Vor etwa 220 Millionen Jahren, am Ende der Trias, begann der Siegeszug der Dinosaurier. Vermutlich in Südamerika entstanden, verbreiteten sie sich schnell über die ganze Erde. Verdrängten sie dabei durch ihre Überlegenheit andere Tiere? Oder übernahmen sie freigewordene ökologische Nischen? Sarahsaurus, ein vor kurzem beschriebener Dinosaurier aus Nordamerika, ist ein neuer Stein im Puzzle der Dinosauriergeschichte.
Sarahsaurus stammt aus dem frühen Jura, also einer Zeit, in der die Herrschaft der Dinosaurier unangefochten war. Andere Tiergruppen, wie beispielsweise Rynchosaurier, Aetosaurier oder die fleischfressenden Rauisuchier, verschwanden am Ende der Trias, als wieder einmal ein Massensterben die Erde heimsuchte. Die Dinosaurier waren von diesem Massensterben vergleichsweise wenig betroffen.
Häufig war in der Vergangenheit angenommen worden, dass die Dinosaurier Konkurrenten aus ihren ökologischen Nischen verdrängten, weil sie durch Eigenschaften wie die aufrechte Beinstellung überlegen waren. Sarahsaurus lässt daran Zweifel aufkommen, wie wir gleich sehen werden.
Sarahsaurus gehört zur großen Gruppe der Sauropodomorpha, also der Sauropodenartigen. Sauropoden sind (neben dem T. rex) die “klassischen” Dinosaurier, die mit den langen Hälsen und Schwänzen wie Diplodocus, Apatosaurus (früher als Brontosaurus bekannt) oder Brachiosaurus. Sie waren die größten Landtiere aller Zeiten, wie dieses Bild (von Wikipedia) zeigt:
Von Matt Martyniuk – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Longest_dinosaurs1.png, CC BY-SA 3.0, Link
Diese Riesen lebten allerdings später, am Ende des Jura und in der Kreidezeit.
Sarahsaurus war ein früher und eher bescheidener Vertreter dieser Gruppe – er war etwa 4 Meter lang und lief vermutlich häufig nur auf den Hinterbeinen. Insgesamt ähnelte er wohl einem meiner Lieblingssaurier, dem Plateosaurus:
Von Nobu Tamura (https://spinops.blogspot.com) Arms and other edits made by User:FunkMonk – Eigenes Werk, CC BY 2.5, Link
(falls sich jemand wundert: Das Bild heißt sellosaurus.jpg, aber nach neuerer Klassifizierung gehört Sellosaurus zur Gattung Plateosaurus.)
Von Sarahsaurus wurde ein nahezu vollständiges Skelett gefunden sowie ein teilweise erhaltenes Skelett und ein – allerdings verformter – Schädel. Der volle Name der neuen Art ist Sarahsaurus aurifontanalis – Sarahs Echse von Golden Spring, wobei sich “Sarah” auf Sarah Butler bezieht, die sich für die Finanzierung der Dino-Ausstellung im Austin Science Center in Texas engagiert hat.
Hier ein Überblick über die Knochen von Sarahsaurus:
(Quelle: Rowe et al., s.u.)
Besonders interessant sind zunächst die Hände – sie sind ziemlich kräftig und haben vergleichsweise große Klauen, von denen die größte am Daumen sitzt. Der Oberarmknochen (f) war relativ kurz, breit, und hatte einen ausgeprägten Muskelansatz, so dass vermutlich viel Kraft in den Armen und damit hinter den Klauen steckte. Diese Klauen und auch die vergleichsweise großen Zähne (hier nicht im Bild) könnten dafür sprechen, dass Sarahsaurus kein reiner Pflanzenfresser war. Vielleicht (aber das ist Spekulation) hat er auch kleineren Tieren nachgestellt oder zeitweilig Aas gefressen – die kräftigen Arme erinnern ja ein bisschen an einen Bären. Fairerweise muss man allerdings sagen, dass die Idee, Sauropodenartige wie Plateosaurus hätten auch Aas gefressen, alles andere als neu ist: Ich habe ein Buch aus den 60ern (J. Augusta, “Versteinerte Welt”), in dem zwei Plateosaurier sich hungrig über die Überreste eines Capitosaurus hermachen.
Wenn eine neue Dinosaurierart wie diese gefunden wird, dann interessiert man sich natürlich auch dafür, wie sie mit anderen Dinosauriern verwandt ist. Heutzutage verwendet man hierzu die Methode der “Kladistik”, die ich hier ganz kurz erklären will: Dabei werden zunächst Merkmale der untersuchten Tiergruppe gesucht, die nicht bei allen Mitgliedern gleich sind. “Hat zwei Augen” wäre beispielsweise relativ sinnlos, weil dies für alle Mitglieder der Sauropodenartigen zutrifft und deswegen natürlich nicht besonders erhellend ist. Ein Beispiel für ein solches Merkmal wäre etwa “Durchmesser der Nasenlochöffnung ist weniger als halb so groß wie der der Augenöffnung”. Bei Sarahsaurus ist dies der Fall, bei Plateosaurus nicht. Man trägt entsprechend in eine Matrix eine “0” für Sarahsaurus und eine “1” für Plateosaurus ein. Dann folgt das nächste Merkmal. Falls ein Merkmal nicht ermittelt werden kann, weil der entsprechende Knochen nicht erhalten ist, bekommt die Matrix ein “?”
Für eine große Analyse verwendet man typischerweise mehrere hundert solcher Merkmale und analysiert sie für ein paar Dutzend Dinosaurier. Das gibt dann eine ziemlich riesige Matrix. Anschließend lässt man einen Computer nach Möglichkeiten suchen, die Dinos so in einem Stammbaum anzuordnen, dass möglichst wenige Evolutionsschritte notwendig sind. (Man nimmt also an, dass beispielsweise die Vergrößerung oder Verkleinerung des Nasenlochs ein Evolutionsschritt ist.) Die “?” werden dabei ignoriert. Es ist klar, dass solche Analysen immer eine gewisse Willkür in der Auswahl der Merkmale haben.
Eigentlich müsste man unterschiedliche Merkmale auch unterschiedlich gewichten – ein neu entwickelt Knochen ist vermutlich ein größerer Evolutionsschritt als eine Vergrößerung des Nasenlochs. Da man diese Gewichtung aber nicht kennt, werden alle Merkmale gleich gezählt und man hofft (Computeranalysen von “künstlichen” Stammbäumen bestätigen das), dass die große Zahl der Merkmale dafür sorgt, dass Probleme sich herausmitteln.
Natürlich ist so eine Analyse ein Haufen Arbeit – immerhin muss man die Knochen von einem Haufen Dinos analysieren und vermessen; meist ist das damit verbunden, dass man dorthin fährt, wo der Dino gelagert ist, denn die Daten lassen sich aus Veröffentlichungen nicht immer ermitteln.
Man kann es den Entdeckern von Sarahsaurus deshalb nicht verdenken, dass sie auf eine bestehende Datenmatrix zurückgegriffen haben und ihren Sarahsaurus in diese Matrix eingetragen haben. So brauchten sie nur ein Skelett zu vermessen.
Tatsächlich haben die Autoren sogar zwei unterschiedliche Analysen verwendet, eine von Yates mit 51 Arten und 361 Merkmalen und eine von Upchurch mit 38 Arten und 292 Merkmalen. Das Ergebnis sieht man hier, wobei nur diejenigen Arten berücksichtigt wurden, deren Merkmale zu mindestens 50% bekannt waren (adaptier von Rowe et al., s.u.):
So einen Stammbaum, genauer gesagt ein Kladogramm, liest man von der Wurzel an. Ganz unten links haben wir die “outgroup” – das sind Dinos, die definitiv nicht zur untersuchten Gruppe gehören, aber mit den Vorfahren der Gruppe möglichst eng verwandt sind. Diese “outgroup” bildet sozusagen den Startpunkt der Analyse – ihre Merkmale legen fest, womit die Evolution der betrachteten Gruppe (vermutlich) begonnen hat. Saturnalia, der nächste in der Reihe ist also ein besonders “urtümlicher” Sauropodenartiger, einer, der den Mitgliedern der Outgroup in besonders vielen Merkmalen gleicht.
Betrachtet man die Position von Sarahsaurus, so stellt man fest, dass diese in den beiden Analysen ziemlich unterschiedlich ausfällt – im linken Diagramm nach Yates ist Sarahsaurus noch eher “primitiv”und steht zwischen Riojasaurus und Efraasia, im rechten (nach Upchurch) dagegen gehört Sarahsaurus zu den “echten” Sauropoden und ist von Efraasia ziemlich weit entfernt. Diese großen Unterschiede liegen zum einen in der anderen Auswahl von Arten begründet (bei Yates beispielsweise ist Ruehleia berücksichtigt), zum anderen in der Wahl der Merkmale. Insgesamt ist der Unterschied ein Hinweis darauf, dass große Lücken in den Fossilfunden existieren.
Drei der Dinonamen im Kladogramm sind rot eingefärbt. Das sind die einzigen drei, die aus Nordamerika stammen. Obwohl Nordamerika in der oberen Jurazeit ein wahres Paradies für Sauropoden war (mit Apatosaurus, Camarasaurus, Diplodocus, Brachiosaurus, Barosaurus, Haplocanthosaurus, Seismosaurus und Supersaurus, zum Teil in mehreren Arten), gab es in der Trias keine und im frühen Jura nur drei Gattungen, die auch nicht gleichzeitig lebten.
Das Kladogramm zeigt nun, dass diese drei Gattungen nicht besonders eng miteinander verwandt waren, sondern dass es Zwischenformen gab, die anderswo auf der Welt lebten. Daraus kann man schließen, dass Nordamerika nicht von einem urtümlichen Sauropodenartigen besiedelt wurde, der sich dann weiterentwickelte und in verschiedene Gattungen aufspaltete, sondern dass es drei “Einwanderungsereignisse” gab – die Vorfahren von Sarahsaurus, Seitaad und Anchisaurus wanderten jeweils nach Nordamerika ein.
Besonders rätselhaft ist, dass die Sauropodenartigen anderswo auf der Welt in wesentlich mehr Arten verbreitet waren. Warum Nordamerika in der frühen Jurazeit für sie kein so günstiges Pflaster war und warum es mehrere Einwanderungen brauchte, bis die Sauropoden endgültig Fuß fassten, ist zur Zeit ungeklärt. Ganz so unangefochten, wie man einmal angenommen hat, war die Eroberung der Erde durch die Dinosaurier aber anscheinend nicht.
Der Artikel, in dem Sarahsaurus beschrieben wurde, ist übrigens frei verfügbar:
Rowe, T., Sues, H., & Reisz, R. (2010). Dispersal and diversity in the earliest North American sauropodomorph dinosaurs, with a description of a new taxon Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences DOI: 10.1098/rspb.2010.1867
Die Liste der Sauropoden aus dem oberen Jura in Nordamerika stammt aus “The Dinosauria” von David B. Weishampel, Peter Dodson und Halszka Osmólska (Das Standardwerk über Dinos)
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