Die e-Funktion stammt ursprünglich aus der Zinsrechnung: Wenn ich mein Kapital verzinse, dann ist der Zinsertrag ja immer proportional zu meinem aktuellen Kapital – bei einem Prozentsatz von 100% (den gibt’s leider nur in Mathebüchern) wäre er immer gleich dem aktuellen Kapital. Dabei muss man allerdings beachten, dass man in der Realität nur einmal im Jahr Zinsen von der Bank bekommt, deshalb hat man nach einem Jahr dann statt einem Euro zwei. Würde man die Zinsen alle halbe Jahr berechnen, wäre es nach einem halben Jahr 1,50€ (weil ich im halben Jahr natürlich nur 50% bekomme) und entsprechend nach einem ganzen Jahr 2,25€ (weil 50% für das zweite Halbjahr 0,75€ sind). Würde man die Zinsen sogar alle Vierteljahr berechnen und auszahlen, wäre es noch mehr. Bei “unendlich schneller” Verzinsung hätte man nach einem Jahr 2,718281828€, und diese Zahl ist die berühmte Eulersche Zahl e. Die e-Funktion kann man damit auch schreiben als
exp(x) = ex
Und jetzt bringen wir die Dinge, die ich bisher erklärt habe, zusammen: Wir wenden die e-Funktion auf eine imaginäre Zahl an, das heißt, wir überlegen, was exp(ix) ist, für eine reelle Zahl x.
Um das herauszubekommen, fangen wir mit eine sehr kleinen Δx an. Dafür kennen wir nämlich die Ableitung, wenn wir statt Δx oben iΔx einsetzen:
d exp(0)/dx = (exp(i Δx) -exp(0)) / (i Δx)
Nun ist exp(0) = d exp(0)/dx =1, also
1 =(exp(i Δx) – 1)/(i Δx)
exp(i Δx)= 1 + i Δx
Für größere Werte von Δx kann ich das Ergebnis einfach mehrfach anwenden:
exp(2 i Δ x)= (1 + i Δx) (1 + i Δx) = 1 + 2 i Δx – Δx2
(dabei habe ich benutzt, dass exp(a+b)=exp(a) exp(b) ist)
Trägt man das grafisch auf, dann sieht man, dass man sich auf einem Kreis um den Nullpunkt zu bewegen beginnt:
Multipliziere ich eine Zahl mit exp(it), dann rotiere ich die Zahl also um den Nullpunkt.
Leider war ich oben zu schlampig, als dass wir quantitativ sehen könnten, wie weit denn nun exp(i x) für ein gegebenes x rotiert. Das lässt sich aber leicht mit einer kleinen Erinnerung aus der Schulmathematik klären. Wir zeichnen den Kreisbogen, den das exp(i x) schlägt (der sieht so schön aus, weil er wie immer bei Wikipedia geklaut wurde):
Von Original: Gunther
Abgeleitetes Werk: Wereon – Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet Euler’s formula.png: , CC BY-SA 3.0, Link
Hier haben wir ein rechtwinkliges Dreieck mit längster Kante (Hypothenuse) 1. Die beiden anderen Kanten haben dann die Länge cos(x) und sin(x), wenn x der Winkel ist. (Achtung: In der Mathematik werden Winkel am liebsten nicht in Grad sondern in “Radiant” gemessen: Ein rechter Winkel hat 90°, in Radiant sind das π/2) Wir zerlegen jetzt unseren Punkt exp(ix) auf dem Kreis in seinen Real- und seinen Imaginärteil:
exp(ix) = cos(x) + i sin(x)
Damit habe ich diese Gleichung, die berühmte Eulersche Gleichung, zumindest plausibel gemacht.
(Wirklich gezeigt habe ich das nicht, zum einen weil das x ja auch ein beliebiges Vielfaches des Winkels sein könnte, zum anderen, weil ich hier einen Weltrekordversuch für Schlampigkeit im Umgang mit Δx-Ausdrücken unternommen habe – die Mathematikerinnen mögen es mir verzeihen…)
Da Multiplizieren mit exp(i x) eine reelle Zahl um den Winkel x rotiert, kann man jede komplexe Zahl auch darstellen als Produkt:
a + ib = z exp(ix)
Wobei man natürlich im Einzelnen ausrechnen muss, was z und x genau sind.
Setzt man in die Eulersche Gleichung oben für x den Wert π ein, dann bekommt man (jetzt in schöner Exponentialschreibweise), weil sin(π)=0 und cos(π)=-1 ist
Diese Gleichung vereint die 5 wichtigsten Zahlen der Mathematik: 0, 1, i, π und e. Wenn man sich überlegt, dass diese Zahlen alle aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Mathematik kommen (1 vom Zählen, 0 vom Subtrahieren, i vom Versuch, Wurzeln aus negativen Zahlen zu ziehen, π aus dem Kreisumfang und e aus der Zinsrechnung), dann ist es schon ziemlich irre, dass diese Zahlen in so einfacher Weise verknüpft werden können. Es gibt – zumindest mir – das Gefühl, dass die Mathematik eine eng gewobene Einheit besitzt.
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