Unsere Welt ist nicht statisch. Dinge ändern sich mit der Zeit. Das sollte natürlich auch für quantenmechanische Objekte wie die Wellenfunktion gelten, die wir uns heute angucken. Damit das nicht so trocken wird, habe ich extra für Euch ein paar exklusive Animationen vorbereitet. Viel Mathematik werde ich diesmal nicht benutzen, sondern lieber versuchen, Euch ein “Gefühl” dafür zu vermitteln, wie zeitabhängige Wellenfunktionen aussehen.
Wie schon im zweiten Teil schauen wir wieder auf das beliebte Kastenpotential – unser Elektron ist also in einen Kasten der Länge L fest eingesperrt, drinnen ist seine potentielle Energie überall gleich groß, nämlich V(x)=0.
Die Energieniveaus im Kasten und die zugehörigen Wellenfunktionen hatten wir ja schon in dieser Grafik gesehen:
Was hier gezeichnet ist, ist der räumliche Anteil der Wellenfunktion ψ(x). Die Wellenfunktion hängt aber auch von der Zeit ab. Die zeitabhängige Wellenfunktion Ψ(x,t) ist nun eine komplexe Zahl, also eine, die einen Real- und einen Imaginärteil hat. Das ist mathematisch erstmal kein großes problem, physikalisch dagegen schon, denn es zeigt, dass man Ψ selbst niemals messen kann: Messwerte können schlecht komplexe Zahlen sein.
Bevor wir uns über die Interpretation der Wellenfunktion mehr Gedanken machen, will ich erst einmal konkret zeigen, wie zeitabhängige Wellenfunktionen aussehen. In unserem Kastenpotential ist die zeit- und ortsabhängige Wellenfunktion für eine Energie E gegeben durch die Formel
Ψ(x,t) = ψ(x) exp(-i E t / ħ)
Dabei ist ψ der räumliche Anteil, den wir ja schon kennen, und E ist die zugehörige Energie der Wellenfunktion, die wir ja im zweiten Teil berechnet haben. ψ(x) wird also mit einer e-Funktion multipliziert, die wir im letzten Teil kennengelernt haben. Das Argument der e-Funktion ist rein imaginär (hat die Form i multipliziert mit einer reellen Zahl). Auch ψ(x) ist eine reelle Zahl.
Wie wir letztes Mal gesehen haben, bedeutet das, dass der zeitunabhängige Funktionswert ψ(x) in der komplexen Ebene gedreht wird, und zwar an allen Ort x gleich. Statt das mit vielen Worten zu erklären, hier eine kleine Animation, die das anschaulich machen soll (die Bilder habe ich mit dem Programm scilab erstellt, eine Art frei verfügbare Version von Matlab, und dann mit dem guten alten gifsicle animiert)
Die schwarze Linie ist die x-Linie, auf der sich unsere Wellenfunktion befindet. Nach rechts ist der Realteil aufgetragen, nach oben der Imaginärteil. Unser Wellenberg rotiert in der komplexen Ebene, aber an allen Orten genau gleich.
Letztes Mal hatten wir ja gesehen, das man jede komplexe Zahl schreiben kann als z exp(ix). Das x-Argument der e-Funktion nennt man manchmal auch die “Phase” der Zahl. In unserer Wellenfunktion für den Kasten ist die Phase nicht ortsabhängig, sondern überall gleich.
Wir können dasselbe Spiel auch mit einer Wellenfunktion mit höherer Energie spielen, hier die Wellenfunktion zum nächsthöheren Energiezustand:
Wie man sieht, rotiert sie deutlich schneller – genau viermal so schnell, weil ja ihre Energie auch viermal so hoch ist.
Zugegebenermaßen ist diese Dreherei zwar hübsch anzuschauen, aber letztlich doch ziemlich langweilig, weil die Phase eben nicht vom Ort abhängt.
Interessanter wird es, wenn wir kompliziertere Zustände angucken. Die können wir leicht bekommen: Ist nämlich Ψ1 eine Wellenfunktion mit der Energie E1 und Ψ2 eine Wellenfunktion mit der Energie E2, dann ist auch ihre Summe eine zulässige Lösung der Schrödingergleichung. (Allerdings nicht, wie man denken könnte, mit der Energie E1+E2.)
Wir können also die Summe unserer beiden Wellenfunktionen oben bilden. Dann kommt das hier heraus:
Schon ganz hübsch, oder? Wenn man die Animation mit den beiden oben vergleicht, dann erkennt man, wie die Überlagerung dazu führt, dass sich die Welle spiralförmig um die Achse windet.
Noch hübscher (und wirrer) wird es, wenn man die ersten vier Funktionen überlagert:
(Merkt man irgendwie, dass mir das Spielen mit scilab Spaß macht?)
Hier habe ich die Blickrichtung etwas geändert und die Zeitskala ein bisschen gedehnt, sonst hätte man nichts mehr erkannt.
Aber obwohl das natürlich nette Bildchen sind, kann man sich doch fragen, was man mit ihnen anfangen kann. Und da kommen wir nicht umhin, uns mit der Interpretation der Wellenfunktion zu beschäftigen. Was ist denn nun dieses ψ?
Dass ψ selbst keine messbare Größe sein kann, weil es ja komplexe Werte annehmen kann, hatte ich oben schon erklärt. In unserem kleinen Exkurs über komplexe Zahlen hatte ich aber ja erklärt, dass man aus einer komplexen Zahl eine reelle bauen kann, wenn man sie mit ihrem komplex-konjugierten multipliziert. Zur Erinnerung: Wenn ich die Zahl z als a+ib schreibe, dann ist das komplex-konjugierte z*=a-ib, und wenn ich die beiden multipliziere, dann bekomme ich
(a+ib) (a-ib) = a2 + iab – iab + b2 = a2 + b2
Zur Veranschaulichung nochmal ein Bild von Wikipedia dazu:
Von Kmhkmh – Eigenes Werk, CC-BY 4.0, Link
Man nennt diese Größe auch das Betragsquadrat (Quadrat, weil man die Zahl ja mehr oder weniger mit sich selbst multipliziert, und Betrag, weil ja am Ende eine positive Zahl rauskommt.).
Wir können entsprechend aus unserer Wellenfunktion Ψ(x,t) eine reelle Zahl bekommen, wenn wir Ψ*(x,t)Ψ(x,t) berechnen. Und diese Größe, ich nenne sie mal O(x,t), hat tatsächlich eine – wenn auch schwierige – Interpretation:
O(x,t) gibt die Wahrscheinlichkeit an, das Elektron zur Zeit t am Ort x zu finden. (Mathematisch genau ist’s ne Wahrscheinlichkeitsdichte, aber das ist wieder ne Feinheit für die Theoretikerinnen.) Stellen wir uns vor, wir haben 1000 Kästen mit je einem Elektron drin, und wir versuchen, die Elektronen zu detektieren, beispielsweise mit einem Lichtstrahl, der abgelenkt werden soll. Dann werden wir nach den 1000 Experimenten eine Verteilung der Elektronen finden, die (mit den üblichen statistischen Unsicherheiten) der Funktion O(x,t) entspricht.
Diese Interpretation wirft einiges an Problemen auf, aber das vertage ich auf später. Für heute soll diese relativ simple statistische Interpretation erstmal genügen. Wenn wir also nicht die Wellenfunktion über der Zeit auftragen, sondern ihr Betragsquadrat, also die Funktion O(x,t), dann sehen wir, wie die Wahrscheinlichkeit, das Elektron irgendwo zu finden, sich mit der Zeit entwickelt.
Wie sieht denn nun die Funktion O(x,t) aus? Für die einfachsten Fälle unserer Wellenfunktionen mit konstanter Energie, die wir oben im ersten Bild hatten, ist das ziemlich simpel: Die Funktionen müssen einfach quadriert
werden:
Da die Zeitabhängigkeit nur ein konstantes Rotieren war, fällt sie beim Quadrieren weg. (Wer das nachrechnen will, sieht das so: Wenn Ψ(x,t)=z exp(i q) ist, dann ist Ψ*(x,t)=z exp(-iq), weil ich ja in die andere Richtung rotieren muss, wie das Bild oben zeigt. Das Produkt aus beiden ist also z2, unabhängig von der zeitabhängigen Phase.)
Die Wahrscheinlichkeiten sind also zeitlich konstant. Deshalb spricht man bei solchen Zuständen auch von stationären Zuständen – die Phase der Wellenfunktion ist nicht direkt messbar und deshalb merkt man eben nichts von der Zeitabhängigkeit.
Anders sieht das aus, wenn ich die Überlagerung von mehreren Zuständen betrachte. Die Überlagerung der ersten beiden gab ja oben eine spiralig aussehende Kurve. Deren Betragsquadrat sieht so aus:
Hübsch, oder? Das Elektron (bzw. seine Aufenthaltswahrscheinlichkeit) “schwappt” hier von einer Seite zur anderen. Wenn man also in unseren 1000 Kästen die Elektronen detektiert, hängt das Ergebnis davon ab, wann man das tut: Mal findet man sie bevorzugt links, mal rechts im Kasten. (Wobei man nach jeder Detektion natürlich das System irgendwie in den Ausgangszustand zurückversetzen muss.)
Die Überlagerung der Zustände 1-4 kann man auch angucken, sie ist allerdings ziemlich wirr:
Immerhin erkennt man, dass die Wahrscheinlichkeit manchmal links besonders hoch ist und manchmal rechts, dazwischen allerdings wuselt die Funktion ziemlich wild herum.
Reale Elektronen sitzen natürlich nicht unbedingt in Kästen – sie können ja auch frei in der Gegend herumfliegen. Auch für freie Elektronen gibt es wieder stationäre Zustände, also solche, bei denen sich die Aufenthaltswahrscheinlichkeit mit der Zeit nicht ändert. Diese Zustände sind komplexe ebene Wellen. Mathematisch haben sie die Form
exp(i (kx – E t/ħ )
wobei E=ħ2 k2 / 2m ist, mit k als der sogenannten “Wellenzahl”. So sieht eine solche ebene Welle aus:
Sie erinnert an einen sich drehenden Korkenzieher. Die Wellenzahl k hängt dabei mit der Wellenlänge zusammen, also dem Abstand zweier Windungen. Ist diese Wellenlänge λ, dann ist k=2π/λ.
Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit ist an allen Orten gleich – unsere ebene Welle ist also gar nicht im Raum lokalisiert. (Es gibt hier eine kleine Schwierigkeit, weil man solche ebenen Wellen eigentlich so normieren müsste, dass die Gesamtwahrscheinlichkeit, das Elektron irgendwo zu finden, gleich 1 ist, aber mit geeigneten mathematischen Tricks kann man diese Probleme umgehen.)
Auch das entspricht natürlich nicht so ganz unserer Vorstellung eines durch den Raum fliegenden Elektrons. Was wäre denn, wenn ich mit einem Elektron anfange, das in einem Bereich des Raumes lokalisiert ist und von dort wegfliegt?
Um so ein Elektron zu bekommen, muss man viele ebene Wellen überlagern. Die Formel dafür ist ziemlich lang, deswegen schreibe ich sie hier nicht hin (wer will, findet sie im Morrison “Understanding Quantum Physics”). Stattdessen zeige ich lieber, wie die Wellenfunktion aussieht:
Anfänglich ist die Korkenzieherwindung auf einen kleinen Bereich beschränkt, aber sie breitet sich in eine Richtung aus und “zerläuft” dabei. Die Aufenthaltswahrscheinlchkeit sieht dabei so aus:
Das Maximum der Kurve bewegt sich dabei mit konstanter Geschwindigkeit nach rechts, gleichzeitig wird die Position des Elektrons immer unbestimmter, weil die Wellenfunktion (man spricht auch gern vom “Wellenpaket”) immer weiter zerläuft.
Nachdem wir nun gesehen haben, wie Lösungen der zeitabhängigen SGL aussehen, wird es aber doch Zeit, dass wir uns die Gleichung selbst noch einmal angucken. Das tun wir dann im nächsten Teil.
Gesamte Serie zur Schrödingergleichung:
Teil I: die Gleichung
Teil II: Warum die Energie quantisiert ist
Teil III: Jetzt wird’s komplex
Teil IV: Alles im Kasten
Teil V: Alles zu seiner Zeit
Teil VI: Alles unscharf?
Teil VII: Mit dem Kopf durch die Wand
Das Ende der Schrödingergleichung
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