an, wir hätten so ein Feld als elektrisches Feld. Was würde passieren?
Ich zeichne hier das Feld in x-Richtung, also nach hinten:
Nachtrag: Upps, hier ist ein kleiner Fehler passiert: Der linke Pfeil bei rot B müsste nach hinten zeigen, nicht nach vorn, denneinmal springt das Feld von 0 auf B, dann zurück von B auf 0, das gibt das entgegengesetzte Vorzeichen.
Da sich das Feld nur nach rechts (in z-Richtung) ändert und selbst in x-Richtung zeigt, müssen wir die Schleife zur Bestimmung der Rotation in die x-z-Ebene legen.
Da wo das Feld nicht Null ist, ist die Rotation räumlich konstant und zeigt nach oben (Korkenzieherregel!). Die zeitliche Änderung des Magnetfeldes ist das Negative der Rotation, also zeigt sie nach unten. Da das Magnetfeld vorher Null war, ist es anschließend gleich der zeitlichen Änderung. Es entsteht also ein konstantes Magnetfeld, das nach unten zeigt, überall da, wo das elektrische Feld nicht Null ist.
Ändert sich jetzt das elektrische Feld durch dieses Magnetfeld? Da das Magnetfeld nahezu überall konstant ist, ist seine Rotation auch nahezu überall Null. rot B ist nur an zwei Punkten nicht Null, also ändert sich das elektrische Feld nur an zwei Punkten. Eine Welle gibt es so nicht.
Was ist schiefgelaufen? Das entstehende Magnetfeld war räumlich konstant, das ist schlecht, weil seine Rotation dann Null ist. Wir müssen ein nicht-konstantes Magnetfeld erzeugen, eins, das sich von links nach rechts ändert. Deshalb darf die Rotation unseres elektrischen Feldes nicht konstant sein.
Der zweite Versuch
Das können wir erreichen, wenn sich das elektrische Feld von links nach rechts ändert, aber nicht immer um denselben Betrag. Ändert es sich ganz links sehr stark, so muss die Änderung, wenn man nach rechts geht, immer weiter abnehmen oder sogar negativ werden, so dass die Feldstärke wieder kleiner wird. Das sieht dann so aus:
Die Rotation von E ist jetzt überall anders – links ist sie am größten, in der Mitte (am Punkt, wo die Feldstärke am größten ist) nimmt das Feld plötzlich nicht mehr zu, sondern ab, die Rotation ist hier also Null.
Berechnet man daraus dB/dt, so sieht man, dass ein Magnetfeld entsteht, das sich auch von Ort zu Ort ändert. Es sieht auch schon ein bisschen wellenartig aus – wir sind auf dem richtigen Weg!
Jetzt berechnen wir wieder die Änderung des elektrischen Feldes. (In der Formel in der Skizze habe ich den Vorfaktor a weggelassen, der spielt hier keine Rolle, weil wir ja nur zeichnen und nicht rechnen. Es ist ein beliebtes Hobby von Physikern, solche Vorfaktoren erstmal wegzulassen und dann später verzweifelt zu versuchen, sie wieder einzubauen…)
Die Änderung sieht eigentlich genauso aus wie das ursprüngliche Feld, nur in die entgegengesetzte Richtung. Das elektrische Feld wird also kleiner, aber es entsteht noch keine Welle.
Trotzdem, wir sind noch dichter dran.
Der dritte Versuch
Wen man sich unseren zweiten Versuch ansieht, dann fällt auf, dass das Magnetfeld seinen größten Wert an einer anderen Stelle hat als das elektrische Feld. Wenn am Anfang schon ein Magnetfeld dagewesen wäre, das sein Maximum an derselben Stelle hat wie das elektrische Feld, dann wäre das Magnetfeld links kleiner und rechts größer geworden, sein Maximum wäre nach rechts gewandert!
Vielleicht sollten wir mit einem elektrischen und einem magnetischen Feld zusammen anfangen?
Versuchen wir es. Damit es nicht so unübersichtlich wird, zeichne ich links das elektrische und rechts das magnetische Feld hin, eigentlich muss man sich die beiden Teilbilder jeweils übereinander vorstellen, aber dann erkennt man auf dem Papier nichts mehr.
Also: Links ein einzelner “Berg” für ein elektrisches Feld in x-Richtung. Da dessen Rotation in y-Richtung zeigt, fange ich rechts im Bild mit einem Berg in y-Richtung für das Magnetfeld an. Und los geht’s:
Die Rotation des elektrischen Feldes sieht genauso aus wie im zweiten Versuch, wie man links in der zweiten Zeile sieht. Rechts in der zweiten Zeile sieht man die Rotation des Magnetfeldes, die (bis auf das a) gleich dE/dt ist. Wenn man mit der Korkenzieherregel richtig aufpasst, sieht man, dass die Änderung des elektrischen feldes links in -x-Richtung (auf den Betrachter zu) und rechts in +x-Richtung (vom Betrachter weg) zeigt.
Jetzt müssen wir die Änderung des Magnetfeldes (zweite Zeile links) zum Magnetfeld (erste Zeile rechts) addieren und bekommen das neue Magnetfeld (dritte Zeile rechts): Links von der Mitte wird das Magnetfeld kleiner, rechts von der Mitte wird es größer: Der Berg wandert nach rechts! Für das elektrische Feld geht das genauso (zweite Zeile rechts zur ersten zeile links addieren): Auch hier wird die Feldstärke links von der Mitte verkleinert, rechts von der Mitte vergrößert, auch hier wandert der Berg nach rechts.
Vergleicht man die dritte Zeile mit der ersten, sieht sie genauso aus, nur ein wenig nach rechts verschoben: Unser Berg bewegt sich! (Den passenden Kalauer mit Propheten und Bergen darf sich hier jeder selbst dazudenken…)
Anmerkung für alle, die ganz genau hingeguckt haben: Ja, ich habe ein bisschen geschummelt. Genau am höchsten Punkt des Berges ist die Änderung des Feldes ja immer gerade Null – also scheint sich die Bergspitze doch nicht bewegen zu können! Das ist prinzipiell auch richtig – rechts vom Berg erhöht sich der Wert, links vom Berg verringert er sich, aber der Berg selbst bleibt zunächst auf seinem Wert. Erst wenn man noch einen zweiten Schritt macht (von “gleich” auf “gleich nach gleich”), dann verschiebt sich das Maximum wirklich. (Mathematiker sehen natürlich sofort, dass das daran liegt, dass am Maximum die erste Ableitung verschwindet.)
Wenn wir jetzt mehrere solcher Berge (und passende Täler) hintereinanderzeichnen, dann sieht das etwa so aus (Bild von Wikipedia, die können besser zeichnen als ich, allerdings haben sie E und B um 90Grad verdreht…)
By SuperManu – Self, based on Image:Onde electromagnetique.png, CC BY-SA 3.0, Link
Mit mehreren Bergen hintereinander funktioniert das Spiel genauso wie vorher, auch diesmal wird jeder Berg (und jedes Tal) nach rechts verschoben. Man nennt dieses Gebilde eine elektromagnetische Welle.
Ohne viel Mühe ist es uns also gelungen, mit unseren beiden Maxwellgleichungen zu zeigen, dass es elektromagnetische Wellen geben kann (wie man sie erzeugt, ist eine andere Frage…). Mit ein bisschen Rechnerei kann man die Formeln auch verwenden, um die Geschwindigkeit zu berechnen, mit der sich die Welle ausbreitet. Sie hängt mit der ominösen Zahl a zusammen: Nennen wir die Geschwindigkeit c, dann gilt c2=1/a. c ist die Geschwindigkeit, mit der sich eine EM-Welle ausbreitet, also die Lichtgeschwindigkeit. Wir können unsere zweite Maxwellgleichung besser schreiben als
rot B =(1/c2) dE/dt
Wer sich die Zeichnung oben und die Maxwellgleichungen noch einmal ansieht, der merkt, dass die Wellenausbreitung nur klappt, weil hier alle Teile der Formel fein aufeinander abgestimmt sind – ohne das Minuszeichen an der ersten Formel beispielsweise würde der Berg des magnetischen Feldes nach links laufen, der des elektrischen Feldes nach rechts – ein wirres Durcheinander wäre die Folge, aber keine schöne Welle. Dieses subtile Ineinandergreifen der einzelnen Formelteile ist ein Grund, warum Physiker die Maxwellgleichungen als “schön” empfinden. (Bei mir selbst war es so, dass ich enttäuscht war, als ich die vollen Gleichungen das erste Mal sah – erst als ich die Herleitung für die EM-Welle sah, hatte ich eine erste Idee, warum die Gleichungen “schön” sein sollen.) Ein weiterer Grund ist, dass man mit den Gleichungen unglaublich viele Phänomene erklären kann – ein paar davon werden uns später noch begegnen.
Zum Abschluss eine kleine “Übungsaufgabe” für alle, die schauen wollen, ob sie es wirklich verstanden haben: Unsere Welle oben sieht doch ganz symmetrisch aus mit ihren Bergen und Tälern. Wieso läuft sie nach rechts? Was muss ich tun, um eine nach links laufende Welle zu bekommen?
Hier ein Überblick über die ganze Serie:
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 1. Felder
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 2. Im Vakuum
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 3. Wir bauen eine Welle
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 4. Voll geladen
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 5. Unter Strom
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 6. Spieglein, Spieglein
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