Die vielen kleinen “Rippel” sind genau die Spuren dieses “Weiterwackelns”, auch “Schwingstreifen” genannt. Wenn man sie im Elektronenmikroskop sieht, dann hat man einen sehr guten Hinweis darauf, dass Ermüdung stattgefunden hat. (Nicht immer ist das allerdings so schön wie hier – die Schwingstreifen können auch, beispielsweise durch nachfolgende Korrosion, nicht mehr zu erkennen sein.)
Der Abstand zwischen den Schwingstreifen ist ziemlich klein, typischerweise legt ein Riss in einem Belastungszyklus etwa 0,3 Mikrometer zurück. Es muss auch nicht unbedingt in jedem Zyklus ein Schwingstreifen entstehen.
Ein ursprünglich winziger und harmlos wirkender Anriss wird also immer größer. Irgendwann ist er so groß, dass der noch tragende Querschnitt des Bauteils nicht mehr ausreicht, um die anliegende Last zu tragen, und das Bauteil versagt scheinbar schlagartig.
Anrisse, von denen der Ermüdungsbruch losgeht, sind in Bauteilen oft schon vorhanden. In vielen Fällen genügen schon kleine Kratzer an der Bauteiloberfläche oder beispielsweise eine Gravur des Markennamens an einer hochbelasteten Stelle. Hier zum Beispiel ist es eine Schlagzahl, bei der der Anriss an der “1” begonnen hat:
(Copyright Institut für Werkstoffe, TU Braunschweig)
Aber selbst wenn eine Bauteiloberfläche vollkommen glatt ist, können sich Anrisse bilden. Auch wenn die Last klein genug ist, dass sich das Bauteil nur elastisch (also reversibel) verformt, können sich durch winzige Verformungen an der Oberfläche (in Metallen sind auch hier wieder Versetzungen verantwortlich) Stufen bilden, wie in diesem Bild:
Abhilfe kann man hier beispielsweise durch Oberflächenbehandlungen schaffen. Eine Möglichkeit ist das Kugelstrahlen, bei dem man die Oberfläche mit kleinen Kugeln bombardiert, die die Oberfläche verformen und unter Druckspannungen setzen.
Versagt jedes Bauteil irgendwann durch Ermüdung?
Die Antwort auf diese Frage lautet nein. Wenn die Last klein genug ist, dann werden die meisten Metalle und Polymere dauerfest, sie versagen nicht, egal wie lange sie belastet werden. Meist beginnt der Bereich der Dauerfestigkeit etwa bei 1-10Millionen Lastzyklen. Wenn ein Bauteil die aushält, dann wird es auch später vermutlich nicht mehr versagen.
(Tatsächlich ist das so nicht ganz richtig: Bei extrem hohen Zyklenzahlen von mehreren Milliarden können auch scheinbar dauerfeste Materialien versagen. Dies wird gerade in einem DFG-Schwerpunkt-Programm untersucht. Schwierig dabei ist natürlich, dass selbst bei Schwingungsfrequenzen von 100 Hertz eine Milliarde Zyklen mehrere Monate dauern – Experimente in diesem Bereich sind also extrem aufwändig.)
Nicht alle Bauteile müssen dauerfest sein – wenn man weiß, dass ein Bauteil nur eine begrenzte Anzahl von Lastzyklen erleben wird, dann wäre es übertrieben, es auf Dauerfestigkeit auszulegen. Hier verwendet man sogenannte Wöhler-Kurven zur Auslegung. Dort ist die vom Werkstoff ertragbare Last gegen die Zahl der Zyklen aufgetragen:
Mit solchen Kurven kann man dann die ertragbare Last abschätzen, wenn man weiß, wieviele Zyklen ein Bauteil erleben wird. Ein Beispiel ist der erste Gang in einem Auto – da man damit nur kurze Strecken fährt, kann das Getriebe hier auf Zeitfestigkeit ausgelegt werden.
Eine andere Möglichkeit, mit Ermüdungsproblemen zu leben, sind Inspektionen. Sicherheitskritische Bauteile werden regelmäßig (beispielsweise mit Ultraschall) auf Risse untersucht. Wenn Risse vorhanden sind, kann man berechnen, wie lange das “Durchwackeln” des Risses dauern wird und sehen, ob das Bauteil sofort ausgetauscht werden muss oder noch bis zur nächsten Inspektion freigegeben werden kann.
Manche Werkstoffe ermüden so gut wie gar nicht. Zum einen sind dies Keramiken. Da diese sich nicht plastisch verformen, funktioniert der Rissaufweitungsmechanismus nicht – wenn ein Riss in einer Keramik erstmal wächst, dann bricht das Bauteil normalerweise schlagartig. Keramiken sind also nahezu vollkommen ermüdungsresistent.
Ein anderes ermüdungsbeständiges Material sind unsere Knochen. In ihnen bilden sich zwar laufend Mikrorisse, da Knochen aber leben und ständig umgebaut werden, werden diese Risse normalerweise ausgeheilt, bevor sie kritisch werden. Nur wenn ein Knochen in kurzer Zeit sehr stark belastet wird, dann kann er durch Ermüdung brechen. Das wird häufig als “Marschbruch” bezeichnet, weil es oft auftritt, wenn bisher wenig Sport treibende Menschen zum Militätdienst eingezogen werden und dort plötzlich stark belastet werden, ohne dafür trainiert zu sein. Ein Marschbruch kann plötzlich und nahezu ohne Vorwarnung auftreten (gelegentlich gehen Schmerzen im Knochen voraus, aber nicht immer).
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