Wer sich für Physik interessiert, sollte sich sicherlich auch einmal über grundlegende Fragen Gedanken machen: Gibt es in der Physik Annahmen, die selbst nicht bewiesen werden können? Ist die Physik nur eine Möglichkeit zur Welterklärung unter vielen? Könnte man versuchen, die Welt auf ganz andere Weise zu verstehen?
Dieses kleine Theaterstück habe ich 1989 für die Orientierungseinheit (Erstsemestereinführung) Physik geschrieben. Es sollte die Erstis zum Diskutieren über genau diese Fragen anregen.
Der Text ist zwar von mir, entstand aber nach längerer Diskussion – also Dank an Andreas, Yvonne, Peter, Stefan, Derek, Nils, Christian, Florian, Jochen und Annette (hoffentlich habe ich keinen vergessen).
Heute würde ich sicherlich Vieles am Text anders schreiben, aber ich stelle ihn hier so ins Netz, wie wir ihn damals aufgeführt haben. Zur Interpretation will ich hier nicht viel sagen, nur eins: Obwohl der vorgestellte “Gegenstandpunkt” religiös basiert ist, ging es hier eigentlich nicht um die Frage Naturwissenschaft vs. Religion. Tatsächlich wurde die Frage der Religion in den anschließenden Diskussionen (die Erstis wurden in Kleingruppen aufgeteilt und konnten dann diskutieren) auch nur selten aufgeworfen.
Dramatis Personae:
P – ein Physiker (bei uns meist verkörpert durch Frau Professor A. Rogant)
G – ein (namenloser) “Schamane”
Ort:
Ein mit Erstsemestern gefüllter Physikhörsaal
P: (geht zum Rednerpult) Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich bin gebeten worden, Ihnen heute ein wenig über die Entwicklung der Physik zu erzählen und vor allem darüber, wie es eigentlich kommt, dass uns mit der Physik ein in sich geschlossenes und konsistentes Weltbild zur Verfügung steht, das in früheren Zeiten zwar erstrebt, aber nicht erreicht wurde.
Seit jeher bewegen den Menschen die Fragen: ‘Woher kommen wir?’ und ‘Wohin gehen wir?’ Und seit jeher versuchen die Menschen, Antworten auf diese Fragen zu finden. Im Laufe der Zeit wurden sehr verschiedene und uns heute oft merkwürdig erscheinende Antworten auf diese Fragen gegeben. Auch die Physik soll dazu dienen, diese Fragen zu beantworten.
Der Physiker möchte diese Tragen aber lieber etwas umformulieren, denn sie stellen durch die Formulierung ‘Woher kommen wir ?’ und ‘wohin gehen wir ?’ den Menschen stärker in den Mittelpunkt, als es dem Physiker lieb ist.
Wir wollen deshalb die beiden Fragen etwas anders formulieren, um uns nicht selbst von vornherein auf einen Platz zu stellen, der uns vielleicht gar nicht zukommt.
Fragen wir also stattdessen einfacher und umfassender nach Vergangenheit und Zukunft: ‘Warum ist geschehen, was geschehen ist?’ und ‘Was wird geschehen?’ So betrachtet, stellen wir fest, dass die beiden Fragen eng zusammenhängen, sie sind nur unterschieden dadurch, dass sie sich auf verschiedene Zeiten, Vergangenheit und Zukunft, beziehen. Ansonsten sind sie identisch, und eigentlich handelt es sich nur um eine einzige Frage, die Frage ‘Wie und warum ereignen sich die Geschehnisse’!
Wenn wir diese Frage beantworten können, wenn wir also Ursache und Verlauf aller Ereignisse kennen, dann sind unsere beiden Ausgangsfragen, ‘Woher kommen Wir?’ und ‘Wohin gehen wir?’ ebenfalls beantwortet. Es ist uns also gelungen, unsere beiden Fragen auf eine einfache, grundlegendere Frage zurückzuführen, und mit dieser müssen wir uns nun beschäftigen. Um unsere Frage zu beantworten, müssen wir also verstehen, wie und warum Dinge geschehen. Und dazu müssen wir natürlich erst einmal wissen, was überhaupt geschieht, damit wir wissen, was wir erklären müssen.
Wir brauchen also Beobachtungen.
Dabei stoßen wir auf ein paar Probleme: Die uns umgebende Welt ist sehr kompliziert. Phänomene sind miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Das macht es natürlich schwer, einzelne Phänomene überhaupt zu beobachten. Deshalb müssen wir solche einzelnen Phänomene aus ihrer komplizierten Umgebung herauslösen, um sie unbeeinflusst untersuchen zu können. Nur so können wir sie verstehen und hoffen, auch die komplizierteren Sachverhalte schließlich erklären zu können, indem wir sie aus den Wechselwirkungen der einzelnen, einfachen Phänomene herleiten.
G: (steht im Publikum auf und ruft laut dazwischen) Einen Moment mal. Wenn Sie so argumentieren, machen Sie aber eine ganze Menge von Annahmen, die Sie nicht überprüft haben. Das scheint mir Ihrer wissenschaftlich-logischen Denkweise arg zu widersprechen.
P: Wie kommen Sie eigentlich dazu, hier meinen Vortrag zu unterbrechen?
G: Ich denke, man kann Ihre Aussagen doch nicht unwidersprochen hinnehmen, deshalb möchte ich Ihnen gerne aufzeigen, welche Fehler in Ihrem wissenschaftlichen Weltbild stecken und Ihnen eine vernünftige Alternative dazu anbieten. .
P: (sichtlich erfreut) Fehler! Da bin ich aber gespannt – Bitte, fangen Sie an. Sie wollten, glaube ich, Stellung nehmen zu meiner Aussage, einzelne, einfache Phänomene seien der Schlüssel zur Erklärung der Welt.
G: Genau. Denn dabei nehmen Sie an, dass die Ursachen der Einzelphänomene wichtiger sind als ihr Zusammenwirken. Dabei sind es doch nicht die Ursachen solch einfacher Phänomene, die die Welt erklären können, wie sie ist, sondern der Zweck, den sie im Weltplan erfüllen.
P: Der Zweck im Weltplan?!? Da machen Sie jetzt aber eine Menge von Annahmen, die Sie nicht überprüft haben.
Ich glaube, unsere Ansichten sind hier ziemlich entgegengesetzt, Ich schlage vor, dass wir erst einmal unsere grundlegenden Ansichten über die Welt kurz darlegen, damit wir wissen, wovon wir reden.
G: Bitte.
P: Nun – das naturwissenschaftliche Weltbild geht davon aus, dass es Naturgesetze gibt, das heißt Regeln, nach denen sich alle Ereignisse im Universum verhalten. Die Existenz solcher Regeln ist eine Tatsache, die wir direkt aus der Beobachtung ableiten, denn wir sehen ja, dass die Ereignisse in der Natur regelmäßig und geordnet sind. Die Physik bemüht sich, diese grundlegenden Gesetze zu formulieren, und zwar in der Sprache der Mathematik, die hierfür angemessener ist als die Umgangssprache, weil die Naturgesetze nicht nur qualitativ, sondern sogar quantitativ formuliert werden können, das heißt sie lassen sich durch Messungen auch zahlenmäßig erfassen.
G: Ich gehe davon aus, dass es Bewusstsein gibt, das aller Materie innewohnt, sogenannte Geister. Diese beseelen die belebte wie die unbelebte Natur, und ihr Verhalten ist verantwortlich für alle Ereignisse, die wir beobachten.
Alle Geister verhalten sich entsprechend einem Zweck, eben dem Weltplan, und dieser Zweck, also die Bestimmung der Welt, wurde vom Schöpfergeist festgelegt, ihm sind alle Ereignisse untergeordnet.
P: Ich verstehe nicht, was der Nutzen Ihres Weltbildes ist – des ‘Geisterstandpunktes’, wenn ich es einmal so nennen darf.
G: Was meinen Sie mit ‘Nutzen’?
P: Nun, was können Sie damit anfangen? Die Naturwissenschaften haben uns – angewandt in der Technik – einen ganz immensen Fortschritt gebracht, der die Lebensqualität der Menschen stark verbessert hat.
G: Aber um welchen Preis! Die Flüsse sind verseucht, die Wälder sterben. Ich weiß nicht, ob Sie wirklich so gut abschneiden, wenn wir all dies aufrechnen. Ich denke auch, für unsere Diskussion ist das gar nicht so wichtig .
P: Sie meinen, es sollte uns darum gehen herauszufinden, welcher Standpunkt der Richtige, der Wahre ist.
G: Genau. Denn wenn ein Standpunkt widerlegt ist, brauchen wir uns über seinen Nutzen keine Gedanken mehr zu machen.
P: Da haben Sie wohl recht. Nun gut, mein erster Kritikpunkt an Ihrem Standpunkt ist, dass Sie die einfachen Phänomene nicht so schlüssig erklären können, wie dies die Physik kann. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Warum fällt ein Stein zur Erde?
G: Ein Stein? Was für einer? Wie ist er denn von der Erde weggekommen?
P: Was spielt denn das für eine Rolle?
G: Ich denke, das kann sehr wichtig sein, wenn man den dahinter stehenden Zweck verstehen will. Außerdem sind Sie es doch, der so auf der Erklärung von Einzelphänomenen beharrt.
P: Ich verstehe den Begriff ‘Einzelphänomen’ schon etwas allgemeiner. Aber gut – sagen wir, ich hebe einen Stein auf, einen Kieselstein, um genau zu sein, halte ihn einen Moment in der Hand und lasse ihn dann los.
G: Nun, dem Kieselstein wohnt ein Geist inne – ein Erdgeist, es ist ja ein Stein. Alle Erdgeister haben das Bestreben, sich zu versammeln – sie sind sehr gesellig. Also wird er sich beeilen, wieder zur Erde zurückzukommen.
P: (schmunzelnd) Und warum ist das so, warum sind diese Geister so gesellig?
G: Der Schöpfergeist hat es so eingerichtet, es ist notwendig, damit sein Weltplan erfüllt werden kann. Wäre es anders, würden sich die Steine nicht am Erdboden ansammeln, sie würden vielleicht wie Feuergeister in der Luft herumfliegen, und das wäre doch sehr problematisch – wo sollten die Pflanzen wurzeln, wenn Steine und Erde nicht mehr am Boden bleiben? Das ließe sich schlecht mit der Existenz von Menschen und Tieren vereinbaren, die doch zum Weltplan dazugehören.
Indem sie den Stein aufhoben, haben Sie sozusagen die natürliche Ordnung der Dinge verletzt, und durch sein Verhalten stellt der Steingeist sie wieder her.
Und Ihre Erklärung?
P: Der Stein ist ja ein massives Objekt, und alle Objekte, die Masse besitzen, ziehen sich gegenseitig an, mit einer Kraft, die proportional zu ihren Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat ihres Abstandes ist, in diesem Fall also der Stein und die Erde. Nun ist die Erde viel größer als der Stein, also setzt sie dieser Kraft einen größeren Widerstand entgegen, deshalb fällt der Stein zur Erde und nicht die Erde zum Stein. Mit dem Gravitationsgesetz lässt sich auch ausrechnen, wie lange dieser Fall dauert und mit welcher Wucht der Stein schließlich aufschlagen wird.
G: Und warum ist das so – warum ziehen sich die Dinge an?
P: Das ist eben ein Naturgesetz, es geschieht so. Die allgemeine Relativitätstheorie hat auch eine Erklärung dafür, es hängt mit der Krümmung des Raumes zusammen – ohne Mathematik ist das schwer zu erklären.
G: (sich im Hörsaal umschauend, der tatsächlich gekrümmte Wände hatte) Mit der Krümmung des Raumes… Eine merkwürdig komplizierte und wirre Erklärung für ein so einfaches Ereignis. Und den zugrundeliegenden Zweck lassen Sie dabei völlig außer acht.
P: Weil wir nicht wissen, ob es ihn wirklich gibt. Regelmäßigkeiten lassen sich, wie gesagt, in der Natur erkennen, alle Steine fallen zur Erde, immer, ohne Ausnahme. Da erkennt man doch das Wirken von Gesetzen.
G: Aber wir können auch Zwecke überall in der Natur beobachten – betrachten Sie doch einmal das Verhalten von Tieren und Pflanzen. Das ist doch ein zweckgerichtetes Verhalten – also gibt es Zwecke in der Natur.
P: Ja, aber für diese leicht beobachtbaren Zwecke hat die Wissenschaft auch eine Erklärung, die Evolutionstheorie, die wir jetzt vielleicht nicht erörtern sollten, das führt vom Thema ab. Aber wie kommen Sie dazu, hinter allen Geschehnissen Geister zu vermuten?
G: Durch einfache Beobachtungen – Analogieschluss würden Sie das wohl nennen. Jeder Mensch macht doch die Erfahrung, dass er selbst Geist besitzt – Bewusstsein. Er erkennt, dass um ihn herum andere Menschen sind, die sich so verhalten wie er selbst, und schließt daraus, dass auch sie Bewusstsein haben. Dann sieht er auch Tiere, die ähnliches Verhalten zeigen wie die Menschen zweckgerichtet, wenn auch vielleicht weniger komplex. Also haben sie ebenfalls Bewusstsein. Scheinbar leblose Dinge, Pflanzen, ähneln wiederum den Tieren, pflanzen sich fort und entwickeln sich. Und selbst ganz leblose Dinge, Steine oder Wolken, verändern sich und erfüllen einen Zweck, so sind auch sie Bestandteil der bewussten Welt. Deshalb haben sie auch Bewusstsein. Das ist doch naheliegend.
P: Aber auch unwiderlegbar. Sie können diese Annahme nicht beweisen oder widerlegen, Sie können sie nur glauben. Sie können mir keine Geister zeigen, jetzt, hier.
G: Prinzipiell kann ich Ihnen natürlich Geister zeigen – es bedarf einer gewissen Schulung, aber es gibt Methoden, mit Geistern zu reden; Rituale, verbunden mit der Einnahme gewisser Drogen.
P: (lacht) Nun, das ist nicht gerade das, was ich unter Objektivität verstehe. Sie schaffen sich da eine künstliche Welt, versetzen sich in realitätsferne Zustände, in denen Sie Erlebnisse zu haben glauben, die Sie aber nicht direkt übertragen und anderen zeigen können.
G: Nein, natürlich nicht, es ist ja auch etwas anderes, ob Sie mit einem Baumgeist reden oder ich, Sie sind ja ein ganz anderer Mensch. Vielleicht mag der Geist Sie, aber mich nicht. Dann erleben Sie natürlich auch ganz andere Dinge.
P: Sehen Sie – physikalische Erkenntnis ist im Gegensatz dazu objektivierbar, nachvollziehbar für andere. Ich messe in meinem Labor dasselbe wie ein anderer Wissenschaftler in Moskau, und ich ziehe daraus dieselben Schlüsse.
G: Und wie kommt es, dass ich Ihre Erkenntnisse nicht teile?
P: Nun, Sie sind ja nicht entsprechend ausgebildet, Sie haben kein Labor und keine Kenntnisse in der Mathematik und den Messtechniken. Ohne das geht es natürlich nicht.
G: Da schaffen Sie sich aber eine künstliche Laborwelt, versetzen sich in realitätsferne Zustände, in denen Sie Erfahrungen machen, die andere nur dann nachvollziehen können, wenn sie sich in dieselben Zustände begeben.
P: Dennoch besteht da ein Unterschied – auch wenn die Welt der Physik Ihnen so realitätsfern scheint wie mir die der Geister. Die Gesetze, die ich aus meinen Erfahrungen ableite, sind deshalb objektiv, weil sie widerlegt werden können, man kann von ihnen sagen, sie seien richtig oder falsch – das kann man bei Ihren Erfahrungen nicht.
G: Das verstehe ich nicht ganz – Sie haben doch vorhin gesagt, Sie suchen sich nur ganz einfache Phänomene zum Erklären. Dann sind Ihre Naturgesetze doch idealisiert und in der wirklichen Welt wird nichts genauso passieren, wie die Gesetze es sagen.
P: Vielleicht nicht genauso, aber wir können die Abweichungen ja mit berücksichtigen, indem wir auch sie mit untersuchen. Wie ich Ihnen ja vorhin erklärte, kann man mit den Naturgesetzen beispielsweise vorhersagen, wie lange ein Stein braucht, um zur Erde zu fallen. Das Gravitationsgesetz, das dies ermöglicht, berücksichtigt nicht das Wirken anderer Kräfte. In diesem Raum hier müssten wir dann noch den Luftwiderstand mit berücksichtigen, aber auch der ist ja gesetzmäßig zu erfassen. Und so können wir auch die Abweichungen von den idealisierten Gesetzen verstehen.
G: Sie benutzen also physikalische Methoden, um Ihre physikalischen Gesetze zu überprüfen – kein Wunder, dass diese dabei nicht widerlegt werden. Was berechtigt Sie eigentlich, die Natur in der Sprache der Physik zu beschreiben – in einer künstlichen, mathematischen Sprache?
P: Dem Physiker scheint die mathematische Sprache viel weniger künstlich als andere, weil sie nicht durch Zufälligkeiten und historische Entwicklungen entstanden und beeinflusst ist; sie beruht nur auf den Gesetzen der Logik und auf den mathematischen Axiomen, die uns sehr einfach und naheliegend erscheinen. Normale menschliche Sprachen sind sehr verschieden, es gibt Hunderte oder gar Tausende von ihnen, und sie unterscheiden sich auch in ihrer logischen Struktur stark voneinander, während die Sprache der Mathematik eindeutig und universell ist.
G: Und warum dürfen Sie die Naturgesetze in dieser Sprache beschreiben?
P: Ganz einfach: Weil es klappt! Zunächst ist es natürlich nichts als eine Vermutung, dass man Beobachtungen auch quantitativ machen, also messen kann und dass man diese Messungen dann in eine mathematische Beziehung zueinander setzen kann. Doch wenn man es versucht, stellt man eben fest, dass es geht. Deshalb müssen auch die Gesetze, die dem zugrundeliegen, mathematische sein, sonst könnte man aus ihnen keine mathematisch formulierbaren Beschreibungen folgern. Und formuliert man die Gesetze mathematisch, so kann man aus ihnen auf mathematischem Wege neue Gesetze ableiten, die sich dann auch beobachten lassen. Also muss doch etwas dran sein.
G: Mag sein, dass da ‘etwas dran ist’ . Aber Sie können auf diese Weise niemals nicht-mathematische Gesetze finden.
P: Nein, weil mathematisch formulierbaren Beobachtungen eben auch mathematische Gesetze zugrundeliegen müssen.
G: Und wie wollen Sie damit jemals einen Zweck ableiten?
P: Ein Zweck ist eben gar nicht nötig , die Gesetze kommen ohne Zwecke aus, wir brauchen sie nicht zur Erklärung, deshalb müssen sie auch nicht abgeleitet werden.
G: Ein ausgezeichneter Zirkelschluss: Beobachtungen sind quantitativ formulierbar, also kann man Mathematik als Sprache verwenden, also sind die Naturgesetze mathematisch formulierbar, also sind Beobachtungen quantitativ formulierbar.
Es mag ja sogar sein, dass sich dieses System selbst stützt, weil es eben funktioniert, doch Sie können aus dem Kreis nicht ausbrechen, Sie können keine Zwecke erkennen, weil Ihre Methodik das gar nicht zulässt, also schließen Sie, dass es keinen Zweck gibt, nur weil Sie ihn nicht sehen können. Sie sind zweckblind.
P: Wir brauchen eben keine Zwecke zur Erklärung. Außerdem sind Sie auf der anderen Seite gesetzesblind, aus Zwecken können Sie nur Zwecke ableiten, Sie weigern sich, die Mathematik zu benutzen, also finden Sie auch keine mathematischen Gesetze.
G: Aber Ihre Methodik ist unangemessen, weil sie nichts zur Erklärung des Ganzen, des Zusammenhangs beiträgt. Sie brauchen ja schon komplizierte und wirre Erklärungen, um zu verstehen, wieso ein Kiesel, den Sie aufheben, zur Erde fällt.
P: Das Ganze ist nun einmal zu kompliziert, um verstanden werden zu können, deshalb suchen wir nach Grundprinzipien, wie eben dem Gravitationsgesetz. Daraus können wir dann kompliziertere Sachverhalte ableiten indem wir mathematische Schlüsse ziehen.
G: Das ist ja wieder Ihr Zirkelschluss – Zusammenhänge werden Sie so niemals erklären können. Für Sie ist eine Symphonie nichts weiter als eine Ansammlung von Noten, von physikalischen Frequenzen verschiedener Höhe und Dauer. Das Wesen eines Musikstückes erfassen Sie damit aber nicht.
P: Das ist ein Trugschluss. Zunächst einmal, auf der physikalischen Ebene, ist ein Musikstück tatsächlich nichts als eine Abfolge von Frequenzen, aber das ist natürlich nicht die einzige Beschreibungsebene. Auf einer anderen Ebene, der musikalischen, beobachten Sie Phänomene wie Melodien und Themen, übergeordnete Strukturen. Auf einer noch höheren Ebene haben Sie dann den Höreindruck selbst, also ein psychologisches Phänomen. Wenn Systeme sehr komplex werden, neigen sie dazu, Strukturen auszubilden, die auf einer weniger komplexen Ebene nicht vorhanden sind, und diese Strukturen beschreibt man zutreffend mit neuen Begriffen und Regeln, einfach weil alles andere nicht zweckmäßig wäre. Das heißt aber nicht unbedingt, dass diese neuen Strukturgesetze nicht mit den einfacheren Gesetzen erklärt werden könnten, dies ist nur nicht zweckmäßig. Sie betrachten ein Haus als ein Haus,und nicht als eine Ansammlung von Ziegelsteinen, Mörtel und anderen Baustoffen, obwohl es eigentlich nichts als eine solche Ansammlung ist.
G: Ich denke doch, es bedurfte ja eines Planes, eines Zweckes, um aus diesen Stoffen eben ein Haus zu machen. Das Haus ist ein verkörperter Zweck.
P: Auf einer anderen Ebene, ja.
G: Auf diese Weise werden Sie wohl auch das Phänomen Bewusstsein erklären wollen?
P: Prinzipiell ja. Auch hier müssen Sie natürlich die verschiedenen Ebenen betrachten, und das Bewusstsein ist so komplex, dass wir es sicher nie auf der atomaren Ebene analysieren können. Dazwischen liegen viele Ebenen, Dutzende vielleicht, und auf jeder finden Sie neue Strukturgesetze, die auf der vorherigen nicht vorhanden waren. Wie man diese Gesetze tatsächlich ableiten könnte, davon hat wohl niemand eine konkrete Vorstellung, aber ich vermute, dass es prinzipiell möglich sein wird. Wie sieht denn das in Ihrer Theorie aus: Können Sie eigentlich erklären, woher die Geister stammen, die , wie Sie sagen, alles beseelen?
G: Sie sind natürlich vom Einen Geist, dem Schöpfer aller Dinge, geschaffen worden.
P: So, und dieser Eine Geist, woher stammt der?
G: Der Eine Geist hat keine Ursache, keine Erklärung, denn er selbst ist die Ursache von allem. Er ist ewig und ursachenlos und alles, was ist, existiert nur durch ihn.
Und Ihre Naturgesetze, was verursacht die? Und woher stammen das Leben, das Universum, und überhaupt alles, wenn es doch nicht erschaffen wurde.
P: Nun, wir denken, dass die Naturgesetze vielleicht logisch zwingend sind, dass sie sich aus einem einzigen Prinzip, der sogenannten Weltformel, ableiten lassen. Das Universum ist dann einfach eine Folgerung aus den Naturgesetzen, diese haben dafür gesorgt, dass es das Universum gibt.
G: Interessant. Wie stellen Sie sich ein Naturgesetz eigentlich vor? Es ist doch nicht materiell, hat keine Ausdehnung, keinen Ort, an dem man es lokalisieren kann. Es existiert doch nur in Ihrer Vorstellung, nicht in der wirklichen Welt.
P: . . . und ist deshalb auch so eine Art Geist, meinen Sie das? Das ist schon etwas anderes. Ein Naturgesetz ist eine Regel, ein Strukturgesetz. Sie können es nicht direkt sehen, aber es äußert sich indirekt im Verhalten der Materie. Wenn Sie dieses Verhalten betrachten, sehen Sie das Gesetz, das dahintersteht.
G: Also müssen sich die Naturgesetze auf etwas beziehen, es muss Materie oder so etwas geben. Wie ist denn das mit der Weltformel? Worauf bezog sich die, als es noch nichts gab, da ja alles erst aus ihr und durch sie entstand. Schwebte die Weltformel im Nichts, bezog sich auf nichts, bevor die Welt entstand?
P: Die Frage ist so falsch formuliert, denn es gibt kein Vorher vor der Entstehung der Welt; die Zeit selbst entstand erst mit dem Universum, jenseits davon gab es keine Zeit und keinen Raum, deshalb gab es vor dem Universum keine Weltformel, die sich auf gar nichts bezog.
G: Ich verstehe. Sie meinen, die Weltformel selbst hat keine Ursache, keine Erklärung, denn sie ist die Ursache von allem. Sie ist ewig und ursachenlos und alles, was ist, existiert nur durch sie. Diese Ansicht kommt mir allerdings recht bekannt vor.
P: Es tut mir Leid, aber ich glaube, wir kommen in dieser Diskussion nicht weiter. – (Geht nach vorn, wendet sich direkt ans Publikum) Ich verstehe diesen Standpunkt nicht. Wie kann er davon ausgehen, alles in der Welt beruhe auf Zwecken, wo doch offensichtlich allem Gesetze zugrundeliegen. Diese kann man doch direkt beobachten, ohne irgendwelche Rituale und Drogen. Wir müssen doch das Komplizierte aus dem Einfachen folgern, und das Einfache sind doch gerade die zugrundeliegenden Gesetze. Einen mythischen Weltplan und einen Schöpfergeist brauchen wir nun wirklich nicht, um die Welt zu erklären, die Naturgesetze sind einfach und klar. Diese Geister sind doch nichts als Hirngespinste. (ab)
G: (Geht nach vorn) Ich verstehe diesen Standpunkt nicht. Wie kann er davon ausgehen, alles in der Welt beruhe auf Regeln, wo doch offensichtlich allem Zwecke zugrundeliegen. Diese kann man doch direkt beobachten, ohne irgendwelche Labore und Messungen. Wir müssen doch das Komplizierte aus dem Einfachen folgern, und das Einfache ist doch gerade der zugrundeliegende Weltplan. Komplizierte Naturgesetze und Mathematik brauchen wir nun wirklich nicht, um die Welt zu erklären, der Weltplan ist doch einfach und klar. Diese Naturgesetze sind doch nichts als Hirngespinste. (ab)
Kommentare (507)