Im letzten Teil haben wir gesehen, dass es keine magnetischen Ladungen gibt. Nach allem, was wir bisher wissen, können magnetische Felder also nur durch elektrische Felder entstehen. Wie wir gleich sehen werden, kann das aber so nicht stimmen. Magnetische Felder entstehen auch, wenn Ladungen sich bewegen.
Um zu sehen, dass unsere Maxwellgleichungen noch eine kleine Lücke enthalten, schauen wir nochmal auf die zweite Maxwellgleichung
rot B =(1/c2) dE/dt
Wir machen jetzt ein – leicht kompliziertes – Gedankenexperiment, das uns zeigen soll, dass in dieser Gleichung etwas fehlt. Ich zeichne den Aufbau erst einmal hin, dann erkläre ich ihn.
Wir haben links und rechts einen Draht, die beide an einer Metallplatte enden. Über den Draht führen wir elektrische Ladungen zu oder ab, so dass sich die Metallplatten aufladen. (Das ist mehr oder weniger die Definition eines Metalls: Ein Stoff, den man mühelos elektrisch laden kann.) Auf der linken Metallplatte sammeln sich positive Ladungen, auf der rechten negative. (Eigentlich sammeln sich links keine positiven Ladungen, sondern negative, nämlich Elektronen, fließen ab. Aber über Elektronen wusste Maxwell noch nichts.)
Da sich die beiden Metallplatten aufladen, entsteht zwischen ihnen ein elektrisches Feld. Außerhalb der beiden Metallplatten (also ganz links und ganz rechts) ist das elektrische Feld sehr klein, weil sich die beiden Felder der Metallplatten fast aufheben.
Das kann man relativ einfach zeigen, wenn man sich unendlich große Platten vorstellt: Das elektrische Feld einer unendlich großen geladenen Platte fällt nicht ab, sondern ist in jedem Abstand gleich. Das wiederum sieht man graphisch genauso, wie wir im letzten Teil das Feld einer Ladung in einer Dimension hergeleitet haben. Bei zwei unendlich großen Platten mit entgegengesetzter Ladung heben sich die beiden Felder außerhalb genau auf, innerhalb verstärken sie sich. Wer’s nicht glaubt, kann es mit den Mitteln aus Teil 4 selbst nachprüfen.
Wir betrachten jetzt eine Schleife direkt rechts von der linken Platte. Im Innern dieser Schleife ändert sich das elektrische Feld, wenn wir die Platten aufladen. Nach unserer Maxwellgleichung oben ist also rotB ungleich Null, es muss also ein Magnetfeld da sein.
Betrachten wir eine zweite Schleife ein Stückchen links von der Platte, so ist in dieser das elektrische Feld Null (weil sich die Felder der beiden Platten gerade aufheben), also ist auch rotB Null. Das Magnetfeld macht also direkt an der Platte einen Sprung. Das wäre ja o.k., wenn dort magnetische Ladungen säßen, aber da es die nicht gibt ist das seltsam. Nach unseren bisherigen Maxwellgleichungen “sieht” das Magnetfeld von den elektrischen Ladungen ja nichts. Dieser “Sprung” würde zu einer Komponente der Rotation in der Ebene der Platte führen (ganz ähnlich zu der Konstruktion aus Teil 3), es würde also ein elektrisches Feld entstehen, das am Ort des Sprunges extrem (um Idealfall unendlich) groß wird. Irgendetwas stimmt hier also nicht.
Das einzige, was die linke Schleife sonst noch von der rechten unterscheidet, ist der Strom durch die Platte. Wenn dieser auch für eine Rotation des Magnetfelds sorgt, dann ist das Magnetfeld links und rechts der Platte gleich und wir haben keinen Sprung.
Wir ändern also kühn unsere Maxwellgleichung wie folgt ab:
rot B =(1/c2) dE/dt + j /(c2 ε0)
Dabei ist j der Strom durch die Schleife, mit der wir die Rotation messen (genauer gesagt ist es die Stromdichte, weil die Schleife ja unendlich kleingeschrumpft werden muss, aber das ist wieder was für die Mathematenfraktion.). Und ich habe noch zwei Konstanten eingebaut, die wir schon kennen, nämlich die Lichtgeschwindigkeit und die Dielektrizitätskonstante des Vakuums aus dem letzten Teil. (Manchmal steht hier auch eine neue Konstante μ0, das ist dasselbe.)
Der Strom ist dabei nichts als die Anzahl der Ladungen, die pro Zeit durch die Schleife in eine Richtung fließen – negative Ladungen zählen natürlich negativ, und man muss die Richtung, in der sich die Ladungen bewegen, berücksichtigen: Eine positive Ladung, die nach rechts fließt, hat den gleichen Strom wie eine negative Ladung, die nach links fließt. Der Strom selbst ist ein Vektor (fettgedruckt) weil er in eine beliebige Richtung fließen kann – für die Rotation betrachtet man jeweils die Komponente durch jede der drei Schleifen.
Damit erzeugen jetzt auch elektrische Ströme Magnetfelder. Historisch ging Maxwell übrigens genau umgekehrt vor wie ich hier: man kannte den Zusammenhang zwischen rotB und j schon lange, und mit fast genau demselben Argument wie hier schloss Maxwell, dass dann auch dE/dt einen Beitrag zum Magnetfeld leisten muss.
Betrachten wir einen stromführenden Draht, so erzeugt dieser also ein Magnetfeld. Wenn der Draht senkrecht aus der Zeichenebene herausragt, dann sieht das so aus:
In der Mitte ist der Draht mit Strom j (der uns genau entgegen fließt), außen herum liegt das Magnetfeld. (Auch hier gilt wieder eine Korkenzieherregel: Strom fließt immer von Plus nach Minus, wenn man die Weinflasche in diese Richtung hält, dann sieht man beim Reindrehen des Korkenziehers den Drehsinn des Magnetfelds.)
An diesem Bild sieht man übrigens auch endlich, warum die “Rotation” eigentlich so heißt – hier scheint das Feld wirklich um den Draht herumzurotieren.
Fließt kein Strom durch die Schleife, dann ist die Rotation des Feldes Null. Genau wie im letzten Teil für das elektrische Feld können wir damit herausbekommen, wie das Magnetfeld nach Außen abfällt:
Wir zeichnen wieder eine Schleife, die von zwei Kreisbögen begrenzt ist:
Auf dem linken Teil der Schleife hat das Feld einen Wert von B1, den wir über eine Länge l der Schleife nehmen müssen. Da Feld und Schleife entgegengesetzt zeigen, zählt dieser Beitrag zur Rotation negativ. Weiter Außen zeigt das Feld B2 in Richtung der Schleife, der Beitrag ist also positiv. Hier ist die Strecke doppelt so lang.
Wir haben also wieder fast dieselbe Rechnung wie beim letzten Mal: Draußen ist die Strecke doppelt so lang, also muss das Feld auf die Hälfte abfallen, damit die Rotation in der Schleife verschwindet (die beiden geraden Stücke tragen nichts bei, weil hier das Feld senkrecht draufsteht.):
– l*B1+ 2*l *B2 =0, also
B2/B1 = 1/2
Wieder fällt das Feld nach Außen wie 1/r ab.
Beim elektrischen Feld war dies allerdings der Fall in zwei Dimensionen – in drei Dimensionen fällt das Feld ja wie 1/r2.
Hier gilt der Abfall mit 1/r allerdings schon in drei Dimensionen – das liegt daran, dass der Draht eben kein Punkt ist, sondern selbst ausgedehnt. In jeder Ebene senkrecht zum Draht haben wir dasselbe Bild, deswegen durfte ich zweidimensional zeichnen.
Stromdurchführte Drähte erzeugen also magnetische Felder. Das ist auch das Geheimnis von Elektromagneten: in ihnen fließt Strom durch einen Draht und so entsteht das Feld.
Meist biegt man dazu den Draht zu einer Schleife und stapelt dann mehrere davon übereinander. Das Ergebnis sieht so aus:
Dieses Gebilde nennt man eine Spule. In der Praxis legt man natürlich nicht einzelne Drahtschleifen übereinander, sondern wickelt sie alle zu einer Spule auf. Die Felder außen heben sich dann zunächst auf, die Felder innen addieren sich, so dass ein starkes Magnetfeld in einer Richtung im Inneren liegt. Das Feld schließt sich dann Außen wieder, da ja seine Divergenz verschwindet (es gibt keine magnetischen Ladungen, das haben wir ja gesehen.)
Das Bild oben stammt übrigens von hier, wo man auch sehr schön sehen kann, wie man mit Magneten und Drähten Elektromotoren (für Modelleisenbahnen) bauen kann.
Unsere Maxwellgleichungen sind damit vollständig. Hier sind sie noch einmal in voller Schönheit:
rot E =- dB/dt
rot B =(1/c2) dE/dt + j /(c2 ε0)
Diese vier Gleichungen beschreiben das Verhalten elektromagnetischer Felder. Sie sagen, wie die Felder zusammenhängen. Das einzige, was uns noch fehlt, ist die Frage, welche Kräfte die Felder auf elektrische Ladungen ausüben. Das tun wir im nächsten Teil, dann haben wir die gesamte klassische Elektrodynamik “im Prinzip” verstanden. (Es gibt so ein paar triviale Sache, die man daraus ableiten kann, wie Optik oder so, aber das sind ja bloß Anwendungen.)
Eins ist hierbei – eher philosophisch – wichtig zu bemerken: Die Gleichungen erklären ihre Bestandteile nicht. Sie sagen nicht, warum die Rotation und die Ableitung von E und B zusammenhängen. Dazu schreibe ich demnächst gesondert etwas mehr.
Hier ein Überblick über die ganze Serie:
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 1. Felder
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 2. Im Vakuum
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 3. Wir bauen eine Welle
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 4. Voll geladen
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 5. Unter Strom
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 6. Spieglein, Spieglein
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