Wenn ein Gänseei aus dem Nest kullert, dann rollt die Gans das Ei vorsichtig wieder in ihr Nest zurück. Anscheinend macht es Eiern nichts aus, wenn sie gedreht werden. Ich war deshalb sehr überrascht, als ich neulich in einer Fernsehsendung sah, wie ein Zoowärter vorsichtig Reptilieneier in eine Brutkammer legte und dazu erklärte, dass man die Eier markieren muss, weil sie nicht gedreht werden dürfen. Noch verwirrter war ich, als ich an Meeres-Schildkröten dachte, die ihre Eier ja in Gruben legen, beim Runterrollen drehen sich die Eier natürlich auch.
Dürfen Eier nun gedreht werden oder nicht? Wovon hängt das ab? Wie so oft zeigte sich, dass eine scheinbar einfache Frage eine ziemlich komplexe Antwort hat.
Fangen wir mit dem Vogelei an. Das sieht etwa so aus (Bild von Wikipedia, wo sonst…)
Adaptierte Version; Quelle de:Benutzer:Horst Frank, SVG code cs:User:-xfi- – graphic created by de:Benutzer:Horst Frank, SVG version by cs:User:-xfi-, CC BY-SA 3.0, Link
Der kleine rote Punkt ist das wichtigste am Ei, der Keimfleck. Aus diesem wird später mal das Huhn. Das gelbe ist logischerweise das Eigelb, das die Nährstoffe enthält, mit denen der Embryo versorgt wird. Der Keimfleck sitzt direkt auf dem Eigelb. Beide schwimmen (durch eine Membran abgetrennt) im Eiweiß, das zum einen Nährstoffe und Wasser bereitstellt, zum anderen aber auch als Schutz dient. Das Eigelb schwimmt immer schön in der Mitte des Eis, weil es an zwei Schnüren befestigt ist, die man Hagelschnüre oder vornehm Chalazen (Singular: Chalaza) nennt. Manchmal kann man diese Schnüre auch sehen, wenn man ein Ei aufschlägt.
Wenn man das Ei dreht, dann behält das Eigelb seine Orientierung bei, weil sich die Hagelschnüre einfach entsprechend verdrillen. Dadurch ist der Embryo immer richtig orientiert. (Da die Seite mit dem Embryo eine geringere Dichte hat, liegt sie nach jeder Drehung auch immer oben, selbst wenn man das Ei über die Längsseite kippt.) Die Hagelschnüre entstehen durch modifiziertes Eiweiß, das sich ans Eigelb anheftet. Weil das Ei im Eileiter mehrfach gedreht wird, sind auch die Eischnüre verdrillt.
Tatsächlich ist es sogar so, dass es für Vogeleier besser ist, wenn sie regelmäßig gedreht werden. Experimente zeigen, dass Hühnereier, die nicht gedreht werden, nur zu 15% ausschlüpfen, während es bei zweimal am Tag gedrehten Eiern 45% sind und bei fünfmal am Tag gedrehten Eiern 58%.
Gerade in den ersten Tagen (Tag 3-7) der Entwicklung bezieht der Embryo Wasser aus dem Albumen, dem Sack in dem sich das Eiweiß befindet, und formt das sogenannte sub-embryonic fluid (SEF – ob dafür sub-embryonische Flüssigkeit die korrekte Übersetzung ist, weiß ich nicht). In ungedrehten Eiern ist die Menge an SEF deutlich reduziert. Dies könnte daran liegen, dass das Drehen für eine bessere Vermischung innerhalb des Eiweiß-Sacks sorgt, so dass der Flüssigkeitstransfer durch Osmose verbessert wird.
In späteren Entwicklungsstadien unterscheiden sich ungedrehte Eier deutlich von gedrehten:
(Bildquelle Deeming 1991)
In diesem Bild sieht man das Amnion, in dem der Embryo sitzt. (Das Bild sieht anders aus als das oben, weil hier der Embryo weiter entwickelt ist, die einzelnen Bestandteile des Eis haben deshalb ihre Größe verändert.) Im gedrehten Ei (oben) liegt das Amnion seitlich vom Eigelb und hat eine Verbindung mit dem Albumen (dem Eiweiß-Sack). Im nicht gedrehten Ei (unten) dagegen liegt das Amnion oben und die Verbindung zum Albumen ist wesentlich dünner. Vermutlich ist hierdurch die Versorgung mit Nähstoffen eingeschränkt – jedenfalls verbrauchen Embryonen in ungedrehten Eiern in diesem Entwicklungsstadium deutlich weniger Sauerstoff, was für einen verringerten Stoffwechsel spricht. (Es liegt nicht an einer schlechteren Sauerstoffversorgung, wie man herausfand, indem man ungedrehte Eier in einer Atmosphäre mit erhöhtem Sauerstoffgehalt ausbrütete.)
Es ist allerdings nicht so, dass ungedrehte Eier immer die hier gezeigte Form annehmen, auch Zwischenstadien sind möglich; zumindest ein kleiner Teil der ungedrehten Eier schlüpft ja schließlich auch aus.
In vielen Reptilien ist dagegen ein Drehen des Eis gefährlich. Sie haben nämlich keine Chalazen. Weil das Amnion leichter ist als das umliegende Eiweiß, bewegt es sich im Ei nach oben und verklebt dort mit der inneren Membran der Schale. Wenn man das Ei danach dreht, dann kann die Bewegung des Eiweißes das Amnion von der Innenwand des Eis abreißen, wodurch der Embryo geschädigt wird. Reptilieneier müssen deshalb mit großer Vorsicht behandelt und markiert werden. Beim Legen ist das Eigelb noch nicht an der Wand befestigt, deshalb kann das Ei schadlos in eine Erdkuhle kullern.
Untersuchungen zeigen aber, dass vorsichtiges Drehen zumindest bei einigen Reptilien kein großes Problem darstellt: Werden Alligatoreier stündlich vorsichtig und um nicht mehr als 60° gedreht, so schlüpfen dennoch die meisten der Alligatoren. Alligatoreier haben allerdings eine vergleichsweise geringe Menge an Eiweiß. Ähnlich ist es bei Skinken: Skinke kümmern sich intensiv um ihre Eier, die in Erdhöhlen gelegt werden – als wechselwarme Tiere bebrüten sie sie nicht, aber anscheinend verbessern sie so die Feuchtigkeitsversorgung der Eier. Vermutlich ist auch bei ihnen der Eiweißgehalt vergleichsweise niedrig und sie bewegen ihre Eier einigermaßen vorsichtig – das ist allerdings eine Spekulation, die Charles Deeming (von dem die oben beschrieben Untersuchungen stammen) mir in einer e-mail mitteilte.
Evolutionär betrachtet ist dieser generelle Unterschied zwischen Reptilien- und Vogeleiern sehr sinnvoll: Reptilien bebrüten ihre Eier ja nicht, sondern vergraben sie meist. Wenn ein Reptilienei gedreht wird, dann nur, weil ein Räuber es gerade auffressen will – da hilft dann auch eine Chalaza nicht mehr.
Bei brütenden Vögeln dagegen lässt es sich natürlich kaum vermeiden, dass der Vogel mal gegen ein Ei stößt oder es aus einem anderen Grund herumkullert – das Ei ist ja nicht eingegraben. Entsprechend sind Chalazen hilfreich, um die Überlebensfähigkeit des Embryos zu erhöhen. Zusätzlich wachsen Vogelembryonen wegen der höheren Bruttemperatur wesentlich schneller als Reptilienembryonen. Dafür brauchen sie eine erhöhte Nährstoffzufuhr, und wie wir oben gesehen haben wird die ja durch das Drehen der Eier verbessert.
Brutverhalten kennt man ja inzwischen nicht nur von Vögeln, sondern auch von einigen Dinosauriern, beispielsweise Citipati (Jaja, wieder bei Wikipedia geklaut):
Von Eduard Solà – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link
Citipati ist ein naher Verwandter des Oviraptor, der zumindest in meiner Kindheit in keinem Dinobuch fehlen durfte, weil er – so glaubte man – mit seinem zahnlosen Schnabel vor allem Eier fraß, denn man hatte die Knochen zusammen mit Eiern gefunden. (Oviraptor heißt entsprechend auch “Eierdieb”.) Inzwischen weiß man, dass man dem Oviraptor Unrecht getan hat, denn in Wahrheit brütete er auf seinen eigenen Eiern. Hier ein Bild eines brütenden Citipati (an gleicher Stelle geklaut):
Von Dinoguy2 – Eigenes Werk, CC SA 1.0, Link
Die ausgebreitete Armhaltung deutet übrigens darauf hin, dass Citipati – wie viele seiner Verwandten – Federn hatte. Anders als heutige Vögel hatten damalige Dinos übrigens noch zwei Eileiter, so dass die Eier in Paaren gelegt wurden.
Jetzt wäre es natürlich interessant zu wissen, ob Citipati und seine engen Verwandten auch schon über Chalazen verfügten. Da Eiweiß sich aber nicht besonders gut über 65 Millionen Jahre frisch hält, ist das bisher meines Wissens ungeklärt.
Überlegt man sich, wie die Evolution abgelaufen sein könnte (Achtung: Spekulationen!), dann scheint es plausibel, dass sich zuerst das Brüten und dann die Chalaza entwickelt hat, denn ohne Brüten ist eine Chalaza ja vollkommen funktionslos. Vielleicht haben die ersten brütenden Dinosaurier ihre Eier fest genug in ihre Sandnester positioniert, dass sie sich nicht so leicht drehen konnten. In einem Übersichtsartikel zur Entwicklung des Brutverhaltens schreibt Kavanau (Quelle dafür ist ein Artikel von Horner):
Partial burial in soil assured that the eggs would not be moved, and could receive direct parental contact, probably being incubated by a combination of both.
Teilweises Vergraben in Erde stellte sicher, dass die Eier nicht bewegt würden und dass sie direkten Kontakt mit den Eltern hatten, so dass sich durch eine Kombination aus beidem [gemeint ist, wenn ich es richtig verstehe, elterliche Wärme und Wärme aus Erde bzw. Vegetation] bebrütet wurden
Wie so oft in der Biologie zeigt sich, wie Strukturen und Funktionen in komplexer Weise miteinander verzahnt sind: Für das Bebrüten der Eier ist eine Chalaza vorteilhaft, damit die Eier gedreht werden können. Eier die gedreht werden, können wiederum schneller wachsen, weil die Nährstoffversorgung des Embryos verbessert wird, so dass schließlich aus der Gefahr des Eierdrehens eine Notwendigkeit wurde.
Freundlicherweise hat mir Charles Deeming zwei seiner Artikel zum Thema geschickt und mir in einer mail noch ein paar Fragen beantwortet – dafür herzlichen Dank.
Ein besonderer Dank geht an die Mitglieder der dinosaur mailing list und der vrtpaleo-mailing-Liste – immer gute Adressen, wenn man etwas über Dinos oder Wirbeltiere allgemein wissen will.
Quellen:
Deeming, D. C. 1991. Reasons for the dichotomy in the need for egg turning during incubation in birds and reptiles;
pp. 307-323 in Deeming, D. C. and Ferguson, M. W. J. (eds.), Egg Incubation: Its Effects on Embryonic Development in Birds and Reptiles. Cambridge University Press, Cambridge.
(ist in Auszügen bei google-books zu lesen).
D. Charles Deeming
The role of egg turning during incubation
AVIAN BIOLOGY RESEARCH, 2 (1/2), 2009 67 – 71
D. C. Deeming, M. W. J. Ferguson
Egg Turning During Incubation has no Effect Upon the Growth of Embryos of Alligator mississippiensis
Acta Zoologica, 72, 1991, 125-128
Roots of avian evolution: clues from relict reproductive behaviors
J. Lee Kavanau
DEVELOPMENT OF CHICK Von Manju Yadav (kann man bei google kostenlos lesen)
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