Das Wort “Entropie” kennt sicher jeder. Hat irgendwie was mit Unordnung und Thermodynamik und so zu tun. Aber die Entropie kann auch ganz handfest als Kraft wirken. Um das auszuprobieren braucht ihr nur ein Gummiband.
Das kleine Experiment, das ich erklären will, klappt am besten mit einem etwas breiteren Gummiband – ein Einweckgummi oder etwas ähnliches ist optimal, zur Not tut’s aber auch ein ganz gewöhnliches Gummi.
Habt Ihr eins besorgt? Fasst mit jeder Hand ein Ende des Gummibands und zieht es ein wenig straff – noch nicht stark dehnen, nur geradeziehen. Dann haltet ihr das Gummi direkt oberhalb der Oberlippe (da ist man schön temperaturempfindlich) an Euer Gesicht. (Schnurrbartträger müssen es woanders versuchen…) Wartet einen Moment, bis sich die Temperatur an die Eurer Haut angeglichen hat. Und jetzt zieht ihr das Gummi kräftig und schnell auseinander. (Aber nicht so, dass es reißt – Aua!)
Merkt ihr was? Es wird warm. Wartet wieder einen Moment, bis das Gummi wieder die Hauttemperatur angenommen hat, dann lasst ihr es wieder zurückschnellen (aber auch nicht loslassen, sonst gibt’s noch ein Aua-Erlebnis). Das Gummi wird kalt.
Wie kommt’s? Und was hat das mit Entropie zu tun?
Erstmal müssen wir kurz schauen, wie so ein Gummiband aufgebaut ist. Es besteht aus langen, ineinander verknäulten Kettenmolekülen. Am besten stellt ihr euch erstmal einen Teller voll Spaghetti vor, das gibt schon eine grobe Idee. Aus dem Spaghettihaufen kann man einzelne Spaghetti herausziehen (ich bekleckere mich dabei meist erfolgreich mit Tomatensoße). Das sollte in unserem Gummi nicht möglich sein, denn dann könnte man es nicht so unglaublich lang ziehen, ohne dass es sich dauerhaft verformt. Deshalb werden im Gummi Querverbindungen zwischen den Ketten eingebaut (der Chemiker nennt das “Vulkanisieren” – wer schon mal nen platten Fahrradreifen geflickt hat, kennt das Wort vermutlich auch). Wenn man jetzt an dem Molekülkettenhaufen zieht, dann können die Moleküle ein bisschen aneinander abrutschen, aber letztlich bleibt der Verbund wegen der Querverbindungen zusammen.
Wie üblich hat Wikipedia ein Bild dazu:
Von Polymer_picture.PNG: Original uploader was Mdufalla at en.wikipedia Later versions were uploaded by Cb2292 at en.wikipedia.
derivative work: CameronSS (talk) – Polymer_picture.PNG, Gemeinfrei, Link
Wenn man am Gummi zieht, werden die Ketten also gestreckt. Und was passiert, wenn man das Gummi wieder losläßt? Warum bewegen sich die Ketten wieder zurück?
Zwischen den Ketten wirken zwar Kräfte, die sind aber zu klein, um sie wieder in die Ausgangslage zurückzubewegen. Das tut stattdessen die Entropie.
Man kann sich das anschaulich leicht so vorstellen: Alle Ketten und ihre einzelnen Kettenabschnitte schwingen ja immer auf Grund der Temperatur hin und her. Dabei schubsen und drängeln sie sich natürlich auch gegenseitig. Ein langgestrecktes Molekül wird bei all dieser Schubserei wieder aufgeknäult. Das kann man auch leicht ausprobieren: Legt einen langen Faden auf den Tisch und schnipst immer wieder dagegen – der Faden wird sich mehr und mehr (aber nicht beliebig weit) aufknäulen.
Mit der Entropie hat das etwas zu tun, weil die Entropie die Zahl der Möglichkeiten angibt, wie ein System (unser Gummi) einen bestimmen Zustand einnehmen kann. Ein Kettenmolekül hat im wesentlichen nur eine Möglichkeit, ganz gerade zu sein, aber sehr viele, irgendwie verknäult vorzuliegen. Beim zufälligen Gegentreten durch die anderen Moleküle knäult es sich deshalb auf, genau wie der Faden auf dem Tisch.
Man kann also tatsächlich sagen, dass die Entropie für die Kraft im Gummi verantwortlich ist. Man kann das auch in einem Experiment beweisen: Erwärmt man Gummi (je höher die Temperatur, desto stärker wirkt die Entropie und desto stärker sind die Fluktuationen), dann wird die Kraft beim Zusammenziehen größer – bei allen anderen Materialien wird sie kleiner.
Deshalb nennt man diese Eigenschaft von Gummi auch Entropieelastizität.
Und wie erklären wir nun unser Experiment? Ein langgezogenes Gummimolekül kann nicht so gut hin- und herschwingen wie ein aufgeknäultes. Vor dem In-die-Länge-Ziehen wackelte und zitterte das Kettenmolekül hin und her. Die Energie dieser Zitterbewegung muss aber irgendwo bleiben, wenn ich das Molekül strecke. Natürlich kann auch das gestreckte Molekül noch immer thermisch zittern, nur nicht so gut. Die Energie verteilt sich jetzt also auf weniger mögliche Zitterbewegungen, und da die Energie erhalten bleibt, müssen diese deshalb heftiger werden. Die Temperatur steigt an.
Wenn man das vornehmer ausdrücken will (und das will man ja, weil man dann so irre gebildet klingt), kann man sagen: Durch das Strecken des Moleküls verringert sich die Zahl der Freiheitsgrade (die Anzahl aller möglichen Zitterbewegungen) im System. Die Energie verteilt sich deshalb auf weniger Freiheitsgrade und die Temperatur steigt an.
Beim Loslassen passiert genau das Gegenteil: Plötzlich haben die Moleküle viel mehr Möglichkeiten, thermisch zu zittern. Diese neu hinzugekommenen Freiheitsgrade beziehen ihre Energie jetzt von den anderen, so dass die Temperatur sinkt.
Den Trick, ein System abzukühlen, indem man neue Freiheitsgrade hinzugibt, nutzt man auch technisch bei der sogenannten adiabaten Entmagnetisierung: Dabei wird ein magnetisches Material bei niedriger Temperatur (z.B. in einem Bad aus flüssigem Helium, das hat etwa 4K) in ein Magnetfeld gebracht. Die Elementarmagnete im Material richten sich entsprechend dem Magnetfeld aus. Man wartet, bis das System auf Umgebungstemperatur abgekühlt ist, isoliert es dann (so dass es sich abkühlen kann) und schaltet das Magnetfeld dann aus. Die vorher vom Magnetfeld festgehaltenen Elementarmagnete sind jetzt frei, thermisch zu schwingen, was sie vorher nicht konnten. Die Energie dazu holen sie sich aus den Schwingungen der Atome und das Material kühlt sich ab. Man kann damit Materialien auf Temperaturen im Millikelvin-Bereich abkühlen, das ist schon ziemlich frostig.
Man sieht, dass die Entropie nicht bloß eine irgendwie abstrakte Rechengröße ist, sondern ganz handfeste Auswirkungen hat – jedesmal, wenn man ein Gummiband dehnt.
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