In diesem Artikel will ich etwas über eins meiner eigenen Forschungsthemen erzählen. Dabei geht es um Werkstoffe für Gasturbinen. Gasturbinen, wie man sie in Flugzegtriebwerken oder zur Stromerzeugung einsetzt, sind ziemlich beeindruckende Maschinen. In der Brennkammer herrschen Temperaturen von 1400°C und mehr – genaue Zahlen rücken die Hersteller natürlich nicht raus. Das heiße Gas trifft dann auf eine Reihe von Turbinenschaufeln, die sich so schnell drehen, dass die Zentrifugalkraft an jeder von ihnen dem Gewicht eines Kleinwagens entspricht.

Hier sieht man eine stationäre Gasturbine bei der Montage:

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(Quelle: Wikimedia By Siemens Pressebild – https://www.siemens.com/index.jsp?sdc_p=cfi1075924l0mno1104052ps5uz3&sdc_bcpath=1327899.s_5%2C%3A1176453.s_5%2C&sdc_sid=31766592256&, CC BY-SA 3.0, Link)

Werkstoffe, die solche Temperaturen und Lasten aushalten können, gibt es nur wenige. Generell sind Keramiken für hohe Temperaturen gut geeignet, weil sie oft sehr hohe Schmelzpunkte haben. Allerdings sind sie ziemlich spröde und brechen leicht – eine zerbrechende Turbinenschaufel würde aber womöglich die ganze Turbine zerstören, wenn die Bruchstücke durch die Zentrifugalkraft weggeschleudert werden.
Also verwendet man Metalle. Hochschmelzende Metalle wie Wolfram sind ungeeignet, weil sie unter den Bedingungen in einer Turbine schneller oxdieren würden, als man seinen Namen schreiben kann. (Deswegen sind Glühlampen ja auch mit einem Schutzgas gefüllt.) Das Metall der Wahl ist Nickel, das auch bei sehr hohen Temperaturen noch eine gute Festigkeit hat.
Nickellegierungen (gern auch Nickelbasis-Superlegierungen genannt) haben einen Schmelzpunkt von etwa 1300°C. Man muss kein Physikgenie sein um zu erkennen, dass eine Nickellegierung in einer Turbine mit Gastemperaturen von 1400°C ein Problem darstellt – schmelzflüssige Turbinenschaufeln sind auf die Dauer auch nicht so gut.
Deshalb sind die Schaufeln innen hohl und werden mit Luft gekühlt, die durch kleine Kühllochbohrungen in der Schaufel nach Außen geblasen wird. Die Schaufeln sind also innen kälter (naja, kalt ist relativ, da herrschen auch gut 600°C) aus Außen. Ein schönes Foto, das ich legal zeigen darf, habe ich leider nicht, hier ein Bild von Wikimedia:

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By Tomeasy – Own work by uploader; produced with Adobe illustrator, CC BY-SA 3.0, Link

Und jetzt kommen die “Topflappen” ins Spiel. Ein Topflappen besteht aus einem Material, das schlecht Wärme leitet. Es isoliert deshalb die kühle Hand vom heißen Topfgriff, weil sich ein Temperaturgefälle ausbildet – je schlechter die Wärmeleitfähigkeit des Topflappens, um so mehr Temperatur fällt über ihn ab und um so kühler bleibt die Hand.Dieses Prinzip nutzt man auch für Turbinenschaufeln – Wolltopflappen sind bei 1400°C natürlich nicht so haltbar, deshalb macht man die “Topflappen” aus einer Keramik. Genauer gesagt, man beschichtet die Turbinenschaufel mit einer dünnen Keramikschicht, die einige Hundert Mikrometer dick ist. (Weil die Schicht dünn ist, macht es jetzt auch nichts, dass Keramiken spröde sind, die Schicht soll ja keine Last tragen, sondern nur vor Wärme schützen.) Hier sieht man so eine Turbinenschaufel – der weiße Belag ist die Wärmedämmschicht (deswegen sind auch oben im Montagebild die Schaufeln und die Kammer weiß):

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(Quelle: Wikimedia, By Martin Brown – https://grcimagenet.grc.nasa.gov/share/scr_stillimages_detail.cfm?c_numbertextdisplay=C-1979-2989&cnumber=2989&cnumber=2989&date=1979&dis_opts=contacts&max_hits=100&maxcnumber=4131&maxcyear=1942&startrow=100&txttitle=&year=1979&year=1979, Public Domain, Link)

Als Schichtmaterial hat sich Zirkonoxid (mit ein bisschen Yttrium drin) durchgesetzt. Zirkonoxid hat selbst für eine Keramik eine niedrige Wärmeleitfähigkeit und gleichzeitig einen relativ großen Wärmeausdehnungskoeffizient (den kürzen wir mit CTE ab: coefficient of thermal expansion, weil ich sonst nen Tippkrampf bekomme). Der CTE ist wichtig, weil sich die Schaufel beim Aufheizen und Abkühlen natürlich ausdehnt – je stärker sich Keramik und Metall unterscheiden, desto größer sind die Spannungen, die entstehen. Das gucken wir gleich noch im Detail an.

Zirkonoxid wird in poröser Form aufgebracht (meist mit einer Technik namens “Plasmaspritzen”, wo man winzige schmelzflüssige Kügelchen aufprallen lässt und eine Struktur entsteht, als würde man einen Haufen Pfannkuchen übereinanderstapeln.). Dadurch wird zum einen die Wärmeleitfähigkeit noch kleiner, zum anderen ist das Material wegen der Poren dehnbarer und weniger spröde und kann deshalb die Spannungen, die entstehen, besser ertragen. Das poröse Material ist aber sauerstoffdurchlässig, so dass der Sauerstoff in der Brennkammer die Nickellegierung oxidieren würde. Um das zu vermeiden, bringt man vor dem Zirkonoxid noch eine Zwischenschicht auf, eine sogenannte Haftvermittlerschicht. Die ist auch eine Nickellegierung, aber mit einen hohen Anteil an Chrom und Aluminium, wodurch sie korrosions- und oxidationsbeständig wird.
So sieht das ganze dann im Querschnitt aus, wenn man im Elektronenmikroskop draufschaut (ein bisschen erkennt man auch die Pfannkuchenstruktur in der Haftvermittlerschicht, die wird auch plasmagespritzt)

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Wir haben jetzt also schon drei Materialien: Nickellegierung als Substrat, aus dem die eigentliche Schaufel ist, dann die Haftvermittlerschicht und schließlich das Zirkonoxid. Weil das noch nicht kompliziert genug ist, entsteht im Betrieb noch eine Schicht: Der Sauerstoff, der durch die Zirkonoxidschicht hindurchdiffundiert, reagiert mit dem Aluminium im Haftvermittler und bildet eine einige Mikrometer dicke Schicht aus Aluminiumoxid, TGO (für thermisch gewachsenes Oxid) genannt. Ich habe das hier mal schematisch eingezeichnet:

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Diese TGO macht Probleme: Experimentell stellt man fest, dass Wärmedämmschichten irgendwann abplatzen, und zwar immer dann, wenn die TGO eine Dicke von 5-10 Mikrometer überschreitet. Leider kann man nicht genau vorhersagen, wann die Schicht versagt. Deshalb muss man Turbinenschaufeln immer noch so auslegen, dass sie zur Not auch ohne Wärmedämmschicht bis zur nächsten Inspektion durchhalten.

Könnte man die Lebensdauer der Schicht vorhersagen, dann könnte man die Gastemperatur erhöhen, weil man dann die Wärmedämmschicht in der Auslegung voll berücksichtigen und somit ausreizen könnte. Das wiederum würde den Wirkungsgrad erhöhen. (2. Hauptsatz der Thermodynamik: Je höher die Maximaltemperatur eines Verbrennungsmotors, desto höher der Wirkungsgrad.) Da kriegt zum einen die Finanzabteilung des Kraftwerkbetreibers Dollarzeichen in den Augen (wer Spaß hat, kann ja mal abschätzen, welchen Umsatz ein 300Megawatt-Kraftwerk am Tag macht…), zum anderen ist aber ein erhöhter Wirkungsgrad auch gut für die Umwelt – weniger Abgase, weniger CO2, weniger Ölverbrauch. Insofern hat man auch ein ganz gutes Gewissen, wenn man an dieser Technologie forscht 😉

Wir versuchen also herauszufinden, wie und warum genau die Schichten abplatzen – mit Glück hilft uns ein besseres Verständnis, die Lebensdauer genauer vorherzusagen, und mit ganz viel Glück finden wir sogar einen Weg, die Lebensdauer durch Verändern der Schicht zu erhöhen.

Schaut man in so eine Schicht hinein, so sieht man, dass sich an der TGO im Laufe der Zeit (wenn die TGO wächst) immer mehr Risse bilden. Die wachsen zu größeren Rissen zusammen und irgendwann halten die Schichten nicht mehr. Das sieht man auf diesem Bild:

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(Dabei steht TBC für “thermal barrier coating”, also Wärmedämmschicht. Das dunkle Zeugs ist die TGO, die Pfeile zeigen auf den Riss. Das Bild stammt von unseren Kooperationspartnern am FZ Jülich.)

Risse entstehen in einem Material, wenn es unter Spannung (ich rede hier von mechanischen Spannungen, also von Kräften, nicht von elektrischen Spannungen) steht. Also muss man verstehen, wo Spannungen im Material herkommen. Zum einen liegt das an den Ausdehnungskoeffizienten (CTE): Die sind für alle vier Materialien verschieden, dadurch entstehen beim Aufheizen und Abkühlen natürlich Spannungen, weil sich das eine Material mehr zusammenziehen will als das andere. (Ja, ich weiß, Materialien “wollen” nichts – aber das ist hier kein wissenschaftlicher Artikel, sondern ein Blogeintrag, da ist ein bisschen Flapsigkeit hoffentlich erlaubt.) Dabei spielt eine große Rolle, dass die Grenze zwischen Haftvermittler und Zirkonoxid rau ist – das sorgt für Spannungen senkrecht zur Schichtebene, die zu Rissen führen können.

Weitere Spannungen entstehen, weil das Aluminiumoxid ja durch Sauerstoffaufnahme entsteht. Aluminiumoxid hat eine vergleichsweise geringe Dichte, das Material dehnt sich also aus und setzt seine Umgebung zusätzlich unter Spannung.

Computersimulationen der Spannung legen folgendes Bild nahe: Solange die TGO dünn ist, gibt es hohe Zugspannungen an den Rauigkeitsspitzen (die heißen im Jargon “Berge”). Wenn die TGO dicker wird, verschiebt sich die Spannung in Richtung der Täler. Man kann sich jetzt vorstellen, dass Risse an den Bergen entstehen und dann in Richtung der Täler wachsen, so wie in diesem Bild:

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Bond coat ist der englische Begriff für die Haftvermittlerschicht (irgendwann werde ich mir vielleicht angewöhnen, Bilder auch mit deutscher Beschriftung zu machen, bei meiner Arbeit brauche ich das fast nie.) Dabei sind die Spannungen (rot ist Zugspannung, blau ist Druckspannung) ein Ergebnis der Simulation, die eingezeichnete Risslinie (“crack”) soll das Modell veranschaulichen, sie ist nicht simuliert worden. Am Anfang ist der Bereich des Berges ziemlich rot, also unter Zugspannung, weil sich die haftvermittlerschicht stärker zusammenzieht als die Wärmedämmschicht. Wenn die TGO dicker wird, dann verschiebt sich der rote Bereich in die Täler. Zum einen, weil die TGO einen noch kleineren CTE besitzt und sich deshalb nicht so stark zusammenzieht, zum andern, weil das Wachstum der TGO die Wärmedämmschicht im Bergbereich unter Druck setzt.

Zugegeben, das alles wusste man schon mehr oder weniger genau, als ich anfing, mich mit Wärmedämmschichten zu beschäftigen. Was wir im Detail studieren sind zwei Fragen:

1. Welchen Einfluss haben die Materialeigenschaften auf die Spannungen? Meist geht man davon aus, dass feste Materialien besser sind als weiche, aber unsere Simulationen zeigen ein anderes Bild. Insbesondere wenn es gelingen würde, dafür zu sorgen, dass die TGO-Zwischenschicht so aufwächst, dass sie leicht verformbar ist, würden die Spannungen deutlich zurückgehen und Risse könnten vielleicht schlechter wachsen. Da die Schicht im Betrieb entsteht, ist es natürlich ziemlich schwierig, ihre Eigenschaften zu manipulieren, aber wir haben da ein paar Ideen (die verrate ich aber nicht).

2. Stimmt das Bild mit dem eingemalten Riss oben wirklich? Wenn der Riss wächst, dann verändert er ja die Spannungsverteilung. Eigentlich müsste man die Risse mitsimulieren um genau zu verstehen, was passiert. Das ist ziemlich knifflig, denn man weiß ja im Voraus nicht, in welche Richtung der Riss wachsen würde. Ich verwende eine Technik, bei der in der Simulation verschiedene Rissrichtungen ausprobiert werden, der Riss nimmt dann die, die energetisch am günstigsten ist. (Das so zu programmieren, dass alles automatisch läuft, war ein ziemlicher Kraftakt.)
Erste Ergebnisse zeigen, dass das Bild oben anscheinend nicht ganz richtig ist: Risse wachsen tatsächlich auch dann, wenn sie unter Druckspannungen stehen. Bisher ist es mir auch nicht gelungen, in der Simulation einen Riss zu erzeugen, der entsteht, dann eine Weile stehen bleibt, und dann stückweise wächst, so wie die Risse im Experiment das tun. Das spricht dafür, dass ich irgendeinen Effekt übersehe und hier in der Realität etwas passiert, das im Modell nicht erfasst wird. Momentan habe ich zwar viele Ideen, was das sein könnte, aber keine, die ich echt überzeugend finde. Solange simuliere ich weiter, ändere Parameter und versuche, mir ein Bild zu machen, wie genau Spannungen und Risse sich verhalten. Zusätzlich machen wir noch Experimente an einfachen Modellproben, die vielleicht auch ein bisschen mehr Aufschluss geben können, was genau passiert, wenn eine Wärmedämmschicht versagt. Es bleibt also spannend.

Kommentare (27)

  1. #1 BreitSide
    5. September 2010

    Faszinierend! Na da kann ich ja nur viel Erfolg wünschen – die Euros seien den Turbinenbetreibern (zum Teil) gegönnt.

    Vereinzelt gab es ja auch schon Turbinen für Autos. So eine Mikroturbine wäre ja als Reichweitenverlängerer für ein Auto wie Chevy Volt/Opel Ampera sicher sinnvoller als ein altmodischer Kolbenstampfer.

    Oder gibt es diese Probleme nur bei großen Turbinen?

  2. #2 kommentarabo
    5. September 2010

  3. #3 rosa
    5. September 2010

    Endlich mal ein Physiker, der sich mit was Vernünftigen beschäftigt. Es gibt noch ein Problem mit diesen Schichten. Die Zeitstandfestigkeit des metallischen Werkstoffs. Bei hohen Temperaturen kriecht das Metall und längt sich mit der Zeit immer mehr, bis die Schaufeln außen anstreifen. Es ist also nicht nur der TC wesentlich sondern auch dieses Verhalten spielt mit herein und wird die Schicht rissig machen. Es ist nur eine Frage der Zeit.

    Eine alte Konstruktionsregel besagt: Mach die Konstruktion so, daß ein gewähltes Verfahren/Element alleine die Aufgabe erfüllt und nicht erst in Kombination.

    Das bedeutet, entweder man schweißt oder man schraubt oder man klebt. Man soll aber eben nicht die Verfahren in Kombination anwenden, sodaß z.B. die Klebung 50% der Kräfte überträgt und die restlichen 50% die Verschraubung. Weil dann bei Versagen der einen Methode auch die andere versagen wird.

    Ähnlich verhält es sich bei dieser Beschichtung, wo schon zugestanden wird, notfalls muß es auch ohne gehen. Das Problem dabei ist, daß die Angelegenheit unkalkulierbar wird.

    In welcher Größenordnung bewegt sich denn die Wärmeleitfähigkeit des “Dämmschicht”-Materials? 3 W/mK ? Und wie hoch sind die Wärmeübergangszahlen an die Turbinenschaufeln? 2000 W/m²K ?

  4. #4 MartinB
    5. September 2010

    @BreitSide
    In der Autotechnik bin ich nicht so drin, aber das ist sicher eine Kostenfrage – eine einzelne Turbinenschaufel in einer Gasturbine (eines Flugzeugs) kostet etwa 10000Euro. Wie die Wirkungsgrade etc. sind, wenn man das entsprechend preiswert runterskaliert und ob sich das lohnt, weiß ich nicht. Ich bin ja eher der Werkstoffmensch, von praktischer Technik hab ich keine so große Ahnung.

  5. #5 MartinB
    5. September 2010

    @rosa
    “Endlich mal ein Physiker, der sich mit was Vernünftigen beschäftigt.”
    Na, das will ich so nicht unterschreiben – Elementarteilchenphysik etc. sind auch sinnvoll, nur anders.

    Was die Zeitstandsfestigkeit der Ni-Legierung angeht, ist das meiner Kenntnis nach kein so großes Problem, weil es dafür sehr genaue Lebensdauermodelle gibt, mit denen man vorhersagen kann, wie stark die Schaufeln kriechen. Das kriechen wird natürlich durch die Schicht auch verringert.

    “Ähnlich verhält es sich bei dieser Beschichtung, wo schon zugestanden wird, notfalls muß es auch ohne gehen. Das Problem dabei ist, daß die Angelegenheit unkalkulierbar wird. ”
    Hab ich nicht ganz verstanden – hältst Du es für einen Designfehler, dass man die Schaufel so auslegt, dass sie auch ohne Schicht halten würde? Geht halt nicht anders, wenn man die Lebensdauer nicht genau genug vorhersagen kann – die Schaufel muss immer bis zum nächsten Wartungsintervall halten, egal was kommt. Die Schichten sind trotzdem sinnvoll, weil sie die Lebensdauer der Schaufel erhöhen. (Und weil die Schaufeln so teuer sind, werden sie gern repariert, wenn sie Risse haben; wenn man das rauszögern kann, spart das viel Geld.)

    Die Leitfähigkeit ist für plasmagespritzte Schichten deutlich unter 1W/mK, für elektronenstrahl-Schichten etwas höher (weil weniger porös). Nen Wert für die Wärmeübergangszahl hab ich nicht parat.

  6. #6 MartinB
    5. September 2010

    @rosa
    Nachtrag, hatte ich ein bisschen falsch gelesen: Die Schichten sind hinreichend dehnbar (wegen der Poren), dass die Kriechverformung des Substrats durch Zentrifugalkraft kein Problem darstellen sollte. Zudem kriechen die Schichten selbst auch. Allenfalls bekommt man senkrecht durch die Schicht verlaufende Risse (sogenannte Segmentierungsrisse, die gibt es auch oft bei Modellversuchen), die sind aber für die Lebensdauer vergleichsweise harmlos. Elektronenstrahl-Schichten haben solche Risse schon quasi eingebaut.

  7. #7 rmw
    5. September 2010

    @BreitSide
    “Vereinzelt gab es ja auch schon Turbinen für Autos. So eine Mikroturbine wäre ja als Reichweitenverlängerer für ein Auto wie Chevy Volt/Opel Ampera sicher sinnvoller als ein altmodischer Kolbenstampfer.”
    Ja hat es vereinzelt schon gegeben und hätte sich wohl auch durchgesetzt wenn die Vorteile überwiegen würden. Hier ein Artikel dazu: https://www.motor-klassik.de/fahrberichte/44-610-min-in-einem-auto-chrysler-turbine-1102907.html
    Vor allem sind die ständigen Lastwechsel bei Fahrzeugen ein Problem.
    Man hat eine Zeitlang bei großen Schiffen Turbinen eingbaut, aber selbst da verwendet man meines Wissens nun wieder Dieselmotoren. Die sind wirtschaftlicher. Der Kolbenmotor hat mit einiger Wahrscheinlichkeit noch lange nicht ausgedient, vor allem bei häufigen Last- und Drehzahlwehsel ist er im Vorteil.

  8. #8 rudimens
    6. September 2010

    Wenn der Haftvermittler eine Antioxidations-Beschichtung ist, warum [1] ist die dann so rau? Eine glattere Oberfläche erzeugt doch kleinere Spannungsspitzen.
    Wenn die Oberfläche des Haftvermittlers die Gleiche Glätte hätte, wie das Substrat, könnte das die Rissbildung vermindern. Drastisches Beispiel über dem O von “Oxidschicht” Man kann da den Riss kommen sehen.
    mMn entstehen diese Risse durch Verschieben von Schichten entlang einer Grenze. Wenn an einer Spannungsspitze ein Kristall reisst, müssten die nebenan mittragen. Das können sie aber erst wieder, wenn genug Spannung abgebaut ist. Ein bisschen wie Erdbeben.
    [1](Darf ich hier so fragen? ; ))

  9. #9 MartinB
    6. September 2010

    @Rudimens
    Ja, guter Punkt. Die Rauigkeit ist einer der Effekte, an denen man immer wieder dreht. Problem ist, dass die Zirkonoxidschicht nicht anständig haftet, wenn die Grenzfläche zum Haftvermittler rau ist, deshalb ist eine gewisse Grundrauigkeit notwendig. Wie genau der Einfluss der Rauigkeit, versuchen wir gerade mit einem Modellsystem rauszukitzeln, ist aber experimentell ziemlich schwierig.
    Elektronenstrahl-erzeugte Schichten haben eine glattere Grenzfläche, aber die sind um Größenordnungen teurer – für Flugzeugturbinen noch o.k., für Gasturbinen wegen der Größe nicht mehr.

    PS: Warumfragen sind völlig o.k., man muss halt nur wissen, was sie bedeuten 😉

  10. #10 Alex
    6. September 2010

    Das Kriechen war ein wichtiges Stolperstein bei Frank Whittles erste Experimente mit Düsentriebwerke. Die Anforderungen an der Werkstoffe waren extrem – viele Zulieferer behaupteten, die nötige Kriechfestigkeit am Turbinenschaufel und Hitzevermittlung im Brennkammer seien unmöglich. Ein einzelnes Unternehmen hat trotzdem gemeint, sie seien nur nicht erreicht, da es bis dann kein Bedürfnis für solche Werkstoffe gegeben hatte. (Dass Whittle und Power Jets Ltd. an einem Düsentriebwerk forschten wurde bis 1941 geheimgehalten, doch haben die Metallurgen bei Laidlaw und HDA bei der ersten Anfrage verstanden, die Rede sei von einem Gasturbinen.)

    Während des Krieges experimentierte Whittle mit exotische Werkstoffe, u. a. hatte man verschiedene Keramik versucht, und sogar Schaufel aus Holz für Experimente benützt. Natürlich hielten die nicht lange, doch könnte man einigen Daten gewinnen bevor das Ding abrauchte. Holz ist billig und lässt sich schnell gestalten – es war eine Art Rapid Prototyping

  11. #11 rosa
    7. September 2010

    @ MartinB
    Früher hatte ich mich einmal mit Kohlenstoff beschäftigt, insbesonders mit kohlenstofffaserverstärktem Kohlenstoff. Das ist ein Kunststoff mit C-Fasern der anschließend in fertiggespritztem Zustand einer Wärmebehandlung unterzogen wird, wobei alle H rausgeschmissen werden und nur noch reiner C übrig bleibt. Der Werkstoff hat eine Dichte von etwa 2 g/cm³ und eine Festigkeit von 400 N/mm² (Raumtemp.). “Deine” Superlegierung hat bei 1000°C vielleicht noch eine Zeitstandsfestigkeit von (Daumenhilfe) 50 N/mm² bei einer Dichte von 7 g/cm³ (auch Daumen). Dieser CFC hat bei 1500°C aber noch 300 N/mm² und das ohne Kriechen. Mir ist es unverständlich, weshalb man einen solchen idealen Werkstoff nicht für Turbinenschaufeln verwendet.
    Die Werte habe ich nur demonstrativ geschätzt, sie sollten nur auf die Leistungsfähigkeit aufmerksam machen.
    Diesen Werkstoff könnte man sicher noch metallisch gegen Oxidationseinflüsse beschichten, falls nötig..

  12. #12 MartinB
    7. September 2010

    @rosa
    Ich erinnere mich düster, darüber mal was gelesen zu haben. Muss aber gleich verreisen – ich hoffe, ich denke dran, das nachzugucken, wenn ich wiederkomme.

  13. #13 Alex
    8. September 2010

    Schaufel aus C-Faser hat man bei Rolls-Royce in den frühen 70er versucht, ohne großer Erfolg. Das Projekt brachte RR in großen Schwierigkeiten, da die Entwicklungskosten enorm waren, und schließlich mußte der Staat eingreifen. RR wurde 1971 verstaatlicht, und 1987 wieder in freier Wildbahn gesetzt.

    Die Baureihe RB-211 sollte am Anfang aus C bestehen. Da man mit den C Fasern nicht fertig wurde, wurden sie am Ende schließlich konventionell gefertigt. Die 211er gibt es immer noch, der heutige RR Trent ist einer Weiterentwicklung des Grundkonzepts.

  14. #14 Sebastian
    10. September 2010

    “1. Welchen Einfluss haben die Materialeigenschaften auf die Spannungen? Meist geht man davon aus, dass feste Materialien besser sind als weiche, aber unsere Simulationen zeigen ein anderes Bild. […]”
    Warum geht “man” davon aus? Gerade sehr weiche Materialien sollten doch weniger Rissanfällig sein, da sie sich schon bei geringerer lokaler Spannung lokal verformen. Dadurch wird die Spannung teilweise abgebaut. Durch die konstante Last hat das Material vielleicht die Möglichkeit zu setzen?
    Möglicherweise spielt auch die sich ausbildende Geometrie in der Spitze des Risses eine Rolle.
    Ich bin kein Physiker, aber das scheint mir ein plausibler Ansatz zu sein.

  15. #15 MartinB
    11. September 2010

    @Sebastian
    Klar, die GEometrie ist wichtig.
    Warum “man” davon ausgeht, weiß ich ehrlich nicht, aber es scheint ein ziemlich unüblicher Ansatz zu sein, zu ersuchen, die Materialien gezielt “weich” zu machen – eigentlich finde ich das auch ziemlich plausibel (ist ja auch unsere eigene Idee).
    Das “setzen” bei konstanter Spannung ist sehr wichtig, das nennt man “Kriechen” – das Material verformt sich bei konstanter Last immer weiter.

  16. #16 verquer
    12. September 2010

    Ist eine Quantifizierung der 3D Konektivität der Poren nicht von größter Wichtigkeit für das Problem? Habt Ihr schonmal Tomographie mit den Proben gemacht? Die interessanten Strukturen haben scheinbar eine typische Größe von wenigen mu und wären deswegen für ein Synchrotron CT (an dem ich arbeite) geeignet.

  17. #17 MartinB
    12. September 2010

    @verquer
    Ja, wir haben mal ein CT der Schichten versucht – taugt aber nichts, weil die Poren zwischen den “Pfannkuchen” typischerweise zu dünn sind, um sichtbar zu werden, die Bilder waren nicht zu gebrauchen. Ich glaube, Neutronenbeugung kann man machen und auf die Porenverteilung schließen.
    In den Simulationen, die ich hier anspreche, mitteln wir das Material als Kontinuum und machen uns um die genaue Mikrostruktur keine Gedanken. Ob das letztendlich hinreichend gut ist, ist offen.

  18. #18 Sebastian
    13. September 2010

    Ohne Sie enttäuschen zu wollen, so neu ist die Idee nicht. Hochbelastete Werkzeuge werden teilweise so hergestellt (nur um im Mikro-Bereich zu bleiben). Man verbindet kleine, sehr harte Partikel, die sehr spröde sind, mit einem weichen, zähen Trägermaterial.
    Ich will Ihre Idee nicht kleinreden, das steht mir auch nicht zu. Soweit ich weiß, gib es diesen Ansatz noch nicht für tragende Teile (wenn man mal von einfachen Schraubenverbindungen absieht. Diese werden gerne viel weicher gestaltet, als der “gesunde Menschenverstand” fordert. Dort allerdings, auf den ersten Blick, aus anderen Gründen.)
    Vielen Dank für Ihren Artikel. Ich habe mich schon länger nicht mehr mit diesen Problemen beschäftigt, finde sie aber immernoch sehr interessant.

  19. #19 MartinB
    13. September 2010

    @Sebastian
    Klar, in anderen Zusammenhängen nutzt man “weiche” Werkstoffe schon lange.
    Die Idee, die Kriechfestigkeit der Schichten in Turbinen gezielt einzustellen, ist aber neu – relativ jedenfalls, unsere erste Veröffentlichung dazu ist auch von 2000 oder 2001.

  20. #20 Markward
    2. Januar 2011

    nur zur Info, es gibt bis heute erfolgreiche Fahrzeuge mit Gastubinen, wenn auch etwas schwerere Natur: den amerikanischen Hauptkampfpanzer M1 Abram
    https://de.wikipedia.org/wiki/M1_Abrams#Antrieb_und_Laufwerk

  21. #21 Voigt
    24. Januar 2011

    Es mag für Sie vielleicht von Interesse sein das bereits 1940 ein Dr. Martin-Hartwig an der LFA in Braunschweig einen damals geheimen Forschungsbericht erstellt hat in dem Zirkonoxyd als denkbares Material zum Schutz von Turbinenschaufeln untersucht wurde. Dieser Bericht liegt mir vor. Er hat später weiter versucht Metall Keramik Verbindungen zu erstellen für die Herstellung hochtemperaturbeständiger Materialien für Turbinenschaufeln. Ich vermute es handelte sich dabei um die Flugzeugturbine Jumo zum Einsatz für die Me262. Das war zwischen 43 und 45. Interessant zu sehen das die damals schon auf der richtigen Fährte waren…..

  22. #22 MartinB
    24. Januar 2011

    @Voigt
    Ja, das ist interessant. Zeigt vielleicht, dass es eben nicht soo viele Werkstoffe gibt, die sich für diesen Zweck eignen.

  23. #23 TheBug
    26. Januar 2011

    Interessant dabei ist, dass wir momentan Aluminiumoxid-Keramik für die Kühlung von LEDs einsetzen, weil die Wärmeleitung besser ist als die von metallischem Aluminium…

  24. #24 MartinB
    26. Januar 2011

    @TheBug
    Al2O3 hat 40W/mK – wow, das war mir nicht bewusst. Warum nimmt man denn da nicht Kupfer oder nen anderen richtig guten Wärmeleiter?

  25. #25 TheBug
    27. Januar 2011

    Kupfer ist schlicht zu teuer und chemisch zu aktiv. Aluminium ist der übliche Kompromiss zwischen Preis und Leistung bei Kühlkörpern in der Elektronik und hat auch noch den Vorteil relativ leicht zu sein.

    Bei Keramik haben wir ausserdem noch den Vorteil, dass sie nicht elektrisch leitet und die Oberfläche metallisierbar ist. Wir haben also praktisch Leiterplatte und Kühlkörper in einem und brauchen keine zusätzlichen Schichten die weitere Wärmeübergangswiderstände darstellen.

    Aluminiumnitrid ist übrigens noch besser, aber leider auch teurer.

  26. #26 MartinB
    27. Januar 2011

    @TheBug
    Interessant, danke.

  27. #27 volker
    26. April 2012

    Danke, ein sehr interessanter Artikel über Mehrstoffsysteme an der Grenze ihrer Einsatzfähigkeit.
    In grauer Vorzeit habe ich mich mal im Rahmen einer Studienarbeit als angehender Luftfahrting. mit der thermischen und geometrischen Auslegung eines 3-Wellen Strahltriebwerks beschäftigt.
    Damals habe ich gelernt, dass man die Enthalpiedifferenzen in den 3 Turbinenstufen, die ja über die jeweilige Drehzahl u. Moment mit den 3 Kompressorstufen gekoppelt sind, und die Schaufelgeometrien nur iterativ lösen kann, um exotische Kanalgeometrien zu vermeiden. Das war vielleicht ein Gewusel, nur mit dem Rechenstab und Geodreieck!
    Die Turbinenschaufeln waren (z.B. P&W JT3D) noch nicht beschichtet, die Tmax entspr. begrenzt.
    Heute habe ich als Hausmann ( Achtung Phvs- Math- innen!) ein anderes thermisches Mehrstoff-Problem, also:
    Wie lange sollte man eine heiße, frisch gekochte, festkochende Pellkartoffel in kaltem Wasser (ca. 290 K) abschrecken, damit sich die Pelle möglichst leicht ablösen lässt?
    Wärmeübertragung, Ausdehnungskoeff., Spannung in Haut, Diffusion von Wasser, etc., etc. Man sieht, das Herstellen von schmackhaften Bratkartoffeln ist vorerst nur empirisch zu lösen. Mein erster Ansatz: ca. 120-190 sek. Beißt jemand an?