In den ersten drei Teilen dieser Serie haben wir die Maxwellgleichungen im Vakuum hingeschrieben. Felder erzeugen andere Felder, und auf wundersame Weise ergeben sich daraus Wellen. Aber irgendwoher müssen die Felder ja auch kommen. Dafür sind elektrische Ladungen und Ströme zuständig. In diesem Teil geht es erstmal um Ladungen.
Schaut man sich noch mal die Vektorfelder an, die wir bisher gezeichnet haben, so war ihnen allen eins gemeinsam: Es gab nie einen Punkt, an dem die Pfeile “gestartet” sind. Das ist auch kein Wunder, denn im Vakuum können elektromagnetische Felder nicht beginnen oder enden. (Das habe ich nie gesagt, sondern immer nur stillschweigend vorausgesetzt.)
Betrachten wir zunächst elektrische Felder. Elektrische Felder “beginnen” und “enden” an Ladungen – genauer gesagt “beginnen” sie an positiven und “enden” an negativen Ladungen. Um uns das anschaulich zu machen, zeichne ich ein Feld in einer Dimension (ja, ich weiß, Physiker nehmen immer so viele Dimensionen, wie es ihnen gerade passt, ich nehme mal eine, mal zwei, mal drei, aber immerhin nehme ich hier nicht elf oder so wie die bösen, bösen Stringtheoretiker…).
In einer Dimension passiert alles entlang einer Linie. Das sieht dann so aus:
In der Mitte sitzt eine elektrische Ladung. Sie ist positiv, also zeigen die Vektorpfeile für das elektrische Feld von ihr weg. (Wenn sie negativ wäre, müsste man die Pfeile umdrehen.)
Da nur Ladungen elektrische Felder erzeugen können, sind die Pfeile weiter weg von der Ladung alle gleich lang. Das kann man wie folgt einsehen: Nehmen wir an, der erste Pfeil wäre 2 Einheiten lang, der nächste nur eine. Dann hätte sich zwischen dem ersten und dem zweiten das Feld um eine Einheit geändert. Das kann aber nicht sein, denn dazu müsste eine Ladung dort sitzen. In einer Dimension ist das Feld einer einzelnen Ladung also konstant.
In zwei oder drei Dimensionen ist allerdings komplizierter. Schauen wir nochmal auf eins unserer Vektorfelder:
Hier werden die Pfeile von unten nach oben immer kürzer, also müssen dort vermutlich irgendwo Ladungen sitzen. Aber wie genau bekommen wir das heraus? Und wie können wir, wenn wir wissen, wo Ladungen sind, das Vektorfeld ausrechnen?
Da das elektrische Feld an Ladungen losgeht, nennt man Ladungen auch die Quellen (oder Senken, wenn die Linien aufhören) des Feldes. Was wir also ausrechnen wollen, können wir die Quellstärke des elektrischen Feldes nennen. Vornehm spricht man auch von der Divergenz.
Um die Divergenz zu verstehen, gehen wir noch einmal zurück in eine Dimension. Dort ist es zwar auf einen Blick klar, ob eine Ladung vorliegt (weil man sofort sieht, ob die Pfeile kürzer oder länger werden), aber es hilft, eine Idee zu bekommen, wie wir in zwei Dimensionen vorgehen müssen.
Dazu zeichnen wir zwei senkrechte Striche links und rechts um unsere Ladung. Auf den linken Strich machen wir einen kleinen Pfeil nach links, auf den rechten nach rechts. Jetzt gehen wir ähnlich vor wie im 2. Teil bei der Berechnung der Rotation, aber diesmal gucken wir nicht den Anteil des Vektors an, der parallel zur Linie liegt, sondern den, der senkrecht zur Linie liegt:
Direkt links von der Ladung zeigt unser Feld nach links, der Pfeil auf der Linie auch. Wenn unser Feldvektor die Länge 1 hat, dann ist die Komponente des Vektors in Pfeilrichtung auch gleich 1.
Rechts von der Ladung ist es genauso. Wir zählen die beiden Werte zusammen und bekommen einen Wert von 2 für die Divergenz unseres Feldes.
Spielen wir das gleiche Spiel weiter links, wo keine Ladung sitzt, dann sieht die Sache anders aus: Am senkrechten Strich ganz links ist die Komponente des Feldes in Pfeilrichtung wieder gleich +1, aber auf dem rechten Strich zeigen die Pfeile nach rechts, die Vektoren nach links. Es ergibt sich also +1-1=0. Die Divergenz, also die Quellstärke unseres Feldes verschwindet.
Wen wir das gleiche in zwei Dimensionen machen wollen, dann müssen wir wieder eine Schleife zeichnen, ähnlich wie bei der Rotation. Die Schleife hat jetzt aber keinen Drehsinn, weil wir ja keine Komponente des Feldes parallel zur Schleife angucken, sondern sie hat stattdessen kleine Pfeile, die senkrecht nach Außen zeigen:
An jedem Punkt auf der Schleife berechnen wir jetzt wieder die Komponente, die in Richtung der kleinen Pfeile zeigt. Man sieht sofort, dass diese in der Zeichnung immer positiv ist, weil alle Pfeile von der Ladung aus nach außen zeigen. Rechts habe ich für einen der Vektorpfeile herausgezeichnet, wie man die Komponente berechnen muss.
Was wir hier tun ist also (sowohl in einer als auch inzwei Dimensionen), dass wir gucken, ob mehr Vektorpfeile aus einem Gebiet heraus- als hereinzeigen. Zeigen gleich viele Pfeile rein und raus, dann ist die Divergenz des Feldes Null, ansonsten nicht.
In drei Dimensionen ist das Ganze etwas unübersichtlich zu zeichnen. Zunächst muss man sich überlegen, was aus der Schleife wird. Bei der Rotation mussten wir ja statt einer Schleife drei Schleifen betrachten. Jetzt aber interessieren wir uns ja für die Vektorenanteile, die aus einem Gebiet heraus- bzw. in es hineinzeigen.
In einer Dimension begrenzt man ein Gebiet durch zwei Punkte (dass ich oben zwei Linien genommen habe, war nur, weil es leichter zu zeichnen ging – was aus der Linie herausragt, ist aber ja außerhalb der eindimensionalen “Welt” und deshalb irrelevant.). In zwei Dimensionen begrenzt man ein Gebiet durch eine geschlossene Linie – deswegen hatte ich eine Schleife gezeichnet. In drei Dimensionen braucht man eine geschlossene Fläche. Ich versuche es mit einer Kugelfläche:
Ich geb’s zu, meine 3D-Zeichenkünste sind nur mäßig gut. Hoffentlich erkennt man trotzdem, was ich meine: In der Mitte der Kugel sitzt die Ladung, die Vektoren des Feldes zeigen alle von der Ladung nach Außen weg. Wieder würde man an jedem Punkt der Oberfläche den Anteil berechnen, der senkrecht auf der Fläche steht und so die Divergenz bekommen. Anders als die Rotation ist die Divergenz auch in drei Dimensionen nur eine einzige Zahl, kein Vektor.
Nachdem wir die Divergenz jetzt definiert haben, können wir die dritte Maxwellgleichung hinschreiben:
E ist natürlich das elektrische Feld. ρ misst die Stärke der Ladung an dem Punkt, an dem wir die Divergenz berechnen wollen. (Da wir eigentlich unser Gebiet wieder unendlich kleinschrumpfen müssten, so wie auch die Schleifen für die Rotation, ist ρ eine Ladungsdichte, aber diese Feinheit ist für uns nicht so wichtig.)
ε0 ist wieder eine Konstante, die ganz viele Namen hat: Dielektrizitätskonstante des Vakuums, Permittivität des Vakuums oder elektrische Feldkonstante sind üblich.
Die dritte Maxwellgleichung sagt in Formeln das, was wir hier die ganze Zeit bereits verwendet haben: elektrische Feldvektoren können nur an Ladungen beginnen oder enden.
Können wir denn mit dieser Gleichung auch etwas anfangen? Und ob!
Wir können nur durch Zeichnen (und mit ein bisschen Mathematik aus der Schule) herausbekommen, wie das elektrische Feld einer einzelnen elektrischen Ladung sich mit dem Abstand ändert – das ist das berühmte Coulomb-Gesetz.
In einer Dimension haben wir es oben schon gesehen: Das elektrische Feld ist überall konstant.
In zwei Dimensionen sieht es anders aus. Um herauszubekommen, wie genau, setzen wir eine kleine Ladung an einen Punkt. Das elektrische Feld muss genau von dieser Ladung wegzeigen – die Feldlinien können nicht irgendwie schräg verlaufen. Warum nicht? Betrachten wir eine Linie, die genau von unserer Ladung aus nach rechts zeigt. Würde dort ein elektrischer Feldvektor liegen, der nicht nach rechts zeigt, dann müsste er also eine Komponente in Oben-Unten-Richtung haben. Aber soll sie nach oben oder unten zeigen? Das ganze ist ja völlig symmetrisch, es gibt also keinen Grund für eine der beiden Richtungen – also kann es auch keine Komponente in eine der beiden Richtungen geben. Theoretische Physiker lieben solche Argumente und sagen dann “aus Symmetriegründen” ist das so.
Gut. Unser Feld zeigt also immer genau von der Ladung weg. Jetzt malen wir einen Kreisbogen um unsere Ladung, so dass alle Punkte auf dem Kreisbogen exakt denselben Abstand zur Ladung haben. Nehmen wir als Abstand einen Wert von 1 und einen Kreisbogen der Länge l. Im doppelten Abstand malen wir einen zweiten Kreisbogen.
Das sieht dann so aus:
Wir verbinden die beiden Kreisbögen mit einer Linie an jedem Ende. Damit haben wir ein Gebiet eingegrenzt, das keine Ladung enthält. Die Divergenz des elektrischen Feldes muss also Null sein.
Das elektrische Feld auf dem kürzeren Kreisbogen hat eine bestimmte Länge – hier genau drei Kästchen. Die Vektoren zeigen alle genau senkrecht weg vom Kreisbogen, also ist der Beitrag zur Divergenz – 3*l. Das Minuszeichen deshalb, weil die Linien ins Innere hineinzeigen.
Da der zweite Kreisbogen doppelt so weit weg ist, hat er die doppelte Länge, 2l. Auf ihm sitzen also “doppelt so viele” Vektorpfeile. Sein Beitrag zur Divergenz ist also 2*l*(unbekannte Feldstärke). Die beiden Linien oben und unten leisten keinen Beitrag, weil hier das Feld genau in Richtung der Linie zeigt. Damit können wir die unbekannte Feldstärke berechnen:
-3*l+2*l*Feldstärke=0
also hat die Feldstärke den Wert 3/2.
Im doppelten Abstand fällt das elektrische Feld also auf die Hälfte seiner Stärke ab.
In drei Dimensionen geht das genauso. Jetzt müssen wir aber zwei Kugeoberflächenstücke zeichnen, von denen eins doppelt so weit weg ist wie das andere. Die beiden verbinden wir mit einer Mantelfläche. Mit meinen bescheidenen Zeichenkünsten sieht das so aus:
Die beiden Flächen sind gerade so gekrümmt, dass die Vektorpfeile wieder genau senkrecht darauf stehen. Die Pfeile sind dann auch genau parallel zum Mantel und dieser leistet dann wieder keinen Beitrag zur Divergenz.
Ist die erste Fläche im Abstand r und hat eine Fläche von 1, dann hat die zweite Fläche im Abstand von 2r eine Fläche von 4. (Die Oberfläche einer Kugel ist ja 4πr2 – für Kugelsegmente ist der Vorfaktor anders, aber das Wachstum mit r dasselbe.)
Nennen wir das Feld auf der ersten Fläche E1 (Achtung: Das ist jetzt kein Vektor, weil wir nur die Komponente angucken, die senkrecht steht) und das auf der zweiten Fläche E2, dann gilt
-1*E1 + 4*E2=0
also E2 /E1 =1/4
Im doppelten Abstand fällt das elektrische Feld auf ein Viertel seines Wertes.
Das ist auch die Aussage des berühmten Coulomb-Gesetzes, nach dem sich zwei Ladungen mit einer Kraft anziehen, die sich wie 1/r2 verhält. (Die Kraft war ja Feldstärke mal Ladung, wenn also die Feldstärke wie 1/r2 abfällt, dann auch die Kraft.)
Häufig findet man eine andere Darstellung für elektrische Felder, bei der keine Vektorpfeile an bestimmte Raumpunkte angeheftet werden, sondern bei der sogenannte Feldlinien gezeichnet werden. Diese zeigen an jedem Punkt des Raumes in die Richtung des Feldes, aber sie haben keine Länge, sondern werden als durchgehende Linien gezeichnet, die nur an Ladungen beginnen oder enden können. Das sieht dann für eine einzelne Ladung so aus:
(Bild von der RWTH Aachen.)
Diese Darstellung hat einen großen Vorteil: Anders als bei unserer Vektorfelddarstellung ist hier sofort ersichtlich, an welchen Punkten Ladungen sitzen und die Divergenz somit ungleich Null ist. Die Dichte der Linien gibt die Feldstärke an – die Abnahme des Feldes mit größerer Entfernung ist deshalb graphisch sofort zu sehen. Allerdings hat diese Darstellung auch einen Nachteil: Da man keine Pfeile mit Länge hat, kann man Felder nicht addieren, wie wir es im letzten Teil zum Bauen der Welle gemacht haben. Deswegen verwende ich meist die Vektorfeld-Darstellung – die Feldlinien erkläre ich hier nur, weil man sie so oft sieht.
Wir haben hier die ganze Zeit nur über das elektrische Feld geredet. Was ist mit der Divergenz des Magnetfeldes? Sieht die Maxwellgleichung für das Magnetfeld ähnlich aus, nur mit magnetischen Ladungen?
Die Antwort lautet: Nein. Es gibt nämlich keine magnetischen Ladungen! Deshalb ist die Divergenz des magnetischen Feldes immer Null. Die vierte Maxwellgleichung lautet also ganz einfach
Magnetische Ladungen werden auch als magnetische Monopole bezeichnet (normale Magneten sind Dipole, weil sie immer einen Nord- und einen Südpol haben – oder eine Tag- und Nachtseite, wie es bei Jim Knopf heißt…). Einen isolierten Nordpol oder Südpol hat bisher noch keiner finden können (außer Jim Knopf natürlich), obwohl viele theoretische Physiker sie für ihre Theorien gut gebrauchen könnten. (Schon Dirac hat gezeigt, dass ein einziger magnetischer Monopol im Universum eine Erklärung dafür geben würde, dass alle elektrischen Ladungen gequantelt sind – aber das führt jetzt ziemlich weit ab vom Thema.)
Magnetfelder entstehen also nicht durch Ladungen. Sie entstehen, wie wir schon wissen, durch räumlich sich ändernde elektrische Felder. Sie können aber auch auf eine andere Weise entstehen: Nämlich durch elektrische Ströme. Um das zu sehen brauchen wir nicht etwa eine fünfte Maxwellgleichung, sondern müssen eine unserer ersten beiden Vakuumgleichungen modifizieren.
Aber das verschiebe ich auf den nächsten Teil…
Hier ein Überblick über die ganze Serie:
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 1. Felder
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 2. Im Vakuum
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 3. Wir bauen eine Welle
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 4. Voll geladen
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 5. Unter Strom
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 6. Spieglein, Spieglein
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