Die Flugsaurier der Dinosaurierzeit hatten Flügelspannweiten von mehr als zehn Metern, vergleichbar mit kleinen Segelflugzeugen. Konnten solche Riesen überhaupt fliegen? Wie starteten sie? Eine neue Untersuchung zeigt, dass auch die großen Flugsaurier gute Flieger waren und dass Flugsaurier nicht gleich Flugsaurier ist.
Mark Witton und Mike Habib haben die Flugfähigkeit der Pterosaurier (der Fachbegriff für Flugsaurier) nach aerodynamischen Gesichstpunkten im Detail analysiert und dabei einige verblüffende Erkenntnisse zu Tage gefördert.
Bevor ich darauf im Detail eingehe, ein kurzer Blick auf die untersuchten Flugsaurier: Flugsaurier zählen nicht direkt zu den Dinosauriern. Da man nur wenig urtümliche Formen kennt und über ihre Vorfahren wenig weiß, sind die genauen Verwandschaftsverhältnisse der Flugsaurier nicht eindeutig geklärt; wahrscheinlich sind sie aber mit den Dinos relativ eng verwandt.
Flugsaurier gab es in fast allen Größen, von kleinen Pterodactylen (die allerdings vermutlich Jungtiere waren) bis hin zu den Riesen, von denen Pteranodon und Quetzalcoatlus sicher die bekanntesten sind.
Hier eine Skelettrekonstruktion von Pteranodon aus dem Jahr 1910:
By George F. Eaton – Wellnhofer, P.; 2009: A short history of pterosaur research, Zitteliana 29, pp 7-19. (scanned), Public Domain, Link
Man erkennt den extrem verlängerten 4. Finger, der die Flughaut trägt. Die Flughaut selbst ist eine faserverstärkte Membran und war übrigens mit Fell bedeckt – ein deutlicher Hinweis darauf, dass Flugsaurier “warmblütig” (endotherm) waren.
(Die Gattung Pteranodon wurde übrigens kürzlich von A. Kellner neu untersucht um festzustellen, wieviele Arten und Gattungen sie tatsächlich umfasst – zu den beiden bekannten Arten Pteranodon longiceps und Pteranodon sternbergi sind dabei zwei neue Gattungen hinzugekommen: Geosternbergia und Dawndraco.)
Auf diesem bild seht ihr Pteranodon (fliegend) und Quetzalcoathlus im Größenvergleich (Bild von Mark Witton):
Quetzalcoatlus war stehend also etwa so groß wie eine Giraffe.
Von Mark Witton and Darren Naish – Witton MP, Naish D (2008) A Reappraisal of Azhdarchid Pterosaur Functional Morphology and Paleoecology. PLoS ONE 3(5): e2271. doi:10.1371/journal.pone.0002271, CC BY 3.0, Link
Auf dem unteren Bild sieht man auch gleich, dass Quetzalcoatlus vermutlich recht gut an das Laufen auf dem Land angepasst war – eine Arbeit von Mark Witton und Darren Naish aus dem Jahr 2008 legt nahe, dass Quetzalcoatlus vor allem ein Bodenbewohner war, der wie ein Storch “kleine” (das ist hier relativ zu verstehen) Tiere jagte (Bild wieder von Mark Witton):
Obwohl Quetzalcoatlus und Pteranodon beide sehr große Flugsaurier waren, hatten sie unterschiedliche Lebensgewohnheiten: Pteranodon lebte über dem Meer (Fossilien wurden hauptsächlich in Amerika dort gefunden, wo in der Kreidezeit der “Western interior seaway” lag, ein großes Epikontinentalmeer, das Nordamerika in zwei Hälften teilte) und war ein Fischfresser, während die Fossilien von Quetzalcoatlus in Landformationen, weit weg von jedem kreidezeitlichen Meer, gefunden wurden. Lange Zeit nahm man an, Quetzalcoatlus sei ein Aasfresser wie ein Geier gewesen, doch die neuere Storcheninterpretation hat auch einiges für sich.
Achso, eigentlich wollte ich ja über die Biomechanik schreiben…
Die Biomechanik des Fliegens versteht man am besten, wenn man sich unterschiedliche Flügelformen anguckt. Hier ein paar Vogelflügel (von Wikipedia):
By L. Shyamal – Own work, CC BY-SA 2.5, Link
Für die Flugeigenschaften sind zwei Größen besonders wichtig: Die Streckung (auch Aspektverhältnis genannt) und die Flächenlast. Die Streckung ist definiert als Verhältnis der Spannweite (von Flügelspitze zu Flügelspitze) und Flügeltiefe. Ist die Streckung groß, ist der Flügel lang und schmal (so wie oben beim Albatross), ist sie klein, ist er kurz und breit (so wie oben bei der Krähe).
Die Flächenlast ist das Gewicht des Tiers geteilt durch die Flügelfläche. Eine niedrige Flächenlast sagt also, dass ein Tier im Verhältnis zu seiner Masse sehr große Flügel hat, eine hohe Flächenlast sagt, dass die Flügel relativ gesehen klein sind.
Generell sind Flügel mit niedriger Streckung günstig für Flugtiere, die eine hohe Manövrierbarkeit brauchen, eine hohe Streckung findet man vor allem bei Segelfliegern. Je kleiner die Streckung ist, desto größer sind Verluste durch Wirbelbildung an den Tragflügelkanten (diese Verluste sind ein Grund, warum viele Flugzeuge heutzutage sogenannte “Winglets” am Flügelende haben). Wer also große Strecken energiesparend fliegen will, braucht tendenziell eine hohe Streckung.
Bei den Gleitern muss man zwei Typen unterscheiden: Dynamische Gleiter sind (etwas vereinfacht) solche, die Aufwinde an “Hindernissen” (typischerweise Meereswellen) nutzen, um Auftrieb zu gewinnen, statische Gleiter nutzen vor allem eine Thermik (also aufsteigende warme Luft). Da es über dem Meer wenig nutzbare Thermik gibt, findet man dort dynamische Gleiter. Für dynamische Gleiter ist eine hohe Streckung besonders wichtig, denn als Meeresvögel müssen sie weite Strecken mit hoher Geschwindigkeit zurücklegen. Statische Gleiter haben dagegen oft etwas breitere Flügel, die an den Enden in einzelne Federn aufgespalten sind. Das erhöht den Auftrieb etwas, allerdings auf Kosten der Gleitgeschwindigkeit. Hinzu kommt, dass sie mit den etwas kürzeren Flügeln engere Kurven fliegen können, was in engen thermischen Aufwinden wichtig ist. (Weitere Informationen dazu findet man hier.)
Eine hohe Flächenlast bedeutet, dass ein Flügelabschnitt ein hohes Gewicht tragen muss. Das erfordert entsprechend mehr Auftrieb. Da der Auftrieb von der Geschwindigkeit abhängt, bedeutet eine hohe Flächenlast eine höhere Geschwindigkeit insbesondere bei Start und Landung.
Um diese Größen für Flugsaurier zu ermitteln, muss man natürlich wissen, wie deren Flügel geformt waren. Das ist ein endloser Streit in der Paläontologie: Waren die Flügel bei allen Flugsauriern an den Hinterbeinen befestigt oder nur an der Körperseite? Wenn an den Hinterbeinen, wie weit gingen sie? Wie groß war die Flugmembran außen – eher breit oder eher schmal? Es gibt zwar einige erhaltene Abdrücke von Membranen, aber natürlich ist nicht so klar, ob sich eine Membran im Tode oder während des Versteinerungsprozesses nicht verformt.
Und auch die Masse der Flugsaurier ist nicht so leicht zu bestimmen – man muss sich nur das Bild oben ansehen, um zu erkennen, dass ein Pteranodon trotz seiner 7-9 Meter Flügelspannweite einen vergleichsweise kleinen Körper hatte. Schätzungen für Quetzalcoatlus reichen von 75kg bis zu über 500kg. Hinzu kommt, dass man von einigen Flugsauriern nicht das ganze Skelett kennt, so dass reichlich Raterei im Spiel ist.
Witton und Habib haben sich einige der Fossilien noch einmal angeschaut und die vorhandenen Modelle aus der Literatur gesichtet, um daraus mögliche Werte für Flügelspannweite und Körpermasse abzuleiten. Sie haben auch die Größe und Form der Armknochen von Quetzalcoatlus analysiert, um die Knochenbelastung abzuschätzen – konnten die Knochen den beim Flug auftretenden Lasten überhaupt standhalten?
Zunächst einmal fanden sie heraus, dass die bisher angenommenen Maximalspannweiten von etwa 13 Metern ein bisschen zu groß sein dürften. Sie beruhen auf der Extrapolation einzelner Knochen (vor allem des Oberarms); da die Knochen aber bei der Fossilisation verformt wurden, waren die Messungen nicht genau genug. Quetzalcoatlus und sein Verwandter, Hatzegopteryx, hatten also vermutlich “nur” 10-11 Meter Flügelspannweite. Ihre Masse schätzt Witton auf etwa 260kg.
Die Flügelformen für Quetzalcoatlus (C) und Pteranodon (B, ein eher kleineres Exemplar mit nur fünfeinhalb Meter Flügelspannweite) zeigt dieses Bild im Vergleich zum Albatros (A) – Teilbild D zeigt die drei maßstabsgetreu (Aus Witton&Habib, s.u.):
Man erkennt deutlich, dass Pteranodon eine ähnliche Flügelform hat wie ein Albatros, währen die Flügel von Quetzalcoatlus eine deutlich kleinere Streckung haben.
Trägt man nun Streckung und Flügellast in ein Diagramm ein, kann man durch Vergleich mit heutigen Vögeln sehen, welche Flugeigenschaften die großen Flugsaurier wohl hatten. Das sieht man hier (Aus Witton&Habib, s.u.):
Aufgetragen ist hier auf der horizontalen Achse die Flächenlast, auf der vertikalen die Streckung. Die vier farblich hinterlegten Bereiche kennzeichnen heutige Flieger: Der graue Bereich Fledermäuse, der bläuliche Bereich Vögel. Bei den Vögeln sind farblich hervorgehoben dynamische Gleitflieger (wie Albatrosse) in orange und statische Gleitflieger (wie Geier) in einem seltsamen blassen lila (Loriot-Fans denken an mauve…).
Die eingetragenen Datenpunkte stehen für Flugsaurier in unterschiedlichen Rekonstruktionen – wenn wir die von Witton glauben, dann fällt Pteranodon genau in den Bereich dynamischer Gleiter und Quetzalcoatlus in den statischer Gleiter. Das passt ziemlich gut zu den oben angeführten Fossilfundstellen.
(Die gestrichelten Linien kennzeichnen Wertebereiche, die von unterschiedlichen Forschern für Flugsaurier vorgeschlagen wurden.)
Man erkennt auch, dass die Flächenlast trotz der hohen Masse der Flugsaurier eher im mittleren Bereich liegt. Das wiederum ist nicht verwunderlich: Vögel mit einer hohen Flächenlast brauchen hohe Geschwindigkeiten, um fliegen zu können und müssen deshalb vor allem aktiv mit den Flügeln schlagen – reines Gleiten funktioniert bei ihnen nur kurz, da die Sinkgeschwindigkeit beim Gleiten recht hoch ist. Entsprechend brauchen sie große Flugmuskeln, die, wenn sie längere Zeit fliegen sollen, aus ausdauernden, sauerstoffverbrennenden Fasern bestehen müssen. (Deshalb ist Entenfleisch dunkel: Sauerstoffverbrennende Muskelfasern enthalten viel Myoglobin, das Muskeläquivalent zum Hämoglobin.)
Eine entsprechend große Muskelmasse hatten die Flugsaurier allerdings nicht zur Verfügung, damit wären sie dann wirklich zu schwer geworden. Sie sind also, wenn sie erst mal in der Luft waren, vor allem geglitten und haben vermutlich nur gelegentlich mal mit den Flügeln geschlagen. Die Analyse der Armknochen zeigt, dass diese vermutlich sogar größere Lasten (bezogen auf die Körpermasse) ertragen konnten und somit zum gelegentlichen Schlagen sicher ausreichend waren.
Aber wie kamen sie dann überhaupt in die Luft? Jeder, der als Kind “Bernard und Bianca – die Mäusepolizei” gesehen hat, kennt die Startschwierigkeiten der Albatrosse:
Bei youtube findet man auch passende (und lustige) Filmchen mit echten Albatros-Starts.
Schaut man auf die eher kümmerlichen Beine des Pteranodon, so wird schnell klar, dass der überhaupt keine Chance hat, durch Laufen auf die nötige Geschwindigkeit zu kommen. Früher nahm man an, dass Pteranodonten auf Klippen gelebt haben und sich von dort in die Tiefe gestürzt haben, um die nötige Geschwindigkeit zu erreichen, aber was macht ein Quetzalcoatlus, der Hunderte Kilometer von den nächsten Klippen entfernt lebt? Wie kommt der in die Luft?
Man darf sich hier von der Analogie zu Vögeln nicht täuschen lassen. Flugsaurier hatten vermutlich ihren ganz eigenen Startvorgang, den ebenfalls Mike Habib (und unabhängig von ihm John Conway) ausgeknobelt hat: Wer so große (und halbwegs muskelbepackte) Vorderbeine hat, auf denen er auch stehen konnte, der konnte die auch zum Starten benutzen. Auch dazu hier ein schönes Video:
Genaue aerodynamische Berechnungen und Analysen der Muskeln (auf der Basis der vorhandenen Knochen und ihrer Muskelansätze) zeigen, dass die Kraft auch der größten Pterosaurier für diesen Startvorgang ausreichte. Dieser Startmodus gibt ihnen einen entscheidenden Vorteil gegenüber Vögeln, der vielleicht auch dazu führte, dass Pterosaurier größer werden konnten (obwohl der größte bekannte Vogel Argentavis mit etwa 7 Metern Flügelspannweite auch mit den meisten Flugsauriern mithalten konnte).
Nach dem Start schlug der Flugsaurier zunächst für ein bis zwei Minuten mit den Flügeln – dazu reichten seine Muskeln aus, und wenn man annimmt, dass er anaerobe, also nicht-sauerstoffverbrennende (also helle, wie bei einem Hühnchen) Muskeln hatte, dann konnte er in dieser Zeit nach Schätzungen von Habib und Witton eine Geschwindigkeit in der Größenordnung von 100km/h erreichen und so genug Strecke zurücklegen, um ein passendes Aufwindgebiet zu finden. Dank seiner Segelfähigkeiten, die nach der Grafik oben denen eines Albatros (im Fall des Pteranodon) bzw. eines Geiers (im Fall Quetzalcoatlus) vergleichbar waren, konnte der Flugsaurier dann ohne Mühe stundenlang in der Luft bleiben.
Hier der Link auf das Paper:
Witton, M., & Habib, M. (2010). On the Size and Flight Diversity of Giant Pterosaurs, the Use of Birds as Pterosaur Analogues and Comments on Pterosaur Flightlessness PLoS ONE, 5 (11) DOI: 10.1371/journal.pone.0013982
Die Interpretation von Quetzalcoatlus und seinen Verwandten als Storchenanaloge findet man hier (und eine ausführliche Diskussion auf Darren Naishs Blog “Tetrapod Zoology” – wer sich für Biologie interessiert, der kommt an diesem Blog nicht vorbei):
Witton, M. P. & Naish, D. 2008. A reappraisal of azhdarchid pterosaur functional morphology and paleoecology. PLoS ONE 3(5): e2271 doi:10.1371/journal.pone.0002271
Die neuen Pteranodon-Gattungen werden in diesem Artikel eingeführt:
ALEXANDER W.A. KELLNER
Comments on the Pteranodontidae (Pterosauria, Pterodactyloidea)
with the description of two new species
Anais da Academia Brasileira de Ciências (2010) 82(4): 1063-1084
(Annals of the Brazilian Academy of Sciences)
Und wer sich für Flugsaurier interessiert, der sollte unbedingt diese Internetseiten ansehen:
John Conway’s Palaeo-Seite
Pterosaur.net
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