Eigentlich haben wir es bereits geschafft: In Teil 5 haben wir die Maxwellgleichungen schon vollständig hingeschrieben. Wir haben gesehen, wie Ladungen Felder erzeugen. Ladungen reagieren aber auch auf Felder – das sehen wir in diesem (vorerst letzten) Teil.
Dass ein elektrisches Feld E eine Kraft F auf eine Ladung q ausübt, das wissen wir schon aus dem ersten Teil:
F = q E
Ladungen reagieren aber auch auf Magnetfelder, allerdings nur, wenn sie sich bewegen (die Ladungen, nicht die Magnetfelder). Die Kraft steht dabei senkrecht sowohl auf der Geschwindigkeit als auch auf dem Magnetfeld. Für eine positive Ladung in einem konstanten Magnetfeld sieht das etwa so aus (den Ausdruck vxB erkläre ich gleich, hier erstmal das Bild, in der gewohnten 3D-Kritzeltechnik):
Das Magnetfeld zeigt hier nach oben und die positive Ladung fliegt nach hinten. Auf sie wirkt dann eine Kraft nach rechts, also genau senkrecht zu ihrer Bewegungsrichtung. Ist die Ladung ein Stück von ihrer Richtung abgekommen und fliegt jetzt nach hinten rechts, so sieht alles aus wie vorher, nur etwas gedreht, die Kraft wirkt nach vorne rechts. Sie zeigt also immer nach rechts, von der Bewegungsrichtung der Ladung aus gesehen. (Wäre das Magnetfald andersrum, würde sie natürlich nach links zeigen.) Also bewegt sich die Ladung auf einer Bahn, bei der immer eine nach rechts ablenkende Kraft wirkt, also eine Kreisbahn.
Fliegt das Teilchen dabei durch eine überhitzte Flüssigkeit, so kann es eine Blasenspur erzeugen. Mit solchen Bildern wie diesem hier:
(Quelle: CERN)
kann man dann beispielsweise die Spuren von Elementarteilchen verfolgen. Hier fliegen ein negatives Elektron und ein positives Positron herum, die aus einem Photon entstanden sind, beide mit entgegengesetzten Drehsinn ihrer Bahnen – die werden immer enger, weil beide gebremst werden. Solche Blasenkammeraufnahmen waren lange Zeit eins der wichtigsten Werkzeuge der Elementarteilchenphysiker.
Die magnetische Kraft auf eine elektrische Ladung nennt man auch die Lorentz-Kraft. Um für sie eine Formel hinzuschreiben, müssen wir noch das Kreuzsymbol von oben einführen: Man nennt es das “Kreuzprodukt” und berechnet es für zwei beliebige Vektoren wie folgt:
Der Wert des Kreuzproduktes entspricht der Fläche, die vom Parallelogramm zwischen den beiden Vektoren aufgespannt wird. Um seine Richtung zu bestimmen, brauchen wir wieder den guten alten Korkenzieher: Man dreht ihn von a zu b – die Richtung, in der er sich bewegt, ist die Richtung des Kreuzproduktes. Das Ergebnis eines Kreuzproduktes ist also ein Vektor, der auf den beiden Ausgangsvektoren senkrecht steht, so wie wir es oben für die Kraft gesehen haben.
Mit dem Kreuzprodukt können wir jetzt die Kraft auf eine Ladung hinschreiben:
F = q (E + v x B)
Diese fünfte Gleichung macht die Elektrodynamik komplett. Wenn wir jetzt noch das zweite Newtonsche Axiom F=ma (Kraft gleich Masse mal Beschleunigung) hinzunehmen, dann haben wir die klassische Elektrodynamik vollständig abgehakt.
Mit ein bisschen Mathematik kann man sogar eine allgemeingültig Lösung der Gleichung hinschreiben, die steht in den Feynman-Lectures, Band II, aber das spare ich mir hier, dazu bräuchten wir zuviel mathematischen Apparat.
Aber zum (vorläufigen) Abschluss der Serie will ich noch ein Beispiel vorstellen – allerdings nicht bis ins letzte Detail, sondern nur so, dass man ein “Gefühl” bekommt. Das Beispiel stammt übrigens auch von Feynman. (Nein, ich bekomme keine Prozente für den Verkauf von Feynman-Büchern, aber wer anschauliche Physik-Erklärungen sucht, ist immer gut beraten, erstmal die Lectures zu konsultieren.)
Dazu betrachten wir eine Metallplatte, die in der x-y-Ebene liegt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt (t=0) beschleunigen wir alle Elektronen in der Platte in +x-Richtung. Da Elektronen negativ sind, zeigt der Strom also nach Vorn. Weil es eine Platte ist, die überall gleich aussieht, brauche ich wieder alles nur entlang einer Linie zu zeichnen:
Ich habe in das Bild schon gleich die Lösung eingezeichnet. Es entsteht ein B-Feld und ein E-Feld im Raum neben der Platte, die sich beide gemeinsam nach rechts (und nach links) ausbreiten. Die Grenzlinie, bei der die Felder von Null verschieden sind, bewegt sich mit Geschwindigkeit c von der Platte weg.
Qualitativ kann man schnell sehen, dass die Lösung so aussehen muss: Um den Strom herum bildet sich ein Magnetfeld wie im letzten Teil. Wäre es nur ein Draht, wäre das Magnetfeld ringförmig, aber alle Anteile, die nicht exakt nach oben in y-Richtung zeigen, werden von den Magnetfeldern aufgehoben, die die drüber- und drunterliegenden Ströme erzeugen. Deshalb bleibt nur der Anteil in +y-Richtung übrig. Wie bei unserer Welle im 3. Teil breitet sich hier das Ende nach rechts aus. Mit unseren Maxwellgleichungs-Schleifen könnten wir nachrechnen, dass sich am Ende, wo die Welle sich ausbreitet, ja das Magnetfeld ändert, also muss dort ein passendes elektrisches Feld entstehen. Andersrum ändert sich auch das elektrische Feld, also muss es ein Magnetfeld geben – die beiden bedingen sich gegenseitig.
Es breitet sich also ausgehend von unserer Platte ein konstantes EM-Feld nach rechts aus.
Jetzt betrachten wir eine um 180Grad gedrehte Situation – der Strom fließt jetzt in +x-Richtung. Drehen wir die Lösung entsprechend, ergibt sich:
Und jetzt nehmen wir erst den einen, dann den anderen Fall. Wir bekommen also erst ein elektrisches Feld in die eine, dann in die andere Richtung. Das sieht etwa so aus:
(Ich habe hier +j für den Strom in -x-Richtung geschrieben, weil das der ist, mit dem wir angefangen haben. Ich hoffe, das verwirrt niemanden.)
Das Bild erinnert (hoffentlich) ein bisschen an unsere EM-Welle aus Teil 3. Ist aber nicht ganz so schön geschwungen, sondern ziemlich eckig. Wenn wir aber unsere Ströme nicht sprunghaft ändern, sondern langsam, dann rundet sich auch unser elektrisches Feld aus und wir bekommen eine richtige EM-Welle. So kann man also Wellen erzeugen.
Falls man keine Metallplatte hat, sondern nur einen Draht, so breitet sich die Welle entsprechend radial nach Außen aus. Um eine EM-Welle zu erzeugen, müssen wir also einen Wechselstrom in einem Draht haben – so etwas nennt man einen elektrischen Sender. Den Wechselstrom bekommen wir z.B. aus der Steckdose. (Ja, jedes Kabel in der Wohnung ist eine Quelle von elektromagnetischer Strahlung, die ist allerdings ziemlich schwach.)
Nehmen wir als letztes Beispiel wieder unsere Metallplatte, jetzt aber ohne Ströme. Wenn jetzt eine EM-Welle auf die Metallplatte trifft, so beschleunigt das elektrische Feld in dieser Welle die Elektronen entgegen der Richtung des Feldes. (Elektronen sind ja negativ, deswegen bewegen sie sich entgegen der Pfeile des elektrischen Feldes, danke für den Hinweis, Fabian.) Dadurch entsteht ein Strom.
Der Strom erzeugt, wie oben gesehen, ein elektrisches Feld in entgegengesetzter Richtung. Dieses ist also dem einfallenden Feld genau entgegengesetzt und schwingt genau mit ihm im Gegentakt. (Das tatsächlich im Detail nur per Zeichnung zu beweisen, ist mir leider nicht gelungen. Falls jemand eine Idee hat…?) Wenn das einfallende Feld positiv ist, ist das erzeugte Feld negativ und umgekehrt. Die beiden entgegengesetzten Felder heben sich gerade auf, hinter der Metallplatte ist das Feld also verschwunden.
Die Ströme in der Metallplatte erzeugen aber natürlich ein EM-Feld nicht nur nach rechts, sondern auch nach links. Wir haben also eine EM-Welle, die auf eine Platte trifft. Die Welle wird ausgelöscht, aber dafür wird eine neue Welle ausgesandt, die sich in Richtung der einfallenden Welle ausbreitet.
Ein solches Gebilde hat in der physikalischen Fachsprache auch einen speziellen Namen: Man nennt es “Spiegel”.
Zum Abschluss noch ein letztes Schmankerl: Wir haben bei unserem Spiegel nur das elektrische Feld betrachtet. Was tut das Magnetfeld mit den Ladungen in der Platte?
Zunächst natürlich nichts, solange die Ladungen in Ruhe sind. Wenn der Strom zu fließen beginnt, fließt er aber in Richtung des einfallenden elektrischen Feldes, also senkrecht zum Magnetfeld. In diesem Fall müssen wir die Formel für die Lorentzkraft oben verwenden:
Man sieht, dass eine Kraft entsteht, die die Ladung in Richtung der EM-Welle drückt. Licht übt also einen Druck aus. Der ist zwar ziemlich klein, aber messbar und kann sogar verwendet werden, um mit einem Lichtsegel Raumfahrzeuge anzutreiben.
Wie man sieht, können wir mit unserem Wissen über Maxwellgleichungen eine ganze Menge Phänomene verstehen – Antennen, Spiegel, Wellen, Lichtdruck, Blasenkammern. Das alles (und noch viel mehr) steckt in der Kraftgleichung und unseren Vier Maxwellgleichungen.
Einiges steckt allerdings nicht drin – wie Gegenstände Licht absorbieren ist mit den Mitteln der klassischen Physik beispielsweise nicht zu erklären, dazu braucht man die Quantenmechanik.
So, damit ist diese kleine Serie für’s erste zu Ende. Vielleicht hat’s ja doch jemand bis hierher geschafft. Ich hoffe, die Artikel haben Spaß gemacht und vielleicht eine Idee gegeben, warum man Gleichungen “schön” finden kann.
Hier ein Überblick über die ganze Serie:
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 1. Felder
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 2. Im Vakuum
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 3. Wir bauen eine Welle
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 4. Voll geladen
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 5. Unter Strom
Die Maxwellgleichungen (fast) ohne Formeln: 6. Spieglein, Spieglein
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