Das Universum dehnt sich ja bekanntlich seit dem Urknall vor etwa 13,7 Milliarden Jahren aus. Da nichts schneller ist als das Licht, sollte das beobachtbare Universum 13,7 Milliarden Lichtjahre groß sein. Logisch, oder? Stimmt aber leider nicht.
Ich gebe gern zu, dass ich selbst diesem Trugschluss auch aufgesessen bin. Zum Glück hat mich Niels nicht nur aufgeklärt, sondern auch gleich noch jede Menge Referenzen zum Thema angeschleppt. (Danke, Niels!)
Trotzdem, so ganz leicht ist es nicht zu verstehen, wie das genau funktioniert. Zunächst muss man sich klarmachen, was genau es bedeutet, dass sich das Universum ausdehnt: Es heißt nicht, dass alles von einem zentralen Punkt wegfliegt, sondern dass sich der Raum selbst ausdehnt. Hier ein Bild von Wikipedia, das das ein bisschen veranschaulicht:
Da sich der Raum selbst ausdehnt, entfernen sich zwei Punkte im Raum umso schneller voneinander, je weiter sie voneinander entfernt sind. Anschaulich machen kann man sich das am besten mit dem berühmten Luftballonbild: Man nimmt einen Luftballon, malt ein paar Punkte drauf und pustet ihn auf. Die Punkte entfernen sich voneinander, und zwar um so schneller, je weiter sie voneinander entfernt sind:
(Quelle: Starts With A Bang)
Dabei hat nur die Oberfläche des Ballons eine Bedeutung, nicht das Innere. Der Abstand zwischen den Punkten wird also entlang der Ballonhülle gemessen.
Nehmen wir an, dass sich zwei bestimmte Punkte mit einer Geschwindigkeit v voneinander entfernen, dann entfernen sich zwei doppelt so weit voneinander entfernte Punkte mit einer Geschwindigkeit 2v. Wir bekommen also eine Konstante, wenn wir die Geschwindigkeit, mit der zwei Punkte sich entfernen, durch ihren Abstand teilen. Das ist die berühmte Hubble-Konstante der berühmte Hubble-Parameter. (Danke an Niels, der mich unten auf meinen Gedankenfehler hier aufmerksam gemacht hat.)
Der Hubble-Parameter hat gegenwärtig einen Wert von etwa 70km/s/Megaparsec. (1 Megaparsec sind etwa 3 Millionen Lichtjahre) Zwei Punkte im Abstand von einem Megaparsec entfernen sich also mit etwa 70km/s voneinander. (Florian hat das vor einiger Zeit auch schon mal erklärt.) Sind die Punkte zwei Megaparsec entfernt, dann entfernen sie sich mit 140km/s und so weiter.
Wie weit müssen zwei Punkte voneinander entfernt sein, damit sie sich mit Lichtgeschwindigkeit voneinander entfernen? Die Lichtgeschwindigkeit ist 300000km/s, also ergibt sich
300000km/s / 70km/s/Megaparsec= 4286Megaparsec= 13,97Milliarden Lichtjahre.
Licht von weiter entfernten Galaxien sollte uns also nicht erreichen können, oder?
Nehmen wir einmal an, wir habe eine Galaxie A, die ein klein wenig weiter entfernt ist, sagen wir 14Milliarden Lichtjahre. Von dort wird ein Lichtblitz in Richtung Erde ausgesandt. Da sich die Galaxie schneller als das Licht von uns entfernt, entfernt sich auch der Lichtblitz von uns. (Achtung: das ist scheinbar im Widerspruch zur speziellen Relativitätstheorie, die ja sagt, dass die Lichtgeschwindigkeit eine Konstante ist und dass es nichts geben kann, das schneller ist als das Licht. Die SRT gilt aber nicht in diesem Fall, weil der Raum selbst expandiert.) Zwischen uns und der fernen Galaxie A liegt die Galaxie B, sagen wir knapp innerhalb der 13,97Mrd. Lichtjahre. A und B sind also einigermaßen “dicht” zusammen, sie entfernen sich also nur mit einer Geschwindigkeit voneinander, die deutlich geringer als die Lichtgeschwindigkeit ist. Das Licht von A wird deshalb die Galaxie B irgendwann erreichen. Damit ist es dann aber innerhalb des für uns sichtbaren Bereichs des Universums und wird irgendwann auch bei uns ankommen. (Das wird deutlich länger als 14Mrd. Jahre dauern, weil sich die Entfernung zwischen uns und B ja immer weiter vergrößert.)
Um das noch etwas genauer zu sehen, hier eine Skizze in bewährter Hier-Wohnen-Drachen-Kritzeltechnik:
Auf der horizontalen Achse ist die Entfernung aufgetragen, auf der vertikalen die Zeit. Ich wähle die Einheiten so, dass der Abstand zwischen zwei horizontalen Linien genau eine Sekunde ist und der zwischen zwei der Punkte unten genau eine Lichtsekunde – dann läuft ein Punkt, der sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, unter 45 Grad.
Links im Bild sind wir, nach rechts hin nimmt die Entfernung immer zu. (Es sieht hier so aus, als wären wir irgendwie etwas besonderes, weil unsere Linie vertikal verläuft, sind wir aber nicht. Wem das nicht gleich einleuchtet, der denke wieder an den Luftballon: Nehmen wir an, wir sind genau oben am Nordpol, und blasen den Ballon auf. Da der Raum um den Ballon herum keine physikalische Bedeutung hat, können wir uns genausogut vorstellen, dass der Nordpol immer an einem Ort bleibt.) Die schräg verlaufenden Linien zeigen die Expansion an. Der Punkt im Abstand von 4 Lichtsekunden entfernt sich also genau mit Lichtgeschwindigkeit von uns. (Unsere Hubble-Konstante im Papieruniversum beträgt also 0.25c/Lichtsekunde, wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist.) Der gelbe Bereich rechts davon enthält also alle Punkte, die sich schneller als das Licht von uns entfernen.
Nachtrag: Ich nehme hier an, dass die Expansion mit konstanter Geschwindigkeit verläuft, deswegen sind die schrägen Linien gerade. Zwei beliebige Punkte entfernen sich also immer mit derselben Geschwindigkeit voneinander. Da der Hubble-Parameter, wie oben erläutert, die Geschwindigkeit geteilt durch die Entfernung ist, nimmt er in meinem Papieruniversum mit der Zeit immer weiter ab.
Wir betrachten jetzt den roten Punkt auf der untersten horizontalen Linie. Er liegt im Abstand von 7 Lichtsekunden. Dieser Raumpunkt (hier sei Galaxie A) entfernt sich also mit 1,75c von uns. Das Lichtsignal, das in unsere Richtung ausgesandt wird, entfernt sich deshalb zunächst von uns, aber es bewegt sich trotzdem auf die links liegende Linie zu, die vom Punkt ausgeht, der am Anfang 6 Lichtsekunden entfernt war. Diese Linie erreicht es nach etwas mehr als einer Sekunde. (Nach einer Sekunde hat das Licht eine Lichtsekunde zurückgelegt, aber die beiden Punkte entfernen sich ja voneinander und haben nach einer Sekunde Zeitpunkt einen Abstand von 1,25 Lichtsekunden. Das Licht muss also die Extra-Distanz auch noch aufholen.)
Jetzt ist das Signal zwar insgesamt weiter weg, seine Fluchtgeschwindigkeit ist aber geringer geworden. Wenn es weiterläuft, erreicht es nach etwa 3 Sekunden die Galaxie, die am Anfang 5 Lichtsekunden von uns entfernt war und die sich selbst nur noch mit 1,25facher Lichtgeschwindigkeit entfernt. Und nach etwa 5 Sekunden erreicht es den Punkt, bei dem die Fluchtgeschwindigkeit genau c beträgt. Schließlich erreicht uns das Lichtsignal. (Anmerkung: ich habe die Zeiten oben nur graphisch ermittelt, nicht berechnet – also bitte nicht wundern, falls sie nicht genau stimmen.)
Die roten Punkte bilden eine tropfenförmige Linie, die den Bereich eingrenzt, den wir prinzipiell beobachten können. Im folgenden Bild (aus https://arxiv.org/abs/astro-ph/0011070) sieht man das Ganze nochmal quantitativ korrekt für unser Universum aufgetragen:
Wieder ist auf der vertikalen Achse die Zeit (in Gyr= Mrd. Jahren), auf der horizontalen der Abstand (in Gigaparsec=Mrd. Parsec) aufgetragen. “Wir” sitzen genau in der Mitte, wo man auch wieder die tropfenförmige Begrenzung des beobachtbaren Universums erkennt. Anders als beim Papieruniversum geht das Bild hier unten zurück bis zum Urknall, deshalb schließt sich der “Tropfen” unten (denn direkt nach dem Urknall hatte Licht logischerweise keine Zeit, uns irgendwie zu erreichen). Die dünn gestrichelten Linien entsprechen den schrägen Linien in meinem Bild – in dieser Grafik ist aber angenommen, dass die Ausdehnung des Universums nicht immer konstant war, weil die Masse des Universums bremsend und die kosmologische Konstante beschleunigend wirkt, das ist aber nur eine Feinheit. Der dunkelgraue Bereich ist der Bereich, der sich mit weniger als Lichtgeschwindigkeit (“subluminal”) von uns entfernt, der hellgraue Bereich enthält alle Punkte, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit (“superluminal”) entfernen. Dank der “Tropfenform” kann ein Signal von einem Punkt innerhalb des hellgrauen Bereichs uns erreichen, obwohl sich die Punkte dort mit Überlichtgeschwindigkeit entfernen.
Ebenfalls eingezeichnet ist der “particle horizon”, das ist der Bereich, den ein beim Urknall ausgesandtes Signal, das sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, erreichen könnte, wenn ich es richtig verstanden habe, der ist für uns hier aber nicht so relevant. der Radius des beobachtbaren Universums zu jedem Zeitpunkt.
Rechnet man (mit den momentan besten Werten für die Hubble-Konstante, die Materiemenge des Universums und die kosmologische Konstante) aus, wie groß unser beobachtbares Universum tatsächlich ist, kommt man auf einen Radius von etwa 46Milliarden Lichtjahren, also mehr als dreimal so viel, wie ich naiv erwartet hatte.
Nachtrag: Dass das beobachtbare Universum einen Radius von 46Mrd. Lichtjahren hat, heißt natürlich nicht, dass wir jetzt Licht empfangen, das in 46Mrd. Lj Entfernung ausgesandt wurde. Der Ort, an dem das Licht, das wir jetzt empfangen, ausgesandt wurde, ist jetzt 46Mrd. Lj entfernt – als er das Licht ausgesandt hatte, war er natürlich viel dichter dran (nämlich etwa 40Millionen Lichtjahre laut Kommentator Niels).
Tamara M. Davis, & Charles H. Lineweaver (2000). Superluminal Recession Velocities Cosmology and particle Physics arXiv: astro-ph/0011070v2
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