Vor etwa 310 Millionen Jahren, lange vor den Dinosauriern im Karbonzeitalter, lagen die Kontinente Nordamerika und Europa am Äquator. Sie waren mit Wäldern bedeckt – den Wäldern, aus denen die Kohle entstand. Dann, vor etwa 305 Millionen Jahren, änderte sich das Erdklima – es wurde trockener und ein großer Teil der Wälder verschwand. Dieser Klimawandel hatte drastische Auswirkungen auf die Tierwelt.
In einer Veröffentlichung in Geology untersuchen Sarda Sanley, Michael J. Benton (mehr oder weniger der Papst der Englischen Wirbeltierpaläontologen, der auch ein exzellentes Buch “Vertebrate Paleontology” geschrieben hat) und Howard J. Falcon-Lang die folgenden Fragen: Welche Arten lebten vor und nach dem Waldsterben? Was fraßen diese Tiere? Wie hoch war die Artenvielfalt?
Am Äquator lagen damals wie schon erwähnt, Europa und Nordamerika. (Hier war ne Karte, aber aus Copyrightgründen habe ich die entfernt…) Dort wuchsen die Kohlewälder, feuchte Regenwälder, die etwa so aussahen (übrigens unglaublich gut dargestellt im alten tschechoslowakischen Film “Reise in die Urwelt”):
Von Bibliographisches Institut – Meyers Konversationslexikon. https://susi.e-technik.uni-ulm.de:8080/Meyers2/index/index.html, Gemeinfrei, Link
Diese Kohlewälder boten den sich gerade entwickelnden Reptilien und Amphibien (es war noch keine 50 Millionen Jahre her, dass die ersten Vierfüßer sich entwickelt hatten) einen hervorragenden Lebensraum: Gerade für Amphibien, die ja (mit einigen Ausnahmen) auf Wasser zum Legen ihrer Eier angewiesen sind, war die hohe Feuchtigkeit wichtig. Ein Großteil der damals lebenden Landwirbeltiere waren Fisch- und Insektenfresser. Hier als Beispiel für die damals lebenden Tiere Dendrerpeton, ein großes Amphibium:
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Nach dem Waldsterben gab es immer noch Waldgebiete, allerdings lagen zwischen diesen große eher trockene Zonen mit buschartigen Pflanzen (die natürlich mit unseren heutigen Büschen noch nicht viel gemeinsam hatten). Später breiteten sich die Wälder dann wieder aus, allerdings nie wieder über das gesamte Gebiet.
Um die Entwicklung der Artenvielfalt zu dieser Zeit zu quantifizieren, haben die Autoren die einzelnen Fossilien nach Familien (also Gruppen von ähnlichen und miteinander verwandten Arten, heutige Beispiele wären die Familien der Katzen oder Hunde) klassifiziert und die Zahl der Familien über die Zeit verfolgt. Dabei haben sie zwei Größen angeschaut: Die globale Diversität (Artenvielfalt), die also die Anzahl der Familien insgesamt auf der Welt (zu einem Zeitpunkt) angibt, und die Alpha-Diversität, die Anzahl der Familien innerhalb einer Fundstelle (also eines Lebensraums). Und das hier ist dabei herausgekommen (Bild mit freundlicher Genehmigung von Howard Falcon-Lang):
Unten im Bild ist die Zeitskala. Missisipian und Pennsylvanian sind zwei Unterzeitalter des Karbons, Cisuralian ist die unterste (also älteste) Epoche des Perm, die Kürzel darüber kennzeichnen ebenfalls Zeitabschnitte. Wer (wie ich) Erdepochen nicht alle perfekt auswendig beherrscht, ist sicher mit der darüber liegenden Jahresskala (in Millionen Jahren vor heute) besser bedient.
Nun aber zu den Ergebnissen: Teilbild A zeigt die globale und die Alpha-Diversität. Die gestrichelte senkrechte Linie zeigt den Zeitraum an, zu dem das Waldsterben stattfand. Man erkennt, dass es am Anfang (links der senkrechten Linie) in jedem einzelnen Lebensraum ungefähr soviele Familien gab wie überhaupt auf der Erde (bzw. in Euramerika). Mit anderen Worten: Alle Familien waren Kosmopoliten und alle (untersuchten) Lebensräume sahen etwa gleich aus.
Die Vielfalt der Tetrapoden (also der vierfüßigen Landtiere) auf der Erde insgesamt war vor dem Waldsterben also eher niedrig, denn da es auf den beiden Äquatorkontinenten überall sehr ähnlich aussah, konnten auch überall dieselben Tierfamilien gut gedeihen. Die Vielfalt an einem bestimmten Ort (also in einer Fossilienfundstätte) war dabei relativ hoch, das heißt es gab vermutlich komplexe Ökosysteme mit unterschiedlichen ökologischen Nischen.
Die Zahl der Familien insgesamt (die globale Diversität) nimmt auch nach dem Waldsterben stetig zu. Die Alpha-Diversität dagegen nimmt ab, die einzelnen Fundstellen sind also weniger artenreich (oder genauer familienreich). Teilbild B zeigt die Änderung der jeweiligen Diversität (also die Ableitung der Kurven in A) – man erkennt, dass die Alpha-Diversität stark abnimmt, die globale Diversität nimmt dagegen stetig zu, wenn auch mit etwas verlangsamter Rate.
Die unterschiedlichen Diversitäten können dadurch erklärt werden, dass es immer weniger kosmopolitische Familien gab und immer mehr endemische, die also nur in einigen Regionen bzw. Lebensräumen vorkamen. Es setzte also vermutlich eine Spezialisierung der Tiere ein, so dass sich in unterschiedlichen Lebensräumen unterschiedliche Familien ausbreiteten. Die einzelnen Lebensräume boten dabei weniger ökologische Nischen an, so dass die Zahl der Familien in jeder Fundstelle abnimmt. Dies wird auch im Teilbild C veranschaulicht, das die globale Diversität durch die mittlere Alpha-Diversität teilt. Wenn alle Familien an allen Fundstellen gefunden werden, dann ist dieser Wert 1 (das ist vor dem Waldsterben fast erfüllt), wenn umgekehrt an jeder Fundstelle nur eine einzige Art leben würde, dann wäre der Wert gleich der globalen Diversität. Man erkennt den drastischen Sprung genau an der gestrichelten Linie.
Dass die Idee unterschiedlicher Lebensräume vermutlich korrekt ist, lässt sich auch daran sehen, dass die Tetrapoden, die nach dem Klimaumschwung lebten, ganz unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten besaßen. Vor dem Klimawandel waren die Tetrapoden, wie erwähnt, vor allem Fisch- und Insektenfresser; danach aber nahm die Zahl der Fischfresser ab, während zu den Insektenfressern auch Fleischfresser (die also anderen Tetrapoden nachstellten) sowie die ersten Pflanzenfresser hinzukamen. Zu diesen gehörte auch der berühmte Edaphosaurus (den man wegen seines Rückensegels leicht mit dem fleischfressenden Dimetrodon verwechseln kann):
(Bild na klar von Wikipedia)
Die Untersuchung zeigt also, dass die Aufspaltung eines kontinentumspannenden Kohlewaldes in viele kleine und unterschiedliche Lebensräume die Artenvielfalt stark erhöhte. Ähnliches beobachtet man auch heutzutage: Die Artenvielfalt auf Kontinenten ist zwar insgesamt größer als die auf einzelnen Inseln, vergleicht man allerdings gleiche Landflächen, so gibt es auf Inseln viel mehr nur dort einheimische Arten – die Separation von Lebensräumen ist ja auch einer der wichtigsten Mechanismen der Artbildung.
Falls jemand fragt, wozu solche Untersuchungen gut sein sollen – zunächst mal ist es einfach faszinierend, dass man diesen Mechanismus nach 300 Millionen Jahren noch untersuchen kann – mir war vorher nicht bewusst, dass aus dieser Zeit so viele Wirbeltierfossilien vorliegen, dass das möglich ist. Darüber hinaus helfen sie uns, die Entwicklung von Ökosystemen zu verstehen – was passiert, wenn große Ökosysteme fragmentiert werden? Wie entwickelt sich die Artenvielfalt? Der damalige Klimaumschwung hatte vermutlich auch etwas mit dem CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu tun – so ganz irrelevant ist das also auch für unsere heutige Zeit nicht.
Und noch etwas anderes ist sicherlich wichtig: Der damalige Klimaumschwung führte zu einer starken Zunahme vor allem der Reptilienarten, die ja wesentlich besser an trockenes Klima angepasst waren als die Amphibien. Zu diesen neuen Arten zählten auch die Vorläufer der heutigen Säugetiere – ohne die Klimaveränderung vor 300 Millionen Jahren gäbe es uns Menschen heute vielleicht gar nicht. Das Sterben der Kohlewälder ist also auch ein Teil unserer ganz persönlichen Geschichte.
P.S.: Wieder einmal begeistert mich das Informationszeitalter: Am Donnerstag den kurzen Hinweis auf das Paper im aktuellen Nature gesehen, Howard Falcon-Lang eine mail geschickt, kurz darauf einen Link zum Paperdownload und auf meine kurze Anfrage im Null-Komma-Nix die Erlaubnis, das Bild aus der Arbeit hier zu zeigen (dafür nochmal ein Dankeschön nach England).
Sahney, S., Benton, M., & Falcon-Lang, H. (2010). Rainforest collapse triggered Carboniferous tetrapod diversification in Euramerica Geology, 38 (12), 1079-1082 DOI: 10.1130/G31182.1
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