Maxwells Dämon ist ein kleines Unwesen, dass den Physikerinnen und Physikern etwa hundert Jahre lang den Schlaf geraubt hat. Inzwischen aber ist er ausgetrieben und, wie man neulich bei Nature Physics lesen konnte, kann sogar gezähmt werden. Warum Maxwell diesen Dämon beschworen hat und was Information mit Energie zu tun hat, das will ich hier prinzipiell erklären.
Wieso hängen Energie und Information überhaupt zusammen? Diese Frage kann anscheinend selbst promovierte Physiker in Verwirrung stürzen, denn hier auf den scienceblogs konnte man lesen:
Wenn das geht, wenn also Energie aus Information entstehen kann, dann muss der Erste Hauptsatz der Thermodynamik, der die Erhaltung der Energie ausdrückt, erweitert werden. Denn dann kann Energie tatsächlich geschaffen und nicht nur umgewandelt werden.
Klingt schon irre, oder? Die Energieerhaltung wurde widerlegt! Da erscheint es schon seltsam, dass das paper “nur” bei Nature Physics erschien und nicht bei Nature, Time, National Geographic, auf der Titelseite der New York Times, als erste Nachricht in der Tagesschau usw.
Der Grund ist einfach: Weder der erste noch der zweite Hauptsatz der Thermodynamik (keine Angst, erkläre ich gleich im Detail) wurden widerlegt – die Energie in diesem Experiment kam nicht “aus Information”, sondern aus einem Wärmebad (und Wärme ist ja Energie), es entstand also keine Energie aus dem Nichts, und auch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ficht das Experiment nicht an. So Leid es mir tut, aber hier stand einfach kompletter und gigantischer Blödsinn auf den Scienceblogs. Den will ich in diesem Post ein wenig geraderücken – Jörg wird vermutlich in den nächsten Tagen das Experiment selbst beschreiben.
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik
Die Thermodynamik (also die “Wärmelehre”) beruht auf zwei fundamentalen Sätzen, Hauptsätze genannt. Der erste Hauptsatz ist nichts als die bekannte Energieerhaltung: In einem abgeschlossenen System ist die Gesamtenergie konstant.
Der zweite Hauptsatz existiert in verschiedenen Formulierungen, die alle physikalisch dasselbe bedeuten, aber die Anschauung unterschiedlich ansprechen. Ich brauche ihn hier in der folgenden Formulierung:
Es gibt keine Maschine, die nichts tut als einem Wärmebad Energie zu entziehen und dabei mechanische Arbeit zu leisten.
Klingt abstrakt, oder? Im Alltag ist uns das aber ziemlich vertraut. Stellt euch vor, der zweite Hauptsatz würde nicht gelten, dann könnten wir eine Maschine bauen, die z.B. einfach die Wärmeenergie der Ozeane in mechanische Energie (beispielsweise eine rotierende Turbine) unwandelt, und damit könnten wir Strom erzeugen. Unsere Energieprobleme wären für alle Zeit gelöst, es wäre perfekt “saubere” Energie (und die Wärmemenge in den Ozeanen ist so riesig, dass wir keine Umweltkonsequenzen befürchten müssten.)
Nebenbemerkung: Habt ihr euch schon mal gefragt, warum es überhaupt Energieprobleme geben kann, wo doch die Energie erhalten ist? Der Grund ist der, dass bei (fast) jeder Energieumwandlung immer ein Teil der Energie in Wärme übergeht, und diese Energie kann man dann nicht wieder vollständig zurückverwandeln.
Zurück zum zweiten Hauptsatz selbst. Man kann natürlich mechanische Energie aus Wärmeenergie gewinnen – jeder Automotor verbrennt Benzin (oder Diesel) und treibt das Auto an. Das geht aber nur, weil es im Motor heißer ist als Außen, so dass sich das entzündende Gas ausdehnt. Dabei wird nicht nur mechanische Arbeit geleistet, sondern es fließt auch Wärme vom heißen Motor-Inneren nach Außen – deshalb sind Auspuffrohre heiß und Motoren müssen gekühlt werden.
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ist einer der fundamentalsten Sätze überhaupt. Folgendes Zitat von Eddington zeigt den Stellenwert, den er hat, sehr schön:
If someone points out to you that your pet theory of the universe is in disagreement with Maxwell’s equations–then so much the worse for Maxwell’s equations. If it is found to be contradicted by observation–well these experimentalists do bungle things sometimes. But if your theory is found to be against the second law of thermodynamics I can give you no hope; there is nothing for it but to collapse in deepest humiliation.
[Falls Ihnen jemand zeigt, dass Ihre Lieblingstheorie des Universums nicht mit den Maxwellgleichungen übereinstimmt – Pech für die Maxwellgleichungen. Falls die Beobachtungen ihr widersprechen – nun ja, diese Experimentatoren bauen manchmal Mist. Aber wenn Ihre Theorie nicht mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik übereinstimmt, dann kann ich Ihnen keine Hoffnung machen; ihr bleibt nichts übrig als in tiefster Schande zu kollabieren.] (Holprige Übersetzung von mir)
Also, halten wir fest: Wärme systematisch aus einem Wärmebad zu entziehen und dabei Arbeit zu leisten, ohne dass sonst irgendetwas passiert, ist unmöglich. (Nachtrag: das Wort systematisch habe ich wegen der Kritik von TSK unten in den Kommentaren eingebaut – durch statistischen Zufall kann im Einzelfall durchaus mal Wärme aus einem Wärmebad abließen und Arbeit leisten, aber man kann das nicht systematisch ausnutzen, genauso wie man zwar durch Zufall mal im Lotto gewinnen kann, es aber kein System gibt, mit dem man immer gewinnt.)
Maxwell: Im Bann des Dämonen
1871 machte sich James Clerk Maxwell (der von den Maxwell-Gleichungen) Gedanken über den zweiten Hauptsatz. Er verwendete eine etwas andere Form des Hauptsatzes, die sagt: Wärme kann nicht ohne einen weiteren Prozess von einem kalten zu einem wärmeren Körper fließen.
Wenn sie das könnte, dann könnten wir mit zwei Körpern mit minimaler Temperaturdifferenz anfangen, die Wärme vom kalten zum heißen fließen lassen und dann mit der Temperaturdifferenz eine Turbine antreiben. Damit hätten wir den zweiten Hauptsatz in unserer Formulierung oben verletzt. (Falls sich jemand fragt, wie dann Kühlschränke funktionieren: Die heizen ihre Umgebung auf, deswegen ist der Kühlschrank an der Rückwand immer warm und deswegen ist es auch ziemlich sinnlos, seine Wohnung zu kühlen, indem man die Kühlschranktür aufmacht – Klimaanlagen brauchen immer eine Wärmeableitung nach Außen.)
Maxwell stellte sich jetzt folgendes vor: Wir haben einen Behälter mit einem Gas drin. Der Behälter ist in der Mitte geteilt und hat dort ein kleines Türchen, das von einem Dämon kontrolliert wird (den niedlichen Dämon habe ich im Maruyama-Paper geklaut, Quelle siehe unten). Wenn ein langsames Gasmolekül von der linken Seite auf das Tor zufliegt, dann macht der Dämon es schnell auf und lässt das Molekül durch. Wenn ein schnelles Molekül von rechts kommt, macht er das Tor ebenfalls auf.
Langsame Moleküle werden also nach rechts durchgelassen, schnelle nach links. Nach einer Weile hat der Dämon die schnellen Moleküle links und die langsamen rechts gesammelt, so dass im Endeffekt aus einem Gas bei konstanter Temperatur zwei Bereiche mit unterschiedlicher Temperatur entstanden sind, was nach dem zweiten Hauptsatz verboten ist.
Natürlich muss der Dämon dazu das Tor bewegen, aber wir können uns ein hypothetisches Material vorstellen, dass extrem leicht ist, so dass der Dämon zum Auf- und Zuklappen des Tores nur verschwindend wenig Arbeit leistet. Damit verletzt dieser Dämon den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.
Wo steckt das Problem? Ein zu klärender Punkt ist sicher der, dass der Dämon die Geschwindigkeiten und Positionen der Atome irgendwie messen muss. Wenn er zum Beispiel Licht drauf strahlt, dann würde dieses Licht ja zusätzliche Wärme in das System einführen. Steckt da vielleicht die Lösung?
Szilard versucht, den Dämon zu bändigen, und findet (fast) die Lösung
Ende der zwanziger Jahre dachte Leo Szilard über den Maxwellschen Dämon nach und publizierte seine Ideen in einem Artikel mit dem schönen Titel “Über die Entropieverminderung in einem thermodynamischen System bei Eingriffen intelligenter Wesen”. (Die Entropie ist eine Messgröße, mit der man den zweiten Hauptsatz besser quantifizieren kann, wir brauchen sie hier aber erstmal nicht.)
Um das Problem augenfälliger zu machen, dachte er sich eine einfache Maschine aus, die Energie aus einem Wärmebad extrahieren kann, wenn man einen Dämon einsetzt, der die Position eines Atoms (oder Moleküls) messen kann. Im Original-Artikel ist das Szenario ein bisschen kompliziert, deshalb verwende ich hier die vereinfachte Fassung, die man im Artikel von Maruyama (s.u.) nachlesen kann oder auch bei Feynman.
Wir betrachten einen Behälter, in dem ein einzelnes Atom steckt. Dieser Behälter ist in Kontakt mit einem Wärmebad, so dass die mittlere Geschwindigkeit des Atoms (also gemittelt über einen langen Zeitraum) einen festgelegten Wert hat. Das folgende Bild (etwas verändert aus dem Maruyama-Artikel) macht die Vorgehensweise unseres Dämons anschaulich:
Zunächst schiebt der Dämon eine Trennwand in den Behälter ein. Dann ist das Atom entweder links oder rechts. Je nachdem, wo das Atom ist, hängt der Dämon ein Gewicht an die eine oder andere Seite der Trennwand. Wenn das Atom gegen die Trennwand prallt, dann hebt es das Gewicht ein wenig an und verschiebt die Wand. Dabei wird das Atom natürlich entsprechend gebremst, aber das macht nichts. Sobald es wieder mit einer der Seitenwände kollidiert, die ja die Temperatur des Wärmebads haben, bekommt es wieder Energie dazu. (Hier könnte man einwenden, dass das bei einem Atom auch mal statistisch anders sein kann. Im Mittel ist die Aussage aber richtig, und man kann auch ein Szenario mit beliebig vielen Atomen erfinden – das hat Szilard getan, dann ist es aber etwas kniffliger, sich die verschiebbare Wand richtig zu überlegen.)
Das Atom entzieht also dem Wärmebad Energie und verwendet sie, um die Last anzuheben. Das funktioniert natürlich nur dann, wenn wir wissen, auf welcher Seite der Trennwand das Atom ist – wenn wir die Last immer auf der einen Seite anbringen, dann ist in 50% der Fälle das Atom auf der falschen Seite und lässt die Last eher absinken anstatt sie anzuheben.
Kritisch ist hier also unser Wissen über die Position des Atoms. Es war Szilards Verdienst, dass er den Zusammenhang zwischen Information (im Artikel spricht Szilard vom “Erinnerungsvermögen”) und zweitem Hauptsatz deutlich gemacht hat. Szilard ging aber auch davon aus, dass es die Messung der Atomposition ist, bei der zusätzlich etwas passiert, das den zweiten Hauptsatz rettet. In seiner Berechnung berücksichtigt er, dass das Messgerät, dass die Messung vornimmt, am Ende des Prozesses wieder in seinen Anfangszustand zurückgesetzt werden muss, und kommt damit der Lösung des Problems sehr nahe.
Wie man den Dämon zähmt – “Energie aus Information”
Bevor wir den Dämonen endgültig austreiben, will ich hier noch einmal kurz erläutern, wie man nun aus Information Energie gewinnen kann und warum die Thermodynamik dadurch unberührt bleibt.
Nehmt an, wir haben lauter solche kleinen Behälter mit Atomen drin, wie sie eben der Dämon verwendet hat. In jedem Behälter ist also ein Atom entweder links oder rechts:
Solange wir nicht wissen, wo die Atome sind, können wir aus den Kästen keine Energie extrahieren. Wir können natürlich unsere Trennwände immer so einbauen, dass sie unser Gewicht anheben, wenn sie sich nach links verschieben, aber in der Hälfte der Fälle ist die Trennwand dann auf der falschen Seite, so dass uns das nichts nützt, netto gewinnen wir nichts.
Bekommen wir aber zusätzlich zu der Reihe von Behältern noch die Information LRRLLR (die die Atompositionen kennzeichnet), dann können wir diese Information nutzen, um Energie zu gewinnen. Jetzt wissen wir ja (so wie oben bei Szilard), ob wir das Gewicht links oder rechts an die Trennwand anhängen müssen. Diese Energie kommt aber nicht aus der Information selbst, sondern aus dem Wärmebad um die Behälter herum. Es wird also keine Energie geschaffen oder Information in Energie umgewandelt, sondern Information wird verwendet, um Energie aus Wärme zu gewinnen. Das ist es, was in dem Nature-Physics-Artikel gemacht wurde.
Aber verletzt das nicht trotzdem den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik?
Der Dämon wird ausgetrieben
Die Antwort lautet beruhigenderweise “Nein”. Szilard war auf dem richtigen Weg, aber die Messung ist es tatsächlich nicht, die hier eine Rolle spielt, sondern das von Szilard hervorgehobene “Erinnerungsvermögen”.
Stellen wir uns nochmal die Kette aus Behältern vor. Nehmen wir an, wir wissen am Anfang noch nicht, wo die Atome in den Behältern sind. Wir haben irgendwo einen Computer, der diese Information speichern soll und der unsere Anlage steuert, und der Computerspeicher ist im Moment noch leer – alle Speicherzellen haben denselben Wert, beispielsweise “L”. (Ich nehme hier “L” und “R” für die Werte der Speicherzellen statt “0” und “1”, weil das direkt zu unseren Atomen passt.) Jetzt messen wir die Atompositionen und speichern das Ergebnis. Dabei behalten einige Speicher ihren Wert “L” bei, andere müssen auf den Wert “R” gesetzt werden. Dann nutzen wir unser Wissen, um, wie oben beschrieben, Energie aus dem Wärmebad zu extrahieren.
Damit haben wir den zweiten Hauptsatz aber noch nicht verletzt. Der lautete ja Es gibt keine Maschine, die nichts tut als einem Wärmebad Energie zu entziehen und dabei mechanische Arbeit zu leisten. Wir haben aber etwas anderes getan, nämlich den Speicher unseres Computers verändert. Diesen Speicher müssen wir jetzt wieder in seinen Ursprungszustand versetzen und das ist es, wo etwas Zusätzliches passiert. Nehmen wir an, auch die Speicherzellen unseres Computers sind aus den gleichen Atombehältern gefertigt. Wir haben jetzt also einige Speicherzellen im Zustand “Atom links”, andere im Zustand “Atom rechts”. Wir müssen jetzt alle diese Speicherzellen in den Zustand “Atom links” versetzen, aber – und das ist hier entscheidend – der Prozess, mit dem wir das tun, muss davon unabhängig sein, ob eine Zelle im Zustand “L” oder im Zustand “R” ist. Wäre er das nämlich nicht, dann müssten wir die Information ja wieder woanders speichern und müssten dann diesen neuen Speicher auch wieder löschen usw.
Wir brauchen also ein Verfahren, um unseren Speicher wieder in den Zustand “L” zu versetzen, egal in welchem Zustand er vorher war. Das geht zum Beispiel so (Bild wieder bei Maruyama kopiert):
Wir nehmen als erstes die Trennwand weg und schieben dann mit einem Kolben das Atom nach links. Dabei müssen wir Arbeit leisten, weil das Atom ja gelegentlich gegen den Kolben prallen wird. Und diese Arbeit wird dann in Wärme umgewandelt, die in das Wärmebad übergeht, an das unsere Speicherzelle angeschlossen ist. (Falls jemand auf die Idee kommt, die Speicherzelle vom Wärmebad zu isolieren: Das nützt nichts, denn dann beschleunigen wir das Atom in Inneren der Zelle. Wir müssten es dann wieder abkühlen, um zum Anfangszustand zu kommen.)
Der zweite Hauptsatz wird also dadurch gerettet, dass wir die Speicherzelle unseres Computers löschen müssen. Dafür wird Energie benötigt.
Für Maxwells Dämon gilt genau das gleiche: Er muss vergessen, wann er die Klappe zwischen den Gasbehältern geöffnet hat und wann nicht, und Vergessen ist offensichtlich ein aktiver thermodynamischer Prozess. Diese raffinierte Lösung des Problems stammt von Landauer und wurde später von Bennet weiter analysiert – auch Penrose hatte eine ähnliche Idee schon früher , die aber wenig Beachtung fand. Immerhin dauerte es bis in die 70er Jahre, bis die Lösung gefunden wurde – der Dämon trieb also über hundert Jahre lang sein Unwesen, aber Dämonen sind ja langlebig.
Maxwells Dämon ist also erfolgreich ausgetrieben, und Physikerinnen und Physiker können ruhig schlafen – oder könnten es, wenn die Physik nicht genügend andere offene Probleme hätte.
Nachbemerkung: Ich habe in diesem Text bewusst vermieden, mit dem Begriff “Entropie” zu hantieren, weil der in der Anschauung oft Probleme macht. Früher oder später werde ich dazu aber etwas schreiben.
Quellen:
L. Szilard “Über die Entropieverminderung in einem thermodynamischen System bei Eingriffen intelligenter Wesen”, 1928
K. Maruyama, F. Nori, V. Vedral “Colloquium: The pyhsics of Maxwell’s demon and information” Rev. Mod. Phys. 81 (2009) (Dank an Jörg, der mir den Artikel geschickt hat.)
R. Feynman “Feynman Lectures on Computation”, ch. 5
Kommentare (120)