Dass die Quantenmechanik schwer zu verstehen ist, ist ja allgemein bekannt. Auch über ihre Interpretation wird ja viel und gern diskutiert. Vielleicht ist es ja ganz hilfreich, einmal die Grundlagen der Quantenmechanik ein bisschen näher zu betrachten.
Anfangen will ich mit der Schrödingergleichung. Sie ist ein zentraler Bestandteil der Quantenmechanik – viele Physiker würden vielleicht sogar sagen, der zentrale Bestandteil überhaupt. Und sie ist erfreulicherweise gar nicht so schwer zu verstehen.
Die Schrödingergleichung beschreibt, wie sich die sogenannte Wellenfunktion eines Teilchens (meist betrachtet man Elektronen) verhält. Was die Wellenfunktion genau ist, diskutieren wir später – sie beschreibt in irgendeiner Weise das Elektron, das wir betrachten. (Auch Schrödinger wusste nicht genau, was die Wellenfunktion eigentlich beschreibt, als er die Gleichung aufstellte – wie sowas angehen kann, sehen wir nachher.)
Für den Anfang machen wir uns das Leben leicht: Wir beschränken uns auf eine Dimension (stellen uns also beispielsweise vor, unser Elektron könne sich nur entlang eines sehr dünnen Drahtes bewegen) und betrachten zunächst nur solche Zustände des Elektrons, die sich mit der Zeit nicht ändern, das heißt, wir betrachten die zeitunabhängige Schrödingergleichung.
In diesem Fall ist die Wellenfunktion eine einfache Funktion, die jedem Punkt des Drahtes einen Zahlenwert zuordnet. (Genauer gesagt ist es ihr zeitunabhängiger Anteil, aber um den Unterschied kümmern wir uns später)
Ähnlich wie bei den Maxwellgleichungen brauchen wir ein bisschen mathematisches Vorgeplänkel, wir müssen nämlich den Begriff der Krümmung einer Funktion verstehen.
Die Krümmung einer Funktion
Eine Funktion kann man sich ja leicht als eine gezeichnete Linie vorstellen, die jedem x-Wert einen Funktionswert zuordnet. Traditionell heißt eine Wellenfunktion immer ψ (“psi”) und könnte vielleicht so aussehen:
Wann ist eine Funktion gekrümmt? Die Antwort ist ziemlich banal: Genau dann, wenn sie nicht gerade ist. Wer hätte das gedacht…? Aber diese ziemlich albern erscheinende Antwort ist tatsächlich der Schlüssel zum mathematischen Krümmungsbegriff.
Natürlich kann eine Funktion an einem Ort anders gekrümmt sein als ein einem anderen, die Krümmung hängt also vom Ort ab. Betrachten wir ein kleines Stück einer Funktion:
Rechts ist die Funktion gekrümmt, links nicht. Wir sehen das mit dem bloßen Auge daran, dass wir links eine Gerade durch dieses Funktionsstück legen können, rechts aber nicht. Um zu sehen, wie stark eine Funktion gekrümmt ist, ziehen wir eine Gerade von einem Ende unserens kleinen Stückchens zum anderen – je stärker der echte Funktionswert (mit einem Kringel gekennzeichnet) von dem Wert auf der Geraden abweicht, desto größer ist die Krümmung. (Wer keine Formeln mag, der kann die genaue Berechung einfach überspringen und unten beim (*) wieder einsteigen.)
Um zu sehen, ob eine Funktion gekrümmt ist, müssen wir die Funktion an drei Punkten kennen: An dem, wo wir die Krümmung wissen wollen, sowie an einem Punkt links und an einem Punkt rechts davon. Nennen wir den aktuellen Punkt einfach x, den linken Punkt xl und den rechten Punkt xr. Der Punkt auf der Geraden genau am Ort x ist der Mittelwert von ψ(xl) und ψ(xr):
(ψ(xl)+ψ(xr)) /2.
Die Abweichung unserer Funktion bekommen wir, wenn wir davon den Funktionswert abziehen, also
(ψ(xl)+ψ(xr)) /2 -ψ(x)
oder, anders geschrieben
(ψ(xl)+ψ(xr)-2ψ(x)) /2.
Anmerkung: Eigentlich habe ich hier ein bisschen gelogen – mathematisch wird die Krümmung einer Funktion etwas anders definiert, sie wird nämlich noch mit dem Wert der ersten Ableitung der Funktion normiert. Was wir hier betrachten, ist direkt die zweite Ableitung der Funktion, die man auch als Krümmung relativ zur horizontalen Achse ansehen kann.
Bisher habe ich nichts darüber ausgesagt, wie weit die beiden Nachbarpunkte xl und xr nun eigentlich von x entfernt sind – das hat natürlich einen Einfluss auf den Zahlenwert, den man herausbekommt. Eigentlich muss man die beiden Punkte immer dichter an x heranrücken lassen. Dabei wird natürlich auch die Abweichung immer kleiner werden (die Funktion lässt sich immer besser durch eine Gerade annähern). Damit man einen sinnvollen Wert herausbekommt, muss man deshalb noch durch das Quadrat des Abstands teilen.
Definieren wir δx= x-xl, dann ist die richtige Formel für unsere Krümmung (wir schreiben jetzt x-δx für xl):
(ψ(x-δx) + ψ(x+ δx) -2&psi(x)) / (2 δx2).
(*) So, wir begrüßen auch die wieder zugestiegenen Leser an Bord des Schrödinger-Express’…
Die so berechnete Krümmung (oder genauer zweite Ableitung) der Funktion ψ am Ort x schreibe ich im Folgenden immer als Δψ(x).
Das Potential
An mathematischem Handwerkszeug ist das für die Schrödingergleichung schon alles, was wir brauchen. Ein bisschen Physik brauchen wir aber noch: Unser Elektron wird ja in seiner Bewegung von äußeren Kräften beeinflusst. Im wesentlichen sind das elektromagnetische Kräfte (schwache Kernkraft und Schwerkraft sind für Elektronen meist relativ irrelevant). Für’s erste beschränken wir uns auf reine elektrische Felder, die durch elektrische Ladungen erzeugt werden. Da das Elektron von anderen negativen Ladungen abgestoßen und von positiven Ladungen angezogen wird, braucht man Energie, um es in einem Bereich mit negativen Ladungen hineinzubringen. Diese Energie nennt man das “Potential”. Je niedriger sie ist, desto “lieber” hält sich das Elektron in diesem Bereich auf. (Ja, ich weiß, Elektronen lieben nichts und wollen nichts und so weiter…)
Wir bezeichnen das Potential mit V(x), ein Elektron am Ort x hat also die elektrostatische Energie V(x).
Die zeitunabhängige Schrödingergleichung
Und damit können wir jetzt die Schrödingergleichung (kurz SGL) hinschreiben, jedenfalls für den Fall, dass das Elektron in einem Zustand ist, der sich mit der Zeit nicht ändert. Sie lautet (nicht erschrecken, sieht auf den ersten Blick schlimmer aus, als es ist):
Links stehen erstmal ein paar Vorfaktoren. Da steckt zunächst ?=h/2π, wobei h das berühmte Planckschen Wirkungsquantum ist. m ist die Masse des Elektrons. Dieser Vorfaktor wird an die Krümmung der Funktion am Ort x ranmultipliziert. Dazu addieren wir das Potential, multipliziert mit ψ. Auf der rechten Seite steht E, die Energie des Zustandes, ebenfalls multipliziert mit ψ. Und überall steht (x) dran, die Gleichung gilt also an jedem Ort x.
Man kann die Gleichung auch in Worten umschreiben:
Krümmung der Wellenfunktion + potentielle Energie mal Wellenfunktion = Gesamtenergie mal Wellenfunktion.
In der klassischen Physik gibt es eine ganz ähnliche Gleichung:
Kinetische Energie + potentielle Energie = Gesamtenergie
Und tatsächlich kann man die Krümmung der Wellenfunktion mit der kinetischen Energie in Verbindung bringen – darauf kommen wir wahrscheinlich später noch zurück.
Was an der Gleichung auch sofort auffällt ist, dass das ψ in jedem Term drinsteckt. Das ist einer der Gründe, warum es auch nachdem Schrödinger die SGL entdeckt hatte nicht sofort klar war, welche Bedeutung das ψ hatte. Um das zu verstehen, vergleichen wir die Gleichung mit einer der Maxwellgleichungen
div E = ρ/ε0
Nehmen wir an, wir wüssten nicht genau, was E eigentlich ist, dann könnten wir aus dieser Gleichung zumindest herausbekommen, dass es die Einheit Volt/Meter haben muss. Daraus könnten wir schon einiges über das elektrische Feld erfahren.
Bei der SGL geht das aber nicht – was auch immer ψ für eine Einheit hat, sie steckt in allen drei Termen drin. Die Einheit könnte nach dieser Gleichung alles sein, eine Energiedichte, eine Ladungsdichte oder etwas ganz anderes – Äpfel pro Kubikmeter zum Beispiel. Deshalb war es nicht sofort klar, auf was für ein physikalisches Objekt sich die SGL eigentlich bezieht. Schrödinger selbst glaubte, dass ψ die Ladungsdichte sei.
Was zum Henker soll man mit einer Gleichung anfangen, wenn man nicht mal weiß, was die Größen bedeuten, die in der Gleichung stecken???
Gute Frage. Die Antwort lautet, dass man die Gleichung trotzdem lösen und beispielsweise die Energie E berechnen kann – und genau das hat Schrödinger getan.
Wir tun das auch – allerdings erst im zweiten Teil.
Gesamte Serie zur Schrödingergleichung:
Teil I: die Gleichung
Teil II: Warum die Energie quantisiert ist
Teil III: Jetzt wird’s komplex
Teil IV: Alles im Kasten
Teil V: Alles zu seiner Zeit
Teil VI: Alles unscharf?
Teil VII: Mit dem Kopf durch die Wand
Das Ende der Schrödingergleichung
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