Im ersten Teil dieser kleinen Reihe haben wir die fundamentale Gleichung der Quantenmechanik hingeschrieben. Hier wollen wir die Gleichung (grafisch) lösen – dabei werden wir sehen, warum die Schrödingergleichung dafür sorgt, dass die Energie (zumindest manchmal) quantisiert ist.
Hier zur Erinnerung nochmal die Schrödingergleichung:
In Worten:
Krümmung der Wellenfunktion + potentielle Energie mal Wellenfunktion = Gesamtenergie mal Wellenfunktion.
Wir lösen sie jetzt für einen der einfachsten Fälle: Ein Teilchen in einem Kasten.
Die Schrödingergleichung für’s Kastenpotential
Wir bleiben noch in einer Dimension, damit das Leben einfacher ist. Jetzt stellen wir uns vor, dass wir unser Elektron in einen Kasten einsperren. (Ein “eindimensionaler Kasten” bedeutet also, dass wir unser Elektron auf einem Stück einer Linie halten, so dass es nicht nach rechts und links abhauen kann.)
Der Kasten erstreckt sich auf unserer x-Achse, sagen wir von x=0 bis hin zu x=L; also ist L die Kastenlänge. Da das Elektron aus dem Kasten nicht heraus kann, ist seine potentielle Energie außerhalb des Kastens unendlich hoch – dann ist es zuverlässig eingesperrt. Im Inneren des Kastens merkt das Elektron vom Kasten nichts, seine potentielle Energie ist also Null.
In brauchbarer Näherung ist übrigens schon ein Stück Metall für die darin befindlichen Elektronen ein solcher Kasten, weil die von den Ionenrümpfen angezogen werden und deshalb drinnen eine kleinere Energie haben als draußen. Reale Kästen sind aber natürlich nicht unendlich hoch.
Und so sieht unser Kasten aus, in den wir gleich das Elektron reinsetzen:
Die senkrechte schwarze Linie symbolisiert das Potential, das rechts und links unseres “Kastens” unendlich hoch ist.
Wie können wir die SGL für diesen Fall lösen?
Zunächst mal ist ziemlich klar, dass ψ außerhalb des Kastens auch Null sein sollte. Wir haben zwar immer noch nicht geklärt, welche Größe ψ nun eigentlich beschreibt, aber da es außerhalb des Kastens unendlich viel Energie benötigen würde, das Elektron dort zu haben, sollte seine Wellenfunktion dort sicher verschwinden, denn dort kann das Elektron mit Sicherheit niemals sein.
Am linken Rand des Kastens ist die Wellenfunktion also schon mal Null.
Dorthin setzen wir unseren ersten Datenpunkt (in rot):
Ein Stück rechts davon sollte die Wellenfunktion nicht immer noch Null sein – das wäre zu langweilig. Also setzen wir einen zweiten Datenpunkt irgendwo nach oben:
Und jetzt ziehen wir unsere Schrödingergleichung zu Rate. Im Inneren des Kastens (nur da gucken wir im Moment) ist ja V(x)=0, also kann ich die Gleichung so umschreiben:
Um die ganzen Vorfaktoren kümmern wir uns nicht, aber die Gleichung sagt ja, dass die negative Krümmung proportional zum Wert von ψ selbst ist. Am Ort unseres zweiten Datenpunktes ist ψ größer als Null, also muss die Kurve dort nach unten gekrümmt sein. Der dritte Datenpunkt muss also so liegen, dass eine Verbindung vom ersten zum dritten Punkt unterhalb des zweiten liegt (denn im ersten Teil hatten wir gesehen, dass eine Funktion nur dann eine Krümmung hat, wenn sie nicht gerade ist):
Wo genau der Punkt liegen muss, das hängt von den ganzen Vorfaktoren ab, die wir erst Mal nicht angucken wollten.
Jetzt suchen wir den nächsten Wert. Die Krümmung am Ort des dritten Datenpunktes muss jetzt (betragsmäßig) größer sein als die beim zweiten Punkt, weil ja der Funktionswert auch größer ist. Der vierte Datenpunkt muss jetzt (weil die Krümmung ja stärker sein muss) so liegen, dass die blaue Linie, die ihn mit dem zweiten Punkt verbindet, weiter unterhalb des dritten Punktes liegt:
Die Krümmung am Ort des vierten Punktes muss jetzt (weil der Funktionswert noch größer geworden ist) noch stärker sein. Das geht nur noch, wenn die Funktion jetzt wieder abnimmt:
Jetzt ist der Funktionswert wieder kleiner geworden, die Krümmung nimmt wieder ab. Das Bild ist ungefähr symmetrisch zur linken Seite. (Nicht genau, weil meine Datenpunkte nicht unendlich dicht liegen.) Also geht es mit der Funktion ebenfalls abwärts. Weil die Funktionswerte jetzt wieder kleiner werden, wird auch die Krümmung wieder kleiner. Wir berechnen den nächsten Punkt wie gehabt. (Falls es jemand nachrechnen will: Ich habe mit δx=1, ψ(1)=4 und Δψ(x)=-ψ(x)/8 gerechnet – der Massstab auf der x- und der y-Achse waren also unterschiedlich, das spielt aber keine Rolle.)
Wir nähern uns jetzt dem rechten Rand des Kastens. Dort muss ψ ja wieder verschwinden. Die Funktion nimmt zum Glück tatsächlich ab, aber leider:
Es hat nicht geklappt – unsere Funktion hätte auch am rechten Rand den Wert Null haben sollen. Was haben wir falsch gemacht?
Ich verbinde erstmal die roten Punkte mit einer Linie, so dass wir eine vollständige Wellenfunktion haben.
Wenn wir die grüne Linie verfolgen, dann liegt ihr Maximum etwas rechts von der Mitte unseres Kastens – unsere Wellenfunktion, die ja tatsächlich aussieht wie ein Wellenberg, ist etwas zu “lang” geraten. Wir müssten sie etwas stauchen, so dass sie genau am rechten Rand wieder auf Null abfällt. Wie können wir das hinbekommen?
Als erstes könnte man auf die Idee kommen, den ersten Punkt etwas höher zu setzen, dann wird die Krümmung ja größer und wir erreichen das Maximum früher. Doch leider klappt das nicht, denn auch die Funktionswerte werden in gleichem Maße größer und Berg ändert zwar seine Höhe, aber nicht seine Breite. Auch mit einem kleineren Wert anzufangen, hilft deshalb nichts. (MathematikerInnen sehen das sofort, weil die SGL linear ist – wenn man ψ mit einem konstanten Faktor multipliziert, ändert sich nichts.)
Wie können wir die Krümmung sonst erhöhen? Jetzt kommen die bisher schmählich ignorierten Vorfaktoren ins Spiel. Es ist ja (bei V=0)
Dabei habe ich den Vorfaktor von links nach rechts rübermultipliziert. An der Elektronenmasse und dem Planckschen Wirkungsquantum können wir nicht drehen, das sind Naturkonstanten, die sich sicherlich nicht jedesmal passend zu unserem Kastenpotential im Wert verändern.
Bleibt also nur noch die Energie E. Wenn wir E etwas erhöhen, dann wird die Krümmung an jedem Punkt etwas stärker und unsere Wellenfunktion erreicht den Wert Null etwas weiter links. Und mit dem richtigen Wert der Energie schieben wir den zweiten Nullpunkt der Funktion genau dahin, wo er sein soll:
(Dabei habe ich die Höhe des Wellenbergs immer gleich gelassen – wie eben erklärt, spielt die ja keine wirkliche Rolle. Wie man die Höhe des Wellenbergs eindeutig festlegen kann, sehen wir, wenn wir uns über die Bedeutung von ψ Gedanken gemacht haben.)
Wir brauchen also einen genau passenden Wert der Energie, damit wir die Gleichung erfüllen können. Damit haben wir gerade eines der fundamentalen Ergebnisse der Quantenmechanik entdeckt: Die Energie eines Elektrons kann (in vielen Fällen) nicht einfach irgendeinen beliebigen Wert annehmen, sondern nur ganz bestimmte Werte. (Im Moment haben wir einen möglichen Wert gefunden, aber wir werden gleich sehen, dass es noch mehr gibt.) Die Energie ist also quantisiert!
Allerdings gibt es nicht nur einen möglichen Wert der Energie. Was passiert, wenn wir deren Wert weiter erhöhen? (Damit niemand verwirrt ist: Wenn ich hier die Energie kontinuierlich raufdrehe, dann meine ich damit die mathematische Größe E. Die physikalische Energie kann ich nicht einfach aufdrehen, denn physikalisch sind ja nicht alle Werte zulässig, sondern nur solche, bei denen die SGL auch tatsächlich erfüllt ist.)
Mit höherer Energie schiebt sich die Welle weiter zusammen. Der Nullpunkt rechts fällt dann in unseren Kasten. Da am Nullpunkt die Funktion Null ist, muss hier auch die Krümmung Null sein, also geht die Funktion entsprechend nach unten weiter (ich habe hier leider vergessen, die grüne Kurve am Ende abzuschneiden, ich hoffe, das verwirrt niemanden):
Die Kurve ist jetzt ein genaues Spiegelbild des ersten Wellenberges, nur eben nach unten. Wenn man sie also noch weiter zusammenschiebt (also E und damit die Krümmung noch weiter erhöht), dann ist sie am rechten Rand wieder Null:
Wir haben eine zweite Lösung der SGL gefunden, allerdings bei höherer Energie.
Wir können sogar leicht berechnen, um wieviel die Energie höher ist: Im ersten Teil hatten wir ja gesehen, dass man bei der Berechnung der Krümmung durch δx2 teilen muss, wobei δx der Abstand der Punkte war. Wenn wir die Kurve auf die Hälfte stauchen wollen (der erste Berg muss jetzt in den halben Kasten passen statt in den ganzen), dann halbieren wir quasi das δx, also muss die Krümmung den vierfachen Wert bekommen. Also steigt die Energie E auf das Vierfache.
(Anmerkung für die MathematInnen: Das ist natürlich so nicht ganz sauber argumentiert, weil man am Ende ja einen Grenzübergang δx gegen Null machen muss. Wer’s mathematisch sauber haben will, der berechnet die zweite Ableitung von ψ(x/2) mit Kettenregel – das führe ich aber nicht vor.)
Und eigentlich ist jetzt ja klar, dass wir noch mehr Lösungen finden können, bei denen die Wellen immer schmaler sind:
Die entsprechenden Energiewerte für den Zustand mit der Nummer n verhalten sich wie n2. Deshalb sind hier die Wellenfunktionen in entsprechender Höhe eingezeichnet – dieser grafische Mischmasch, bei dem die Energie und der Wert von ψ beide in einem Diagramm eingezeichnet sind, ist bei PhysikerInnen so üblich.
Hat das erste Energieniveau also einen Wert von E1, dann gilt
En=E1 n2
Wer’s genau wissen will, mit allen Vorfaktoren lautet die Formel
En=h2 n2 / (8 m L2)
In unserem Kasten ist die Energie also immer quantisiert. Wer sich noch einmal die Überlegungen oben anschaut, sieht, dass das daran lag, dass es einen Bereich gab, wo die Wellenfunktion verschwinden musste. Tatsächlich gilt ganz allgemein, dass die Energie nur für Zustände quantisiert ist, die gebunden sind, bei denen das Elektron also auf einen begrenzten Raumbereich beschränkt ist.
Natürlich sind nicht alle Potentiale so einfach wie unser simpler Kasten. Was würde beispielsweise passieren, wenn der Kasten eine Stufe hätte, wenn das Elektron also rechts etwas mehr Energie bräuchte als links?
Im Bereich rechts ist jetzt V(x)>0. Wir formen unsere SGL wieder so um, dass die Krümmung auf der linken Seite steht:
Solange (E-V(x)) größer als Null ist, tut sich nicht viel – die Krümmung ist immer noch proportional zum negativen Funktionswert. Wenn aber (E-V(x)) kleiner als Null ist, dann ist plötzlich die Krümmung proportional zum Funktionswert selbst, die Funktion muss dann also aufwärts gekrümmt sein. Natürlich kann die Funktion nicht überall aufwärts gekrümmt sein (dann würde ψ ja irgendwann unendlich werden), in einem kleineren Bereich aber schon.
Dankenswerterweise muss ich diesen Fall nicht zeichnen – zum Rumspielen mit der SGL gibt es nämlich auch sehr schöne Programme im Internet, z.B. javapsi-light
Damit kann man Potentiale zeichnen und sich die passenden Wellenfunktionen ausrechnen lassen:
Oben ist unser Kastenpotential zu sehen, unten die zugehörige Wellenfunktion für das 5. Energieniveau. Rechts kann man alles mögliche einstellen, für uns hier ist nur der Schalter “Mouse=” relevant, wenn man den anklickt, dann kann man oben im Bild im Potential rummalen. Ich zeichne hier mal einen Kasten mit Stufe ein: (dazu den Haken “symmetric edit” ausschalten)
Fängt man von links an, so sieht zunächst alles aus wie gehabt, es bildet sich ein Wellenberg. Da wo die Stufe ist, ist er aber nicht ganz auf Null abgefallen, sondern ändert nur seine Krümmung – im rechten Teil ist die Funktion aufwärts gekrümmt. Eine Funktion mit einer Krümmung proportional zum Funktionswert ist eine Exponentialfunktion – die Wellenfunktion nimmt also nach rechts hin exponentiell ab.
Vom Standpunkt der klassischen Physik aus ist es aber erstaunlich, dass die Wellenfunktion hier rechts nicht verschwindet – denn die Energie des Elektrons E ist hier ja kleiner als V(x). In der klassischen Physik kann ein Teilchen keinen Punkt erreichen, dessen Potential größer ist als die Energie des Teilchens, in der Quantenmechanik geht das anscheinend. Das ist im Prinzip nichts als der vielzitierte “Tunneleffekt” – damit man den wirklich sehen kann, braucht man aber die zeitabhängige Schrödingergleichung.
Das gilt allerdings wie oben erläutert nur, wenn (E-V(x)) kleiner als Null ist. Bei höheren Werten von E bekommt man wieder abwärts gekrümmte Wellen:
Wer ein Gefühl dafür bekommen möchte, wie die Lösungen der SGL in verschiedenen Pontentialen so aussehen, der sollte ruhig ein bisschen mit JavaPsi herumspielen.
Schrödinger hat die Gleichung übrigens auch für einen komplizierteren Fall gelöst, nämlich die Energiezustände des Wasserstoffatoms. Diese Energien konnte er dann mit den beobachteten Spektrallinien des Wasserstoffatoms in Beziehung setzen und zeigen, dass sie mit Experimenten gut übereinstimmten. Und das alles, ohne wirklich zu wissen, was ψ eigentlich ist…
Hier wo die Drachen wohnen geht’s dann demnächst weiter mit der zeitabhängigen SGL und der Bedeutung der Wellenfunktion – dazu muss ich aber noch ein bisschen abgrübeln, wie ich das am besten erkläre.
Gesamte Serie zur Schrödingergleichung:
Teil I: die Gleichung
Teil II: Warum die Energie quantisiert ist
Teil III: Jetzt wird’s komplex
Teil IV: Alles im Kasten
Teil V: Alles zu seiner Zeit
Teil VI: Alles unscharf?
Teil VII: Mit dem Kopf durch die Wand
Das Ende der Schrödingergleichung
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