Vortrag von Martinus Pitor
anlässlich der 3. Kosmologietagung, Florenz, AD 1631
“Die in jüngster Zeit veröffentlichten Arbeiten von Kepler und Galilei zur Kosmologie haben zu Recht für großes Aufsehen gesorgt. In diesem Vortrag sollen die erzielten Ergebnisse kritisch analysiert und gewürdigt werden.
Zunächst ist festzuhalten, dass die vorgelegte alternative Kosmologie ein eindrucksvolles mathematisches Ergebnis darstellt. Vermutlich hätte niemand erwartet, dass es möglich ist, die Bewegungen der Planeten und der Sonne durch ein anderes Rechenschema als das bewährte System der Epizykel um eine ruhende Erde herum zu beschreiben. Für diesen großartigen Erfolg gebührt den beteiligten Wissenschaftlern unsere Anerkennung.
Allerdings mehren sich in letzter Zeit auch Stimmen, die die neue, “heliozentrisch” genannte Theorie nicht als Rechenschema interpretieren wollen, sondern als tatsächliche Beschreibung der realen Welt. Im Folgenden möchte ich aufzeigen, dass diese Interpretation, so kühn und interessant sie auch erscheinen mag, in klarem Widerspruch zu zahlreichen bekannten Fakten steht, eine unzulässige Vielzahl an Zusatzannahmen erfordert und sogar in sich widersprüchlich ist.
Im Einzelnen ergeben sich drei fundamentale Probleme mit einer solchen Theorie.
1. Damit das heliozentrische Weltbild korrekt sein kann, muss sich die Erde nicht nur um ihre eigene Achse drehen, sondern auch mit hoher Geschwindigkeit durch das Universum bewegen. Dies wirft gleich zwei Fragen auf: Zum einen ist zunächst nicht klar, warum wir die notwendige rasche Bewegung nicht spüren können, zum anderen ist zu klären, wie diese Bewegung aufrecht erhalten werden kann.
Im Rahmen des heliozentrischen Weltbildes wurde zur Lösung dieser Probleme eine neue Mechanik vorgeschlagen, die eine Hypothese verwendet, die als “Relativität” bezeichnet werden kann. Darunter ist zu verstehen, dass eine Bewegung nur relativ zu einer anderen Bewegung überhaupt bemerkbar sein soll, dass aber eine gleichförmige Bewegung selbst nicht zu detektieren sein soll. Hieraus folgt auch, dass eine gleichförmige Bewegung ohne den Einfluss äußerer Kräfte nicht beendet werden kann, sondern für alle Zeit anhält.
Natürlich steht diese Hypothese in klarem Gegensatz zu unserer Alltagserfahrung und unzähligen Beobachtungen. Irdische Bewegungen können über einen mehr oder weniger großen Zeitraum anhalten, kommen aber ohne äußeren Anstoß immer zum Erliegen, wenn der zur Bewegung notwendige Impetus aufgezehrt ist. Wie wir weiter unten noch näher beleuchten werden, ist dies auch im Rahmen der Elementarlehre unmittelbar verständlich. Die Hypothese der Relativität steht hierzu in klarem Widerspruch.
Doch dies ist nicht nicht einmal ihr Hauptproblem. Zur Bestätigung der Hypothese wurden Demonstrationen angeführt, bei denen beispielsweise eine Kugel auf einem bewegten und dann plötzlich stoppendem Wagen zunächst mit ihrer anfänglichen Schnelligkeit weiterrollt. Dies soll demonstrieren, dass die seit Aristoteles bekannte Neigung der Körper, zur Ruhe zu kommen, auf äußeren Einflüssen beruht und dass Körper in Bewegung bleiben, wenn sie von allen äußeren Einflüssen soweit als möglich getrennt werden.
Hier ergibt sich jedoch ein klarer Widerspruch innerhalb der Theorie: Selbst wenn es richtig wäre, dass ein Körper, der frei von äußeren Einflüssen wäre, sich nicht verlangsamt und zur Ruhe kommt, so kann dies für eine um die Sonne kreisende Erde ja nicht gelten, denn diese bewegt sich ja eben nicht auf einer geradlinigen Bahn, sondern auf einer Kreisbahn. Hierzu müssen also Kräfte auf die Erde wirken können, so dass nicht einzusehen ist, warum die Erde bzw. die auf ihr befindlichen Gegenstände dann nicht zur Ruhe kommen. Der Ursprung der Kraft, die die Erde auf eine solche Bahn zwingen kann, ist ebenfalls innerhalb der Theorie nicht erklärbar. Die heliozentrische Theorie ist also bereits in sich widersprüchlich, wenn man die getroffenen Zusatzannahmen ernsthaft verfolgt.
2. Durch Beobachtung wissen wir, dass die Himmelskörper aus einer anderen Substanz bestehen als die Erde, denn sie fallen nicht zu Boden und sie sind in der Lage, selbsttätig zu leuchten. Dass diese ätherische Substanz deshalb auch ein auf der Erde nicht bekanntes Vermögen besitzen kann, sich unablässig zu bewegen, scheint eine vergleichsweise einleuchtende Annahme.
Bewegt sich dagegen die Erde ebenso wie die anderen Himmelskörper, so ergibt sich das Problem, dass die vier irdischen Elemente sich genauso verhalten müssen wie es die ätherischen Himmelskörper tun. Da irdische Elemente (vom Element Feuer abgesehen, das aber bekanntlich eine große Flüchtigkeit besitzt und dem Äther so am ähnlichsten ist), nicht selbst leuchten, ist aber die unterschiedliche Zusammensetzung von Erde und anderen Himmelskörpern unmittelbar demonstriert. Anzunehmen, dass die irdischen Elemente dennoch denselben Bewegungsgesetzen unterliegen wie die Himmelskörper, wobei diese Gesetze allerdings nicht mit den für die irdischen Elemente Beobachteten übereinstimmen, wie oben demonstriert, stellt eine weitere durch nichts begründete Zusatzannahme des heliozentrischen Weltbildes dar.
3. Würde sich die Erde tatsächlich bewegen, so müsste sich diese Bewegung auch unmittelbar wahrnehmen lassen. Befindet sich die Erde auf der einen Seite ihrer Bahn, so sind die dortigen Fixsterne ihr näher und die Sternbilder müssten dementsprechend größer erscheinen, während die Sternbilder auf der anderen Seite entsprechend verkleinert wären. Auch dieses Phänomen widerspricht unseren, mir hoher Präzision gemachten, Beobachtungen.
Um dieses Problem zu umgehen, vertreten Anhänger des heliozentrischen Weltbildes weitere Zusatzannahmen: So sollen die Fixsterne so weit entfernt sein, dass die Größenänderung der Sternbilder nicht wahrnehmbar ist. Diese Annahme, die wiederum durch nichts begründet ist, bedingt aber eine weitere Schwierigkeit: Die erforderliche Entfernung der Fixsterne wäre in diesem Fall so gigantisch, dass sie über eine extreme Helligkeit verfügen müssten, die der unserer Sonne zumindest gleichkäme.
Gestützt wird diese Behauptung angeblich durch die Beobachtung Galileis, dass sich innerhalb des Bandes der Milchstraße einzelne Sterne erkennen lassen, wenn dieses mit einem Teleskop beobachtet wird. Hierzu ist allerdings zweierlei anzumerken: Die Teleskopie ist eine vergleichsweise neue Technik, die noch nicht in allen Einzelheiten verstanden ist. Störungen in der Luft oder Fehler in den verwendeten Glaslinsen können zu fehlerhaften Beobachtungen führen, die nur schwer zu kontrollieren sind. Zwar kann die Wirkungsweise der Teleskope an irdischen Beobachtungen überprüft werden, doch ist nicht klar, ob das durch ätherische Himmelskörper ausgesandte Licht in einem Teleskop nicht anderweitig verändert wird und so zu zusätzlichen Fehlern führt. Allein aus diesem Grund sind auch die angeblich beobachteten Phasen der Venus mit großem Misstrauen zu betrachten. Weiterhin wäre allein die Tatsache, dass sich im Milchstraßenband einzelne Punkte isolieren lassen, selbst kein Beleg dafür, dass diese Punkte tatsächlich Sonnen sind, sondern nur dafür, dass das Milchstraßenband eine Struktur besitzt.
Die willkürlich zur Rettung der heliozentrischen Theorie getroffene Annahme, bei den Fixsternen handele es sich in Wahrheit um Sonnen, besitzt also keinerlei Rechtfertigung. Doch darüber hinaus ergibt sich noch eine viel fundamentalere Schwierigkeit: Wenn die Fixsterne an Leuchtkraft unserer Sonne gleichkommen, so müssen sie ihr auch in den anderen Eigenschaften gleichen. In diesem Fall allerdings stellt sich die Frage, inwieweit die Annahme, dass die Sonne selbst im Zentrum des Universum steht, noch gerechtfertigt ist. So ist dann nicht mehr zu verstehen, warum sich die Planeten auf Bahnen nur um diese eine Sonne bewegen sollen, wenn es derer denn so viele gibt, vielmehr müssten sich die Planeten entsprechend der Theorie auf komplizierten Bahnen um all diese Sonnen herum bewegen.
Abschließend zeigt sich also, dass die Annahme, das heliozentrische Weltbild sei mehr als ein brillanter Rechenformalismus, nicht nur im Widerspruch zu zahlreichen wissenschaftlichen Prinzipien steht, sondern auch in sich widersprüchlich ist. Die Beantwortung der Frage, warum es überhaupt ein alternatives Rechenschema zur Berechnung der Planetenbewegung geben kann, wird in der Zukunft ein fruchtbares Forschungsgebiet der Kosmologie bilden. Als realistisches kosmologisches Modell ist das heliozentrische Weltbild jedoch
ungeeignet.”
Nachbemerkung:
Im Nachhinein ist es ganz einfach: Heute wissen wir, dass Galilei Recht hatte. Wer populärwissenschaftliche Darstellungen der Physikgeschichte liest, der denkt vermutlich “Hätte ich damals gelebt, wäre ich nicht so dogmatisch gewesen, sondern hätte Galileis Thesen akzeptiert”.
Dieser Text entstand, als ich darüber nachdachte, ob das wirklich so wäre. Sicherlich waren nicht alle Menschen, die Galileis Thesen hörten, dogmatisch verbohrt, und vielleicht hätte es für jemanden, der damals lebte, scheinbar gute Gründe gegeben, Galileis Thesen abzulehnen, vielleicht hätte ich selbst, wenn ich damals gelebt hätte, seine Thesen ebenfalls nicht geglaubt. Aus dieser Idee heraus schrieb ich diesen Text – wobei ich eigentlich sagen muss, dass er sich fast von selbst schrieb.
Da ich kein Wissenschaftshistoriker bin, kann ich nicht sagen, ob alle Argumente, die ich hier anführe, in der damaligen Zeit wirklich so hätten vorgebracht werden können. Vielleicht hat es einige der Argumente so nie gegeben (beispielsweise die Kritik an der Teleskopie), wahrscheinlich habe ich andere übersehen. Vermutlich aber gab es Gegenargumente, die damals einleuchtend erschienen, auch wenn wir heute wissen, dass sie falsch waren. (Eine kurze Darstellung, die sich zumindest teilweise mit meiner Einschätzung deckt, habe ich beim MPI für Wissenschaftsgeschichte gefunden, dort wird vor allem die Rolle des Teleskops herausgestellt.)
Natürlich möchte ich mit diesem Text nicht relativieren, dass die Kirche mit Kritikern barbarisch umgesprungen ist; nicht, dass jemand diesen Text als “Entschuldigung” missversteht, so ist er keinesfalls gemeint. Aber selbst, wenn es damals keine Kirche gegeben hätte, dann hätten Galileis Thesen es vielleicht schwerer gehabt, als man heute gern annimmt, sie waren vielleicht revolutionärer als wir es heute wahrnehmen.
Der Text ist übrigens auch nicht als Ermunterung für Relativitätstheorieleugner, Flache-Erde-Anhänger und andere “Galilei-wurde-auch-verlacht”-Cranks gemeint – aber das versteht sich hoffentlich von selbst.
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