Dass es drei Grundfarben gibt, ist ja allgemein bekannt. Aber könnten es auch vier sein? Oder zwei? Warum sehen wir genau drei Grundfarben? Nun, daran sind (höchstwahrscheinlich) die Dinosaurier schuld.
Um zu verstehen, was die Dinos, die ja vor über 65 Millionen Jahren gelebt haben, mit dem Farbsehen zu tun haben, müssen wir erstmal verstehen, wie das Farbsehen überhaupt funktioniert.
Stäbchen und Zapfen
Unser Auge hat zwei verschiedene Typen von Sinneszellen: Die Stäbchen und die Zapfen (früher hießen die “Zäpfchen”, aber der Begriff ist irgendwie in Ungnade gefallen oder nicht mehr politisch korrekt oder so…). Die Stäbchen sind für’s Sehen bei wenig Licht zuständig – sie können keine Farben unterscheiden, weswegen nachts ja alle Katzen grau sind. Wer gern Sterne beobachtet, weiß vielleicht, dass man sehr schwache Himmelsobjekte (z.B. die Andromeda-Galaxie) am besten erkennt, wenn man sie nicht direkt fixiert, sondern ein bisschen daneben guckt, Das liegt daran, das im Bereich des schärfsten Sehens auf der Netzhaut nahezu keine Stäbchen liegen, sondern nur Zapfen, und die sind nicht so lichtempfindlich.
Egal – für alles, was jetzt kommt, können wir die Stäbchen eigentlich ignorieren und uns ausschließlich mit den Zapfen befassen. In den Zapfen gibt es Moleküle, die Licht absorbieren und in Signale umwandeln (sonst könnten wir ja nix sehen), und zwar drei verschiedene Sorten. Man nennt sie meist L, M und S für lange (long), mittlere (medium) und kurze (short) Wellenlängen. Das Absorptionsmaximum der L-Zapfen liegt im grün-gelben Bereich, das der M-Zapfen im Gelbrünen und das der S-Zapfen im Blauen:
Von Cone-response.svg: User:Sakurambo, User:TAKASUGI Shinji, User:Russavia
derivative work: Kopiersperre – Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet Cone-response.svg: , CC BY-SA 3.0, Link
Das Bild zeigt das Absorptionsspektrum der drei Moleküle (die schwarze Linie ist die für die Stäbchen, wenn ich es richtig verstehe), zeigt also, wie stark das jeweilige Molekül durch Licht einer bestimmten Wellenlänge angeregt wird. Mit Licht einer Wellenlänge von z.B. 564 Nanometern werden die L-Zapfen stark angeregt, die M-Zapfen auch noch einigermaßen, die S-Zapfen dagegen fast gar nicht. Bei etwa 650 Nanometern regen wir fast nur noch die L-Zapfen an, wenn auch wesentlich schwächer. Im Bereich des roten Lichts sind wir also (wegen der schwächeren Absorption) wesentlich weniger lichtempfindlich – deshalb sehen grüne Laserpointer auch viel heller aus als rote, obwohl sie meist eine ähnliche Lichtleistung ausstrahlen. Blaues Licht dagegen regt die S-Zapfen an, aber auch die M- und L-Zapfen. Trotzdem erscheint es natürlich richtig blau – Licht, das nur die S-Zapfen anregt, gibt es eben nicht, deshalb haben wir dafür auch keine Farbbegriffe.
Weil wir drei unterschiedliche Moleküle haben, ist jede Farbwahrnehmung dadurch bestimmt, wie stark diese drei Moleküle angeregt werden. Also: Drei Moleküle, drei Grundfarben. (Ich vereinfache hier ein bisschen, die detaillierte “Verschaltung”, mit der aus den Molekülanregungen die Farben werden, ist etwas komplizierter, das Prinzip stimmt aber.)
Was bei dem Bild der Absorptionsspektren sicher sofort auffällt ist, dass das Spektrum für L- und M-Zapfen sehr ähnlich sind. Wir können deshalb Licht im Wellenlägenbereich zwischen so etwa 530 und 570 Nanometern nicht so sehr gut in unterschiedliche Farben auflösen. Nachtrag Das war eigentlich Unsinn – es ist ja eher andersherum: Wir nehmen in diesem Bereich schon kleine Wellenlängenunterschiede als deutlich unterschiedliche Farben wahr.Das wiederum hat auch durchaus Vorteile, wie gleich erklärt wird.
Deshalb ist in einem Spektrum (oder im Regenbogen) der gelbe Bereich vergleichsweise schmal, während vor allem blau und rot viel breiter sind:
Von Tatoute and Phrood – Unbekannt, CC BY-SA 3.0, Link
Entsprechend können wir nicht so viele Gelbtöne unterscheiden – auch dafür könnt ihr euch bei den Dinosauriern bedanken.
Nachtrag/Korrektur: Der Satz ist zwar nicht wirklich falsch, aber irreführend: Dadurch dass die beiden Spektren so dicht beieinander liegen, können wir Wellenlängen in diesem Bereich sehr genau unterscheiden 530nm sieht für uns eben ganz anders aus als 560nm. Der gelbe Bereich ist dadurch sehr eng, das ist natürlich richtig.
Säugetiere sind rot-grün-blind
Warum liegen das Spektrum für L und M so dicht zusammen? Diese Frage beantwortet die Evolution: Die meisten Säugetiere haben nur zwei Zapfentypen, nämlich L und S. Sie sind also rot-grün-blind (und deshalb ist es einem Stier auch herzlich egal, ob ihr mit einem roten oder grünen Tuch vor seiner Nase rumfuchtelt.). Für unsere Vorfahren aber, die ja auf Bäumen lebten und gern Früchte futterten, war es ziemlich nützlich, rot, gelb und grün gut unterscheiden zu können, weil Früchte nun mal oft bunt sind. Zur Veranschaulichung hier ein Bild eines Obststands ohne rot-grün-Unterscheidung (wieder von Wikipedia):
Von Benutzer:Bautsch – Selbst fotografiert, Gemeinfrei, Link
Da wird es natürlich schwer, aus diesem farblichen Einerlei die passenden Früchte herauszusammeln, besonders, wenn die sich zwischen Blättern verstecken. Für unsere Vorfahren war es also nützlich, hier eine bessere Unterscheidung zu entwickeln.
Mutationen des entsprechenden Gens für den L-Typ sorgte für eine leichte Verschiebung des Absorptionsspektrums dieses Moleküls, so dass der M-Typ entstand (der sich, weil so nützlich, schnell evolutionär durchsetzte). Die beiden Moleküle sind sich deshalb immer noch ziemlich ähnlich und haben deshalb ein ähnliches Absorptionsspektrum. Nachtrag: Und gerade weil das Spektrum so ähnlich ist, können wir den Reifegrad von Früchten an Hand leichter Unterschiede in der Lichtwellenlänge gut beurteilen.
Die Gene für den M- und den L-Typ sitzen auf dem X-Chromosom, also dem, das für die Geschlechtsbestimmung verantwortlich ist (XX=weiblich, XY=männlich). Wenn eins dieser Gene defekt ist, dann gibt es den entsprechenden Zapfentyp nicht mehr und man ist auch als Mensch rot-grün-blind. Deswegen sind auch wesentlich mehr Männer als Frauen rot-grün-blind: Frauen müssen auf beiden X-Chromosomen einen Gendefekt haben, um rot-grün-blind zu sein – Männer dagegen haben ja keine Reservekopie des X-Chromosoms.
Die genaue Evolution der Zapfen wird übrigens intensiv untersucht – bei unterschiedlichen Primaten hat sich der dritte Zapfentyp anscheinend mehrfach unabhängig entwickelt. Es gibt dabei auch Primaten, bei denen auf jedem X-Chromosom nur eine Kopie des “Molekülgens” sitzt – Männchen sind dann immer rot-grün-blind, Weibchen dagegen oft nicht, wenn sie von beiden Elternteilen unterschiedliche Varianten geerbt haben.
Farbsehen bei anderen Wirbeltieren
Der Mensch ist ja bekanntlich die Krone der Schöpfung und so – klar, dass andere Tiere schlechter Farben sehen als wir, oder? Sieht man ja auch daran, dass die meisten Säugetiere eben nur zwei passende Moleküle haben.
Klingt nett, ist aber falsch – Fische, Amphibien, Reptilien und Vögel haben nicht bloß drei Zapfentypen wie wir, sondern vier. Sie sehen also vier Grundfarben. (Könnt ihr euch nicht vorstellen? Ich auch nicht.) Der vierte Zapfentyp hat ein Absorptionsmaximum im ultravioletten Bereich (den wir ja nicht sehen können), deswegen nennen wir ihn U. Da die Säugetiere von den Fischen abstammen, müssen sie irgendwann zwei ihrer vier Zapfentypen verloren haben.
Übrig blieben zwei Typen, nämlich (jetzt wird’s kompliziert) der L-Typ und der U-Typ. Der U-Typ verschob im Laufe der Evolution sein Absoprtionsmaximum in den blauen Bereich, so dass aus dem U-Typ der Fische der S-Typ der Säugetiere wurde, während der S-Typ und der M-Typ der Fische verloren gingen. Dieses Bild von Wikipedia zeigt das sehr schön:
Von Der ursprünglich hochladende Benutzer war Hati in der Wikipedia auf Deutsch – Selbst erstellt nach Timothy A. Goldsmith, What Birds See, in Scientific American July 2006, S. 51 ff., Attribution, Link
Und jetzt die Dinos
Aber warum verloren unsere Vorfahren die Fähigkeit zum Farbsehen zu einem guten Teil? Höchstwahrscheinlich, weil sie es nicht brauchten. Und wann nützt das Farbsehen nichts? Richtig: nachts.
Die Ursäugetiere waren meist klein und nachtaktiv, und man geht davon aus, dass sie deswegen die Fähigkeit zum Farbsehen teilweise als überflüssigen Ballast verloren haben. Aber warum waren die Ursäugetiere nachtaktiv?
Darum:
(Bild aus “Mehr Wissen über Säugetiere der Urzeit”, B. Halstead, 1976)
Vermutlich lag es (auch) an den Dinosauriern, dass im Erdmittelalter die Säugetiere im wesentlichen in die ökologischen Nischen für Nachttiere verdrängt wurden – die Dinosaurier hatten viele Nischen für tagaktive Tiere einfach schon besetzt. Unsere Vorfahren (zu dieser Zeit kleine, spitzmausartige Tiere) tummelten sich deshalb vor allem nachts draußen, wo sie mehr Stäbchen und weniger Zapfen brauchten. Da der Platz auf der Netzhaut begrenzt ist, wurden deshalb überflüssige Zapfen abgeschafft. Und deshalb sind auch die Dinos Schuld daran, dass Säugetiere nur zwei Zapfentypen haben. Wir haben immerhin einen dritten dazubekommen, aber dass wir nur drei statt vier Grundfarben sehen können und dass der gelbe Bereich des Spektrums so schmal ist, das ist die Schuld der Dinosaurier..
(Ich hoffe, niemand nimmt mir hier und anderswo im Artikel die leicht teleologische Sprache übel – korrekter müsste ich natürlich von einem Selektionsdruck zur Abschaffung der Zapfen sprechen, aber ich hoffe mal, das versteht sich von selbst. Falls es gar zu schlimm ist, nölt in den Kommentaren, dann entschärfe ich meinen umgangssprachlichen Stil.)
Ohne die Dinos wären unsere Vorfahren vielleicht nicht nachtaktiv gewesen, und wir könnten jetzt vier Grundfarben sehen. Allerdings – ohne die Dinos wäre die Evolution der Säugetiere vermutlich ganz anders verlaufen, und es hätte vielleicht überhaupt keine Primaten (oder gar Menschen) gegeben. Insofern solltet ihr auf die Dinosaurier auch nicht allzu sauer sein. Aber vier Grundfarben sehen fände ich schon cool…
PS: Diese kleine Wissenschaftsgeschichte mag ich sehr – man geht von einem ganz simplen Alltagsphänomen aus, und ist plötzlich mittendrin in Physik, Genetik und Evolution und sieht, wie Ereignisse vor Millionen von Jahren unser Alltagsleben bestimmt haben. Für mich illustriert sie auf faszinierende Weise die Einheit der Wissenschaft – und es kommen auch noch Dinosaurier vor.
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