Ich geb’s zu – mit diesem Eintrag hinke ich der Zeit etwas hinterher. Die Nachricht vom “Katzenkrokodil” ging Anfang August durch die Medien. Trotzdem: Einige spannende Details wurden in den Medien nicht verbreitet. Deshalb hier noch ein Blick auf Pakasuchus kapilimai, am Schluss entdecken wir sogar eine offene Forschungsfrage, die die Autoren geschickt “versteckt” haben.

Pakasuchus wurde in der nature-Ausgabe vom 5. August vorgestellt. Es handelt sich um eine kleine Krokodilart mit nur etwa 30 Zentimeter Körperlänge, die vor 105 Millionen Jahren (etwa in der Mitte der Kreidezeit) in Tansania lebte. Mit Krokodilen, wie wir sie heute kennen, hat Pakasuchus auf den ersten Blick wenig gemeinsam. [Hier war eine Rekonstruktion, aber aus Copyrightgründen habe ich sie entfernt. Ihr findet das Bild hier.]

Der Kopf war kurz und ein wenig rundlich mit Augen, die vergleichsweise weit vorn im Schädel saßen und recht große Augenhöhlen hatten. Hier ein Blick auf den Schädel:

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(AFP / National Science Foundation / John Sattle)

Auf den ersten Blick erkennt man nichts, wenn man nicht gerade Paläontologe ist. Links sieht man große Eckzähne, das weiße Zeug sind die Knochen, das rötliche ist Gestein, dort, wo der Schädel “Löcher” hat. Oben in der Mitte sieht man die Augenöffnung, in die vorn ein kleiner Knochen hineinragt (das Palpebral), was bei Krokodilen und einigen Dinosaurier nicht ungewöhnlich ist. (Bei den Dinosauriern lag das Palpebal über dem Auge und gab vermutlich einen kernigen “Adlerblick”.) Dahinter sieht man eine weitere große Höhlung, hier verliefen die Kaumuskeln, die oben am Schädel ansetzten. Das Kiefergelenk sitzt rechts hinten beim Quadratbein.

Deutlich ist, dass das Auge ziemlich “mittig” sitzt, anders als wir es von heutigen Krokodilen her kennen. Anders als bei den meisten Krokodilen und Dinosauriern liegt vor dem Auge keine weitere Schädelöffnung. Der Unterkiefer besteht – wie bei Reptilien üblich – aus mehreren Knochen. Er hat eine große Höhlung, in der der Kaumuskel ansetzte, der oben am Schädel hinter dem Auge endete.

Vorn im Schädel sieht man Zähne, die das Herz jedes Paläontologen höher schlagen lassen. Zunächst erkennt man deutlich die großen Fangzähne oben und unten, dahinter sitzen kleinere Zähne, die anders geformt sind und ein bisschen den Reißzähnen von Katzen ähneln. (Hier kann ich gleich mit einem weitverbreiteten Missverständnis aufräumen: Die Reißzähne sind nicht die langen spitzen Eckzähne, sondern die scherenartig ineinandergreifenden Zähne, mit denen Raubtiere Fleisch von Knochen reißen; kann man bei Löwen oft gut beobachten.)

Die Reptilien, die wir heute kennen, haben normalerweise Zähne, die alle gleich aussehen – wer einmal einem Krokodil ins Maul schaut, sieht, dass die Zähne sich vor allem in der Größe unterscheiden, nicht in der Form. (Wie immer in der Natur gibt es auch Ausnahmen, die Giftzähne von Schlangen beispielsweise unterscheiden sich schon von den anderen Zähnen.) Auch Dinosaurier hatten keine differenzierten Zähne – Pflanzenfresser wie die Hadrosaurier behalfen sich anders und hatten ganze Batterien von Zähnen, die eine gigantische Kaufläche bildeten. Differenzierte Zähne (also solche, die nicht alle gleich sind) findet man vor allem bei Säugetieren. Diese Zähne und der rundliche Schädel waren der Grund für den Namen “Pakasuchus”: Katzenkrokodil. Der Artname kapilimai wurde zu Ehren von Professor Saidi Kapilimai vergeben.

Der Abstand von den Zähnen zum Kiefergelenk ganz hinten ist ziemlich lang – das spricht dafür, dass Pakasuchus ziemlich schnell zupacken konnte (weil die Zähne am Ende eines langen Hebels saßen).

Der Körper war relativ schlank mit langen Beinen, so dass Pakasuchus sicher ein agiles Tier war. Ungewöhnlich an ihm war auch, dass der Körper anders als bei allen anderen Krokodilen nur schwach gepanzert war. Lediglich am Schwanz gab es die krokodilüblichen großen Knochenplatten in der Haut, die am sonstigen Körper waren länglich und vergleichsweise klein. Warum gerade der Schwanz stark gepanzert war, bleibt ein Rätsel.

Zur Zeit von Pakasuchus gab es auf der Südhalbkugel der Erde (Gondwanaland) nur wenige Säugetiere – Pakasuchus und seine Verwandten, die Notosuchier (“Südkrokodile”) besetzten also diese Nische. Pakasuchus war auch nicht der einzige Notosuchier mit ungewöhnlichen Zähnen. Sein Verwandter Chimaerasuchus aus China beispielsweise hatte flache Backenzähne, die anscheinend zum Zerkauen von Pflanzen geeignet waren – ein friedliches “Pflanzenkrokodil” also. Auch Notosuchus selbst (der Namensgeber für die Notosuchier) hatte differenzierte Zähne.

Schauen wir noch etwas genauer auf den Schädel von Pakasuchus. Das gibt vielleicht auch einen kleinen Einblick, was Paläontologen alles aus ein paar Knochen herauslesen können. Hier ein Video des Schädels (mit einem Computertomographen aufgenommen – das ist selbst schon ziemlich cool, früher hätte man die Knochen herauspräparieren müssen, was Monate oder Jahre dauern kann):

Man erkennt auch hier die unterschiedlichen Zahnformen.

Werfen wir einen Blick auf das Kiefergelenk – leider kann ich das schöne Bild aus dem nature-Artikel hier nicht direkt posten, sonst steigt uns die Rechtsabteilung von nature auf’s Dach, deshalb habe ich eine Skizze angefertigt. Wer auf das Bild klickt, wird auf das Originalbild von nature weitergeleitet (diese Skizze ist von Teilbildern k und l abgemalt, die anderen Bilder zeigen nochmal die Zähne)

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Links erkennt man das Kiefergelen in der Seitenansicht, rechts von hinten. Man erkennt, dass das Quadratbein (der Knochen im Oberkiefer) unten konkav ist und außen von einem weiteren Knochen (Surangular, Sa – ich weiß leider nicht, ob der einen deutschen Namen hat) begrenzt wird. In die konkave Öffnung greift der Unterkieferknochen (Articular) ein. Daraus kann man schließen, dass der Kiefer sich nicht sehr gut von links nach rechts bewegen ließ, ein seitliches Kauen wie bei einem Kamel war also unmöglich. Öffnen konnte sich der Unterkiefer natürlich (sonst wäre Fressen ziemlich schwierig). In der Seitenansicht erkennt man außerdem, dass der Unterkiefer am Quadratbein entlang abgleiten konnte, er konnte also vor- und zurückbewegt werden.

Schaut man genauer auf die Zähne, so sieht man, dass diese perfekt ineinandergreifen. Die hinteren Zähne im Ober- und Unterkiefer haben jeweils zwei Spitzen, zwischen denen eine Vertiefung liegt. Diese liegen schräg zueinander. Wenn Pakasuchus beim Schließen des Mauls die Gleitbewegung des Unterkiefers ausnutzte, dann konnte er damit die Zähne so aneinander vorbeibewegen, dass Spitzen und Vertiefungen jeweils zusammenpassten – ein echtes Scherengebiss also.

Da solche Zähne für Reptilien sehr ungewöhnlich sind, muss man natürlich ausschließen, dass diese Vertiefungen nicht etwa anders zustande gekommen sind. Dazu sagen die Autoren:
“CT of unerupted teeth shows that this is not the result of wear.” [Ein CT noch nicht durchgebrochener Zähne zeigt, das dies nicht durch Abnutzung zustande kommt.]
Dieser unscheinbare Satz klärt zwar, dass die Zahnform tatsächlich gewachsen ist, aber er birgt ein anderes Rätsel:
Bei Säugetieren ist es ja so, dass wir nur einen Zahnwechsel haben – erst gibt’s die Milchzähne, dann die bleibenden Zähne. Unsere Zähne im Ober- und Unterkiefer passen so immer perfekt aufeinander. Bei Reptilien ist das anders: Sie wechseln ihre Zähne ständig aus. (Das kann man oft an Raubsaurier-Schädeln sehen: Meist haben die abwechselnd einen großen und einen kleineren Zahn – der kleinere ist später durchgekommen. Auf diese Weise können die Zähne ständig gewechselt werden, ohne dass zu große Zahnlücken entstehen.)

Pakasuchus stellt jetzt aber ein Problem dar: Er hat nur fünf Zähne im Ober- und acht im Unterkiefer (auf jeder Seite, natürlich). Wenn auch bei einem erwachsenen Pakasuchus die Zähne noch ausfallen und durch neue ersetzt werden, dann ist es mit der pefekten Passung zumindest für einige Zeit ein Problem. Wie beißt ein Pakasuchus zu, wenn er gerade im Zahnwechsel ist? Wie wird sichergestellt, dass die Zähne immer aufeinanderpassen (zumal Reptilien ja ihr ganzes Leben lang wachsen, so dass auch der Kiefer wächst)?

Diese Frage wird im nature-Artikel nicht beantwortet. Natürlich nahm ich erstmal an, dass das daran liegt, dass das längst jeder (von den anderen Notosuchiern) weiß oder dass jemand mit mehr Durchblick als ich sich das überlegen kann. Als ich auf einschlägigen Mailing-Listen nachfragte, bekam ich schließlich eine Antwort von Pat O’Connor, dem Autor des Artikels (zitiert mit Erlaubnis der Autors):

We have two additional partial skulls of Pakasuchus (ones that were not presented in the Nature paper) that preserve much of the dentition, including developing crowns in some tooth positions. We plan to assess the relative development of the in-situ crowns along the tooth row as a potential metric for better understanding tooth replacement patterning in Pakasuchus. If we can model the basic pattern of tooth replacement, perhaps we can then address how occlusion would have been maintained throughout the life of an individual.
Wir haben noch zwei teilweise erhaltene Schädel von Pakasuchus (die wir im Nature-Artikel nicht gezeigt haben), die einen Großteil der Zähne zeigen, einschließlich sich entwickelnder Kronen an einigen Stellen. Wir planen, die relative Entwicklung der Kronen im Knochen entlang der Zahnreihe zu messen um die Zahnersetzungsmuster in Pakasuchus besser zu verstehen. Wenn wir das Zahnersetzungsmuster modellieren können, dann können wir uns der Frage widmen, wie die Zahnpassung während des Lebens eines Individuums aufrecht erhalten wurde.

Die Frage ist also noch offen. Vielleicht – das ist jetzt meine eigene Spekulation – half ja die Beweglichkeit des Unterkiefers weiter: Wenn die neuen Zähne ihre Vertiefungen und Spitzen zumindest im richtigen Winkel hatten, dann könnte Pakasuchus seinen Kiefer beim Zubeißen ja so vor- oder zurückschieben, dass es gerade passte. Wenn ich etwas Neues höre, schreibe ich natürlich darüber.


Patrick M. O’Connor et al. (2010). The evolution of mammal-like crocodyliforms in the Cretaceous Period of Gondwana
Nature DOI: 10.1038/nature09061

Kommentare (2)

  1. #1 felis faber
    14. Oktober 2010

    Sehr schöner Artikel, für Katzenähnliche scheint es überall ökologische Nischen zu geben.
    Aber warum wird Katzenkrokodil mit Pakasuchus übersetzt?

  2. #2 MartinB
    15. Oktober 2010

    Laut Nature-Artikel ist “Paka” Kisuaheli (schreibt man das so?) für “Katze”. “Suchus” ist griechisch souchos (σουχος) = Krokodil.