Stellt euch vor, Ihr kollidiert beim Einparken eures nagelneuen 1500tm mit einem Baum. Mist, Beule im Kotflügel, das wird teuer. Aber nein, die freundliche Mechanikerin in der Autowerkstatt zückt statt des Hammers zum Ausbeulen einen Föhn. Als der Kotflügel heiß wird, verschwindet die Beule wie durch Zauberei.
Blödsinn, oder? Die Leute auf den Scienceblogs denken sich wohl auch immer albernere Sachen aus, um Leser zu bekommen.
Aber nein, so etwas gibt es wirklich. Solche Metalle heißen sehr treffend “Formgedächtnislegierungen”, weil sie sich an eine Form erinnern können und diese, wenn man sie heiß macht, wieder einnehmen.
Hier ein nettes Youtube-Video, bei dem man das schön sehen kann:
Und wie funktioniert das? Wer sitzt da im Metall und biegt es wieder gerade?
Formgedächtnislegierungen sind spezielle Metalle, die in zwei unterschiedlichen Kristallstrukturen existieren können. In einem Metall sind die Atome ja immer ganz regelmäßig angeordnet (eben in einer sogenannten Kristallstruktur), aber es gibt viele verschiedene regelmäßige Gitteranordnungen. Die meisten Metalle haben immer dieselbe Kristallstruktur (bis zum Schmelzpunkt) aber einige haben, abhängig von der Temperatur, unterschiedliche Strukturen. Eisen zum Beispiel gibt es in einer “ferritischen” und einer “austenitischen” Phase. (Phase ist hier nur der Fachausdruck für “Struktur”.)
Auch bei Formgedächtnislegierungen gibt es zwei Phasen. In zwei Dimensionen kann man sich die beiden so vorstellen:
Die linke quadratische Form ist die Hochtemperatur-Struktur (die entsteht beim Heißmachen mit dem Föhn), rechts ist die Niedertemperatur-Struktur. Die hat eine “verkippte” Form wie ein Salmi. Natürlich gibt es zum hier gezeigten nach rechts gekippten Salmi noch einen nach links gekippten, beide sind gleich gut und liegen in einer Legierung auch immer beide vor.
Wenn man eine Formgedächtnislegierung in der Niedrigtemperatur-Form verformt, dann passiert etwas ungewöhnliches: Statt dass sich, wie sonst in Metallen üblich, Versetzungen (das habe ich neulich erklärt) bewegen, klappt das Kristallgitter schichtweise von der einen Salmi-Form in die andere um:
Der blaue Pfeil soll dabei die äußere Last symbolisieren, wenn man die wegnimmt, dann behält das Metall seine umgeklappte Form bei, deswegen ist die Verformung bleibend (so wie die Beule im Kotflügel).
Wenn man jetzt das Metall heißmacht, dann geht es in seine Hochtemperatur-Struktur über. Dabei ist es aber egal, ob ein Salmi nach links oder rechts geklappt ist, die zugehörige Hochtemperatur-Form ist immer das Quadrat. Egal wie ihr die einzelnen Salmi-Ebenen abgeschert habt, nach dem Erwärmen klappen alle Salmis wieder zu Quadraten um:
Dabei ist es wichtig, dass das Metall seine Kristallstruktur ändern kann, indem das Gitter einfach “umklappt” – wenn da erst Atome mühsam aneinander vorbei müssten, um irgendwie ihre Plätze zu tauschen, dann würde der Prozess sehr lange dauern.
Entsprechend entsteht beim Erwärmen wieder die alte, regelmäßige Form.
Und wenn ihr jetzt wieder abkühlt, dann bildet sich wieder die Tieftemperaturphase aus, dabei klappen die Quadrate wieder zu Salmis um. Rechts-Salmis und Links-Salmis sind dabei genau gleich gut, von der vorhin aufgebrachten Verformung “weiß” das Metall nichts mehr:
In der Realität sieht die Sache ein bisschen komplizierter aus: Zum einen ist unsere Welt dreidimensional. Die entsprechenden dreidimensionalen “Salmis” kommen nicht bloß in zwei Formen daher, sondern in 24. Außerdem sind Bauteile aus Formgedächtnislegierungen keine Einkristalle, es liegt also nicht über das ganze Bauteil hinweg dieselbe Orientierung der Salmis bzw. Quadrate vor, sondern es gibt “Körner”, Bereiche mit unterschiedlicher Kristallstruktur (Bild von
Von Ra’ike in der Wikipedia auf Deutsch – Übertragen aus de.wikipedia nach Commons.
(Originaltext: Selbst gezeichnet), Gemeinfrei, Link nachbearbeitet
Innerhalb der einzelnen Körner klappen die Salmis deshalb immer etwas unterschiedlich. Der Mechanismus ist aber derselbe wie oben in zwei Dimensionen gezeigt.
Bleibt noch die Frage, welche Struktur sich das Metall denn nun eigentlich merkt. Wie hat man denn die Feder- oder Kotflügelform ursprünglich hergestellt? Das tut man bei hoher Temperatur (in der handelsüblichen Nickel-Titan-Legierung sind das so etwa 500°C). Bei dieser Temperatur ist man weit in der Hochtemperatur-Phase. Verformungen passieren hier durch Versetzungsbewegung. Zwingt man die Legierung bei hoher Temperatur in eine bestimmte Form, so wird diese dann quasi “eingefroren”.
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