Neulich in einer Diskussion bei Florian fiel mir das Buch “Das Drachenei” wieder ein, das ich vor ewigen Zeiten gelesen habe. Nach dem Wiederlesen muss ich sagen: Es ist immer noch so brillant wie damals. Für jeden, der Astronomie und Science Fiction mag, eigentlich Pflichtlektüre.

Robert L. Forward hat in Physik promoviert und war leitender Wissenschaftler der Hughes Aircraft Company Corporate Research Laboratories. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen geschrieben, aber auch Science-Fiction-Romane. Der bekannteste ist sicher “Das Drachenei”.

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Vor etwa 500000 Jahren explodierte in 50 Lichtjahren Entfernung zur Erde eine Supernova und ließ einen Neutronenstern zurück. Dieser zieht schließlich ins Sonnensystem (wo er übrigens keine Nibiru-artigen Katastrophen auslöst).

Auf der Oberfläche des Neutronensterns herrschen eine Schwerkraft von 67 Millarden g und ein extremes Magnetfeld. Diese enorme Schwerkraft sorgt dafür, dass in seinem Inneren alle Atomkerne zu Neutronen verschmolzen sind. Auf seiner Oberfläche allerdings liegt eine relativ dünne Schicht aus aus neutronenreichen Atomkernen (vor allem Eisen) und Elektronen.In dieser Schicht können “kernchemische” Reaktionen stattfinden, die schließlich zur Entstehung von Leben auf dem Stern führen, der von den Menschen “Drachenei” getauft wird.

Der Roman beginnt mit der Geschichte der Entdeckung des Dracheneis – dabei werden die Atmosphäre in einem Physiklabor und die Gedankengänge, Sorgen und Nöte von Doktoranden sehr schön eingefangen.

Jahre später, als das Drachen-Ei dem Sonnensystem nahe genug gekommen ist, wird eine Expedition zum Drachen-Ei ausgerüstet: Ein kleines Raumschiff begibt sich in die Nähe des Neutronenstern und eine Raumfähre, der “Drachentöter”, nähert sich dem Stern schließlich auf 400 Kilometer. (Mit einer genialen Konstruktion von rotierenden Massen wird verhindert, dass die Raumfähre und die Menschen darin von den Gezeitenkräften zerrissen werden.)

Auf dem Drachen-Ei haben sich inzwischen die intelligenten Cheela entwickelt, die das Raumfahrzeug und den Drachentöter für Signale der Götter halten. Hier wechselt die Erzählperspektive immer weiter zu den Cheela hin, die als Charaktere wesentlich interessanter geschildert werden als die Menschen auf dem Raumfahrzeug. Es gibt diverse religiöse Verwicklungen, während sich die Zivilisation der Cheela immer weiter entwickelt. Schließlich nehmen Menschen und Cheela Kontakt auf, was dadurch erschwert wird, dass die Cheela wesentlich schneller leben als die Menschen – das ist nicht nur physikalisch plausibel, sondern erlaubt es Forward, die gesamte Entwicklung einer Zivilisation an einem Tag ablaufen zu lassen.

Zunächst lernen die Cheela von den Menschen, doch je weiter sie sich entwickeln, desto mehr kehren sich die Verhältnisse um. Am Ende … – nein, das verrate ich lieber nicht; wem das Ende des Buches keine Schauer über den Rücken jagt, der ist vermutlich schon tot.

Zwei Dinge machen dieses Buch zu einem absoluten Muss: Zum einen die spannende Zivilisationgeschichte der Cheela, zum anderen die detaillierte und physikalisch korrekte Schilderung der Phänomene auf dem Neutronenstern. Beispielsweise können die Cheela sich nicht in alle Richtungen gleich gut fortbewegen – wenn sie versuchen, quer zu den Magnetfeldlinien zu laufen, dann werden sie von den Lorentzkräften behindert. Es gibt für sie deshalb eine schwere und eine leichte Richtung. Diese und viele andere Details sind so gut ausgearbeitet, dass man das Gefühl bekommt Forward hätte das Drachenei schon selbst besucht.

Für physikalische Details gibt es einen wissenschaftlichen Anhang, in dem Vieles, was im Text nur angedeutet wird, nochmal ausführlich erklärt wird. Man kann also bei der Beschreibung der Phänomene entweder selbst mitknobeln oder hinten nachgucken, was hier denn nun physikalisch los ist. Außerdem findet man Risszeichnungen des Raumschiffs und viele andere Details.

Die deutsche Übersetzung ist brauchbar – einige Worte sind etwas unglücklich gewählt (beispielsweise wird meist von Nuklei statt Atomkernen gesprochen), aber das meiste passt.

Leider gibt es zumindest die deutsche Version wohl nur noch antiquarisch – die englische Version gibt’s auch in neu.

Kommentare (22)

  1. #1 Paul A.
    27. November 2010

    Danke für den Tipp!
    “Hard Sci-Fi”-Geschichten habe ich bisher nur wenige gelesen.

  2. #2 MartinB
    27. November 2010

    @Paul A
    Wen du an sowas spass hast, dann unbedingt auch Hal Clements “Schwere Welten” – da ist die Schwekraft allerdings “nur” 700g.

  3. #3 Xeelee
    1. Dezember 2010

    Danke fuer den Tipp. Ich liebe Hard-SF…

    Ich hab aber auch ein Buchvorschlag: Flux von Stephen Baxter. Dort geht es auch um Leben auf einen Neutronenstern allerdings menschliches Leben… 🙂 Wie und warum “Menschen” auf den Stern kamen, will ich nicht verraten… 🙂
    Ein anderes Buch ist Eater von Gregory Benford. Hier ist es ein kleines intelligentes Schwarzes Loch das unser Sonnensystem besucht. Ueber den Inhalt will ich auch hier nicht alles verraten, aber soviel: Es hat physikalisch Hand und Fuss.

  4. #4 starwolf
    7. Dezember 2010

    Danke für den Tipp. habs bei google als pdf gefunden.

  5. #5 Andrea N.D.
    13. Dezember 2010

    Vielen Dank auch von mir. Ich hab’s antiquarisch gefunden und will es meinem Sohn schenken, um in ihm ein bisschen Physikbegeisterung zu wecken – oder den Funken davon, den die Lehrerin leider gerade komplett bei der gesamten Klasse auslöscht. Ich bin auf sein Urteil gespannt!

  6. #6 MartinB
    13. Dezember 2010

    @AndreaND
    Ich hoffe, das mit der Physikbegeisterung klappt – ich schätze, man muss schon einen Hang zur Physik haben, damit es gefällt. Alternativ ist die obige Empfehlung “Schwere Welten” vielleicht nicht schlecht, da ist die Physik ein bisschen einfacher und die Handlung bietet mehr “action”.

  7. #7 pal
    15. Dezember 2010

    Vielen Dank für die Empfehlung!
    Ich habe das Buch vor Jahren mal gelesen und konnte mich nur noch verschwommen an den Inhalt erinnern.
    Habe jetzt angefangen das Buch nochmals zu lesen, manches kommt mir zwar bekannt vor, aber es fesselt einen trotzdem und macht Spaß.
    Definitv ein tolles Buch, ich kann es auch empfehlen!

  8. #8 Manea-K
    25. Dezember 2010

    So, hab es mir gerade zu Weihnachten schenken lassen. Bin mal gespannt…

  9. #9 Florian Freistetter
    27. Dezember 2010

    SO – nachdem ich das Buch nun endlich geschenkt bekommen und ausgelesen habe; hab ich auch die Rezension gelesen. Ich kann nur zustimmen: Das Buch ist absolut genial! Und jetzt mach ich mich gleich an den zweiten Teil: “Starquake”

  10. #10 Kilian E.
    20. April 2011

    Ich lese gerade das eBook.
    Der Aufhänger für die Entdeckung dient die Suche nach einem fünften schwarzen Loch in(!) der Sonne. Ich habe Google gefragt, weil das Buch ja als physikalisch korrekt beschrieben wurde, aber nichts gefunden.
    Heißt das, dass es keine vier schwarzen Löcher innerhalb unserer Sonne gibt?
    (Persönlich fände ich es sehr faszinierend, aber mein laienhaftes Wissen über unser Universum sagt mir, dass da irgendwas nicht ganz richtig wäre.)
    Und, dass sich die physikalische Korrektheit lediglich auf den Neutronenstern beschränkt?

    Zum Buch selber: Sehr faszinierend geschrieben ^^ … gestern im Zug die erstens hundert Seiten des eBooks (~550S.) verschlungen. Ganz klare Empfehlung.

    mfg

    Kilian

  11. #11 MartinB
    20. April 2011

    @Kilian
    Nein, die Schwarzen Löcher in der Sonne sind auch Science Fiction – unmöglich sind sie aber wohl nicht.

  12. #12 Jan von nebenan
    2. Mai 2011

    Danke für den Buchtipp!
    Ich habe diesen Beitrag vor ~2 Wochen gelesen, sogleich eine gebrauchte (englische) Ausgabe des Buchs erworben (von 1988, sieht auch etwas ramponiert aus). Und nach den ersten 100 Seiten kann ich nur sagen: Wow!
    Schade, dass nun nur noch ca. 200 Seiten davon übrig sind… Daher habe ich mir auch gleich mal Starquake und auch Niven’s Ringwelt vorgemerkt. 😉

  13. #13 Eda Gregr
    4. Juli 2011

    Habe mir auf diese Empfehlung hin das Buch zugelegt und gelesen und es gehört zweifellos zu den härtesten Hard Science Fiction die ich kenne. Ist eigentlich auch ganz gut und die Physik sucht in den Tat ihresgleichen, doch was die Biologie und die Sozilogie betrifft, war ich schon ein bisschen enttäuscht. Zugegeben, die Astrobiologie hat seit den 80ern eine Menge Fortschritte gemacht, doch die Geschichte der Cheela parallel jener der Menschen auf der Erde voranschreiten zu lassen, strapaziert schon ein bisschen die Glaubwürdigkeit. (Ganz besonders die satirische Jesus-Episode : )

    Persönlich hatte ich etwas mühe die Form der “Entdeckung” der Kommunikation zu verstehen: Wie fing der Dialog überhaupt an? Mit Bilder, wenn ich es richtig verstanden habe. Doch wie der Schritt zum geschriebenen Wort gelungen ist, habe ich irgendwie verpasst.

    Was die biologischen und sozilogischen Aspekte betrifft, gefällt mir Orbit Hospital von James White fast besser, weil er sich immer bewusst war, dass andere Umgebungen immer anderes Leben hervorbringt und genau damit spielt.

  14. #14 MartinB
    5. Juli 2011

    @Eda
    Ja, die Soziologie ist nicht so ausgeklügelt. Trotzdem finde ich es nicht schlecht erzählt, wie die Religion entsteht und wieder vergeht.
    Der Schritt zur Schriftspache wurde meiner Erinnerung nach nicht erzählt – aber vorstellen kann ich mir so etwas schon.

  15. #15 Yadgar
    3. November 2011

    “Das Drachenei” (die Fortsetzung “Sternenbeben” habe ich nie gelesen, sie ist auf Deutsch nur zu grotesk überteuerten Preisen zu bekommen) schreit geradezu nach einer Animations-Verfilmung – mit Soundtrack von Wendy Carlos oder Larry “Synergy” Fast! Wer hat Lust, mit PoV-Ray oder Blender ein paar Schlüsselszenen aus dem Buch zu rendern und vielleicht auch schon zu animieren?

  16. #16 frantischek
    16. November 2012

    Danke für den absolut geilen Buchtipp!
    Bin jetzt auf der Suche nach Sternbeben als E-Book. Ist das gleich gut?

  17. #17 MartinB
    16. November 2012

    Gleich gut würde ich nicht sagen, aber schon gut.

  18. #18 Harri
    19. Februar 2015

    Ich hab das Buch vor Jahren gelesen und fand es damals sehr gut.
    ABER: ist es physikalisch betrachtet nicht nonsense? In Wirklichkeit vergeht die Zeit unter erhöhter Schwerkraft doch langsamer, und nicht wie im Buch behauptet schneller!

  19. #19 MartinB
    20. Februar 2015

    @Harri
    Das ist nicht der betrachtete Effekt – die Idee ist, dass kernchemische prozesse einfach viel schneller ablaufen als normale chemische Prozesse; die Zeitdilatation auf der Oberfläche des Neutronensterns ist verglichen damit gering.

  20. #20 Harri
    20. Februar 2015

    ah, so war das gemeint. Danke für den Hinweis! Ich glaub, ich werde das Buch demnächst nochmal lesen.

  21. #21 Tom Schülke
    Hamburg.
    24. Februar 2018

    Jaaa…

    Das Drachenei.. hab ich für gefühlt 30 Jahren das erste mal verschlungen und gelieeebt. Man erkennt sofort das der Autor Physik studiert hat.
    Doch die faszinierendste Idee des Buches war die Konfrontation zweier Zivilisationen mit einer zeitlichen erlebnisdifferenz von 1:1000 000

    Wunderbar auch die wirklich glaubwürdige Ausarbeitung der “Wirklichkeit” der Cheela im Alltag. So zb. Ihre Aversion gegenüber gewaltigen Höhen von über 2 cm hohen klippen oder das Bewegungen in der leichten oder schwehren Richtung verschieden leicht sind dank des wahnwitzigen Magnetffeldes.
    Oder Wie sie sich selber wahrnehmen..

    Ich les das Buchgerde als e-book ein zweites Mal mit meinem Sohn der es auch gut findet. Sternenbeben
    ist ebenfalls gut, auch wenn hier der Überaschungseffekt der wirklich bahnbrechend neuen Idee wegfällt . Dennoch auch Sternenbeben wartet mit begeisternden Ideen auf.

    Stenrbeben war eines meiner Lieblingssciencefiction. In einer Reihe mit den 13 Büchern Assimovs um das Galaktische Imperium und die Rolle der Hochentwickelten Robotter um Daniel R. Olivaw. Ein weiterer Liebling ist “Heliconia Frühling, Heliconia Sommer und Heliconia herbst, ” aber eine gute Rezension.

    gruß Tom
    (Der leider nie Physik studierte wie ursprünglich geplant sondern am Ende Architektur)

  22. #22 MartinB
    25. Februar 2018

    @Tom
    Ja klar, Asimov ist auch super, auch wenn mir die letzten Bände des Zyklus dann nicht mehr soo gut gefallen haben, da war dann doch ein bisschen zu viel Alt-Herren-Fantasie drin.
    Bei Heliconia fand ich den ersten Band richtig gut, de andreen beiden waren o.k., aber deutlich schwächer.