Die Unschärferelation wird ja immer gern in Diskussionen über Physik oder Philosophie oder die Natur der Wirklichkeit angeführt, mit so Sätzen wie “Nach der Unschärferelation kann man ohnehin nicht alles wissen” oder “Jede Messung beeinflusst das Ergebnis”. Meist ist das Verständnis der Unschärferelation dabei auch ziemlich unscharf…
In diesem Teil der Quantenmechanikserie will ich an einem Beispiel erklären, was es mit der Unschärferelation auf sich hat – viel Mathematik werden wir nicht brauchen, es lohnt sich also vielleicht auch für diejenigen, denen die letzten Teile zu “heftig” waren.
Um zu verstehen, was die Unschärferelation tatsächlich sagt, schauen wir nochmal unsere Wellen an, die wir die letzten Male angesehen hatten.
Da gab es zunächst mal die ebene Welle, die aussah wie ein Korkenzieher:
Mathematisch (wie gesagt, wer nicht so auf Formeln steht, kann die heute im Wesentlichen überspringen) war sie gegeben durch
exp(i (kx – E t/ħ ))
wobei E=ħ2 k2 / 2m ist, mit k als der sogenannten “Wellenzahl”.
Die “Wellenzahl” k hängt mit dem Impuls p des Teilchens zusammen, es gilt einfach p=ħk. (In der klassischen Physik ist der Impuls p=mv das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit. Er ist eine Größe, die Physikerinnen lieben, weil der Impuls eine Erhaltungsgröße ist, sich also in einem abgeschlossenen System nicht ändert.)
Unsere ebene Welle hat also den Impuls p=ħk. Der Impuls ist genau definiert und festgelegt. Dafür muss man aber fairerweise sagen, dass man den Ort der Welle nicht festlegen kann: Die Welle ist überall. (Die Größe Ψ*(x,t)Ψ(x,t) ist überall konstant.)
Später haben wir ja mehrere solche Wellen überlagert, und das Ergebnis sah so aus:
Hier haben wir jetzt eine bessere Idee, wo das Teilchen ist, weil die Wellenfunktion ja an einem Punkt besonders groß ist und nach außen hin immer kleiner wird. Um das hinzubekommen, muss man allerdings viele ebene Wellen mit den richtigen Vorfaktoren addieren, das sieht also etwa so aus:
Ψ(x,t) = a1exp(i (k1x – E1 t/ħ )) +a2exp(i (k2x – E2 t/ħ )) + a3exp(i (k3x – E3 t/ħ )) + …
(Mathematisch korrekt ist das ein Integral, aber solche Feinheiten sind hier nicht so relevant.)
Hier können wir jetzt nicht mehr so einfach sagen, welchen Impuls (oder welche Wellenzahl) k unser Wellenpaket hat. Wenn der Vorfaktor a1 besonders groß ist, dann trägt der zugehörige Impulswert auch viel bei, aber es sind eben viele Impulswerte involviert.
Auch hier gibt es wieder eine Wahrscheinlichkeits-Interpretation: Stellen wir uns vor, wir hätten sehr viele Elektronen mit der Wellenfunktion Ψ von oben. Wir messen für einige dieser Elektronen den Ort, für die anderen den Impuls und tragen die Messwerte in einer Tabelle oder Grafik auf:
Wir bekommen dann eine Verteilung der gemessenen Orts- und Impulswerte, die vielleicht so aussieht (das Programm dazu findet man hier):
Oben habe ich die gemessenen Aufenthaltsorte der Elektronen aufgetragen, unten die zugehörige Verteilung der Impulse (mathematisch ist das gerade a*(p) a(p)).
Mathematisch kann man zeigen, dass die Breite der Impulsverteilung um so größer wird, je enger wir das Wellenpaket auf einen Raumbereich einschränken. Um ein sehr enges Paket zu bauen, braucht man sehr viele unterschiedliche Impulswerte, um ein sehr breites Wellenpaket zu bauen, braucht man nur wenige:
(Auch hier wieder der Hinweis für die mathematisch Interessierten: genauer gesagt braucht man natürlich immer unendlich viele Beiträge, weil das eine Fouriertransformation ist, aber die Breite der Impulsverteilung ist um so größer, je enger die Wellenfunktion im Raum lokalisiert ist. Nachtrag:: Außerdem sind die Bilder nur qualitativ zu verstehen, eigentlich müsste die Fläche unter den Kurven jeweils gleich sein. – Danke an perk für den Hinweis.)
Das lässt sich dann in der Heisenbergschen Unschärferelation zusammenfassen:
Δx Δp ≥ ħ/2
Die Δs kennzeichnen dabei gerade die Breite der Gaußkurven. Das Produkt der beiden ist also immer größer-gleich einem bestimmten Wert. (Weil ħ so klein ist, merken wir davon im Alltag aber nichts.)
Wenn man die Unschärferelation für Wellenpakete so hinschreibt, dann stellt man fest, dass daran kaum etwas Ungewöhnliches ist. Ganz ähnlich gilt eine solche Relation für eine Wasserwelle. Wenn ich die Wellenlänge der Wasserwelle eindeutig und genau kennen will, dann muss die Welle sehr lang sein (ich muss ja viele Wellenberge sehen können, damit ich die Wellenlänge genau bestimmen kann); wenn ich dagegen einen einzigen, scharf begrenzten Wellenberg haben will, dann ist es nicht so sinnvoll, von einer Wellenlänge zu sprechen.
Erstmal ist an der Unschärferelation also nichts geheimnisvolles, solange man nur die Wellenfunktion und die Schrödingergleichung ansieht. Kniffliger wird die Sache erst durch die oben erwähnte Wahrscheinlichkeitsinterpretation.
Wir können ja den Impuls messen, beispielsweise, wenn wir das Elektron gegen eine Wand prallen lassen. Auch den Ort eines Elektrons kann man messen, und anders als bei der Wasserwelle wird – bei geeigneter Messanordnung – ein Elektron auch immer an einem Ort gemessen und nicht als ausgedehntes Objekt. Damit kommen wir zum berühmten Messproblem. Ich will hier nur kurz anreißen, wo das Problem in Bezug auf die Unschärferelation steckt, und komme darauf später (vermutlich in Teil 8) ausführlich zurück.
Man kann also entweder den Impuls messen (und bekommt dann einen der Werte p1, p2 usw.), oder man kann den Ort messen, aber man kann keinen Versuch erfinden, in dem man beides gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit misst. (Das Ausdenken und anschließende Widerlegen solcher Anordnungen ist ein beliebter Physikerinnen-Sport.) Schaut man aber bei der Ortsmessung nicht so genau hin und bestimmt den Ort nur mit einer Genauigkeit Δx, dann kann man gleichzeitig den Impuls bestimmen, aber nur mit einer Genauigkeit Δp, und für diese Genauigkeiten gilt ebenfalls wieder die Unschärferelation
Δx Δp ≥ ħ/2
Man kann die beiden Größen natürlich nacheinander messen, aber das hilft nicht wirklich weiter, denn das Messen des Impulses verändert die Wellenfunktion des Paketes (nämlich zu der einer Welle mit genau dem gemessenen Impuls). Das ist auch der Ursprung der Aussage “Laut Unschärferelation verändert jede Messung das Ergebnis”.
Diese Aussage ist aber so nicht richtig. Messe ich zum Beispiel den Impuls einer ebenen Welle, die ja einen eindeutigen Impuls besitzt, dann verändert sich die Welle bei der Messung nicht. Deshalb ist es eben nicht korrekt zu sagen, dass jede Messung das Ergebnis beeinflusst, das tut sie nur dann, wenn die Wellenfunktion keinen eindeutigen Wert der jeweiligen Messgröße hat. (Vornehm sagt man, wenn die Wellenfunktion keine Eigenfunktion zu dieser Messung ist.)
Die hier angeführte Unschärferelation ist übrigens nicht die einzige – es gibt viele Messgrößen, die nicht gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit gemessen werden können, aber die Orts-Impuls-Unschärfe ist sozusagen der “Prototyp”.
Es ist aber nicht korrekt anzunehmen, dass man immer nur eine Größe gleichzeitig korrekt messen kann. Unsere ebene Welle hat einen eindeutigen Impuls p und eine eindeutige Energie E. Man kann Impuls und Energie gleichzeitig messen, oder erst den Impuls, dann die Energie (na gut, um das unendlich genau zu machen, bräuchte man unendlich lange), dann wieder den Impuls und so weiter, ohne dass man die Wellenfunktion dabei irgendwie verändert oder mit irgendeiner Unschärfe zu tun hat.
Wie gesagt werde ich die genauen Probleme mit der Unschärferelation, dem Messprozess und der Quantenmechanik überhaupt demnächst ausführlicher diskutieren. Vorher werden wir aber erst noch ein anderes berühmtes Phänomen anschauen, den berühmten Tunneleffekt.
Gesamte Serie zur Schrödingergleichung:
Teil I: die Gleichung
Teil II: Warum die Energie quantisiert ist
Teil III: Jetzt wird’s komplex
Teil IV: Alles im Kasten
Teil V: Alles zu seiner Zeit
Teil VI: Alles unscharf?
Teil VII: Mit dem Kopf durch die Wand
Das Ende der Schrödingergleichung
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