Die Maxwellgleichungen sind nicht nur die Grundlage der Elektrodynamik, sie werden auch von vielen Physikern als besonders “schön” bezeichnet. In diesem und den folgenden Texten will ich versuchen, eine Idee der Maxwellgleichungen zu vermitteln, ohne dabei viel Mathematik zu verwenden; wir brauchen nur die vier Grundrechenarten und ein bisschen Geometrie, denn eigentlich muss man nur jede Menge Pfeile zeichnen, um die Maxwellgleichungen zu verstehen.
Die Maxwellgleichungen beschreiben das elektrische und magnetische Feld – im ersten Teil geht es deshalb darum, was Felder eigentlich sind,
Das elektrische und magnetische Feld sind sogenannte Vektorfelder. Sie werden in den Maxwellgleichungen miteinander verknüpft. Um das zu verstehen, müssen wir schauen, was ein Vektorfeld ist und was man damit anstellen kann. Ich bitte um ein bisschen Geduld, aber keine Sorge, wir sind schneller bei den Maxwellgleichungen, als man denkt (die ersten beiden kommen nämlich in Teil 2).
Bevor wir Vektoren zu Feldern zusammenbauen, schauen wir uns erstmal einen einzelnen Vektor an:
Vektoren haben einen Zahlenwert und eine Richtung. Die Richtung kennzeichnen wir durch einen Pfeil, den Zahlenwert kann man entweder an den Pfeil ranschreiben (so macht es die Wettervorhersage in der Tagesschau für die Windstärken), oder man kann die Länge des Pfeils so wählen, dass sie der Zahl entspricht. Diese zweite Art hat den Vorteil, dass man die meisten Rechnungen direkt durch Zeichnen erledigen kann. Sie hat allerdings auch einen Nachteil: Es sieht so aus, als würde sich der Vektor von einem Punkt im Raum bis hin zu einem anderen erstrecken, tatsächlich gehört er aber nur zu genau einem Punkt.
Ein Beispiel wäre ein Geschwindigkeitsvektor, den ich zeichne, um die Geschwindigkeit meines Fahrrads anzugeben – der Vektor gehört zu meinen Fahrrad, auch wenn er in der Zeichnung vielleicht viel länger ist. Seine Länge hat auch nicht einen Wert in Metern, sondern in Meter pro Sekunde oder Kilometer pro Stunde, weil es ja eine Geschwindigkeit ist. Bei allem was kommt, sollte man diese kleine Falle immer im Hinterkopf behalten…
Vektoren kann man addieren – in der praktischen Darstellung mit der Länge setzt man die beiden Vektoren, die man addieren will, einfach “Kopf” an “Schwanz” hintereinander und zeichnet einen Pfeil von Anfang bis Ende:
Man kann Vektoren auch subtrahieren. So wie 5-3 die Zahl ist, die mich von der 3 zur 5 bringt, so ist a–b der Vektor, der mich von b nach a bringt: Dafür setzt man sie entweder “Schwanz” an “Schwanz” und zeichnet einen Vektor b nach a, oder man dreht den zweiten Vektor einfach um (aus b wird –b) und addiert sie dann. In beiden Fällen kommt dasselbe heraus:
Falls sich übrigens jemand über den Fettdruck für die Vektoren wundert: üblicherweise werden Vektoren in Zeichnungen mit kleinen Pfeilen versehen, aber da man die schlecht drucken oder in html anzeigen kann, nimmt man in Texten stattdessen fettgedruckte Buchstaben.
Oft interessiert man sich für den Anteil eines Vektors, der in eine Richtung zeigt. Wenn ich beispielsweise nach Nordosten fahre, dann hat meine Bewegung einen Nordanteil und einen Ostanteil. Um die Anteile zu bestimmen, zeichnet man eine senkrechte Linie auf die Richtung, in der man den Anteil wissen will, die genau an der Spitze des Vektors endet. Ein Bild erklärt das besser als 1000 Worte:
Hier bestimmen wir den Anteil vx des Vektors v in x-Richtung und seinen Anteil vy in y-Richtung. (Wem x und y als Richtungen zu unanschaulich sind, der denke sich stattdessen Nord-Süd und Ost-West, in drei Dimensionen kommt dann noch die z-Richtung dazu, die wäre dann Oben-Unten.)
In drei Dimensionen geht das auch, ist aber schwerer zu zeichnen:
Ich habe hier die Zeichnung so gedreht, das z nach rechts zeigt – das ist so üblich, wenn man sich mit elektromagnetischen Wellen befasst.
Die Maxwellgleichungen sagen etwas darüber, wie sich Vektoren (nämlich elektromagnetische Felder) mit der Zeit ändern. Wenn ein Vektor E jetzt einen bestimmten Wert hat und gleich einen anderen, dann ist die Änderung einfach die Differenz zwischen dem Wert “gleich” und dem Wert “jetzt”. (Strenggenommen muss man durch den Zeitabstand zwischen “gleich” und “jetzt” teilen, aber das führt dann schon zur Differentialrechnung, das sparen wir uns hier…)
Die zeitliche Änderung eines Vektors E nennt man auch seine “Ableitung”, und schreibt sie dE/dt (eigentlich für ein Feld mit einem geschwungenen “d”, aber das habe ich hier nicht.)
Das war’s auch schon, mehr müssen wir mit unseren Vektoren gar nicht machen.
Als nächstes betrachten wir ein Vektorfeld: Dabei denken wir uns nicht bloß einen einzelnen Vektor, sondern befestigen einen Vektor an jedem Punkt des Raumes. Da wir unendlich viele Vektoren schlecht zeichnen können, zeichnen wir nur eine Auswahl von ihnen:
So ein Gebilde nennen wir ein Vektorfeld. Auch hier ist die Wettervorhersage ein gutes Beispiel: Die Windgeschwindigkeiten sind ein solches Vektorfeld.
“Hallo???”, höre ich da jemanden fragen. “Geht’s hier auch mal irgendwann um Elektromagnetismus”
Tut es, nämlich jetzt: Das elektrische Feld ist ein Vektorfeld, das magnetische Feld auch. Wer sich ein elektromagnetisches Feld vorstellen will, der muss sich also an jedem Punkt im Raum zwei Vektoren vorstellen, einen für’s elektrische Feld, E genannt, einen für’s magnetische Feld, der B heißt. (Manche Leute schreiben auch H statt B, aber das sind die ganz bösen angewandten Physiker, die Magnetfelder in Materie angucken, sowas tun wir hier nicht…)
Wenn ich also ein elektrisches Feld habe, dann gehört zu jedem Punkt des Raumes eine Feldstärke, die angibt, wie stark das Feld ist, und eine Richtung, in die das Feld zeigt. Um das Feld zu messen, nimmt man eine kleine elektrische Ladung und hält sie in das Feld an dem Punkt, wo man den Wert des Feldes wissen will. Dann übt das Feld auf die Ladung eine Kraft F aus – die Kraft ist auch ein Vektor, denn eine Kraft hat ja auch eine Stärke und eine Richtung. Das Feld berechne ich dann indem ich die Kraft durch die Stärke der Ladung teile: E = F/q. (Iiih, eine Formel!) Auf eine doppelt so starke Ladung wirkt also eine doppelt so große Kraft.
Um das Feld zu messen, fahre ich also mit meiner kleinen Ladung q durch die Gegend, messe überall die Kraft und berechne daraus die Feldstärke und die Richtung des Feldes.
Das Magnetfeld kann man ähnlich messen – es ist etwas kniffliger, weil man die Ladung mit einer konstanten Geschwindigkeit bewegen muss, deshalb verschiebe ich die Details auf einen der späteren Teile.
Insgesamt muss man sich also an jedem Punkt des Raumes zwei Pfeile befestigt denken, einen für E, einen für B.
(Klingt alles ganz hoffentlich anschaulich, birgt aber auch seine Tücken – die kehren wir mal unter den Teppich, denn wir wollen ja zu den Maxwellgleichungen.)
So, das war das Vorgeplänkel. Im zweiten Teil müssen wir noch ein klein wenig über Vektorfelder nachdenken, aber dann können wir die Maxwellgleichungen (im Vakuum) hinschreiben und (hoffentlich) verstehen.
Hier ein Überblick über die ganze Serie:
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 1. Felder
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 2. Im Vakuum
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 3. Wir bauen eine Welle
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 4. Voll geladen
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 5. Unter Strom
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 6. Spieglein, Spieglein
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